Antje Schrupp im Netz

Wer macht die schönste Geburt?

Konkurrenz unter Frauen im Angesicht der Lebensfülle

»Wer macht die schönste Geburt?« – der Titel meines Vortrags ist natürlich ironisch gemeint. Eine Geburt ist ja nichts, was sich für eine Schönheitskonkurrenz eignet.

Andererseits: Gibt es heutzutage überhaupt noch irgend etwas, das sich der Logik der Konkurrenz, des besser, schneller, weiter, schöner, entzieht?

In diesem Sommer verbrachte ich meinen Urlaub in Norditalien, und in unserem Ferienhaus fand ich einen Reiseführer: »Die 30 schönsten Wanderungen im Piemont«. Weil ich damals schon mit diesem Vortrag hier schwanger ging, fiel mir das sofort auf: Warum eigentlich »die schönsten« Wanderungen? Was ist das für eine unsinnige Konkurrenz? Wäre nicht das Versprechen, dreißig »schöne Wanderungen« zu beschreiben, viel sinnvoller?

Eine »schöne Wanderung«, das ist nämlich eine Qualitätsaussage. Eine schöne Wanderung verspricht interessante Wege, abwechslungsreiche Natur, weite Ausblicke. Die »schönste Wanderung« hingegen bezieht ihre Qualität nicht aus sich selbst, sondern lediglich aus dem Vergleich mit anderen. Die »schönste« Wanderung kann nämlich in der Tat reichlich unschön sein: durch karges Gelände führen, die Wege kaum mit Schatten ausgestattet, und ohne jeden Ausblick – Hauptsache die anderen Wanderungen im Angebot sind noch hässlicher.

Wir machten eine dieser Wanderungen Piemont, und ich weiß nicht, ob es eine der dreißig schönsten war, die es in dieser Gegend gibt. Aber sie war schön. Und sie wäre auch dann schön gewesen, wenn es noch zehn andere ebenso schöne oder sogar noch schönere Wanderungen gegeben hätte. Doch das Beispiel zeigt, wie sehr der Vergleich, die Konkurrenz, in unserem Alltagsdenken inzwischen normal geworden ist.

Eine Geburt ist in vielerlei Hinsicht so ähnlich wie eine Wanderung. Es gibt sicherlich objektive Qualitätskriterien, die zu einer schönen Geburt gehören – zum Beispiel kann, wenn das Baby dabei stirbt, wohl ganz sicher nicht von einer schönen Geburt gesprochen werden. Zur äußeren Qualität gehören auch ein bestimmtes professionelles Wissen der Hebamme, hygienische Mindeststandards und dergleichen. Aber dann ist vieles auch individuelle Geschmackssache – manche Mütter wollen eine Hausgeburt, andere bevorzugen die Klinik, manche wollen den Vater dabei haben, andere die Freundin oder gar niemanden.

Worauf es ankommt, und woran uns gelegen ist – sowohl als »Kundinnen« wie auch als »Dienstleisterinnen«, um es mal in der Sprache des Marktes zu sagen, das ist doch sicherlich die Qualität. Doch bei der Qualität von Dingen und von Ereignissen spielen immer objektive und subjektive Kriterien ineinander. Das heißt, wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die Kriterien für gut und schlecht niemals nur objektiv, sondern immer auch subjektiv sind. Wir müssen also nicht nur nach äußerlichen, vergleichbaren Standards fragen, sondern auch versuchen, die persönlichen Vorlieben, Befindlichkeiten oder Ängste der Beteiligten zu berücksichtigen. Und zwar egal, ob wir einen Wanderführer schreiben, ob wir – wie ich gerade – Vorträge halten, oder – wie Sie – Frauen bei der Geburt unterstützen.

Es ist aber noch komplizierter. Denn nicht nur objektive Standards und subjektive Befindlichkeiten spielen für die Qualität eine Rolle, sondern es kommt noch ein Drittes hinzu, nämlich das Unverfügbare, der Zufall, das, worauf wir keinen Einfluss haben. Ob es bei der Wanderung schönes Wetter ist, oder ob es regnet. Ob ich mir nach einem Kilometer den Fuß verknackse oder ob ich mich die ganze Zeit körperlich wohlfühle. Ob ich mich mit meiner Wanderpartnerin nett unterhalte, oder ob wir in Streit geraten.

Gerade in Ihrem Metier, der Geburtsbegleitung, ist dieses Dritte, das Unverfügbare, besonders wichtig. Der Titel meines Vortrags ist also auch in dieser Hinsicht ironisch gemeint – nicht nur ist es unsinnig, von der »schönsten« Geburt zu sprechen, genauso unsinnig ist es, eine Geburt zu »machen«. Eine Geburt geschieht. Ob alles »gut läuft« oder es »Komplikationen gibt« ist nur zum Teil von den beteiligten Menschen abhängig, zum anderen und vielleicht größeren Teil haben sie darauf gar keinen Einfluss.

Alle menschlichen Projekte haben mit diesen drei Faktoren zu tun

  1. dem, was äußerlich messbar und objektiv planbar ist,

  2. dem, was von der subjektiven Befindlichkeit der beteiligten Personen abhängt, und

  3. dem, was zufällig ist, was unverfügbar ist, was geschieht.

Wie lässt sich dabei über Qualität reden? Wann ist eine Arbeit gut? Wer »macht« also die schönste Geburt? Und worauf kommt es dabei an?

Dass wir uns bei einer Tagung wie dieser mit solchen Fragen unter der Überschrift »Konkurrenz« beschäftigen, liegt natürlich auch an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen unsere Gesellschaft sich organisiert. In unserem Wirtschaftssystem sind Hebammen Dienstleisterinnen, und schwangere Frauen sind Kundinnen, die umworben werden müssen. Eine Kundschaft, die angesichts der demografischen Entwicklung auch noch knapper zu werden droht. Für die schwangere Frau sind Geburtsdienstleistungen eine Ware, eine Dienstleistung, die ihr von Hebammen, Krankenhäusern, Geburtshäuser verkauft wird und die konkurrieren natürlich miteinander. Sie preisen ihre Waren an. Wer macht die schönste, schnellste, sanfteste oder natürlichste Geburt?

Ich kann Ihnen nichts über die wirtschaftlichen Bedingungen sagen, unter denen Sie Ihren Beruf, Ihre professionelle Tätigkeit als Hebammen heute ausüben, darüber weiß ich nichts, dafür sind Sie die Expertinnen. Mein Part ist vielmehr der eine Philosophin und einer politischen Denkerin, und als solche habe ich mich mit der Frage beschäftigt, welche innere Denklogik die »Konkurrenz« voraussetzt, und ich hoffe, dass diese Gedanken für Sie hilfreich sind.

Das Denken der Konkurrenz ist ja durchaus ein Versuch, Qualität zu gewährleisten, den Besten auszumachen – und zwar vielleicht tatsächlich den Besten und nicht die Beste, denn das Konkurrenz-Konzept hat, wie ich zeigen will, viel mit symbolischer Männlichkeit zu tun. Ich habe schon häufiger Vorträge zu diesem Thema gehalten, und dabei kam es manchmal zu Missverständnissen, wenn ich von einem unterschiedlichen Umgang von Frauen und Männern mit der Konkurrenz gesprochen habe. Deshalb diese Vorbemerkung. Wenn ich die Geschlechterdifferenz mit diesem Denken der Konkurrenz in Zusammenhang bringe, dann meine ich nicht, dass Frauen von Natur aus anders sind als Männer, zum Beispiel weniger konkurrenzhaft. Worauf es mir ankommt ist, zu zeigen, dass das Denken der Konkurrenz aus einem kulturellen Zusammenhang heraus entstanden ist, in der es eine strikte Trennung von männlicher und weiblicher Sphäre gab, und in der die Philosophie, die Organisation der Politik und der Wirtschaft, die öffentlichen Bereiche generell, als männliche gedacht und definiert worden sind. In der der Mann als Norm galt, und in der die Frau als etwas Anderes – im Vergleich zum Mann – gesehen wurde. Es geht mir also um diese symbolische Verknüpfung des Denkens mit der männlichen Norm, und meine These ist, dass wir zu anderen Formen des Denkens kommen, wenn wir uns von dieser Norm des Männlichen lösen, zum Beispiel, indem wir von unseren eigenen Erfahrungen als Frauen ausgehen. Wobei aber klar ist, dass auch Frauen in dieser symbolisch männlichen Logik handeln und denken können, zumal heute in Zeiten der Emanzipation, und dass auch Frauen sich nicht einheitlich verhalten, sondern sich voneinander unterscheiden.

Nach diesen Vorbemerkungen also zurück zur Konkurrenz und der Frage, inwiefern unsere Kultur davon ausgeht, dass Konkurrenz geeignet ist, um etwas über Qualität auszusagen – die schönste Wanderung, die schönste Geburt und so weiter.

Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es ja im Allgemeinen. Wenn verschiedene Anbieter auf dem Markt um Kundinnen und Kunden konkurrieren, so die Idee, dann werden sie sich anstrengen, um größtmögliche Qualität zu erreichen. An dieser Idee ist manches Wahre dran. Dass zum Beispiel Hebammen und Geburtshäuser anfingen, die eigene Stärke der Gebärenden ins Zentrum zu rücken und eine Alternative boten zu einer rein medizinischen Sicht auf die Geburt, hat auch in so manchen Krankenhäusern zu einem Umdenken geführt. Dass die schwangere Frau heute eine Kundin ist, die selbstbewusst und gut informiert entscheidet, an wen sie den »Auftrag« vergibt, sie rund um die Geburt zu beraten und zu unterstützen, ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu früheren Zeiten, in denen ein medizinischer Apparat sich einfach ihrer bemächtigte. Ein Fortschritt übrigens, zu dem die Frauenbewegung viel beigetragen hat mit ihrer Praxis des weiblichen Selbstbewusstseins, zu dem auch ein neues, selbstbestimmtes Verhältnis zum eigenen Körper gehört. Kürzlich war ich bei einer Veranstaltung zum Thema Geburt, bei der eine Reihe von älteren Frauen von sehr deprimierenden Erfahrungen berichtete, die sie in den fünfziger und sechziger Jahren bei Geburten in Krankenhäusern gemacht haben mit einem medizinischen Personal, das auf ihre eigenen Wünsche und Befindlichkeiten überhaupt keine Rücksicht nahm. Im Vergleich dazu ist das Gebären und das dazugehörige ausgefächerte Angebot, das es heute gibt, sicherlich ein großer Fortschritt aus Sicht der schwangeren Frauen.

Andererseits hat das »die Kundin ist Königin«-Prinzip durchaus auch seine Schattenseiten. Eine steigende Nachfrage gibt es zum Beispiel nach Kaiserschnitten, Frau Laue mailte mir im Vorfeld die Information, dass die Quote in Deutschland inzwischen schon bei 30 Prozent der Geburten liegt, und in anderen Ländern ist sie noch höher. Das heißt, die Kundin wünscht zuweilen unschöne Dinge. Eine schnelle, komplikationsfreie Geburtsabwicklung zum Beispiel, die sich perfekt in den Terminkalender einpasst. Sicher gäbe es gute Gründe, diese Tendenz zur Einfachstgeburt kritisch zu hinterfragen, und sicherlich sind Hebammen diejenigen, die Frauen hier am besten beraten könnten – doch halt: In der Konkurrenzlogik sind sie natürlich Betroffene und insofern nicht mehr ganz glaubwürdig. Raten sie Frauen vielleicht deshalb von Kaiserschnitten ab, weil sie selbst an solchen Geburten nicht so viel verdienen können? Und ist der Trend zur sanften Geburt mit Atmosphäre und Nabelschnurzeremonie und allem möglichen mehr Drumherum wirklich eine Qualitätsverbesserung oder nur unnötiger Schnickschnack, um daraus Profit zu schlagen? Die Kundin von heute ist skeptisch.

Was ich damit sagen will: Wir haben es bei diesem Thema nicht mit einfachen Wahr-oder-Falsch-Fragen zu tun. Die Zusammenhänge sind komplex, und es geht nicht einfach darum, ob wir für oder gegen die Konkurrenzlogik sind. Sondern es geht darum, zu verstehen, welche Vorannahmen und Prinzipien hinter dem Konkurrenzdenken stehen, um dann, ausgehend von den eigenen Erfahrungen und dem eigenen Begehren einen neuen Zugang zu gewinnen.

Das Wort Konkurrenz kommt von dem Lateinischen »con-Correre«, also zusammen laufen, mitlaufen: Das Bild ist das eines Wettlaufs. Zwei laufen nebeneinander her auf das Ziel zu, und wer zuerst da ist, hat gewonnen.

Daraus ergeben sich einige Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um eine Situation in der Logik der Konkurrenz zu sehen:

  1. Erfolg ist nicht an die Qualität an sich, sondern an den Vergleich gebunden: Erfolgreich ist in nicht diejenige, die ein Ziel, das sie sich gesetzt hat, auch erreicht, sondern diejenige, die das Ziel schneller erreicht, als die anderen, und sei es auch nur um eine hundertstel Sekunde. In der Konkurrenzlogik ist es ausgeschlossen, dass alle gewinnen, sondern es gibt auf jeden Fall einen, und zwar genau einen Gewinner. Wer sehr gut ist, aber nur Zweiter, hat auch verloren. Und wenn jemand schlecht ist, aber die anderen waren noch schlechter, ist er trotzdem ein Gewinner.

  2. Das Ziel ist nicht individuell zu bestimmen, sondern für alle dasselbe – nur dann lässt sich ja der Vergleich ziehen. Wenn jeder woandershin läuft, kann man nicht messen, wer schneller ist. Der Beste beim Wettkampf ist also nicht, wer ein selbst gesetztes Ziel erreicht, sondern wer ein von anderen vorgegebenes Ziel schneller erreicht als andere.

  3. Eine Konkurrenz setzt voraus, dass die Beteiligten als Gleiche gedacht werden: Alle Läufer haben die gleiche Ausgangsposition. Alle individuellen Unterschiede bleiben prinzipiell außen vor, auch wenn sie natürlich da sind. Aber sie werden für diejenigen, die am Wettkampf teilnehmen, dann ausgeblendet. – Diskussion über den Sprinter mit dem künstlichen Bein, die Frage ist, ob er als Gleicher betrachtet werden kann.

  4. Das Urteil fällen nicht die Beteiligten selbst, sondern ein unabhängiger Dritter, der so genannte »Unparteiische«, der Schiedsrichter. Dieses Urteil muss so objektiv wie möglich sein, deshalb wird es heute meistens an Maschinen abgegeben. Es gibt immer wieder Diskussionen um die Fehlbarkeit von Wertungsrichtern usw.

  5. Äußere Regeln sind sehr wichtig – im Konkurrenzdenken heißt das Fairness. Unfairness ist ein großes Problem, denn wenn sich jemand nach vorne mogelt, wird das Ergebnis verzerrt und das Konkurrenzverfahren verliert seinen Sinn. Diese Fairness und das damit verbundene Postulat der Gleichheit aller Beteiligten wird häufig als etwas Positives gesehen. Aber es enthält auch etwas sehr Unbarmherziges. Persönliche Probleme müssen dabei ausgeblendet werden, die Regeln sind starr und stehen unter keinen Umständen durch Diskussion.

Sie sehen, solche Concorsi, Wettläufe, versuchen, die Qualität zu messen, indem sie wesentliche Bestandteile der Qualität ausblenden. Anfangs habe ich ja gezeigt, dass die Qualität von dreierlei abhängt: Von der äußeren Professionalität, der subjektiven Befindlichkeit der Beteiligten und vom Zufall. Die Konkurrenz blendet nun aber sowohl die subjektive Befindlichkeit als auch den Zufall aus.

Im Alltag sind solche Concorsi, Wettläufe deshalb eigentlich ziemlich selten von Nutzen – weil eben für die Frage, ob etwas gut oder schlecht war, die beiden ausgeblendeten Faktoren von entscheidender Wichtigkeit sind. Nur in ganz speziellen Situationen kann die Konkurrenzlogik manchmal sinnvoll sein. Zum Beispiel macht es zuweilen schlicht Spaß, sich mit anderen zu messen. Wenn ich mit meiner Freundin Squash spiele, dann strenge ich mich nur an, wenn es um Punkte geht. Allerdings ist es eben auch ein Spiel und kein Ernst, sobald wir in der Umkleidekabine sind, habe ich schon vergessen, wer gewonnen hat.

Oder wenn von einer bestimmten Sache nicht genug für alle da ist, werden wir um diese Sache vielleicht konkurrieren. Wenn wir für eine bestimmte Arbeit den Besten suchen, zum Beispiel den schnellsten Läufer, um eine Botschaft von hier nach da zu bringen, kann es sinnvoll sein, in einer Konkurrenz, in einem Wettlauf, herauszufinden, wer das ist. Konkurrenz ist streng genommen ein Verfahren für den Umgang mit Not- und Mangelsituationen – ob es dafür auch ein gutes Verfahren ist, sei noch einmal dahin gestellt. Aber es ist jedenfalls verstehbar und nachvollziehbar, dass, wenn Mangel herrscht, wir in Konkurrenz zueinander treten.

Allerdings begegnen wir heute der Logik der Konkurrenz nicht nur in solchen speziellen Situationen, sondern eigentlich immer. Konkurrenz gilt sozusagen als natürliche und normale Art und Weise, wie Menschen miteinander in eine Beziehung treten und ihre Angelegenheiten untereinander ordnen. Wie konnte es dazu kommen, dass ein Prinzip, das für den Alltag eigentlich so wenig taugt und sinnvoll nur in ganz bestimmten Situationen ist, alles dominiert, sogar unsere Reiseführer?

Manche sagen, das liegt an der menschlichen Natur, die eben konkurrenzhaft sei. Das stimmt aber nicht. Das Prinzip der Konkurrenz ist historisch gewachsen. Vor der Industrialisierung gab es Konkurrenz nur selten. Ein Bauer wäre im Feudalismus niemals auf die Idee gekommen, mit einem Adeligen zu konkurrieren. Und zwar deshalb, weil es damals die Idee der Gleichheit der Menschen noch nicht gab. Und ohne Gleichheit hat es eben auch keinen Sinn, von Konkurrenz zu sprechen.

Erst im Zusammenhang mit der Industrialisierung und der Aufklärung kam die Idee auf, dass alle Menschen – gemeint waren Männer – gleich sind. Das war die wesentliche Voraussetzung für das Entstehen einer Konkurrenzgesellschaft. Erst seither gilt der gesellschaftliche Stand eines Mannes nicht qua Geburt als festgelegt, sondern es herrscht die Vorstellung, jeder könne Schmied seines eigenen Glückes sein, sich seinen Wohlstand und seine Anerkennung in der Konkurrenz mit anderen freien Männern erringen. Konkurrenz wurde, anders gesagt, zu einem identitätsstiftenden Merkmal für Männlichkeit, bekam also eine symbolische Bedeutung, die weit über das hinausreicht, was Konkurrenz eigentlich ist, nämlich ein Spiel, ein Wettlauf.

Da aber die Konkurrenz ein Verfahren ist, das, abgesehen vom Spiel, nur in Not- und Mangelsituationen überhaupt sinnvoll sein kann, wurde gleichzeitig die ganze Welt zu einem Ort uminterpretiert, an dem überall Mangel herrscht. Das heißt, die Konkurrenz ist nicht mehr nur ein Verfahren, mit dem wir Menschen Notsituationen bewältigen können, sondern es ist geradezu andersrum: Weil wir untereinander ständig in Konkurrenz stehen, wird aus der Welt um uns herum eine Welt des Mangels. Denken Sie nur an das Problem mit den Ruheliegen in der Sauna. Aus Angst, keinen Platz zu bekommen, blockieren sich alle eine Liege mit ihrem Handtuch, was dazu führt, dass Liegen knapp sind, obwohl eigentlich genügend da sind. Nicht die Liegen selbst sind knapp, sondern erst unsere Konkurrenz darum macht sie zu einem knappen Gut.

Diese Veränderung in der Mentalität vollzog sich paradoxerweise gerade in einer historischen Situation, nämlich im 18. und 19. Jahrhunderte, als es die industrielle Produktionsweise es eigentlich erlaubt hätte, den Mangel immer mehr zu beseitigen. Denn mit der Einführung von Maschinen ist die Herstellung von Gütern und Waren ja sehr viel einfacher und billiger geworden.

Doch es entstand ein ökonomisches System, der Kapitalismus, das Mangel systematisch erzeugt. Mit der Folge, dass zum Beispiel heute in einem reichen Land wie Deutschland tatsächlich die meisten Menschen den Eindruck haben, alles Mögliche wäre knapp, sogar das, was die Menschen früher gar nicht haben wollten, etwa unangenehme und anstrengende Arbeit. Jahrhunderte lang hatten die Menschen, sich davon zu befreien, und gerade dann, als das durch Maschinen und Fabriken möglich gewesen wäre, wurde sogar die Mühsal der Arbeit selbst zu einem knappen Gut, um das wir konkurrieren müssen.

Auch die Politik, also der Bereich, wo Menschen untereinander über die Regeln des Zusammenlebens verhandeln und ihre Gesellschaft ordnen, wurde nun der Logik der Konkurrenz unterworfen: In der parlamentarischen Demokratie regiert, wer mehr Stimmen bekommt als die anderen. In der Wirtschaftstheorie wiederum entstand die Idee von der »unsichtbaren Hand« des Marktes: Wenn alle nur ihren egoistischen Interessen folgen, so meinte im 19. Jahrhundert der Wirtschaftstheoretiker Adam Smith und viele geben ihm bis heute recht, wird das bestmögliche Ergebnis herauskommen.

Gleichzeitig entstand eine andere Bewegung, die manchmal als Gegenstrategie zum Konkurrenzdenken verstanden wird, in Wahrheit aber nur die andere Seite derselben Medaille ist: Die Idee der Solidarität und Kooperation, zum Beispiel in der Arbeiterbewegung. Nicht zufällig sind genossenschaftliche Kooperationsmodelle von Arbeiterinnen und Arbeitern genau in dieser Zeit entstanden, als auch die Konkurrenz zum alles bestimmenden Merkmal wurde. Kooperationen sind Zusammenschlüsse von Menschen, die als Einzelne zu schwach sind, um bei der Konkurrenz eine echte Chance zu haben. Die Idee ist die, dass wenn viele Schwache sich zusammenschließen, sie besser in der Lage sind, in der Konkurrenzgesellschaft zu bestehen. Es ist eine Denkweise, die auch die Frauenbewegung eine Zeitlang übernommen hat: Frauen gemeinsam sind stark. Der Gedanke der Solidarität, der Kooperation, ist also ein Versuch, sich innerhalb der gesellschaftlichen Konkurrenz als Gruppe eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen.

Nun könnte man natürlich sagen, dass die Geschichte doch gezeigt hat, dass sich dieses Modell der Konkurrenz, dessen andere Seite eben die Solidarität und die Kooperation ist, doch bewährt hat. Wenn die Konkurrenz wirklich so unsinnig wäre, warum funktioniert sie denn schon so lange und so gut?

Ich habe da allerdings so meine Zweifel. Die Konkurrenz beherrscht zwar symbolisch unser Denken, faktisch, also im ganz realen Leben, spielt sie keineswegs eine so große Rolle, wie immer getan wird. »Niemand trainiert, um Zweiter zu werden« behauptet zum Beispiel die Turnschuhfirma Nike auf ihren Plakaten, ganz in der Logik der Konkurrenz. Aber stimmt das denn überhaupt? Die meisten Menschen, die ich kenne, treiben jedenfalls keinen Sport, um in irgendeinem Wettkampf erste zu werden, sondern sie gehen in den Verein oder ins Fitnessstudio, weil sie sich bewegen oder Spaß haben oder gesund bleiben wollen.

Ähnlich ist es im Arbeitsleben, das, ähnlich wie der Sport, sehr vom symbolischen Konkurrenzdenken geprägt ist. In den vergangenen Jahren wurde in vielen Arbeitsbereichen das Streben nach bestmöglicher Qualität abgelöst vom Effizienzdenken: Wir müssen nur so gut sein, dass wir besser sind als unsere Konkurrenten. Entsprechend wurde in vielen Firmen Personal eingespart, die Arbeitsbelastung ist gestiegen, Fehler werden in Kauf genommen. Den meisten Menschen gefällt das aber gar nicht: Sie möchten gute Arbeit leisten. Sie leiden darunter, wenn sie, um »konkurrenzfähig« zu bleiben, bei der Qualität Abstriche machen müssen.

Die Konkurrenzlogik funktioniert also in der Realität gar nicht so gut, wie auf einer symbolischen Ebene immer behauptet wird. Ich behaupte: Vieles funktioniert nicht wegen der Konkurrenzideologie, sondern trotz ihr. Weil es nämlich noch genügend Menschen gibt, mehr Frauen als Männer übrigens, die sich an diese Logik gar nicht halten.

Die philosophischen und politischen Theoretiker, die sich im 18. und 19. Jahrhundert mit dem entstehenden Konkurrenzprinzip beschäftigen, wussten das übrigens damals schon. Konkurrenz allein kann die Gesellschaft gar nicht regeln, weil sie per Definition von der Realität, also von den konkreten, individuellen Bedürfnissen der Menschen absieht – zum Beispiel von dem ganz banalen Grundbedürfnis, auch unabhängig vom Gewinnen geliebt zu werden. Konkurrenz braucht also notwendigerweise eine Gegenseite.

Und an diesem Punkt kommen – jedenfalls historisch – die Frauen ins Spiel. Dieselbe gesellschaftliche Entwicklung führte nämlich gleichzeitig zu einer Aufspaltung der Welt in so genannte weibliche und männliche Sphären. Während die Männer hinauszogen in die Berufswelt, in die Öffentlichkeit, wo sie dann in Konkurrenz zu anderen Männern traten (als Unternehmer, als Politiker, als Arbeiter) waren die Frauen zuständig für Innere, das Private – das Haus, das Familienleben. Und dort herrschten eben gerade nicht die Regeln der Konkurrenz, sondern ganz andere: Hingabe, Selbstlosigkeit, Zuwendung, Aufopferung für andere waren die Tugenden einer Hausfrau und Mutter. Man könnte es auch anders sagen: Für diejenigen Notwendigkeiten des menschlichen Lebens, die sich partout nicht der Logik der Konkurrenz unterwerfen lassen – wie gegenseitige Fürsorge, Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege, Geselligkeit – waren von nun an die Frauen zuständig. Und dieser ganze Bereich wurde, weil er ja nicht nach dem System der Konkurrenz funktioniert, dann einfach als vorpolitisch oder unpolitisch definiert.

Wenn ich das so darstelle, dann liefere ich übrigens keineswegs eine radikale feministische Interpretation, sondern das alles wurde von den Theoretikern der entstehenden Industriegesellschaft selbst genau so beschrieben. Nach Hegels Rechtsphilosophie zum Beispiel ist Konkurrenz die Form der Beziehung in einer bürgerlichen Gesellschaft, und zwar ab dem Moment, wo der Mann als Oberhaupt der Familie in Außenkontakte mit anderen Männern und Familienoberhäuptern tritt. Die Gesellschaft draußen ist also der Ort, wo die Männer miteinander in Konkurrenz treten. Die Familie hingegen ist nach Hegel die »unmittelbare Einheit«, d.h. ein Gemeinschaftliches, das gerade keine unterschiedlichen Interessen und damit auch keine Konkurrenz kennt und ein notwendiges Gegenüber zu der harten Welt da draußen darstellt.

Diese theoretische Zweiteilung hat es so in der wirklichen Welt natürlich nie gegeben. Auch damals schon tauschten Frauen Dienstleistungen untereinander, verkauften sich gegenseitig Nahrungsmittel, nähten Kleider für andere Frauen, beaufsichtigten deren Kinder, halfen anderen bei Geburten. Sie waren keineswegs nur »innen« aktiv, sondern auch »draußen«, waren Teil des Wirtschaftskreislaufes. Aber bei diesen weiblichen Tätigkeiten vermischten sich Konkurrenz und Fürsorge, das Geld spielte zwar eine Rolle, aber nicht die einzige. Um diese »informelle Wirtschaft« an der Grenze zwischen drinnen und draußen kümmerten sich aber die männlichen Ökonomen nicht. Bis heute zählt für sie nur die Erwerbsarbeit, die Haus- und Fürsorgearbeit ebenso wie die informelle Arbeit rechnen sie aus ihren Bilanzen heraus, wie verstehen das nicht als produktive Arbeit. Nur so konnten sie wahrscheinlich die Illusion aufrecht erhalten, dass in »ihrem« Bereich, dem Bereich der »offiziellen« Wirtschaft, tatsächlich alles nach dem Konkurrenzprinzip abläuft.

Seit der Frauenemanzipation hat sich an dieser alten Trennung der Sphären vieles geändert. Frauen erkämpften sich den Zugang zu diesen früher männlichen Bereichen von Wirtschaft und Politik, sie wurden sozusagen zu gleichberechtigten »Konkurrentinnen«. Allerdings scheint das Konkurrieren den Frauen nicht so gut zu gefallen. Soziologische Untersuchungen und Umfragen zeigen, dass sich Frauen seltener konkurrenzhaft verhalten als Männer. Wenn Frauen davon erzählen, ist häufig von negativen Erlebnissen die Rede. Nicht vom Reiz des Wettbewerbs, vom lustvollen Ringen um Auszeichnungen, sondern von Missgunst, Neid, von Kritik, die als ungerechtfertigt empfunden wird, vom Gefühl, von Konkurrentinnen bloßgestellt zu werden.

Wahrscheinlich liegt das daran, dass sich für Frauen die Situation eben deutlich komplizierter darstellt. Und zwar nicht nur auf der individualpsychologischen Ebene – dass sie nämlich einerseits in der Öffentlichkeit konkurrieren sollen, andererseits im privaten Bereich nach wie vor nach ganz anderen Prinzipien als der Konkurrenz agieren müssen, denn sie sind ja heute nicht nur auf dem Erwerbsarbeitsmarkt unterwegs, sondern nach wie vor auch im »inneren«, familiären Bereich, sie kümmern sich nach wie vor viel mehr als Männer um Kindererziehung, Pflege von kranken und alten Menschen und so weiter. Das heißt, Frauen wissen, dass die Gesellschaft nicht funktionieren kann, wenn man den einen Bereich, den privaten, nicht-konkurrenzorienten, einfach abschafft. Die Folgen dieses misslungenen Experiments stehen ja längst auf der politischen Tagesordnung: Bildungsmisere, Pflegenotstand, Arbeitslosigkeit, Sinnkrise und wie sie alle heißen.

Seit der Emanzipation der Frauen, seit ihrem Vordringen in die ehemals männliche Sphäre der Konkurrenz, ist es also zu einer Vermischung der Ebenen gekommen. Ein Teil dieser Vermischung ist, dass die früher informell von Frauen untereinander abgewickelten Arbeiten und Dienstleistungen den Status eines »richtigen« Marktgeschehens bekommen haben, sie sind nun ein Teil der offiziellen Wirtschaft und werden in ihre Logik hineingepresst. Auch Krankenhäuser, Kindergärten – oder eben Hebammen – müssen heute wirtschaftlich und effektiv und profitabel arbeiten. »Qualitätsmanagement« ist ja explizit ein Verfahren, dass diese Arbeiten auf eine Weise evaluieren soll, dass die Anteile »subjektive Befindlichkeit« und »Zufall« möglichst »in den Griff« bekommen werden, damit man sie im Hinblick auf Vergleichbarkeit und Konkurrenz einbeziehen kann.

Allerdings funktioniert das nur mit Abstrichen. Denn die Seite der subjektiven Befindlichkeit und die Seite des Zufalls lässt sich nicht so ohne weiteres ausblenden, und zwar gerade nicht bei denjenigen Tätigkeiten, für die mehr Frauen als Männer Verantwortung übernehmen: Der Beruf der Hebamme ist dafür nur ein Beispiel. Auch bei der Arbeit von Krankenschwestern, Erzieherinnen, Altenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen spielen die Faktoren der subjektiven Befindlichkeit aller Beteiligten sowie des Zufalls eine extrem große Rolle, jedenfalls eine größere als bei Industriearbeitern, Automechanikern oder Informatikern, also Berufen, die Männer bevorzugen.

Dies ist nichts, was wir pauschal beklagen müssten. Sondern worauf es ankommt, ist, diese »Vermischung« der Sphären aktiv zu begleiten und zu sehen, dass weder die reine Konkurrenzlogik der Männer, noch das Ideal reine selbstlosen weiblichen Hingabe für die Zukunft taugt. Ich glaube, dies ist ein Prozess, bei dem Frauen Pionierinnen sind, weil nämlich die Vorstellung von der hingebungsvollen, sich selbst für andere aufopfernden Frau schon immer nur eine Illusion war und die realen Frauen schon immer »Expertinnen« der Vermischung, wenn wir so wollen, gewesen sind. Was jetzt aussteht wäre, dies zu durchdenken und in den Bereich des Politischen zu holen.

Denn auch wenn diese Punkte »Subjektivität« und »Zufall« nicht in Zahlen messbar und objektivierbar sind, heißt das ja nicht, dass sie völlig im Dunkeln bleiben und rationalem Nachdenken völlig entzogen sind. Feministische Denkerinnen und Forscherinnen haben zum Beispiel in den letzten dreißig Jahren versucht, aus der Beziehung zwischen Mutter und Kind einige Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie eine »Arbeitsbeziehung« zwischen Ungleichen gelingen kann – denn Mutter und Kind sind ja eben nicht »Gleiche«, können also nicht in Konkurrenzlogik gedacht werden, aber sie müssen dennoch zusammenarbeiten. Begehren und Autorität sind hier zwei Stichworte, die zum Beispiel italienische Philosophinnen in die Diskussion eingebracht haben.

Die Mutter ist diejenige Autorität, die das Begehren des Kindes, zu wachsen und einen Platz in der Welt einzunehmen, begleitet. Aber gerade nicht, indem sie jeden Wunsch des Kindes ungeprüft erfüllt. Sie würde ihrer Aufgabe gerade nicht gerecht, wenn sie einfach die »Marktanfragen« befriedigt, zum Beispiel dem Kind alle Bonbons gibt, die es haben will. Sondern ihre Aufgabe besteht gerade auch darin, dem Kind Grenzen zu setzen, es herauszufordern. Dieses Wechselspiel zwischen kindlichem Begehren und mütterlicher Autorität funktioniert aber nur, wenn das Kind die mütterliche Autorität anerkennt, nur dann wird es wirklich etwas lernen, und nicht unter Zwang.

Könnten wir aus diesem »mütterlichen Handeln« (und auch Väter zum Beispiel können auf diese Weise »mütterlich« handeln) vielleicht etwas lernen über die Qualität von anderen Beziehungen zwischen »Ungleichen«, etwa die Beziehung zwischen Krankenschwester und Patientin, zwischen Hebamme und Gebärender? Qualität würde sich dann nicht nur an äußerlichen, messbaren Faktoren ablesen lassen, sondern daran, ob und inwieweit das Begehren der einen und die Autorität der anderen zusammenkommen, inwieweit sie sich gegenseitig anspornen und das Geschehen »gut« werden lassen? Wenn wir Qualität an das Begehren binden, haben wir zum Beispiel das Ziel anders definiert als in der Konkurrenzlogik: Jede hat unter Umständen ein anderes Ziel. Was für die eine gut ist, muss für die andere noch lange nicht gut sein. Und der Schiedsrichter ist nicht außenstehend, objektiv, sondern die Beteiligten selbst beurteilen das.

Ich kann diese Diskussion hier nur kurz anreißen. Was ich zeigen möchte ist, dass auch diejenigen Beziehungen, die nicht auf Gleichheit und Konkurrenz ausgerichtet sind, einer bestimmten Logik folgen, dass man sie untersuchen und erforschen und darüber nachdenken kann, und dass das Defizit unserer historisch männlichen Kultur darin besteht, diesen Bereich bisher vernachlässigt zu haben. Und die Aufgabe von Frauen bzw. denjenigen, die in solchen Bereichen tätig sind, könnte darin bestehen, neben der Logik der Konkurrenz, der Effizienz und der Quantifizierbarkeit auch andere Kriterien und Maßstäbe herauszuarbeiten.

Das heißt, ich sehe in der Skepsis vieler Frauen gegenüber der Konkurrenz nicht ein Defizit, das den Frauen im Zuge ihrer Emanzipation »abtrainiert« werden müsste, sondern eine große Chance für unsere Welt. Wenn sie weniger Konkurrenz- oder Status-orientiert sind, wenn sie keine Skrupel haben, auch sich selbst mal in Frage zu stellen, wenn sie Beziehungen und Arbeit zusammenbringen möchten, wenn sie wirklich auf ihr Gegenüber eingehen anstatt sich in den Vordergrund zu spielen, wenn es ihnen um die Qualität geht und nicht nur um die Effizienz– dann finde ich das sehr gut und sinnvoll. In der Logik der Konkurrenz ist es natürlich falsch und ungeschickt, und mit ein Grund, warum Frauen bis heute weniger Geld verdienen, weniger Führungspositionen haben und so weiter. Dieses Problem müssen wir angehen. Aber nicht, indem wir die Frauen umerziehen, sondern in dem wir das System kritisch hinterfragen. Denn die Logik der Konkurrenz kann im Sinne einer guten Welt nicht der alleinige Maßstab sein.

Der wichtigste Punkt auf diesem Weg ist es, den überall postulierten Mangel zu hinterfragen. Nicht der Mangel ist nämlich die grundlegende Erfahrung unseres Lebens, sondern die Fülle – zum Beispiel im Geschenk des Lebens und der Sprache, das wir alle als Kinder von unserer Mutter bekommen haben. Feministische Ethikerinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen arbeiten daran, dieses Unbehagen auch politisch zu formulieren. Nur einige Beispiele aus jüngster Zeit: Dorothee Markert stellt in ihrem neuen Buch der Logik des Tauschens die Welt der Gabe gegenüber und zeigt, dass die Menschen ein Bedürfnis zum Geben haben, auch ohne Gewinnabsichten. Michaela Moser hat im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Sozial- und Armutsdebatte, bei der die Frauen ja häufig der Seite der Armen zugerechnet werden, weil sie über weniger Geld verfügen, als Männer, den Gedanken entgegengestellt: Frauen sind reich. Reich nämlich an Ideen und Engagement und Initiative. »Handeln aus der Fülle« hat Ina Praetorius ihr jüngstes Ethikbuch genannt, in dem sie zeigt, dass nicht die Verwaltung des Mangels, sondern die sinnvolle Gestaltung des Reichtums, der uns gegeben ist, die Grundlage für ethische Maßstäbe sein kann.

All dies sind Schritte zu einer neuen symbolischen Ordnung, die eine Alternative bietet zur alles beherrschende Logik des Mangels, aus der unweigerlich die Konkurrenzlogik folgt. Es ist eine schwierige Arbeit, weil sie weit außerhalb des Mainstreams steht. Aber sie ist ungeheuer notwendig.

Denn das Unbehagen vieler Frauen an der Konkurrenz, das wir derzeit noch beobachten können, ist nicht Natur- oder Gottgegeben. Solche biologistischen Theorien haben ja heute wieder Aufwind. Sie werden gerne von denen vorgebracht, die ebenfalls sehen, dass die unbarmherzige Konkurrenz- und Mangellogik unserer Gesellschaft nicht gut tut, und die deshalb an die Frauen appellieren, sich doch wieder auf ihre angeblich natürliche Weiblichkeit zu besinnen. Aber das wird nicht funktionieren. Denn das weibliche Unbehagen an der Konkurrenz liegt nicht in den X-Chromosomen und ist auch kein fester evolutionärer Bestandteil der Weiblichkeit. Es kann uns also durchaus verloren gehen. Es ist gut möglich, dass Frauen früher oder später genauso fröhlich konkurrieren wie Männer. Die Chancen dafür stehen sogar ziemlich gut. Nach 30 Jahren Frauenbewegung und Frauenförderpolitik haben Frauen in fast allen Bereichen bessere Qualifikationen als Männer. So gesehen brauchten sie die Konkurrenz eigentlich nicht scheuen.

Wer die Hoffnung auf die weibliche Natur setzt, hat schon verloren. Die einzige Hoffnung, die wir haben können, ist die auf die weibliche Kultur, mit anderen Worten: auf die weibliche Freiheit, die Welt nach guten Maßstäben zu gestalten. Das setzt aber voraus, dass weibliche Autorität in dieser Welt sichtbar wird, dass das, was Frauen tun und denken, nicht länger als Defizit angesehen wird, sondern als Reichtum, von dem die Gesellschaft insgesamt etwas hat. Und es setzt voraus, dass Frauen nicht über einen Kamm geschoren werden, sondern in ihrer Individualität ernst genommen und gehört werden.

Wie können wir weibliche Autorität stärken? Ein Beispiel: Viele Frauen, ich selbst auch, erwarten unweigerlich von Frauen in bestimmten Ämtern und Funktionen mehr, als von Männern. Zum Beispiel erwarten sie von einer Ärztin im Krankenhaus, dass sie sensibler mit dem Thema Geburt umgeht, als ihre männlichen Kollegen. Dürfen wir das? Oder ist ein solcher Anspruch nicht ungerecht den Frauen gegenüber?

In der Logik der Konkurrenz ist so ein Anspruch sicher ungerecht. Denn warum sollte eine Frau besser sein als ein Mann? Sehen wir diesen Anspruch aber vor dem Hintergrund des weiblichen Wissens, dass eine nur auf Konkurrenz basierende Gesellschaft nicht funktioniert, dann könnten wir das Ganze auch anders interpretieren. Kommt darin nicht vielleicht das Begehren zum Ausdruck, dass Frauen die Welt zum Besseren verändern könnten?

Von einer anderen Frau etwas zu erwarten bedeutet nicht nur, ihr die Bürde dieses hohen Anspruchs zuzumuten. Es bedeutet auch, ihr Autorität zu geben, ihr etwas zuzutrauen. Natürlich nicht jeder x-beliebigen Frau. Aber dieser oder jener, von der ich vermute, dass sie etwas kann, dass sie kluge Urteile fällt, dass sie Ressourcen hat und etwas bewegen kann.

Das Verhältnis einer schwangeren Frau zu einer Hebamme oder zu einer Ärztin zum Beispiel ist sicherlich eines, das viel mit Autorität zu tun hat. Ihre Position, ihr Amt alleine reicht nicht aus, sie muss es auch mit Autorität füllen. Weil es nicht darum geht, mit den Männern oder auch untereinander zu konkurrieren, sondern darum, so in der Welt zu handeln, dass ein gutes Leben für alle möglich ist.

Das heißt, wenn wir uns untereinander beurteilen, wenn Sie als Hebammen sich untereinander über den richtigen Berufsethos austauschen, oder wenn sie mit Klinikärztinnen darüber streiten, worauf es bei einer Geburt ankommt, wenn Sie mit schwangeren Frauen sprechen und sie versuchen, von der Idee eines unnötigen Kaiserschnitts abzubringen oder was es auch immer an Auseinandersetzungen geben mag, dann wäre es aus meiner Sicht wichtig, diese Differenzen anders als in der Konkurrenzlogik zu interpretieren. Also nicht nach dem objektiven Maßstab zu fragen oder danach, wer die bessere oder gar die einzig richtige Lösung hat. Sondern es ginge darum, die Unterschiedlichkeit weiblicher Lebenswürfe miteinander in einen Austausch zu bringen, der durchaus konfliktreich ist – etwa in der Einschätzung von Kaiserschnitten oder im Gegenüber von Haus- und Klinikgeburten – in der Hoffnung, dass aus solchen Konflikten neue Wege und Lösungen geboren werden, die wir alle heute noch gar nicht kennen.

Dass Frauen in ihrer Verschiedenheit und mit ihren unterschiedlichen Absichten und Hoffnungen sich untereinander austauschen, vertrauensvolle Beziehungen eingehen und aus ihren Differenzen und Diskussionen einen Hebel für Veränderungen der Welt machen, ist die Praxis, die wir von der Frauenbewegung gelernt haben.

Die Freiheit der Frauen bedeutet, dass jede für sich, wenn auch in der Diskussion mit anderen, herausfinden kann, wohin ihr Weg sie führt. Das ist etwas grundsätzlich anderes, als Konkurrenz. Der Maßstab für unseren Erfolg ist, ob wir unserem eigenen Begehren auf der Spur kommen, ein Begehren, das auf die Welt gerichtet ist, für das es aber keinen externen Schiedsrichter gibt. Weil die Differenzen von Frauen untereinander nicht von einem äußeren Maßstab beurteilt werden, sondern nur im Rahmen der konkreten Beziehungen, die Frauen untereinander eingehen.

In so einer Sicht ist das Mehr der Anderen, ihr Besser, Klüger, Erfahrenersein nicht mehr der Maßstab für die eigene Niederlage, wie in der Konkurrenz, sondern im Gegenteil eine Ressource, die wir nutzen können. Das Mehr der anderen macht mich nicht klein, weil es bedeutet, dass sie gewinnt und ich verliere, sondern im Gegenteil, es gibt mir Hoffnung, Mut und Inspiration, weil es mir möglicherweise hilft, auf dem Weg meines eigenen Begehrens voran zu kommen. Es gibt eine Art der Beziehung zwischen Unterschiedlichen, die nicht Konkurrenz ist, sondern ein Wegweiser hin zum eigenen Begehren.

Die Frage, die sich stellt, ist ob und wie diese verschiedenen Logiken – die der Konkurrenz und die der Beziehungen unter Frauen – sich im konkreten Alltag vereinbaren lassen. Denn praktisch können wir aus der gesellschaftlichen Konkurrenz ja nicht einfach aussteigen, sondern sind immer mit beidem konfrontiert. Die Konkurrenz zwischen freiberuflichen Hebammen, zwischen Geburtshäusern und Kliniken, all das ist eine Realität, und diese Realität können wir nicht mit einem nebulösen Hinweis auf ein »Anderssein« der Frauen ignorieren. Sondern es muss darauf ankommen, jenes »Anderssein«, jene andere Logik, die Logik der Fülle und der Beziehungen, in die Welt der Konkurrenz hinein zu vermitteln. Dafür gibt es keine Pauschalrezepte, sondern es ist viel Arbeit im Kleinen, es ist Experimentieren, es ist Reden, es ist Überzeugungsarbeit, die von Fall zu Fall geleistet werden muss.

Das weibliche Wissen darum, dass das Mehr der anderen, die Differenz des Fremden, die Herausforderung der Besseren und die Vielfalt des Begehrens nicht der Startschuss für ein Wettrennen sein muss, sondern ebenso gut Anlass sein kann für einen Austausch, bei dem es zwar konfliktreich zugehen kann, bei dem es am Ende aber keine Verlierer oder Gewinner gibt sondern nur ein Mehr für die Gesellschaft in Form von Ideen, Initiativen und Engagement für ein gutes Leben in dieser Welt – dieses Wissen können wir kultivieren, indem wir darüber sprechen, es zirkulieren lassen, uns gegenseitig schenken und auch den Männern oder wer immer es hören will.

Der Weg kann also nicht einfach der Widerstand gegen die Konkurrenzlogik sein. Diese ist ein Teil der Welt in der wir leben, wir selbst sind von ihr geprägt und wir müssen in dieser konkreten Welt handeln, denn eine andere haben wir nicht. Aber wir müssen diese Welt nicht einfach so hinnehmen, wie sie ist sondern wir können selbstbewusst und konstruktiv andere Maßstäbe hinein tragen. Indem wir darüber sprechen, dafür werben, zeigen, dass es uns, der Arbeit und der Welt insgesamt gut tut. Dafür gibt es, wie gesagt, keine Pauschalrezepte, es ist eine mühsame, alltägliche Aufgabe, die jede an dem Ort leisten kann, wo sie steht und tätig ist, mit dem Einfluss und den Kräften, die sie jeweils zur Verfügung hat.

Als ich diesen Vortrag gerade beendete, bekam ich das Programm für eine Ringvorlesung von Philosophinnen an der Universität in Verona auf den Schreibtisch, und dieses Programm scheint mir sehr passend auch für unser Thema: Der Titel ist »Von anderswo ausgehen«, und zum Abschluss meines Vortrags möchte ich daraus eine Passage zitieren: »Unser Vorschlag ist, von anderswo auszugehen, damit wir nicht blockiert bleiben in einer geschlossenen und sich immer wieder wiederholenden Repräsentation der Gegenwart, die sich für uns immer vage irreal anfühlt. Welche Praktiken, welche Erfindungen ermöglichen es uns, innerhalb der Gegenwart eine andere Gegenwart zu öffnen? Eine lebendige Gegenwart, in der wir uns heimisch fühlen? Es handelt sich nicht so sehr darum, sich gegen etwas aufzulehnen oder zu widerstehen, sondern eher darum, in den Falten der Gegenwart zu bleiben, sie in all ihrer Widersprüchlichkeit zu erfahren. Und genau da, in ihrem Inneren, den symbolischen Faden zu finden, der unvorhergesehene und für uns lebendige Seiten der Realität zeigt, die eine einfache Anpassung an die Verhältnisse nie sichtbar gemacht hätte.«

Vielleicht können wir mit diesem Bild gut experimentieren: Uns die konkurrenzorientierte Wirklichkeit, in der wir leben, als Faltenrock vorstellen, der uns zwar nicht richtig passt und den wir auch nicht ausziehen können, in dessen Falten selbst wir aber so manchen Faden finden, der uns hilft, eine andere Seite der Realität sichtbar zu machen.


Vortrag bei der 15. Weleda-Fachtagung für Hebammen in Schwäbisch-Gmünd, 27.10.2007