Antje Schrupp im Netz

Braucht unsere Gesellschaft die Politik der Frauen?

Das Ende des Patriarchats – Frauen und Wirtschaft

Ich möchte euch zwei Geschichten erzählen, auf die ich kürzlich bei meinen Recherchen über die amerikanische Feministin Victoria Woodhull gestoßen bin, und die mich beeindruckt haben. Es sind Geschichten aus dem Patriarchat.

Geschichte Nummer 1: 1868 wandert die 22-jährige Hester Vaughn aus England in die USA aus. Sie will dort ihren Verlobten heiraten, aber es stellt sich heraus, dass der inzwischen schon einer andere geheiratet hat. Hester schlägt sich als Scheuermarkt durch und findet schließlich als Milchmagd eine Anstellung auf einer Farm. Eines nachts wird sie von dem Farmer vergewaltigt. Als ihre Schwangerschaft sichtbar wird, gibt der Mann ihr 40 Dollar und schickt sie weg. Sie geht nach Philadelphia, wo sie als Näherin arbeitet und in Hauseingängen schläft, erst kurz vor der Niederkunft mietet sie sich von ihrem letzten Geld eine unbeheizte Dachstube im 3. Stock. Sie hat seit drei Tagen nichts gegessen. In der Nacht bekommt Hester starke Wehen. Sie ruft um Hilfe, aber draußen tobt ein Schneesturm, niemand hört sie. Erst am nächsten Tag hört die Vermieterin das schwache Rufen. Als sie die Tür öffnet, liegt Hester am Fußboden in einer Blutlache, ihr totes Baby neben ihr. Eine Stunde später ist die Polizei da. Hester Vaughn wird ins Gefängnis gebracht, und wegen Kindsmordes zum Tode verurteilt.

Geschichte Nummer 2: Im Frühjahr 1870 wollen die beiden Schwestern Victoria Woodhull und Tennessee Claflin bei Delmonico’s, einem noblen New Yorker Restaurant an der Ecke Wallstreet und Chambers Street, zu Abend essen. Sie bestellten Tomatensuppe für zwei. Es gibt damals aber ein ungeschriebenes Gesetz, wonach Frauen abends nicht ohne männliche Begleitung in Restaurants essen gehen dürfen. Der Kellner, unsicher, was er machen soll, ruft den Besitzer. Lorenzo Delmonico geht an den Tisch der beiden Frauen und flüstert ihnen zu: »Es hat wohl ein Irrtum vorgelegen, als man Ihnen einen Tisch gegeben hat. Wir sind davon ausgegangen, dass sich noch ein Herr zu ihnen gesellen würde. Tun Sie doch bitte so, als würden Sie sich mit mir unterhalten, und ich bringe Sie zur Tür. Dann sieht es so aus, als hätten Sie nur mit mir sprechen wollen, und wir erregen kein Aufsehen«.

Luisa Muraro, die zu der Gruppe italienischer Feministinnen gehört, die vor einigen Jahren angefangen haben, vom »Ende des Patriarchats« zu sprechen (und es zu feiern, »Freudensprünge«, heißt ein Artikel von Muraro), hat geschrieben, es gehe nicht darum, »das Ende des Patriarchats zu diskutieren oder zu beweisen, sondern diesem Gedanken einfach einen Platz einzuräumen«. Was fällt mir ein, wenn wir diese Geschichten höre (oder sonst irgendeine Geschichte aus dem Patriarchat), und gleichzeitig versuche, dem Gedanken an das Ende des Patriarchats einen Platz einzuräumen?

Als erstes fällt mir ein, dass die Zeiten sich geändert haben. Heute, bei uns oder auch in den USA, würde Hester Vaughn nicht mehr zum Tode verurteilt und es ist längst völlig selbstverständlich, dass Frauen ohne männliche Begleitung im Restaurant bedient werden. Luisa Muraro hat die Formulierung gewählt: »auf das ersparte Leid zu achten«. Das finde ich sehr wichtig – sich bewusst zu machen, wie viel Leid uns und anderen Frauen erspart bleibt, im Vergleich zu anderen Frauen – die früher lebten, oder die heute woanders, in anderen Umständen, leben.

Natürlich gibt es auch in immer noch Geschichten, die grausam oder diskriminierend sind. Es sind, immer noch, schlimme Zeiten. Dennoch: Das Patriarchat ist zu Ende. Dieses Ende hat uns nicht das Paradies gebracht, aber es erspart uns viel Leid, und schafft für die Frauen Raum und Kraft, sich mit den Problemen der Welt zu beschäftigen, und nicht mehr nur mit dem eigenen Überleben.

Das Ende des Patriarchats hat also eine historische Dimension, aber das ist nicht alles. Es gibt kein Datum, das man angeben könnte, keinen festen Zeitpunkt. Um das zu verstehen, möchte ich erzählen, wie diese beiden Geschichten weitergingen:

Geschichte Nummer 1: Im Gefängnis wird Hester Vaughn von einer Ärztin untersucht, Susan A. Smith. Ihr erzählt sie ihre Geschichte: Susan Smith geht damit zu Anna Dickinson, einer berühmten Rednerin für Frauenrechte, die in Philadelphia wohnt. Anna Dickinson fährt nach New York, wo Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony die Frauenzeitung »The Revolution« herausgeben. Sie organisieren eine Protestveranstaltung, bei der Anna Dickinson mit ihrem bekannten Redetalent selbst männliche Reporter zu Tränen rührt, es erscheinen kritische Berichte über das Todesurteil in verschiedenen Zeitungen. Elizabeth Cady Stanton reicht ein Gnadengesuch beim Gouverneur von Philadelphia ein. Ein Jahr lang schreibt »The Revolution« regelmäßig über den Fall, überall im Land machen Frauen Lobbyarbeit, nutzen persönlichen und familiären Einfluss um einflußreichen Politiker und Journalisten klarzumachen, dass dieses Urteil Unrecht ist. Ein Jahr später wird Hester Vaughn freigelassen.

Geschichte Nummer 2 geht so aus: Victoria Woodhull sagt zu dem Restaurantbesitzer Delmonico: »Kein Aufsehen erregen? Was soll das heißen«. »Ich kann Sie hier nicht ohne einen Mann essen lassen. Das würde einen schlimmen Präzendenzfall schaffen«, antwortet Delmonico nervös. »Wir möchten Sie nicht in Verlegenheit bringen«, sagt Tennessee, steht auf, verlässt das Restaurant, und kommt im nächsten Moment mit ihrem Kutscher in seiner Livree wieder zurück, der sich, mit sichtlichem Unbehagen, mit an den Tisch setzten muss. »Und nun, Kellner«, sagt Victoria, »bringen Sie uns Tomatensuppe für drei«.

»Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert« – mit diesem Satz haben wir unsere Flugschrift angefangen, und es ist ein Satz, der sich sehr gut eignet, um daran weiterzudenken, wie sich inzwischen herausgestellt hat:

Ich habe vorhin von dem ersparten Leid gesprochen, von dem Leid, das Frauen erspart bleibt, weil die Verhältnisse nicht mehr so sind, wie vor 100 Jahren. Es nicht die Einsicht der Männer, nicht die Erfordernisse des Kapitalismus oder der Fortschritt der Demokratie, die das geschafft haben, sondern die Liebe der Frauen zur Freiheit. Die Italienerinnen schreiben in ihrem roten Sottosopra, das Patriarchat ist zu Ende, weil die Frauen ihm den Kredit, die Glaubwürdigkeit, entzogen haben.

Und so gesehen ist das Patriarchat nicht erst heute zu Ende, sondern war es schon immer: Es war zu Ende, als Tennessee Claflin und Victoria Woodhull einfach den Kutscher riefen und so das Patriarchat lächerlich machten. Es war zu Ende, als Frauen sich für die Freilassung von Hester Vaughn einsetzten. Es war zu Ende, als Jane Austen Bücher über weibliche Autorität schrieb, als Teresa von Avila neue Regeln für Frauenklöster erfand. Das Patriarchat ist dann zu Ende, wenn Frauen nicht mehr daran glauben. Es hängt nicht von den Männern, den Verhältnissen, den Gesetzen ab, ob das Patriarchat zu Ende ist. Es ist die Liebe der Frauen zur Freiheit, die es zum Einsturz bringt. Wann immer und wo immer die Liebe der Frauen zur Freiheit da ist, dann und da ist das Patriarchat zu Ende. Das heißt, das Ende des Patriarchats ist eine zeitliche Marke und gleichzeitig auch nicht. Es gibt ein vorher und ein hinterher, das durchaus zeitlich ist: Zum Beispiel gibt es einen Moment in meiner persönlichen Biografie, wo für mich das Patriarchat zu Ende war. Gleichzeitig ist es aber auch eine historische Entwicklung: Viele Frauen, nicht alle, aber genügend haben dem Patriarchat die Glaubwürdigkeit entzogen. Gleichzeitig ist es aber auch nicht nur zeitlich zu Ende, sondern schon immer – nur weil ich Frauen traf und kennenlernte, für die schon früher das Patriarchat zu Ende war, konnte es auch für mich zu Ende sein.

Jetzt könnte man aber einwenden: Was nützt uns das alles, wenn die Frauen aber ja doch gar keine Macht haben, um die Verhältnisse zu ändern, neue Gesetze zu erlassen, wenn die Männer weiter mit Gewalt die Unrechtsverhältnisse aufrecht erhalten? Hier ist folgende Unterscheidung wichtig:

Das Ende des Patriarchats hat zwei Seiten: Eine gesellschaftliche und eine symbolische. Was die gesellschaftliche Umwälzung angeht, die das Ende des Patriarchats bedeutet, so wird noch einiges an Kraft und Energie und Zeit hineinzustecken sein. Genauso wie die Frauen aus den Geschichten, die ich erzählt habe, müssen auch wir und andere weiterhin diese Energie aufbringen und Sachen sagen und Dinge tun, um Leid zu ersparen. Und vermutlich werden wir nie in jenes Paradies kommen, wo nichts von all dem mehr übrig ist. Und auf dieser, der gesellschaftlichen Ebene, muss man auch sagen: Das Ende des Patriarchats schafft auch Probleme, da nämlich, wo es bis zu einem gewissen Grad Ordnung geschaffen hatte, und nun einfach zusammenbricht, ohne dass eine neue Ordnung, neue Werte an dessen Stelle tritt. Aber das nur nebenbei. Das ist die gesellschaftliche Seite.

Was die symbolische Seite angeht, da ist das Patriarchat bereits zu Ende. Die Tatsache, dass Frauen – zu viele Frauen – nicht mehr daran glauben, ist evident, und angesichts der Globalisierung der Welt wird sich das auch über die ganze Welt ausbreiten. Das Patriarchat kann – als Denkschema, als Wertesystem, als Masstab zur Interpretation der Welt und der menschlichen Beziehungen – keine Ordnung mehr schaffen, es schafft Unordnung, und Frauen, immer mehr Frauen, sprechen das überall auf der Welt aus und handeln entsprechend. Ich stimme Luisa Muraro zu: Das ist keine Krise, das ist das Ende.

Warum ist das das Ende? Weil die symbolische Seite die wichtigere ist. Solange und wo das Patriarchat symbolisch fortbesteht, nützen gesellschaftliche Veränderungen zu gunsten der Frauen nicht viel. Sie sind nicht tiefgreifend, langlebig, werden gleich wieder ausgehebelt. Das Recht, zu wählen, oder das Recht, arbeiten zu gehen, ist kein Fortschritt im Hinblick auf weibliche Freiheit, wenn es im Rahmen einer patriarchalen symbolischen Ordnung steht. Wenn aber das Patriarchat auf der symbolischen Ebene zu Ende ist, dann kann es sich auch auf der gesellschaftlichen nicht wirklich halten. Wir können die Hände nicht in den Schoß legen, wir müssen für eine Verbesserung der Situation der Frauen politisch kämpfen, aber wir können das nur, weil das Patriarchat bereits zu Ende ist. Weil nämlich nur deshalb das, was wir machen, Aussicht auf Erfolg hat.

Interview mit Luisa Muraro über das Ende des Patriarchats

Frauen und Wirtschaft

Frauen und Wirtschaft – zwei Welten begegnen sich. Im Bereich der Wirtschaft scheinen Frauen noch viel weniger präsent zu sein, als in der Politik, das zeigt sich an ihrem fast kompletten Fehlen auf den oberen Managerposten und in den Wirtschaftsredaktionen der Zeitungen. Auch wenn es heutzutage ein paar Versuche gibt, neue Zeitungen wie »Business Vogue« oder Frauen-Wirtschaft-Netzwerke aufzubauen, ist das Verhältnis ziemlich dünne, auch heute noch. Ich glaube sogar, dass die Separation – hier Wirtschaft, da Frauen – auf dieser Ebene noch viel tiefgreifender ist, als allgemein behauptet wird. Frauen fehlen nicht nur auf den höchsten Ebene, in den Rängen des Top-Management, sondern auch darunter. Wir, die wir nicht in diesen Zusammenhängen arbeiten, können uns das ja schlecht vorstellen. Neulich sprach ich zum Beispiel mit einem Freund, der für eine Softwarefirma Firmenschulungen durchführt bei den Unternehmen, die diese Software gekauft haben. Ich traf ihn auf dem Weg zum Zug, und er war in einen wirklich oberseriösen schwarzen Anzug gekleidet, und ich hab mich ein bisschen darüber lustig gemacht, dass er eher aussehen würde, als ging er zu einer Beerdigung, und da sagte er, letzte Woche hätte er eine braune Anzugjacke angehabt und er hätte solche Probleme gehabt, ernst genommen zu werden, dass er dort nur noch in schwarzen Anzügen auftritt. Das ist ungefähr das Niveau, auf dem sich das abspielt.

Wie auch immer, es ist ja längst klar, dass diese »offizielle« Wirtschaft von Börse und Business nur ein kleiner Teil der Wirtschaft est. Die Frauenbewegung und andere haben gezeigt und ausgerechnet, dass dieser Männerkosmos »offizielle Wirtschaft«, wie ich ihn mal nennen möchte, ohne die Arbeit der Frauen nicht auskommt. Es ist inzwischen allgemein bekannt und akzeptiert, dass auch Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege usw. wirtschaftliches Handeln ist, und wichtig für die Volkswirtschaft etc. Das hat zu den verschiedensten Forderungen und Vorschlägen geführt, die teilweise auch schon gesetzlich umgesetzt wurden, Erziehungs- und Hausfrauengeld, Anerkennung solcher Arbeiten bei der Rente etc. Diese Vorschläge haben alle Vor- und Nachteile, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. (s.a. Ende des Patriarchats – es kommt darauf an, in welcher symbolischen Ordnung diese Änderungen eingebettet sind)

Die Projektgruppe »Ethik im Feminismus«, ein loser Zusammenschluss von Frauen, die sich seit ungefähr 12 Jahren mit dem Thema Wirtschaftsethik beschäftigen und die die beiden Bücher »Weiberwirtschaft« und »Weiberwirtschaft weiterdenken« herausgegeben hat und in deren Rahmen auch das Projekt »Flugschrift« stand, hat sich für eine neue Sichtweise des Themas stark gemacht, bei der Frauen nicht als »am Rande der Wirtschaft stehen« gesehen werden, sondern in deren Zentrum.

In der Flugschrift sind wir jetzt, inspiriert auch vom Denken der italienischen Feministinnen, vielleicht noch einen Schritt weitergegangen und plädieren dafür, Tätigkeiten wie »tauschen« und »handeln«, also die Grundbegriffe von »Wirtschaft«, in einem weiteren Sinn zu verstehen. So nämlich, dass die Wirtschaft, sich diese Begriffe zwar zu eigen gemacht hat, dass es aber eigentlich Begriffe sind, die menschliche Beziehungen generell beschreiben. Da wird Fürsorge gegen Liebe, Geld gegen Absicherung, Wissen gegen Anerkennung, was auch immer getauscht. Kleine Babies schon fangen damit an: Sie tauschen Stille gegen Nahrung, die unmittelbare Erfahrung gegen die Sprache usw. Und zum Tauschen gehört das Handeln: Das Verhandeln um den Preis, um die Gegenleistung mit der anderen, aber auch das Verhandeln zwischen mir und mir selbst: Wieviel bin ich bereit, für dieses und jenes zu bezahlen? Bin ich bereit, etwa meine Freiheit aufzugeben für Sicherheit? Bin ich bereit, diese Beziehung aufzugeben für mehr berufliche Flexibilität? Bin ich bereit, auf Geld zu verzichten, um weniger zu arbeiten?

Ich plädiere dafür, das gesamte menschliche Beziehungssystem und auch unsere eigenen Entscheidungsprozesse unter dem Stichwort des Tauschens und Handelns zu verstehen. Das ist ungewöhnlich, und wird auch von vielen Frauen oft kritisiert. Es wird dagegen gesetzt, dass grade doch die Beziehungen von dieser Logik frei sein sollten, dass dort andere Kriterien eine Rolle spielen als Kosten-Nutzen-Rechnungen und Rentabilität.

Diese Auffassung halte ich jedoch für eine Denkfigur aus dem Patriarchat, der Aufteilung in Öffentlich-Männliches und Privates-Weibliches. Nachzulesen ist das besonders schön in der Rechtsphilosophie Hegels, die meiner Meinung nach die brillanteste und zutreffendste Beschreibung dessen ist, wie die bürgerlich-patriarchale Gesellschaft funktioniert: Die Familie (also die privaten Beziehungen) ist da ein »unmittelbare sittliches Verhältnis«, das heißt, die Menschen sind darin nicht als Individuen vorhanden, sondern bilden als Liebende eine natürliche Einheit. Dem entgegen steht die bürgerliche Gesellschaft, die nicht die Einheit, sondern die Differenz repräsentiert: Sie besteht aus vielen Familien, die – repräsentiert durch die Väter – miteinander zu tun haben und je ihre eigenen Interessen vertreten: Dies ist die Ebene des Handelns und Tauschens, also der Wirtschaft.

Diese Trennung in Öffentlich und Privat, in Interessensgegensatz und Harmonie, in tauschen bzw. verandeln auf der einen Seite und lieben auf der anderen, liegt unserem ganzen Denken und unseren Gesetzen zugrunde, und Hegels Analyse hatte lange große Plausibilität. Selbst die Kritik an diesen Zuständen, die von der Frauenbewegung vorgebracht wurde, hat sich vor allem dagegen gerichtet, dass die Frauen hier den einen Part, die Männer den anderen zugewiesen bekommen. Die Forderung nach Gleichstellung bedeutet nichts anderes, als hier die Geschlechter gerecht über beide Sphären zu verteilen, d.h. zu fordern, dass auch Frauen im Bereich von Wirtschaft und Politik Verantwortung übernehmen, und Männer auch im privaten Bereich der unmittelbaren Liebe und selbstlosen Fürsorge. Aber auch wenn man diese Trennung nicht mehr entlang der Geschlechterdifferenz festmacht, sondern sie sozusagen in die einzelne Person hineinverlegt – so dass die Einzelnen manchmal in der Logik des Tauschens und Handelns, manchmal in der der Unmittelbarkeit sich befinden – bleibt die Trennung doch als Denkfigur bestehen.

In der Flugschrift haben wir aber diese Trennung grundsätzlich kritisiert. Unserem Empfinden nach funktionieren weder Beziehungen noch Wirtschaft so. Wir alle wissen aus unserem persönlichen Leben, dass wir nicht nur im öffentlichen Bereich verhandeln und tauschen, sondern auch im privaten. Und andersrum funktioniert auch die härteste Business-Ebene nicht allein auf der rationalen Tauschen-und-Verhandeln-Ebene. Meistens vermischt sich beides, zum Beispiel beim klassischen Thema der Vereinbarkeit von Kinderkriegen und Erwerbsarbeit.

Verhandeln und tauschen sind letztlich die Grundlagen, wie Menschen miteinander in Beziehung treten. Es sind Formen der Vermittlung. Natürlich wird nicht nur um Geld verhandelt, sondern es gibt mehr Tauschwerte – Einfluss, Anerkennung, Liebe, Freizeit, usw. – übrigens auch in der Wirtschaft, und es gibt ja längst Untersuchungen darüber, wie diese Werte inzwischen ökonomische Bedeutung bekommen, etwa bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder in der Bedeutung eines guten Betriebsklimas für die Produktivität.

Wenn wir uns aber über die Art und Weise, wie menschliche Beziehungen funktionieren, Gedanken machen, dann kommen in diese Überlegungen all die Aspekte hinein, die von den Italienerinnen thematisiert wurden: Die mütterliche Ordnung, Autorität, von-sich-selbst-Ausgehen usw. Darauf will ich hier gar nicht näher eingehen, sondern ich will betonen, dass dies alles Wirtschaftsthemen sind, weil sie nämlich die Frage stellen, wie Menschen ihre Beziehungen und ihr Zusammenleben organisieren, wie sie untereinander Güter und Werte tauschen und durch die Verhandlungen mit sich selbst und mit anderen die Welt gestalten.

In der Flugschrift haben wir, von diesen Überlegungen ausgehend, viele konkrete Themen aus dem Bereich von Politik und Wirtschaft angesprochen – Hausarbeit, Fürsorge, Arbeitslosigkeit, Soziale Arbeit, Ehrenamt usw. Viele dieser Themen haben wir zusammen mit anderen Frauen auch auf der Flugschrift-Mailingliste weiterdiskutiert.


Vortrag am 29. November 2000 bei der Katholischen Hochschulgemeinde Aachen