Antje Schrupp im Netz

Feministischer Sozialismus?

Gleichheit und Differenz in der Geschichte des Sozialismus

Etta Federn, eine österreichische Anarchistin, schrieb 1938 ein Buch, in dem sie revolutionäre Frauen porträtiert. In der Einleitung schreibt sie:

»Frauen der Revolutionen. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir uns erst darüber klar werden, was eine Revolution eigentlich ist. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Revolutionen nur durch Kämpfe und Straßenschlachten, durch blutige Zusammenstöße, terroristische Tätigkeiten und alle Arten von Gewalt zustande kämen. Revolutionen vollziehen sich ebenso auf geistigem und seelischem Gebiet«.

Was Etta Federn hier andeutet ist, dass es eine Auffassung von Revolution gibt, man könnte auch sagen, von Weltverbesserung, die auf weiblicher Erfahrung beruht. Sie deutet an, dass die Frauen, über die sie schreibt, einen Zugang zu Politik haben, der nicht sofort auf Taten abzielt, sondern Wert auf die Bedeutung legt, auf den Sinn, den Ereignisse und Handlungen haben – das geistige und seelische Gebiet. Mir ist allerdings aufgefallen, oder merkwürdig vorgekommen, dass Etta Federn ihre Auffassung, was eine Revolution sei, so sehr vorsichtig formuliert und auch nicht als eine eigene Position, sondern lediglich als Einwand, als Korrektur, als Ergänzung dessen, was herkömmlicherweise als sicher gilt.

Ich glaube, das liegt daran, dass ihr der Bezug auf die weibliche Erfahrung als Grundlage für politisches Denken versperrt ist. Etta Federn schrieb in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, also zu einer Zeit, als im politischen Diskurs »weibliche« Politik untrennbar mit »Frauenrechtlerei« verknüpft war. Sie selbst war aber keine Frauenrechtlerin. Deshalb bleibt ihr als Anhaltspunkt nur die Auffassung der Männer, die sie kritisiert und von der sie sich abgrenzt, so als sei das politische Denken von Frauen etwas, das komplementär oder entgegengesetzt zum politischen Denken von Männern wäre, oder aber neutral, geschlechtslos.

Ich möchte heute Abend zeigen, dass dieses Dilemma, das uns auch heute noch bekannt ist, das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung ist und dass es in der politischen Ideengeschichte durchaus auch Ansätze gab, in denen die Rede vom weiblichen Denken nicht automatisch schon einer bestimmten inhaltlichen Position verbunden war, wo »weiblich« sich also nicht als Umkehrschluss aus »männlich« herleitet, sondern wo aus der Erfahrung und dem Handeln von Frauen eine Politik entstand, die den Anspruch hatte, allgemein gültige Antworten für Frauen und Männer zu geben.

Machen wir nun einen Sprung zurück ins Jahr 1848, zur zweiten Französischen Revolution. In diesem Jahr stellte sich die Pariser Sozialistin Jeanne Deroin als Kandidatin für die Parlamentswahlen auf. Die Notwendigkeit des Frauenwahlrechts begründete sie folgendermaßen: »Gerade deshalb, weil die Frau dem Mann zwar gleich ist, aber doch nicht mit ihm identisch, sollte sie sich an der Arbeit für soziale Reformen beteiligen und darin die notwendigen Elemente verkörpern, die dem Mann fehlen, damit das Werk vollständig sein kann.«

Diese Begründung unterscheidet sich sehr von der Argumentation, die später die Frauenrechtlerinnen anführten: Jeanne Deroin forderte die Beteiligung von Frauen an der Politik nicht im Interesse der Frauen selbst, sondern im Interesse der Gesellschaft. Ihr Anspruch, wählen zu dürfen, gründet sich nicht auf die Gleichheit der Geschlechter, sondern gerade darauf, dass sie nicht identisch sind. Das Wahlrecht für Frauen ist notwendig, weil ansonsten der Gesellschaft wichtige Kompetenzen verloren gehen, die nur die Frauen einbringen können.

Damit berief sich Jeanne Deroin auf die Tradition des Frühsozialismus (der zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts). Das große Versprechen der Französischen Revolution von »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« hatte sich in zweierlei Hinsicht nicht erfüllt – in Hinsicht auf die Frauen, die von den bürgerlichen Rechten zunehmend ausgeschlossen wurden und in Hinsicht auf die Arbeiterinnen und Arbeiter, die verarmten, weil man unter Gleichheit keine materielle, reale Gleichheit verstand, sondern nur eine formale. Deshalb war es in diesen Jahren ganz selbstverständlich, dass Feminismus und Sozialismus Hand in Hand gingen. Alle frühsozialistischen Bewegungen räumten dem Verhältnis der Geschlechter einen wichtigen Platz ein. Es war unbestritten, dass weibliche Tätigkeiten und Kompetenzen einen positiven Nutzen für die Gesellschaft haben und daher wertgeschätzt und berücksichtigt werden müssen, wobei es allerdings sehr unterschiedliche Lösungsvorschläge dafür gab, wie das konkret umzusetzen wäre, worauf ich an dieser Stelle aber nicht näher eingehen will.

Zur Zeit von Jeanne Deroin hatte sich die öffentliche Meinung aber schon sehr zu ungunsten der Frauen verschoben. In den fünfziger Jahren formierte sich eine regelrechte antifeministische Bewegung, die solche Vorstellungen bekämpfte. Bürgerliche Intellektuelle wie Proudhon, Comte oder Michelet versuchten, den Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben und ihre Entrechtung zu begründen und ideologisch zu rechtfertigen. Das lief vor allem darauf hinaus, dass sie die Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen so interpretierten, dass daraus eine Minderwertigkeit von Frauen und eine Überlegenheit der Männer wurde. Die Geschlechterdifferenz, die im Frühsozialismus gerade das Argument für eine Beteiligung von Frauen an den gesellschaftlichen Entscheidungen gewesen war, wurde auf diese Weise zu einem Argument dagegen.

Dies spiegelte sich auch in der Arbeiterbewegung wieder. Im Frühsozialismus war zum Beispiel die Rolle der »Hausfrauen« noch positiv gewertet worden, man sah in ihnen die Hüterinnen einer antikapitalistischen proletarischen Kultur, weil sie einen Ort repräsentierten, der dem staatlichen Zugriff und der kapitalistischen Effizienzlogik entzogen blieb. Nun wurde ihnen gerade daraus ein Strick gedreht: Weil sie ja nicht im kapitalistischen Produktionsprozess mit drinsteckten, hatten sie auch in der Arbeiterbewegung nichts zu sagen. Zunehmend übernahmen männliche Arbeiter, vor allem in den etwas besser stehenden Berufszweigen, bürgerliche Familienvorstellungen, und aus der starken Hausfrau, die dem vom Kapitalismus gebeutelten Arbeiter einen Ort der Freiheit und der kulturellen Eigenständigkeit schuf, wurde die hilflose Hausfrau und Mutter, die von der Unterstützung ihres Ehemanns abhängig ist und sich daher durch Wohlverhalten dessen Gunst sichern muss.

Die Reaktion der Feministinnen war wohl unvermeidlich: Notgedrungen verabschiedeten sie sich immer mehr von dem Argument der positiven weiblichen Kompetenzen und betonten mehr und mehr die Gleichheit oder zumindest eine größere Ähnlichkeit der Geschlechter. Nun entstanden all die geläufigen Argumente, die die Frauenrechtsbewegung bis heute prägen: Dass die Fähigkeit, Kinder zu gebären und zu erziehen, kein bestimmendes Merkmal des Frau-Seins sein dürfe, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen fast ausschließlich auf die Sozialisation zurückzuführen seien, und dass Frauen deshalb politisch mitreden müssten, damit sie ihre eigenen Interessen vertreten können.

Der Gleichheitsfeminismus ist also, jedenfalls historisch gesehen, kein Ausdruck weiblicher Freiheit, sondern ein verzweifeltes Rückzugsgefecht der Feministinnen, angesichts eines überschäumenden männlichen Antifeminismus. Ich nenne diesen Ansatz daher auch nicht Feminismus, sondern besser Anti-Antifeminismus. Damals waren die Frauen, die diese Positionen vertraten, in der Tat auch nicht als Feministinnen bekannt, sondern als Antiproudhonistinnen, weil nämlich Proudhon der wichtigste und radikalste dieser Antifeministen war. Da nun das Augenmerk vor allem darauf gerichtet war, die Argumente der Antifeministen zu widerlegen, ging es immer weniger um den positiven gesellschaftlichen Nutzen weiblichen Handelns, sondern mehr und mehr darum, zu zeigen, dass es zumindest nicht schadet. Es ging also sozusagen der revolutionäre Impuls verloren.

Wie haben nun feministische Sozialistinnen, zum Beispiel in der Ersten Internationale oder in der Pariser Kommune, auf diese Situation reagiert? Wie begründeten sie die Teilnahme der Frauen an der Arbeiterbewegung, welche Bedeutung gaben sie dem Geschlechterverhältnis? Welchen Ausweg fanden sie aus dem Dilemma zwischen Antifeminismus und Anti-Antifeminismus?

Virginie Barbet, Mitglied der anarchistischen Fraktion der Internationale, hat versucht, den Gleichheitsgedanken der Anti-Antifeministinnen zu radikalisieren und ihm eine revolutionäre Wendung zu geben. Sie schlug vor, konsequent zu Ende zu denken, was es bedeutet, wenn die Eigenschaften und Fähigkeiten der Menschen nicht angeboren, sondern anerzogen sind. Um eine wirklich egalitäre Gesellschaft zu schaffen, meinte sie, müsste man nur alle äußere Ungleichheit aufheben: Deshalb forderte Barbet die Abschaffung des Erbrechts, damit alle Kinder von Geburt an gleiche materielle Rahmenbedingungen hätten, eine radikale Koedukation, damit Mädchen und Jungens nicht unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt wären, und so weiter. Für das Zusammenleben von Männern und Frauen bedeutet dieser Vorschlag, dass es keine den Geschlechtern zugeordneten Tätigkeiten mehr geben soll.

Dieses sehr radikale Modell ist zwar auf den ersten Blick durchaus plausibel, hat aber zwei Nachteile: Erstens ist es sehr theoretisch und wirkt gewissermaßen wie am grünen Tisch erfunden. Außerdem – und das hängt wohl damit zusammen – waren solche Ideen damals kaum vermittelbar. Es waren die Vorstellungen einer revolutionären Avantgarde, die aber der Mehrheit der Frauen nicht einleuchteten und ihren Erfahrungen völlig widersprachen. (Die Kontroverse darüber ist dokumentiert, Gay/Bakunin). Auch Virginie Barbet blieb eher isoliert – so spielte sie trotz ihrer führenden Positionen in der Lyoner Internationale so gut wie keine Rolle bei einem großen wochenlangen Streik der Textilarbeiterinnen in Lyon.

Möglicherweise hat Barbet daraus gelernt. Als nämlich ein Jahr später die Arbeiter in den Metallfabriken von Le Creuzot streiken, fordert sie die Frauen der Arbeiter auf, sich zwischen die Streikenden und das anrückende Militär zu stellen und so den Streik zu unterstützen. Hier weicht Barbet deutlich von ihrer eigenen Gleichheitsrhetorik ab: Ihr Aufruf ist eine klare Aufforderung an die Frauen, sich die allgemein verbreitete Vorstellung von den Unterschieden der Geschlechter zunutze zu machen. Sie sollen sich als lebendige Schutzschilde vor die anrückenden Militärs und Polizisten stellen und darauf setzen, dass diese Skrupel haben werden, auf Frauen zu schießen. Sie forderte die Frauen also nicht auf, die Reihen der Männer einfach nur zu verstärken, sondern sie empfiehlt eine eigene, weibliche Strategie: Mit den Gegnern zu diskutieren, zu argumentieren und moralischen Druck in ihrer Eigenschaft als Mütter, Ehefrauen, Schwestern auszuüben. Der Streik in Creuzot wurde zwar niedergeschlagen, doch ein Jahr später war es genau diese Taktik, die den Beginn der Pariser Kommune markierte: Als nämlich die Frauen sich zwischen die Versailler Truppen und die Nationalgarde stellten, und die Soldaten sich weigerten, auf sie zu schießen. Und durch Diskussionen erreichten die Frauen es dann sogar, dass die Mehrheit der Soldaten zu den Aufständischen überlief.

Auch die russische Sozialistin Elisabeth Dmitrieff war davon überzeugt dass es zwischen Frauen und Männern eigentlich keine Unterschiede geben soll. Es war gewissermaßen sogar das Markenzeichen des russischen Nihilismus, von dem Dmitrieff geprägt war. Sie versuchten, die Geschlechterunterschiede so weit wie möglich zu ignorieren, was allerdings in der Praxis bedeutete, dass die Frauen sich männliche Verhaltensweisen zulegten: Die Russinnen waren dafür bekannt, dass sie rauchten, nachlässige Kleidung trugen und sich keinerlei weibliche »Bequemlichkeiten« herausnahmen. Doch diese Geste der Leugnung der Geschlechterdifferenz war bei ihnen eher so etwas wie ein Zugehörigkeitsmerkmal für revolutionäre Gesinnung, es war nicht eigentlich eine politische Forderung. Sie fühlten sich als Elite – das waren sie durch ihre meist aristokratische Herkunft gewohnt – und erwarteten von der Masse des Durchschnittsvolks gar nichts anderes, als eine rückständige Gesinnung.

Deshalb hat Elisabeth Dmitrieff auch nicht versucht, die Arbeiterinnen und Frauen der Arbeiter in der Internationale von ihren Vorstellungen zu überzeugen, sondern sie konzentrierte sich darauf, sie in großer Zahl zu organisieren. Berühmt wurde sie als Organisatorin der größten Frauenvereinigung der Pariser Kommune. Dabei ging sie ganz pragmatisch von ihren alltäglichen, lebenspraktischen Anliegen der Frauen aus, sie organisierte Krankenpflege für die Kommunekämpfer sowie die Frauenarbeit in Kooperativen oder Heimarbeit, sie verhandelte mit der Kommuneregierung über Preise für die Näherinnen von Uniformen und so weiter. Dabei hatte sie auch keine Bedenken, mit antifeministischen Sozialisten zusammenzuarbeiten, wenn es ihren unmittelbaren Anliegen nützlich war.

Gerade als radikale Gleichheits-Feministinnen verzichteten also Elisabeth Dmitrieff und Virginie Barbet darauf, den Feminismus zum Ausgangspunkt ihres politischen Handelns zu machen – Virginie Barbet, weil sie merkte, dass er den Frauen nicht vermittelbar war, Elisabeth Dmitrieff, weil sie als russische Aristokratin die Bedeutung unterschätze, die die bürgerliche Geschlechterideologie für das westeuropäische politische Denken hatte.

Die französische Schriftstellerin und Journalistin André Léo ging dagegen den entgegengesetzten Weg: Für sie war der Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter gerade der politische Ansatz, auf der weiterreichende Gesellschaftsveränderungen aufbauen müssen.

André Léo war eine der führenden Kommentatorinnen der Pariser Kommune. (anders als die Mehrheit der Pariser Feministinnen, mit denen sie vorher zusammengearbeitet hatte, und die jetzt aber aus Ablehnung des Sozialismus heraus sich auf die Seite der Versailler schlugen und Paris verlassen hatten). Gerade aus der Erfahrung mit dem Antifeminismus und mit der zu kurz greifenden Reaktion des Anti-Antifeminismus macht sie die Beteiligung der Frauen an der Politik zur Nagelprobe für die Demokratie. Echte Demokratie, also die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens durch die Menschen selbst, ist nicht möglich ist, wenn man dafür gleichzeitig den Ausschluss wichtiger Teile der Bevölkerung in Kauf nimmt, weder die der Frauen, noch die der Arbeiter. Dabei argumentierte sie ganz pragmatisch: Wenn erklärte Antifeministen, wie der General Jaroslav Dombrowski, der strikt gegen jeden Einsatz von Soldatinnen war und selbst Marketenderinnen und Krankenpflegerinnen den Zugang zu den Schlachtfeldern verweigern wollte, zum Oberbefehlshaber der Kommune gemacht wurde, dann war das ganz konkret eine Gefahr für das ganze Projekt. Wenn also die Antifeministen Frauen aus der Politik ausschließen, so Léo, dann schaden sie nicht in erster Linie den Frauen, sondern ihren eigenen sozialrevolutionären Anliegen. Das heißt, sie übernimmt aus dem Frühsozialismus die Frage nach dem positiven Nutzen für die Gesellschaft, die weibliche Beteiligung an den öffentlichen Institutionen hat, aber sie führt diese nicht mehr auf die positiven, inhaltlich zu bestimmenden weiblichen Kompetenzen zurück, sondern sie begründet es formal: Anders ist es nämlich keine Demokratie. Die Frage, ob Männer oder Frauen unterschiedlich oder gleich sind, wird dadurch überflüssig.

André Léos Kritik an den Antifeministen ist also kein bloßer Anti-Antifeminismus, sondern wird zur Grundlage für ein neues Politikverständnis überhaupt. Er bedeutet letztlich, dass die Mittel jeder Reform den damit angestrebten Zwecken angemessen sein muss: Der Zweck heiligt die Mittel nicht. Dieses aus der weiblichen Erfahrung gewonnene Politikverständnis führt André Léo daher auch dazu, bei anderen Themen Stellung zu beziehen. So hielt sie sich mit ihrer Kritik an zentralistischen, anti-freiheitlichen Tendenzen in der Kommune nicht zurück. Sie kritisierte Maßnahmen wie Pressezensur, die Absetzung unliebsamer Minister und anderer Repressalien. »Wenn wir uns verhalten, wie unsere Gegner, wie soll sich dann die Welt zwischen ihnen und uns entscheiden?« fragte sie in einem ihrer Artikel.

Noch einen Schritt weiter ging die US-amerikanische Feministin Victoria Woodhull, nicht nur weil sie die Betonung der sexuellen Freiheit und der Aufhebung innerfamiliärer Machtverhältnisse noch weitaus provokativer zuspitzte. Während für André Léo der Ausschluss der Frauen aus der bürgerlichen Gesellschaft nur ein Punkt ist, an dem die Mittel den Zwecken entgegenlaufen, ein Beispiel für verfehlte Politik, so ist für Victoria Woodhull, die an vielen Punkten ähnlich argumentierte wie Léo, die Anerkennung der individuellen Freiheit von Frauen sogar der eine wesentliche Schritt, der auf dem Weg zu einer gerechten, freiheitlichen Gesellschaft noch fehlt. Als US-Amerikanerin war sie allerdings auch davon überzeugt, dass die amerikanische Verfassung die Freiheit der Menschen zumindest theoretisch bereits verwirklicht habe, und im Vergleich zu den europäischen Gesellschaften war die amerikanische damals tatsächlich sehr viel freiheitlicher.

Die feministischen Sozialistinnen in der Ersten Internationale versuchten also, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, ihre feministischen Überzeugungen und ihr sozialistisches Engagement miteinander zu vereinbaren. Sie alle kamen aus der Frauenbewegung, aber sie waren auch davon überzeugt, dass das Ziel von feministischem Denken immer die Gesellschaft als Ganze ist. Es ging ihnen nicht darum, einfach nur die Situation der Frauen zu verbessern. Doch genau in diese Richtung entwickelte sich der Anti-Antifeminismus. Dadurch, dass das wesentliche Anliegen der Anti-Antifeministinnen nicht die Arbeit an einer freiheitlichen Gesellschaft, sondern die Kritik an den Antifeministen war, bekam ihre Argumentation immer mehr den Anschein, als sei der Ausschluss der Frauen aus der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr ein Symptom oder einfach ein Beispiel für die Unzulänglichkeiten des patriarchalen Kapitalismus, sondern ein Problem, das isoliert betrachtet und gelöst werden könne. Zu dieser Zeit hatte diese Debatte noch sehr pragmatische Hintergründe. Viele Anti-Antifeministinnen waren sich durchaus bewusst, dass ihre Argumentation recht kurz griff, entschieden sich aber aus pragmatischen Gründen dafür, weil sie befürchteten, eine differenziertere Sichtweise würde nur wenig bewirken.

Interessanterweise befand die Arbeiterbewegung in einem ganz ähnlichen Dilemma. In den sechziger Jahren saß der Kapitalismus in Europa so fest im Sattel, dass man über die schönen Ideen der frühsozialistischen Utopien nur noch lächeln konnte – und so fegten Karl Marx und Friedrich Engels diese Ideen auch mit einem Handstreich vom Tisch und erfanden stattdessen den sogenannten »wissenschaftlichen« Sozialismus. Auch hier ging es nicht mehr darum, eine eigene proletarische Kultur zu behaupten, sondern nur noch darum, sich im Rahmen der gegebenen Verhältnisse halbwegs zu behaupten und die eigenen Interessen – in diesem Fall die des Proletariats – so gut wie möglich zu vertreten.

Die Folge war, dass Frauenemanzipation und Arbeiteremanzipation nun beide tendenziell nicht mehr die Gesellschaft als Ganze im Blick hatten, sondern zu einer Art Lobbyarbeit für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe geworden waren. In ihren Analysen reduzieren beide die Fehler des bürgerlichen patriarchalen Kapitalismus jeweils auf einen bestimmten Teilaspekt, der als das einzige oder zumindest das wichtigste Problem verstanden wird – das Verhältnis von Frauen und Männern oder das Verhältnis von Arbeit und Kapital. Frauen- und Arbeiterbewegung machten sich nun gegenseitig Konkurrenz, ja sie bekämpften sich geradezu. Frauen forderten – im Rahmen ihrer Gleichheitsbestrebungen – den Zugang zum Arbeitsmarkt, was in kapitalistischer Logik ein erhöhtes Angebot an Arbeitskraft bedeutete und damit zu Lohnsenkungen führte. Deshalb konterten die Arbeiter mit Forderungen, die Frauenerwerbsarbeit gleich ganz zu verbieten oder wenigstens den Männern durch sogenannte »Arbeitsschutzgesetze« einen Konkurrenzvorteil zu verschaffen. Die Frauen ihrerseits versprachen den Unternehmern billigere Arbeitskräfte, wenn sie nur endlich Frauen ausbilden und einstellen würden, woraufhin immer mehr Gewerkschaften dazu übergingen, Frauen auszuschließen.

Wie sind nun die Positionen der sozialistischen Feministinnen im Hinblick auf diese Entsolidarisierung zu verstehen? Welche Alternative haben sie anzubieten zu der Position der Frauenrechtlerinnen? Es ist nicht die banale Antwort, die der Marxismus gegeben hat. Friedrich Engels schrieb schon 1875: »Die Frauen, die für das formale Recht der Frauen kämpfen, von den Kapitalisten genauso gründlich ausgebeutet zu werden, wie die Männer, sind, direkt oder indirekt, an der kapitalistischen Ausbeutung beider Geschlechter interessiert. Ich muss zugeben, dass ich mehr an der Gesundheit der kommenden Generation interessiert bin, als an der absoluten Gleichheit formaler Rechte in den letzten Jahren der kapitalistischen Produktionsweise.« Der sozialistische Vorwurf an die bürgerliche Frauenbewegung ist also der, nicht wirklich an der Errichtung einer freiheitlichen Gesellschaft interessiert zu sein und die Fortherrschaft des Kapitalismus wenn nicht gar mitzutragen, so doch billigend in Kauf zu nehmen.

In den achtziger Jahren scheint die ehemalige Kommunardin Louise Michel, inzwischen eine führende Theoretikerin der internationalen anarchistischen Bewegung, das ähnlich zu sehen. Sie kritisiert zwar die Frauenrechtlerinnen nicht direkt, grenzt sich aber doch deutlich von deren Forderungen ab, wenn sie an die Adresse der Männer und der Herrschenden schreibt: »Was wir wollen, ist Wissen und Freiheit. Eure Privilegien? Die Zeit ist nicht mehr weit, wo Ihr sie uns anbieten werdet, um durch diese Teilung zu versuchen, ihnen wieder Glanz zu verleihen. Behaltet diese Lumpen, wir wollen sie nicht.«

Beide, Louise Michel und Friedrich Engels, werfen also der Frauenbewegung ihrer Zeit (also dem Anti-Antifeminismus) vor, das Hauptaugenmerk nur auf die Integration der Frauen in das bürgerliche System zu richten. Während aber Engels ihnen jeden revolutionären Impuls grundsätzlich abspricht, trifft Louise Michel den eigentlichen Punkt: Sie gesteht ihnen nämlich durchaus zu, dass sie gesellschaftsverändernde Absichten haben, prophezeit ihnen jedoch, dass sie damit keinen Erfolg haben werden: Die Integration der Frauen in das bürgerliche System werde eben nicht zu einer grundlegenden Umwälzung führen, sondern im Gegenteil dazu dienen, ihm »wieder Glanz zu verleihen«. Die Frage, um die es geht, ist also nicht eine von Absichten und Interessen – wollen die Frauenrechtlerinnen eine gerechte Gesellschaft oder wollen sie nur ihr eigenes Schäfchen ins Trockene bringen? – sondern eine der richtigen Strategie – wird es die Gesellschaft verbessern, wenn Frauen mit gleichen Rechten an ihr beteiligt sind?

Man sieht, dass die Diskussion darüber, was es bedeutet, wenn Frauen gleiche Rechte einfordern, sich seit den Zeiten von Jeanne Deroin völlig verschoben hatte, auch wenn die Forderung als solche, das Frauenwahlrecht, gleich geblieben war. War aber für Jeanne Deroin und ihre Zeitgenossinnen und -genossen noch völlig klar gewesen, dass diese Forderung der Verbesserung der Gesellschaft dient, weil es weibliche Kompetenzen gibt, die für die Gesellschaft vonnöten sind, so war dieser Gedanke durch die Kontroverse zwischen Antifeminismus und Anti-Antifeminismus ganz verloren gegangen. Die Sozialisten warfen den Frauen nun sogar vor, mit dieser Forderung dem Wohl der Gesellschaft entgegenzuarbeiten, und die wohlwollenden Kritikerinnen wie Louise Michel prophezeiten ihnen zumindest, dass sie bei allen guten Absichten doch das genaue Gegenteil erreichen würden: Statt den bürgerlichen Kapitalismus zu revolutionieren, würden sie ihn durch ihre Teilnahme nur noch stabilisieren. Diese Position, also die Kritik an der Strategie der Frauenrechtlerinnen, nenne ich nun den Anti-Anti-Antifeminismus.

Heute scheinen selbst viele Feministinnen sich zuweilen die Sichtweise von Engels zu eigen zu machen, und ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, dass es eine Aufgabe der Frauenbewegung sei, die Interessen von Frauen zu vertreten. Nicht, dass Engels den Frauen egoistische Absichten unterstellt, ist der Skandal, sondern dass er sie ihnen nicht zugestehen will! Wenn man das Spiel nun also weiterführen will, wäre das die Position des Anti-Anti-Anti-Antifeminismus. Was ich damit sagen will: Die Diskussion hat sich an diesem Punkt total verheddert. Die Nutzlosigkeit und Langweiligkeit der heutigen Diskussionen über Quotenregelungen, Frauenförderpläne und ähnliches liegt meiner Meinung nach genau hier: Feministisches Denken hat sich in einer Abfolge von Gegenreaktionen verstrickt, die jedes Neue und Eigenständige am politischen Denken von Frauen überlagert. Und das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum es zum Beispiel Etta Federn nicht möglich war, ihre Position als die eines weiblichen politischen Denkens zu identifizieren – obwohl sie als Frau ein Buch über das politische Denken und Handeln von Frauen geschrieben hat. Der feministische Diskurs hat sich in der Folge des Anti-Antifeminismus mehr oder weniger von dem abgekoppelt, was weibliche Freiheit und weibliches politisches Denken bedeutet.

Um aus diesem Gestrüpp herauszukommen, gehe ich noch einmal zurück zu Barbet, Dmitrieff, Léo und Woodhull, denn, wie ich schon sagte, ließen sie sich nicht auf die Diskussion zwischen Antifeminismus und Anti-Antifeminismus ein sondern suchten nach Alternativen zu dieser Patt-Situation.

Alle vier waren sich einig, dass die Teilnahme von Frauen oder von Arbeitern am politischen und wirtschaftlichen Leben der bürgerlichen Gesellschaft für sich genommen noch kein revolutionäres Potential darstelle, also nicht grundsätzlich etwas zur Verwirklichung einer freiheitlichen Gesellschaft beiträgt. Sie waren aber auch der Meinung, dass es ihm nicht grundsätzlich entgegenstehen muss. Deshalb haben sie zum Beispiel davor gewarnt, irgendwelche prinzipiellen Forderungen aufzustellen, die unabhängig von der konkreten Situation und ihrer Einbettung in eine allgemeine Analyse der Gesellschaft stehen.

Das wird zum Beispiel an der Haltung von André Léo zur Teilnahme von Frauen an den militärischen Aktionen der Pariser Kommune deutlich. Sie forderte nicht grundsätzlich die Zulassung von Frauen zum Militär, also aus Gründen einer abstrakten Geschlechtergleichheit oder um eine formale Diskriminierung von Frauen zu beseitigen, sondern sie forderte die Frauen auf, jeweils das zu tun, was in der konkreten Situation das Beste ist. Als im deutsch-französischen Krieg die französische Armee den Preußen zu unterliegen drohte, forderten Frauen in Paris die Gründung eines Frauenbataillons. André Léo war dagegen, weil die drohende Niederlage Frankreichs keine militärischen Ursachen habe, sondern auf eine verfehlte Politik zurückzuführen sei. Auch ein Frauenbataillon würde daran nichts ändern. Im Falle der Verteidigung der Kommune jedoch, als buchstäblich jede Hand gebraucht wurde, war André Léo eine der schärfsten Kritikerinnen all derer, die die Teilnahme von Frauen an militärischen Aktionen verhindern wollten.

Ein weiteres Beispiel gibt Virginie Barbet. Beim Streik der Textilarbeiterinnen hat sie deren Forderung nach mehr Lohn selbstverständlich unterstützt. Als aber dann eine Frauengruppe, die mit dem Streik gar nichts zu tun hatte, diese Forderung ebenfalls auf ihre Fahnen schrieb, kritisierte das Barbet. Und zwar schreibt sie: »Wir, die wir dachten, dass die Lohnarbeit heute von allen Sozialisten verurteilt würde, erfahren, dass die Initiateure und Initiateurinnen einer Liga für die Frauenemanzipation in die Arena treten und sich der Erhöhung der Frauenlöhne annehmen. Sie gehören natürlich zu der Partei, die uns durch politische Verbesserungen, die sie Freiheit nennt, zur Gleichheit führen will. Man sieht gut, dass diese Freiheitsfreunde nicht unter dem Joch des Unternehmertums leiden, denn, wenn es anders wäre, würden sie, statt sich immer noch mit ihm arrangieren zu wollen, sich mit uns, den radikalen Sozialisten, vereinigen, um so schnell wie möglich diese letzte Form der Aristokratie verschwinden zu lassen.« Was also bei den Textilarbeiterinnen eine angemessene Forderung ist, weil sie zur Mobilisierung und zur unmittelbaren Abhilfe von Not dient, wird falsch, wenn der Kontext sich ändert.

Übereinstimmend kritisierten die sozialistischen Feministinnen deshalb auch eine Tendenz der zeitgenössischen Frauenbewegung, immer mehr die gesellschaftlichen Interessensgegensätze zu betonen. Viele Anti-Antifeministinnen machten nämlich nicht mehr die Gesellschaft als Ganze oder den bürgerlichen Kapitalismus für ihre Anklagen haftbar, sondern sahen ihre Gegner bei den Männern. Dies wurde in Frankreich zum Beispiel ganz deutlich in den Schriften der Antiproudhonistinnen, die die extreme Frauenfeindlichkeit Proudhons als »typisch männliche« Sichtweise charakterisieren und im Gegenzug zahlreiche Bücher schrieben, die unter Titeln wie »Krieg den Männern« die Geschlechterdifferenz als Interessensgegensatz interpretieren. Eine ähnliche Tendenz ist in den USA infolge der 15. Wahlrechtsänderung zu beobachten, die das Wahlrecht für afroamerikanische Männer brachte. Elizabeth Cady-Stanton zum Beispiel bekämpfte diese Änderung, weil sie darin einen Verrat an der ehemals gemeinsamen Forderung nach dem Wahlrecht für alle sah. Nun, nachdem afroamerikanische Männer wählen dürfen, schrieb sie, habe man in der Gesellschaft die Situation »männlich gegen weiblich« . Wäre es aber um das Beste für die Gesellschaft insgesamt gegangen, dann hätte es doch für Feministinnen gar keinen Grund gegeben, das Wahlrecht afroamerikanischer Männer abzulehnen – und in der Tat hat Victoria Woodhull es auch unterstützt.

Dass die Internationalistinnen diese Tendenz der zeitgenössischen Frauenbewegung zur Betonung des Interessensgegensatzes der Geschlechter kritisierten, hat zu dem Verdacht geführt, sie fürchteten eine konsequente Konfrontation mit dem männlichen Patriarchalismus. Der Irrtum, der hier zugrunde liegt, ist der, dass der Standpunkt dieser Frauen lediglich im Rahmen einer inner-feministischen Diskussion betrachtet wird. Doch ihr Anspruch ging ja weit über die Verhältnisbestimmung von Frauen und Männern hinaus: Es ist eine allgemeine politische Position, die sich der Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst ist.

Und damit antwortet sie auch auf eine Kontroverse innerhalb der Arbeiterbewegung selbst. Denn dem Gegensatz der Interessen von Frauen und Männern korrespondierte in der Arbeiterbewegung die Betonung des Klassenantagonismus, die Rede vom Interessensgegensatz von Kapital und Arbeit. Gerade die größten Widersacher in der Internationale, Marx und Bakunin, waren sich ausgerechnet an diesem Punkt einig: Beiden war nämlich gerade die Abgrenzung des Proletariats von der Bourgeoisie und die Ablehnung jeder Kooperation mit republikanischen oder liberalen Kräften wichtig – und sie gelten, ebenso wie die Frauenrechtlerinnen, deshalb in der Sekundärliteratur als radikal. Es ist sind dazu ausführliche Kontroversen zwischen André Léo und Michael Bakunin und zwischen Victoria Woodhull und Karl Marx überliefert.

Sowohl gegenüber der Frauenbewegung als auch gegenüber der Arbeiterbewegung bestanden die sozialistischen Feministinnen darauf, dass die Gesellschaft nicht als eine interpretiert werden kann, die im wesentlichen auf Interessensgegensätzen beruht. Stattdessen gehen sie davon aus, dass gerade die Interessensgleichheit der Menschen, nämlich das Interesse, in einer freiheitlichen Gesellschaft zu leben, die Vorbedingung dafür sei, dass überhaupt eine Verständigung über die politische Organisation der Gesellschaft möglich ist. Politik heißt für sie nicht, die verschiedenen Interessen von Männern und Frauen, Arbeitern und Kapitalisten irgendwie zusammenzuraufen – sei es durch faule Kompromisse (also »Revisionismus«) oder durch den Sieg der einen über die anderen (also »Revolution«). Politik gründet für sie auf der Erfahrung, dass aus einer Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen etwas Neues entstehen kann, wenn nur die berechtigten Anliegen beider Seiten zum Zuge kommen und durch die Arbeit der Vermittlung sich nicht gegenseitig blockieren.

Diese Vermittlungsarbeit wird schon allein durch die Tatsache deutlich, dass sie sich als dezidierte Feministinnen einer antifeministischen Organisation wie der Internationale anschlossen: Damit zwangen sie die Internationale, sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es ein weibliches politisches Denken gibt, das sich Gehör verschafft, und sie verhinderten, dass sich die Frauenrechtlerinnen als alleinige Repräsentantinnen des weiblichen politischen Denkens profilieren konnten. Und es lässt sich leicht denken, dass sie einen großen Teil damit verbrachten, genau diese Vermittlungsarbeit zu leisten, in unzähligen Gesprächen mit Sozialisten oder Feministinnen, in Zeitungsartikeln, Broschüren, Vorträgen und so weiter. Das heißt, die Frauen in der Internationale verkörpern im wahrsten Sinn des Wortes die politische Einsicht, dass die Anliegen beider Bewegungen gemeinsam sind, und dass die Gegensätze, die von beiden Seiten in der öffentlichen Diskussion aufgebaut werden, lediglich scheinbare Gegensätze sind. Schon mit ihrer bloßen Anwesenheit – als Sozialistinnen in den Frauengruppen, als Feministinnen in der Internationale – machen sie deutlich, dass es nicht darum geht, diese oder jene konkrete politische Forderung aufzustellen, sondern darum, die Bedeutung, den Sinn von Arbeiterbewegung und Frauenbewegung festzuhalten: nämlich die Arbeit an einer freiheitlichen Gesellschaft von Männern und Frauen. Neben diesem Sinn sind alle konkreten, tagespolitischen, aktuellen Forderungen, Handlungen und Aktionen nebensächlich – denn sie können je nach Kontext so oder so ausfallen. Das Entscheidende ist, was sie jeweils bedeuten, denn das macht ihren Sinn aus.

Damit haben die Internationalistinnen eine Position umrissen, auf die sich Etta Federn gut hätte berufen können: dass sich nämlich Revolutionen zuallererst auf »geistigem und seelischem Gebiet vollziehen«. Diese Position ist eine sehr radikale Position, und sie ist weder revolutionär und blutrünstig (und in diesem Kontext wird sie von Etta Federn vorgebracht), sie ist aber auch nicht kompromisshaft und konfliktscheu. In diesem Zusammenhang ist sie für uns heute von Bedeutung, die wir in einer Zeit leben, wo Revolutionen »out« sind und unter Politik zunehmend bloß die Moderation von verschiedenen Interessen gesehen wird – Schröder als der große Moderator, ohne eigene Meinung. Genau darum geht es aber bei der Vermittlungsarbeit der feministischen Sozialistinnen nicht. Sie haben ja nicht die Frauenrechtlerinnen und die proletarischen Antifeministen um einen grünen Tisch versammelt, damit sie ihren kleinsten gemeinsamen Nenner herausfinden und die eigentlichen Konflikte unter den Teppich kehren. Im Gegenteil: Sie haben überhaupt nicht moderiert, sondern überall ihre Position dezidiert vertreten, je nach dem Kontext, den sie vorfanden, und oft genug auch im Konflikt. Aber sie sahen in dieser ihrer Position nicht die absolute, universelle Weisheit, und das einzige Problem darin, dass nicht alle an diese Weisheit glaubten. Sondern sie verstanden Politik darin, ihre Position anderen zu vermitteln, wohl wissend, dass das nur möglich ist, wenn sie bereit sind, auch ihre eigene Position aufs Spiel zu setzen, oder besser, sie ins Spiel mit einzubringen. Um so zu einer neuen Position zu kommen, die kein Kompromiss ist, sondern etwas ganz anderes, etwas Revolutionäres.

Marianne Kröger, die die Texte von Etta Federn vor zwei Jahren neu herausgegeben hat, schreibt in ihrer Einleitung: »Revolutionär fand Etta Federn jene Frauen alle, weil sie Ungewöhnliches gedacht und getan hatten, weil sie gedankliches Neuland beschritten hatten, und weil sie mit ihrem Wirken nachhaltige Einflüsse auf die Gesellschaft ausgeübt hatten«. Ich finde, das ist eine recht gute Definition für feministischen Sozialismus: Ungewöhnliches zu denken und zu tun, gedankliches Neuland betreten und gerade dadurch der Welt Sinn geben, das heißt, sie verändern. Wobei ich jedoch hinzufügen würde, dass solches Neuland niemals von einer allein gefunden werden kann, sondern immer aus der Vermittlungsarbeit entsteht, also daraus, dass ich meine Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Ideale der Konfrontation mit anderen aussetze. Diese Vermittlung ist das Entscheidende, der Inhalt der Position ist demgegenüber sekundär. Das ist für mich die Lehre aus dem Beispiel der sozialistischen Feministinnen.


Vortrag

  • am 8. Mai 1999 im »Dezentral« in Frankfurt
  • bei der Pfingstakademie »Affidamento – Vertrauen in die Kraft der Verschiedenheit« vom 21.-24. Mai 1999 in Heilsbronn, veranstaltet vom Verein »Frauenstudien München«
  • im Haus der Demokratie in Berlin am 19. Oktober 2001