Kommentar
Islamkunde ist notwendig
Für die rund 60.000 muslimischen Schülerinnen und Schüler in Hessen gibt es auch weiterhin keinen Religionsunterricht. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) kein geeigneter Partner dafür ist. Kultusministerin Karin Wolff freut sich, denn sie hat Zweifel an der Verfassungstreue der IRH. Sie stehe aber prinzipiell einer Einführung von islamischem Religionsunterricht »offen« gegenüber.
Solch unverbindliche »Offenheit« ist aber nicht genug. Denn das Grundgesetz schreibt Religion als ordentliches Lehrfach vor. Schon 1984 hat die Kultusministerkonferenz festgestellt, dass es neben evangelischem und katholischem eigentlich auch muslimisches »Reli« geben müsste. Passiert ist seither kaum etwas, in Hessen noch weniger als in anderen Bundesländern. Ein Armutszeugnis!
Schuld sind nach verbreiteter Auffassung die Muslime selber. Sie bekommen einfach keine gemeinsame Dachorganisation hin: Entweder sind sie national organisiert, oder sie sind politisch bedenklich, oder sie stehen nur für eine bestimmte theologische Richtung. In Wahrheit ist das Problem aber die in Deutschland vorherrschende Auffassung von »Religionsgemeinschaft«. Sie orientiert sich an der Struktur der christlichen Kirchen: Katholischerseits gibt der Papst vor, was rechtgläubig ist, evangelischerseits die (fast rein deutschen) Kirchenparlamente. Der Islam ist aber nun einmal anders verfasst. Er ist ausdifferenziert in verschiedene Strömungen und Richtungen, die zwar jede für sich klare Positionen haben – aber eben nicht für den Islam insgesamt sprechen können. Das gilt besonders in Deutschland, wo ja Muslime aus vielen verschiedenen Ländern leben.
Auf diese Besonderheit des Islam muss sich der Staat einstellen, anstatt immer nur mit dem Finger auf »die da« zu zeigen. Es wäre nämlich fatal, den Islamunterricht als Privileg für Musliminnen und Muslime misszuverstehen. Die ganze Gesellschaft hat ein vitales Interesse daran. Das Wissen über eine Religion, der ein so großer Teil der Bevölkerung angehört, darf nicht länger privaten, teilweise dubiosen Koranschulen vorbehalten bleiben, sondern muss von kompetenten muslimischen Lehrerinnen und Lehrern an staatlichen Schulen unterrichtet werden. Sie könnten auch helfen, die vielen Alltagsprobleme zu bewältigen, die das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Sitten und Kulturen mit sich bringt.
Dass es bei der Integration des Islam in historisch gewachsene Strukturen organisatorische Schwierigkeiten gibt, bezweifelt niemand. Das als Ausrede für jahrzehntelanges Nichtstun anzuführen, ist aber höchst fahrlässig. Unlösbar ist das Problem nämlich keineswegs, wie ein Blick ins Nachbarland Österreich zeigt. Dort ist der Islam längst selbstverständlicher Teil der Gesellschaft und natürlich auch der Schulen.
aus: Evangelisches Frankfurt, Nr. 6, Oktober 2005