Antje Schrupp im Netz

Das Web 2.0 ist eine Chance für die Kirche

Zurzeit ist meine Welt ein bisschen zweigeteilt: in diejenigen, die »drin« sind im Web 2.0, und diejenigen, die es nicht sind. Mit denen, die »drin« sind, die also einen Blog haben, eine Facebook-Seite oder einen Twitter-Account, bin ich in einem ständigen, lockeren Austausch. Wenn ich am Computer eine kleine Verschnaufpause brauche oder mir beim Warten auf die Straßenbahn langweilig ist, schaue ich in meine Accounts. Ich sehe, wer gerade welche Bücher oder Artikel empfiehlt, ein interessantes Land bereist, wer demnächst nach Frankfurt kommt (und vielleicht einen Vortrag hält oder auf eine Tasse Kaffee Zeit hätte?) oder sich mit einem Thema beschäftigt, das auch mich interessiert. Wenn ich Lust habe, schreibe ich einen kurzen Kommentar und es entwickeln sich kleine Dialoge. Mir macht das Spaß.

Und dann gibt es die, die nicht »drin« sind, von denen ich nichts erfahre. Sicher, mit wirklich guten Freundinnen und Freunden telefoniere oder maile ich trotzdem. Aber die anderen verliere ich irgendwann aus den Augen.

Oder ich lerne sie gar nicht erst kennen. Denn auch meine Informationen beziehe ich zunehmend aus dem Web 2.0. Zwar habe ich noch eine Tageszeitung und zwei, drei Magazine abonniert. Aber die wirklich interessanten Anregungen bekomme ich immer öfter von den Tipps und Empfehlungen aus meiner »Timeline«.

Diese neue Entwicklung stellt herkömmliche PR-Strategien ziemlich auf den Kopf. Institutionen, die nur Werbung verschicken, bestelle ich gleich ab. Mich interessieren Persönlichkeiten, nicht Verlautbarungen. Wer auf Kommentare niemals reagiert, am Dialog nicht interessiert ist, sondern mir nur etwas »verkaufen« will, fliegt raus. Wer aber interessante Dinge schreibt, mir Anregungen gibt, neue Perspektiven eröffnet, mit dem vernetze ich mich, auch wenn ich ihn oder sie gar nicht persönlich kenne. Noch nicht.

Und so wie ich wollen immer mehr Menschen sich nicht einfach nur von Werbebotschaften berieseln lassen, sondern sie wählen ihre Informationsquellen selber aus. Noch sind wir eine Minderheit, aber eine schnell wachsende. Und es sind übrigens nicht die »jungen Leute«, die im Web 2.0 besonders aktiv sind, sondern die 30- bis 40-Jährigen.

Gerade für die Kirche ist das eine spannende Sache. Mit dem alten Konzept von »Werbung« haben sich viele Gemeinden ja nie so recht anfreunden können. Die Kirche ist eben kein Unternehmen, das etwas »verkaufen« will, sondern eine Gemeinschaft von Leuten, die an etwas glauben, die eine »frohe Botschaft« zu teilen haben, die die Einzelnen persönlich betrifft und bewegt. Das kann man nur teilweise auf Plakaten bewerben. Aber man kann es im persönlichen Dialog vermitteln. Und genau das geht jetzt – erstmals in der Geschichte – nicht mehr nur im direkten Gespräch, sondern auch über ein Medium, mit dem man viele Menschen auf einmal erreicht.

Sicher, es muss nun nicht gleich jede Pfarrerin und jeder Kirchenvorsteher mit dem Twittern anfangen. Aber diejenigen, die auf das Web 2.0 neugierig sind und daran Spaß hätten, sollten sich auch die Zeit dafür nehmen und einfach mal damit experimentieren.


in: Kirche Intern, November 2009