Kooperation und Konkurrenz: Spannungsfeld oder spannendes Feld?
Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es – Unternehmen konkurrieren um die meisten Kunden, Parteien um die meisten Wähler, Mitarbeiterinnen um das größte Lob des Chefs. Und neuerdings konkurrieren auch Frauenprojekte miteinander: Um Teilnehmerinnen, um öffentliche Gelder, um knapper werdende Ressourcen. Auch ehemals staatlich geförderte (also dem »Markt« eigentlich entzogene) Projekte sind heute in Konkurrenzsituationen. Auf diese Weise wird ein ganzer Bereich der sozialen und bildungspolitischen Arbeit einer neuen Logik unterworfen, der Frauen aus verschiedenen Gründen ferner und kritisch gegenüber stehen als viele Männer. Als Leiterinnen und Mitarbeiterinnen von Frauenprojekten und Bildungsinstitutionen werden Sie wissen, wovon ich rede.
Über diese konkrete Situation kann ich nicht viel sagen, da sind Sie die Expertinnen. In meinem Vortrag möchte ich vielmehr die Logik der Konkurrenz und ihre philosophischen und historischen Hintergründe beleuchten und aus weiblicher Perspektive analysieren. Ich hoffe, diese Gedanken sind hilfreich für Sie, auch wenn es darum geht, das Thema morgen konkreter zu fassen.
Das Wort Konkurrenz kommt von dem Lateinischen »con-Correre«, also zusammen laufen, mitlaufen: Das Bild ist das eines Wettlaufs, zwei laufen nebeneinander her auf das Ziel zu, und wer zuerst da ist, hat gewonnen.
Konkurrenzen folgen einer Logik, die dem gesunden Menschenverstand eigentlich widerspricht: Erfolgreich ist in der Konkurrenz zum Beispiel nicht etwa diejenige, die ein Ziel, das sie sich gesetzt hat, auch erreicht, sondern diejenige, die einen x-beliebigen, von außen festgelegten Ort schneller erreicht, als alle anderen. Und sei es auch nur um eine hundertstel Sekunde.
Es geht bei der Konkurrenz auch nicht darum, ob eine Arbeit gut oder schlecht erledigt wird, also um Qualität. Bei der Konkurrenz ist nur wichtig, ob ich bei meiner Arbeit besser oder schlechter bin, als die Konkurrenten – es gibt nämlich auf jeden Fall einen, und zwar genau einen Gewinner. Wer sehr gut ist, aber nur Zweiter, hat auch verloren. Und wenn jemand schlecht ist, aber die andere waren noch schlechter, hat er trotzdem gewonnen.
Es geht bei der Konkurrenz auch nicht darum, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Sondern wir laufen beziehungslos nebeneinander her, wir beurteilen uns nicht selbst und auch nicht gegenseitig, sondern wir delegieren das Urteil an einen objektiven Schiedsrichter, der gar keine Beziehung zu uns haben darf, sondern unbestechlich sein muss und meistens auch gar nicht selbst entscheidet, sondern nur die Daten von technischen Geräten, zum Beispiel Stoppuhren, abliest.
Sie sehen, solche Concorsi, Konkurrenzen, sind Veranstaltungen, die im Alltag eigentlich ziemlich selten von Nutzen sind. Nur in ganz speziellen Situationen können sie manchmal sinnvoll sein. Zum Beispiel macht es zuweilen schlicht Spaß, sich mit anderen zu messen. So wie beim Wettkampf im Sport. Wenn ich mit meiner Freundin Squash spiele, dann strenge ich mich nur an, wenn es um Punkte geht. Allerdings ist es eben auch ein Spiel und kein Ernst, sobald wir in der Umkleidekabine sind, habe ich schon vergessen, wer gewonnen hat.
Ein anderer Punkt, an dem Konkurrenz manchmal sinnvoll oder zumindest plausibel sein kann, ist der Umgang mit Mangel- und Notsituationen. Wenn von einer bestimmten Sache nicht genug für alle da ist, werden wir um diese Sache konkurrieren. Oder wenn wir für eine bestimmte Arbeit den Besten suchen, zum Beispiel den schnellsten Läufer, um eine Botschaft von hier nach da zu bringen, kann es sinnvoll sein, in einer Konkurrenz, in einem Wettlauf, herauszufinden, wer das ist. Das heißt: Plausibel ist Konkurrenz eigentlich nur beim Spiel oder in echten Mangelsituationen, und selbst da ist sie nicht unbedingt sinnvoll.
Allerdings begegnen wir heute der Logik der Konkurrenz nicht nur in solchen speziellen Situationen, sondern eigentlich immer. So als wäre die ganze Welt ein Spiel, ein Wettkampf um den lukrativsten Job, die meisten Orden, das schnellste Auto, die wohlgeratensten Kinder und die schlankeste Figur. Oder eben als würden wir ständig in einer Welt des Mangels leben, in der alles knapp ist: die Kunden, das Geld, die Güter und sogar die Arbeit. Es scheint schon so selbstverständlich, dass die damit verbundenen Absurditäten oft gar nicht mehr auffallen. »Deutsche Atomkraftwerke sind die sichersten der Welt« – so warben die AKW-Betreiber kürzlich für längere Laufzeiten. Und kaum jemandem ist aufgefallen, dass dieser Satz absolut nichts über die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke aussagt. Denn dass sie sicherer sind als ihre Pendants jenseits der Grenze, heißt ja keineswegs, dass sie nicht in die Luft fliegen können.
Der Grund für diese Ausbreitung des Konkurrenzdenkens in alle Lebensbereiche ist, dass Konkurrenz über ihren realen Sinn hinaus inzwischen auch eine starke symbolische Bedeutung angenommen hat. Konkurrenz gilt sozusagen als natürliche und normale Art und Weise, wie Menschen miteinander in eine Beziehung treten und ihre Angelegenheiten untereinander ordnen. Das hat weit reichende Auswirkungen auf unser Menschenbild und darauf, wie wir die Gesellschaft organisieren.
Konkurrenz setzt zum Beispiel voraus, dass die Beteiligten als Gleiche gedacht werden: Alle Läufer haben die gleiche Ausgangsposition. Alle individuellen Unterschiede bleiben prinzipiell außen vor, denn es geht nicht um die beteiligten Menschen, sondern allein um das Ziel und die Effektivität. Der Beste soll gewinnen.
Deshalb kommt es bei der Konkurrenz sehr auf Fairness an, Unfairness ist ein großes Problem, denn wenn sich jemand nach vorne mogelt, wird das Ergebnis verzerrt und das Konkurrenzverfahren verliert seinen Sinn. Diese Fairness und das damit verbundene Postulat der Gleichheit aller Beteiligten wird häufig als etwas Positives gesehen, als eine Stärke der Konkurrenzlogik, die uns sympathisch sein sollte. In Wahrheit ist dieser Gleichheits- und Fairness-Gedanke aber sehr unbarmherzig.
Fairness hat auch überhaupt nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Den beteiligten Personen als Individuen wird eine Konkurrenz ja gerade nicht gerecht: Laufen etwa Behinderte mit nicht-Behinderten? Habe ich heute gut geschlafen oder schlecht? Hat jemand persönliche Probleme? Solche Fragen dürfen keine Rolle spielen. Denn Wettläufe, bei denen einer einen Vorsprung bekommt, weil er schlechtere Ausgangsvoraussetzungen hat, als die anderen, sind langweilig. Das ist dann eben kein »richtiger« Wettbewerb. Der Beste beim Wettkampf ist eben, wer das Ziel am schnellsten erreicht, nicht wer die meisten Hindernisse dabei überwindet (etwa die eigene Faulheit oder Dickleibigkeit).
. Es ist deshalb auch unsinnig, für Konkurrenzsituationen zum Beispiel zu fordern, dass sie »gerechter« werden – was eine von Frauen häufig vorgebrachte Forderung ist. Aber wenn wir etwa neue Auswahlkriterien bei Stellenbesetzungen suchen, die weibliche Qualitäten, so genannte »soft skills« berücksichtigen, dann wird es dadurch nicht »gerechter«, es werden nur die Ziele verändert, der Maßstab, der die Effektivität bestimmt, die angestrebt werden soll.
Konkurrenz ist immer eine sehr unbarmherzige Methode, denn sie schneidet Beziehungen ab und kümmert sich nicht um die Bedürfnisse der Einzelnen.
Wie konnte es nun dazu kommen, dass so ein unbarmherziges Verfahren zum alles dominierenden Prinzip menschlicher Beziehungen wurde?
Manche sagen, das liegt an der menschlichen Natur, die eben konkurrenzhaft sei. Das stimmt aber nicht. Das Prinzip der Konkurrenz ist historisch gewachsen. Vor der Industrialisierung gab es Konkurrenz nur selten. Ein Bauer wäre im Feudalismus niemals auf die Idee gekommen, mit einem Adeligen zu konkurrieren. Und zwar deshalb, weil es damals die Idee der Gleichheit der Menschen noch nicht gab. Und ohne Gleichheit kann es eben auch keine Konkurrenz geben.
Erst im Zusammenhang mit der Industrialisierung und der Aufklärung kam die Idee auf, dass alle Menschen – gemeint waren Männer – gleich sind. Das war die wesentliche Voraussetzung für das Entstehen einer Konkurrenzgesellschaft. Erst seither gilt der gesellschaftliche Stand eines Mannes nicht qua Geburt als festgelegt, sondern es herrscht die Vorstellung, jeder könne Schmied seines eigenen Glückes sein, sich seinen Wohlstand und seine Anerkennung in der Konkurrenz mit anderen freien Männern erringen. Konkurrenz wurde, anders gesagt, zu einem identitätsstiftenden Merkmal für Männlichkeit, bekam also eine symbolische Bedeutung, die weit über das hinausreicht, was Konkurrenz eigentlich ist.
Da aber die Konkurrenz eigentlich ein Verfahren ist, das nur in Not- und Mangelsituationen überhaupt sinnvoll sein kann, wurde gleichzeitig die Welt zu einem Ort uminterpretiert, an dem überall Mangel herrscht. Das geschah paradoxerweise gerade in einer historischen Situation, in der die industrielle Produktionsweise es eigentlich erlaubt hätte, den Mangel immer mehr zu beseitigen. Denn mit der Einführung von Maschinen ist die Herstellung von Gütern und Waren ja sehr viel einfacher und billiger geworden.
Doch es entstand ein ökonomisches System, der Kapitalismus, das Mangel systematisch erzeugt. Mit der Folge, dass zum Beispiel heute in einem reichen Land wie Deutschland tatsächlich die meisten Menschen den Eindruck haben, alles Mögliche wäre knapp. Denken Sie nur an das Problem mit den Ruheliegen in der Sauna. Aus Angst, keinen Platz zu bekommen, blockieren alle sich eine Liege mit ihrem Handtuch, was dazu führt, dass Liegen knapp sind, obwohl eigentlich genügend da sind. Selbst unangenehme Arbeit, von der Jahrhunderte lang die Menschen versuchten, sich zu befreien, weil sie Mühsal und Last ist, wurde unter dieser Mangelperspektive zu einem knappen Gut.
Auch die Politik, also der Bereich, wo Menschen untereinander über die Regeln des Zusammenlebens verhandeln und ihre Gesellschaft ordnen, wurde der Logik der Konkurrenz unterworfen: In der parlamentarischen Demokratie, die gleichzeitig mit dem Kapitalismus entstand, regiert, wer mehr Stimmen bekommt als die anderen. In der Wirtschaftstheorie wiederum entstand die Idee von der »unsichtbaren Hand« des Marktes: Wenn alle nur ihren egoistischen Interessen folgen, wird das bestmögliche Ergebnis herauskommen – ein Lobpreis an Konkurrenz und Marktwirtschaft als angenommene Lösung aller Probleme.
Die Kooperation übrigens – die ja im Titel dieser Tagung als Gegenmodell der Konkurrenz genannt ist – bricht meiner Ansicht nach nicht wirklich aus dieser Logik aus. Es ist keineswegs ein Zufall, dass genossenschaftliche Kooperationsmodelle genau in dieser Zeit entstanden sind. Kooperationen sind Zusammenschlüsse von Menschen, die als Einzelne zu schwach sind, um bei der Konkurrenz eine echte Chance zu haben. Die Idee nun der Kooperation oder der Genossenschaft, die in der Arbeiterbewegung entstand, ist die, dass wenn viele Schwache sich zusammenschließen, sie besser in der Lage sind, in der Konkurrenzgesellschaft zu bestehen. Es ist eine Denkweise, die auch die Frauenbewegung eine Zeitlang übernommen hat: Frauen gemeinsam sind stark. Der Gedanke der Solidarität, der Kooperation, ist ein Versuch, sich innerhalb der gesellschaftlichen Konkurrenz als Gruppe eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Es ist die Strategie der Arbeiterbewegung gegen die Macht der Unternehmer. In dieser Logik bleiben die Beziehungen aber instrumentell. Die Arbeiter schließen sich nämlich zu einem bestimmten Zweck zusammen, nicht weil sie aneinander interessiert sind. Die Idee der Solidarität und der Kooperation hinterfragt das System der Konkurrenz also nicht wirklich, sondern hat nur den Zweck, innerhalb des Systems besser bestehen zu können.
Nach und nach wurde also im Laufe der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft der reale Mangel, den es natürlich hin und wieder gibt, übertüncht von einem weitaus größeren symbolischen Mangel, oder anders gesagt: Der Mangel war nicht mehr eine unter vielen Realitäten, sondern das führende Prinzip von allem. Konkurrenz wurde entsprechend als die Grundregel jeder Gesellschaft, jeden sozialen Zusammenlebens verstanden.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass die Geschichte doch gezeigt hat, dass dieses Modell sich bewährt hat. Wenn die Konkurrenz wirklich so unsinnig ist, wie ich sage, warum funktioniert sie denn schon so lange und so gut?
Antwort: Sie funktioniert in der Realität gar nicht und hat es auch nie. Dass unsere Gesellschaft auf Konkurrenz basiert ist schlicht eine Lüge. Wenn hier etwas funktioniert, dann nicht wegen der Konkurrenzideologie, sondern trotz ihr. Weil es nämlich noch genügend Menschen gibt, mehr Frauen als Männer, die sich an diese Logik gar nicht halten.
Kluge Männer wussten das übrigens schon immer. Sie wussten, dass Konkurrenz allein die Gesellschaft gar nicht regeln kann, weil sie ja per Definition von der Realität, also von den konkreten, individuellen Bedürfnissen der Menschen absieht – zum Beispiel von dem Grundbedürfnis, auch unabhängig vom Gewinnen geliebt zu werden. Konkurrenz braucht also eine Gegenseite.
Und deshalb hat ja auch diese ganze Entwicklung zu einer Trennung der Sphären von weiblichem und männlichem Leben geführt. Oder anders gesagt: Für diejenigen Notwendigkeiten des menschlichen Lebens, die sich partout nicht der Logik der Konkurrenz unterwerfen lassen – wie gegenseitige Fürsorge, Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege, Feste feiern, die Pflege der Schönheit – waren von nun an die Frauen zuständig. Und dieser ganze Bereich wurde, weil er ja nicht nach dem System der Konkurrenz funktioniert, als vorpolitisch oder unpolitisch definiert.
Wenn ich das so darstelle, dann liefere ich übrigens keineswegs eine feministische Interpretation, sondern das alles wurde von den Theoretikern der entstehenden Industriegesellschaft selbst schon so gesehen. Nach Hegels Rechtsphilosophie ist Konkurrenz die Form der Beziehung in einer bürgerlichen Gesellschaft, und zwar ab dem Moment, wo der Mann als Oberhaupt der Familie in Außenkontakte mit anderen Männern und Familienoberhäuptern tritt. Ist nach Hegel die Beziehungsform in der Familie die »unmittelbare Einheit«, d.h. ein Gemeinschaftliches, das keine unterschiedlichen Interessen und damit auch keine Konkurrenz kennt, so ist die Gesellschaft draußen der Ort, wo unterschiedliche Interessen aufeinander treffen und die Männer miteinander in Konkurrenz treten.
Das hat sich inzwischen, im Zuge der Frauenemanzipation, geändert, die Rollen sind nicht mehr so klar zwischen den Geschlechtern verteilt.
Auch Frauen müssen heute konkurrieren: Um Arbeitsplätze, um die am besten erzogenen Kinder, den am besten geführten Haushalt, die besseren Schulnoten, um die schlankere Figur und die modischere Kleidung. Allerdings scheint Konkurrenz unter Frauen noch immer ein Problem zu sein. Den Frauen selbst gefällt das Konkurrieren eindeutig nicht. Wenn sie von Konkurrenzsituationen erzählen, ist häufig von negativen Erlebnissen die Rede. Nicht vom Reiz des Wettbewerbs, vom lustvollen Ringen um Auszeichnungen, sondern von Missgunst, Neid, von Kritik, die als ungerechtfertigt empfunden wird, vom Gefühl, von Konkurrentinnen bloßgestellt zu werden. Auch soziologische Untersuchungen zeigen, dass sich Frauen seltener konkurrenzhaft verhalten als Männer. Frauen haben mit Konkurrenz eindeutig mehr Probleme als Männer.
Offenbar haben diese historischen Hintergründe trotz aller Emanzipation immer noch Auswirkungen. Zum Beispiel haben bis heute Männer nur selten private Beziehungen auf der Arbeit – oder, anders gesagt, es fällt ihnen leichter als Frauen, das Persönliche und das Sachliche voneinander zu trennen. Deshalb haben sie weniger Probleme mit der Hackordnung in öffentlichen Bereichen, deshalb können sie ohne mit der Wimper zu zucken ihren politischen Kontrahenten vor laufender Kamera zur Sau machen und hinterher einträchtig mit ihm ein Bier trinken gehen. Sie erwarten überhaupt nicht, dass ihr öffentliches Auftreten etwas mit persönlichen Beziehungen zu tun haben soll. Sie sind als Mensch nur eingeschränkt öffentlich präsent, Harmonie, Bezogenheit, persönliches Involviertsein haben sie gedanklich in ihre »Privatsphäre« ausgelagert.
Und an dieser Sichtweise hat sich für die Männer mit der Frauenemanzipation auch nichts Wesentliches geändert – außer, dass unter ihren Konkurrenten jetzt manche auch einen Rock tragen und dass es vielleicht etwas schwieriger geworden ist, eine Frau zu finden, die sich stillschweigend um den familiären Rest kümmert.
Für die Frauen hingegen stellt sich die Situation deutlich komplizierter dar. Und zwar nicht nur auf der individualpsychologischen Ebene – dass sie nämlich einerseits in der Öffentlichkeit konkurrieren sollen, andererseits im privaten Bereich nach ganz anderen Prinzipien als der Konkurrenz agieren müssen. Sondern auch deshalb, weil Frauen sich mehr als Männer klar machen, dass die Gesellschaft nicht funktionieren kann, wenn man den einen Bereich, den privaten, nicht-konkurrenzorienten, einfach abschafft. Die Folgen dieses misslungenen Experiments stehen ja längst auf der politischen Tagesordnung: Bildungsmisere, Pflegenotstand, Arbeitslosigkeit, Sinnkrise und wie sie alle heißen.
Seit der Emanzipation der Frauen, seit ihrem Vordringen in die ehemals männliche Sphäre der Konkurrenz, ist es also zu einer Vermischung der Ebenen gekommen. Frauen brachten ihre Gewohnheiten und Werte aus der privaten, intimen, konkurrenzlosen Sphäre mit. Alle Untersuchungen belegen, dass den Frauen gerade auch im öffentlichen Bereich das Private wichtig ist. Dass sie lieber mit Menschen zusammen arbeiten, die ihnen nicht »fremd« sind. Das ist im Konkurrenzprinzip der bürgerlichen Gesellschaft aber nicht vorgesehen – denn es führt zu Korruption, wenn Beziehungen mehr zählen als Regeln und Fairness. Frauen fühlen sich auch nach wie vor für die private Sphäre zuständig, erziehen Kinder, pflegen Alte, kümmern sich um Sozialkontakte und um die Nachbarschaft. Da ist es schwer, sozusagen »umzuschalten« auf das distanziert-Unpersönliche, sobald man auf die Arbeit kommt.
Die Konkurrenz mit den Männern war eine logische Folge, als Frauen im Zuge der Emanzipation in die Bereiche der Männer eintraten. Die symbolische Ordnung des Patriarchats basiert auf dem symbolischen Mangel von allem, und daher ist Konkurrenz die Weise, wie man dort mit Differenz umgeht. Die männliche Identität konstituierte sich historisch über diese Konkurrenz, über den symbolischen Mangel. Die der Frauen aber nicht. Sie sind noch relativ neu in diesem Feld.
Zum Beispiel zeigen zahlreiche Studien, dass Frauen in fast allen Bereichen, nicht nur im Privaten, sondern auch bei der Arbeit, in der Politik, im Vereins- oder öffentlichen Leben die Beziehungen zu anderen Menschen wichtig sind. Frauen sind seltener als Männer ausschließlich »sachorientiert«, sondern immer auch »beziehungsorientiert«. Konkurrenzsituationen sind aber von ihrer Logik her schädlich für Beziehungen.
Ein weiterer Punkt ist der, dass Frauen sich um die Qualität der Arbeit sorgen, dass ihr Anliegen das Gute für die Welt ist. Da kann man dann nicht mehr so fröhlich konkurrieren, was ja oft auch heißt, sich selbst in den Vordergrund spielen. Frauen fragen sich ernsthaft, ob sie selbst – oder auch das Projekt, das sie repräsentieren – denn überhaupt wirklich die Besten sind.
Ist das aber wirklich ein Problem, das wir beseitigen müssen, indem wir Frauen darauf trainieren, die Konkurrenz genauso zu genießen wie die Männer? Ich glaube nicht. Das Ganze ist nämlich auch ein strukturelles Problem. Denn es funktioniert nicht, dass einfach alle Frauen werden wie Männer. Wenn alle Menschen miteinander konkurrieren, also nur nach diesen Kriterien miteinander umgehen, dann bricht die Gesellschaft auseinander. Das beobachten wir derzeit.
Ich sehe in der Skepsis vieler Frauen gerade eine große Chance für unsere Welt. Denn es stellt sich ja in vielerlei Hinsicht heraus, dass die Weltsicht der Konkurrenz nicht für ein gutes und gelingendes Leben aller Menschen sorgen kann. Wenn Frauen sich selbst in Frage stellen, wenn sie Beziehungen und Arbeit zusammenbringen, wenn sie wirklich auf ihr Gegenüber eingehen anstatt sich in den Vordergrund zu spielen und in ein gutes Licht zu rücken – dann finde ich es sehr gut und sinnvoll. Nur in der Logik der Konkurrenz ist es falsch und ungeschickt. Aber diese Logik ist für mich eben nicht der alleinige Maßstab.
Das Unbehagen der Frauen an der Konkurrenz – und inzwischen wächst ja auch längst unter vielen Männern dieses Unbehagen – bleibt im Alltag leider oft unreflektiert und unausgesprochen. Häufig wird es eben sogar als ein Defizit seitens der Frauen angesehen, und es gibt ja auch schon eine Reihe von Ratgeberbüchern und Kursen, in denen Frauen beigebracht wird, sich ebenso fröhlich der Konkurrenz zu stellen wie die Männer. Eine Wirtschaftsautorin hat ihr Buch sogar »das dämliche Geschlecht« überschrieben, dämlich sind die Frauen ihrer Meinung nach, weil sie nicht mit gleicher Zielstrebigkeit ins Topmanagement wollen, wie die Männer.
Aber es ist ja nicht die fehlende Qualifikation, die Frauen die Konkurrenz skeptisch sehen lässt. Frauen können konkurrieren. Sie wollen es aber nicht. Weil es nämlich auch noch andere und bessere Möglichkeiten gibt, die menschlichen Angelegenheiten zu regeln. Feministische Ethikerinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen arbeiten daran, dieses Unbehagen auch politisch zu formulieren.
Der wichtigste Punkt dabei ist es, den überall postulierten Mangel zu hinterfragen. Nicht der Mangel ist nämlich die grundlegende Erfahrung unseres Lebens, sondern die Fülle – zum Beispiel im Geschenk des Lebens und der Sprache, das wir alle als Kinder von unserer Mutter bekommen haben. Dorothee Markert hat gerade ein neues Buch veröffentlicht, in dem sie der Logik des Tauschens die Welt der Gabe gegenüberstellt und zeigt, dass die Menschen ein Bedürfnis zum Geben haben, auch ohne Gewinnabsichten. Michaela Moser hat im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Sozial- und Armutsdebatte, bei der die Frauen ja häufig der Seite der Armen zugerechnet werden, weil sie über weniger Geld verfügen, als Männer, den Gedanken entgegengestellt: Frauen sind reich. Reich nämlich an Ideen und Engagement und Initiative. »Handeln aus der Fülle« hat Ina Praetorius ihr jüngstes Ethikbuch genannt, in dem sie zeigt, dass nicht die Verwaltung des Mangels, sondern die sinnvolle Gestaltung des Reichtums, der uns gegeben ist, die Grundlage für ethische Maßstäbe sein kann.
All dies sind Schritte zu einer neuen symbolischen Ordnung, die eine Alternative bietet zur alles beherrschende Logik des Mangels, aus der unweigerlich die Konkurrenzlogik folgt. Es ist eine schwierige Arbeit, weil sie weit außerhalb des Mainstreams steht. Aber sie ist ungeheuer notwendig.
Denn das Unbehagen der Frauen an der Konkurrenz, das wir derzeit noch beobachten können, ist nicht Natur- oder Gottgegeben. Solche biologistischen Theorien haben ja heute wieder Aufwind. Sie werden gerne von denen vorgebracht, die ebenfalls sehen, dass die unbarmherzige Konkurrenz- und Mangellogik unserer Gesellschaft nicht gut tut, und die deshalb an die Frauen appellieren, sich doch wieder auf ihre angeblich natürliche Weiblichkeit zu besinnen. Beispiele für diesen rückwärtsgewandten Trend sind etwa Frank Schirrmacher, der in seinem neuesten Buch »Minimum« sich von den Frauen sozusagen die Rettung der Welt erhofft, und die Tagesschausprecherin Eva Herman, die die Emanzipation für einen Irrweg hält und die Frauen an ihren Schöpfungsauftrag erinnert, der ihrer Meinung danach besteht, dass sie sich selbstlos für Mann und Kinder aufopfern.
Aber das wird nicht funktionieren. Denn das weibliche Unbehagen an der Konkurrenz liegt nicht in den X-Chromosomen und ist auch kein fester evolutionärer Bestandteil des Frauseins. Sondern es kann uns durchaus verloren gehen. Es ist gut möglich, dass Frauen früher oder später genauso fröhlich konkurrieren wie Männer. Die Chancen dafür stehen sogar ziemlich gut. Nach 30 Jahren Frauenbewegung und Frauenförderpolitik haben Frauen in fast allen Bereichen bessere Qualifikationen als Männer. So gesehen brauchten sie die Konkurrenz eigentlich nicht scheuen.
Wer die Hoffnung auf die weibliche Natur setzt, hat schon verloren. Die einzige Hoffnung, die wir haben können, ist die auf die weibliche Kultur, mit anderen Worten: auf die weibliche Freiheit, die Welt nach guten Maßstäben zu gestalten. Das setzt aber voraus, dass weibliche Autorität in dieser Welt sichtbar wird, dass das, was Frauen tun und denken, nicht länger als Defizit angesehen wird, sondern als Reichtum, von dem die Gesellschaft insgesamt etwas hat. Und davon, dass Frauen nicht über einen Kamm geschert werden, sondern in ihrer Individualität ernst genommen und gehört werden. Und dazu gehört zum Beispiel, dass die männlichen Maßstäbe, zum Beispiel die der Konkurrenz, nicht länger unumschränkte Gültigkeit haben – weder für Frauen noch für Männer.
Wie können wir weibliche Autorität stärken? Nehmen wir das Beispiel, dass wir doch alle oft von Frauen in bestimmten Ämtern und Funktionen mehr erwarten, als von Männern. Wenn eine Chefin sich mies verhält, ärgert mich das mehr, als wenn ein Chef sich mies verhält. Warum eigentlich?
Sehen wir Frauen als gleichberechtigte Konkurrentinnen an, dann wäre dieser mein höherer Anspruch an eine Frau ungerecht. Denn warum sollte eine Frau besser sein als ein Mann? Sehe ich diesen Anspruch aber vor dem Hintergrund des weiblichen Wissens, dass eine nur auf Konkurrenz basierende Gesellschaft nicht funktioniert, dann kommt darin mein Begehren zum Ausdruck, dass Frauen die Welt zum Besseren verändern könnten.
Von einer anderen Frau etwas zu erwarten bedeutet nicht nur, ihr die Bürde dieses hohen Anspruchs zuzumuten, es bedeutet auch, ihr Autorität zu geben, ihr etwas zuzutrauen. Natürlich nicht jeder x-beliebigen Frau. Aber dieser oder jener, von der ich vermute, dass sie etwas kann, dass sie kluge Urteile fällt, dass sie Ressourcen hat und etwas bewegen kann.
Im Verhältnis zu meiner Chefin zum Beispiel heißt das: Ihre Position, ihr Amt alleine reicht nicht aus, damit ich sie respektiere und achte – sie muss es auch mit Autorität füllen. Weil es für Frauen nicht darum geht, mit den Männern oder auch untereinander zu konkurrieren, sondern darum, so in der Welt zu handeln, dass ein gutes Leben für alle möglich ist.
Oder anders gesagt: Ich messe diese Frau nicht an einem männlichen Maßstab, dem der Konkurrenz, sondern an einem weiblichen, der aber auch nicht einfach Kooperation und Solidarität ist – also die andere Seite der Konkurrenz-Medaille – sondern darüber hinausweist. Es ist die Ebene der Differenz unter Frauen, der Unterschiedlichkeit weiblicher Lebenswürfe, die miteinander in einen Austausch gehen, der durchaus konfliktreich ist – etwa im Verhältnis von mir zu meiner Chefin – aber auf einer anderen Ebene.
Im Rahmen einer neuen symbolischen Ordnung jenseits der Konkurrenz ist so ein Anspruch Ausdruck dafür, dass es die Beziehungen unter Frauen in ihrer Verschiedenheit sind, die eine neue Ordnung etablieren. Sie sind die Geburtshilfe für das weibliche Begehren und die weibliche Autorität, die uns ein Leben außerhalb der patriarchalen Ordnung ermöglichen.
Dass Frauen in ihrer Verschiedenheit und mit ihren unterschiedlichen Absichten und Hoffnungen sich untereinander austauschen, vertrauensvolle Beziehungen eingehen und aus ihren Differenzen und Diskussionen einen Hebel für Veränderungen der Welt machen, ist die Praxis, die wir von der Frauenbewegung gelernt haben.
Die Freiheit der Frauen bedeutet, dass jede für sich herausfinden kann, wohin ihr Weg sie führt. Das ist etwas grundsätzlich anderes, als Konkurrenz. Der Maßstab für unseren Erfolg ist, ob wir unserem eigenen Begehren auf der Spur kommen, ein Begehren, das auf die Welt gerichtet ist, für das es aber keinen externen Schiedsrichter gibt. Weil die Differenzen von Frauen untereinander nicht von einem äußeren Maßstab beurteilt werden, sondern nur im Rahmen der konkreten Beziehungen, die Frauen untereinander eingehen.
In so einer Sicht ist das Mehr der Anderen, ihr Besser, Klüger, Erfahrenersein nicht mehr der Maßstab für unsere eigene Niederlage, wie in der Konkurrenz, sondern im Gegenteil eine Ressource, die wir nutzen können. Das Mehr der anderen macht mich nicht klein, weil es bedeutet, dass sie gewinnt und ich verliere, sondern im Gegenteil, es gibt mir Hoffnung, Mut und Inspiration, weil es mir möglicherweise hilft, auf dem Weg meines eigenen Begehrens voran zu kommen.
Diese Art der Beziehung zwischen Unterschiedlichen, die nicht Konkurrenz ist, sondern der Weg des eigenen Begehrens, haben italienische Philosophinnen mit affidamento bezeichnet, und unter diesem Namen ist sie in Deutschland bekannt geworden.
Die Frage, die sich stellt, ist ob und wie diese verschiedenen Logiken – die der Konkurrenz und des affidamento – sich im konkreten Alltag vereinbaren lassen. Denn praktisch können wir aus der gesellschaftlichen Konkurrenz ja nicht einfach aussteigen, sondern sind immer mit beidem konfrontiert.
Das weibliche Wissen darum, dass das Mehr der anderen, die Differenz des Fremden, die Herausforderung der Besseren und die Vielfalt des Begehrens nicht der Startschuss für ein Wettrennen sein muss, sondern ebenso gut Anlass sein kann für einen Austausch, bei dem es zwar konfliktreich zugehen kann, bei dem es am Ende aber keine Verlierer oder Gewinner gibt sondern nur ein Mehr für die Gesellschaft in Form von Ideen, Initiativen und Engagement für ein gutes Leben in dieser Welt – dieses Wissen können wir kultivieren, indem wir darüber sprechen, es zirkulieren lassen, uns gegenseitig schenken und auch den Männern oder wer immer es hören will.
Der Weg dazu kann nicht einfach der Widerstand gegen die Konkurrenzlogik sein. Diese ist ein Teil der Welt in der wir leben, wir selbst sind von ihr geprägt und wir müssen in dieser konkreten Welt handeln. Hannah Arendt hat einmal gesagt, etwas zu verstehen heißt nicht, dass ich es entschuldige oder akzeptiere – sie bezog sich auf den Nationalsozialismus – sondern dass ich mich mit der Welt versöhne, die ich vorfinde, und auf diese Weise handlungsfähig werde. Wenn wir uns das klar machen, können wir selbstbewusst und konstruktiv diesen anderen Maßstab in die Welt tragen und versuchen, ihn anderen Frauen aber auch Männern zu vermitteln. Indem wir darüber sprechen, dafür werben, zeigen, dass es uns, der Arbeit und der Welt insgesamt gut tut. Dafür gibt es keine Pauschalrezepte, es ist eine mühsame, alltägliche Aufgabe, die jede dort leisten kann und leisten, wo sie steht.
Als ich diesen Vortrag gerade beendete, bekam ich das Programm für die diesjährige Ringvorlesung der Diotima-Philosophinnen an der Universität in Verona, und dieses Programm scheint mir sehr passend auch für unser Thema: Der Titel ist »Von anderswo ausgehen«, und es heißt darin: »Unser Vorschlag ist, von anderswo auszugehen, damit wir nicht blockiert bleiben in einer geschlossenen und sich immer wieder wiederholenden Repräsentation der Gegenwart, die sich für uns immer vage irreal anfühlt. Welche Praktiken, welche Erfindungen ermöglichen es uns, innerhalb der Gegenwart eine andere Gegenwart zu öffnen? Eine lebendige Gegenwart, in der wir uns heimisch fühlen? Es handelt sich nicht so sehr darum, sich gegen etwas aufzulehnen oder zu widerstehen, sonder eher darum, in den Falten der Gegenwart zu bleiben, sie in all ihrer Widersprüchlichkeit zu erfahren. Und genau da, in ihrem Inneren, den symbolischen Faden zu finden, der unvorhergesehene und für uns lebendige Seiten der Realität zeigt, die eine einfache Anpassung an die Verhältnisse nie sichtbar gemacht hätte.«
Ich liebe diese Art der Italienerinnen, in anschaulichen Bildern zu sprechen, weil sie die Fantasie und das Selberdenken anregen. Vielleicht können wir mit diesem Bild gut experimentieren: Uns die konkurrenzorientierte Wirklichkeit, in der wir leben, als Faltenrock vorstellen, der uns zwar nicht richtig passt und den wir auch nicht ausziehen können, in dessen Falten selbst wir aber so manchen Faden finden, der uns hilft, eine andere Seite der Realität sichtbar zu machen.
Impulsreferat zur Fachtagung für Frauen in Frauenprojekten am 3.10.2006 in Salzburg
Veröffentlicht in: Dokumentation zur Fachtagung »Kooperation und Konkurrenz«, 2007