Macht oder Autorität? Frauen in der Amtskirche
Ich bin seit 1985 Journalistin und kann mich noch genau daran erinnern, wie wir damals für eine inklusive Sprache gekämpft haben. Einer meiner Kollegen in der Redaktion schenkte mir eines Tages eine Schachtel Streichhölzer – der Grund war, dass ich ständig meine Feuerzeuge suchte – und darauf hatte er geschrieben: Streichhölzerinnen und Streichhölzer, Ausrufezeichen. Natürlich war ich empört, ich dachte, er macht sich über meine Bemühungen lustig.
Heute muss ich lachen, wenn ich daran zurückdenke. Was damals ein Skandal war und harte Kämpfe nach sich zog, der Ostergruß an die Leserinnen und Leser zum Beispiel, das ist heute selbstverständlich. Kein Bischof, kein Synodenpräses traut sich mehr auf die Rednerbühne, ohne vorher sorgsam alle »innen« in sein Manuskript hineinschreiben zu lassen. Unsere Ohren in der Kirche haben sich bereits dran gewöhnt, an die Pfarrerinnen sowieso, aber auch schon an die Bischöfin, die Kirchentagspräsidentin, sogar an die Jüngerin.
Dabei ist uns aber vielleicht eine Frage, ein Ärgernis verlorengegangen, um das vor 15 Jahren noch tatsächlich gerungen wurde: Die Frage nämlich: Wie hört sich das an? Wie hört sich das an, wenn wir von einer Kirchenvorsteherin sprechen? Was stellen wir uns unter einer Pfarrerin vor? Was spüren wir, wenn wir von einer Bischöfin träumen?
Heute ist uns diese Frage abhanden gekommen. Die Wortkombination »Pfarrerinnen und Pfarrer« ist praktisch ein einziges Wort geworden, und dieses Wort markiert nicht mehr die sexuelle Differenz, die es früher für mich hatte, wenn von »Pfarrer« die Rede war. Vor der inklusiven Sprache war immer irgendwie klar, dass das Amt des Pfarrers etwas ist, von dem ich mich unterscheide. Ob das gut oder schlecht war, darauf kommt es nicht an. Das Wort an sich hat mich dazu herausgefordert, mein Verhältnis dazu zu reflektieren.
Ich, eine Frau, will Pfarrer werden. Nein, ich will nicht Pfarrer werden, sondern ich will Pfarrerin werden. Das kann ich aber nicht, weil überall immer nur von Pfarrern die Rede ist, weil Pfarrerinnen nicht vorkommen in der Kirche. Dies etwa war doch unser Problem, damals, vor knapp zwanzig Jahren. Dies war das Problem von Frauen, seit es die Kirche und ihre Ämter gibt. Und feministische Theologie hat sich immer damit beschäftigt, wie mit dieser Problemanzeige umzugehen wäre, etwa bei Teresa von Avila, die immer darauf bestanden hat, dass diese Ämter sie, weil sie eine Frau ist, nichts für sie sind. Andere Frauen haben sich als Männer verkleidet, um in der Amtskirche aufzusteigen – ob es die Päpstin Johanna gegeben hat oder nicht, ist wissenschaftlich umstritten, sicher ist jedoch, dass es Frauen auf einer unteren Ebene immer wieder gelungen ist, ein Kirchenamt zu übernehmen, indem sie sich als Mann ausgaben. Das war sicher nicht angenehm, aber dem weiblichen Geist war immer klar: Sie muss sich verkleiden, um dahin zu kommen.
Dies alles wollten wir ändern, und wir dachten, wir fangen am besten bei der Sprache an. Heute frage ich mich manchmal, ob das nicht ein Fehler war. Weil wir so Gefahr laufen, dass uns etwas sehr kostbares dabei verloren gehen könnte: Das Bewusstsein der sexuellen Differenz.
In der Tat ist es ja die ausdrückliche Aufgabe des Wortkonstrukts«Pfarrerinnen und Pfarrer«, geschlechtsneutral zu sein. Die feministische Linguistin Luise Pusch, die Vorreiterin der Forderung nach inklusiver Sprache, hat dies häufig betont, sie hat sogar Vorschläge gemacht dafür, wie Wortneutren gefunden werden könnten, die kein Geschlecht mehr haben. Das Pfarrers. Wortneutren wurden auch in der Tat beliebt, weil man so die langen Ausdrücke kurz halten kann: Mitarbeitende statt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende statt Studentinnen und Studenten. Ein weiterer Schritt, damit die sexuelle Differenz, dieses große Ärgernis unserer Kultur, verschwindet. Oder zumindest doch unsichtbar wird und nicht weiter stört.
Der Traum war natürlich: Wenn wir die Ämter übernehmen, wenn wir Pfarrerinnen, Dekaninnen, Bischöfinnen werden, dann verändert sich auch die Kirche. Dann verändert sich auch das Pfarrerbild, dann verändert sich das Amt. Dann ist es nicht mehr dieser bärtige Mann, der den Stellvertreter Christi auf Erden mimt, sondern die kommunikative, vermittelnde Frau, oder zumindest doch genauso sie, die das Bild von »Pfarrerinnen und Pfarrern« prägt.
Das ist zum Teil sicher richtig. Zum Teil aber auch nicht. Sicher, es hat sich vieles verändert. Ich selbst spreche ja in der Tradition italienischer Philosophinnen davon, dass das Patriarchat zu Ende ist, und damit unter anderem auch die männliche Amtskirche. Frauen haben dem Patriarchat die Glaubwürdigkeit entzogen. Es ist für uns kein Maßstab mehr. Nur: Damit sind nicht alle Probleme gelöst. Sondern es sind neue entstanden. Frauen müssen nicht mehr um den Zugang zu Ämtern kämpfen, sie haben ihn. Und nun?
Eine Freundin von mir ist Pfarrerin in einer Frankfurter Stadtrandgemeinde. Sie betreut diese Gemeinde gemeinsam mit einem älteren Kollegen, der schon vom Äußerlichen her und dem Habitus nach ein typischer Herr Pfarrer ist, der auch schon viele Jahre lang in der Gemeinde war, als sie dort hin kam. Es war eine eingeschlafene Gemeinde, ohne Lebendigkeit. Ich hatte schon über zehn Jahre als Kirchenjournalistin in Frankfurt gearbeitet, aber von dieser Gemeinde und diesem Pfarrer hatte ich noch nie etwas gehört.
In den vier Jahren, seit meine Freundin dort Pfarrerin ist, hat sich das geändert. Die Gemeinde mischt sich ein im Stadtteil, es gibt Diskussionsveranstaltungen über das Zusammenleben der Kulturen, es gibt Abendgottesdienste, in denen neue Formen der Liturgie erprobt werden, es sind zahlreiche Gruppen und Initiativen entstanden. Inzwischen gibt es in fast jeder Ausgabe unserer Kirchenzeitung etwas aus dieser Gemeinde zu berichten.
Meine Freundin ist in ihrer Gemeinde sehr beliebt. Sie ist sehr kommunikativ, die Menschen mögen sie, sie kommen zu ihr mit ihren Nöten und Anliegen. Sie hat es sogar geschafft, als Lesbe akzeptiert zu sein und ihre Freundin ist schon fast so etwas wie eine Pfarrfrau. Sie hat die Kultur dieser Gemeinde verändert. Sie hat die Kirche lebendig gemacht, reformiert, und ganz eindeutig verbessert.
Es gibt viele ähnliche Beispiele. Dadurch, dass sich Frauen in der Kirche engagieren – mit oder ohne Ämter – hat sich die Kirche verändert. Das Patriarchat ist zu Ende. Das hat ganz banale Folgen. Als Journalistin bekomme ich das immer wieder mit: Zum Beispiel drehten wir letztes Jahr einen Film über die evangelische Kirche in Frankfurt. Wir überlegten: Welche Arbeitsfelder sind besonders interessant, typisch für die Stadt, innovativ, beispielhaft. Am Ende hatten wir zwölf Interviews vereinbart: Zehn mit Frauen und zwei mit Männern. Und neulich schrieb ich einen Artikel über das Thema »Wie müssen Pfarrer heute sein?« für eine Zeitung in Kurhessen-Waldeck, eine Landeskirche, die ich nicht kannte, weil ich aus Hessen-Nassau bin, und so fing ich an irgendeiner Stelle an und ließ mich weiterverbinden. Mit wem könnte ich noch sprechen? Wer könnte dazu etwas interessantes sagen? So fragte ich mich durch und stellte am Ende fest, dass ich fast nur mit Frauen gesprochen hatte.
Zurück zu meiner Freundin. Sie hat ein tolles Beispiel geliefert für den Erfolg, den es hat, dass Frauen in Ämter gegangen sind, sollte man meinen. Und ein tolles Beispiel dafür, wie viel Frauen erreichen können, wenn sie sich mit Engagement und Professionalität in ihren Beruf stürzen.
Aber trotzdem ist sie unzufrieden. Sie beklagt sich zum Beispiel häufig darüber, dass sie so viel Arbeit hat. Sie hat den Eindruck, alles in dieser Gemeinde hängt an ihr. Sie hat den Eindruck, sich um alles kümmern zu müssen, und in der Tat ist dies auch die Erwartung, mit der die Gemeinde auf sie zukommt. Ihr Kollege ruht sich derweil aus und lebt genauso gemütlich vor sich her, wie vorher. Trotzdem fällt natürlich auch etwas von dem neuen Glanz des Gemeindelebens auf ihn ab. Wer von außen durchschaut denn schon wirklich, wem dieser Aufschwung zu verdanken ist?
Die Pfarrerin also nimmt ihr Amt wahr, um in der Kirche etwas bewegen zu können. Sie nutzt die Möglichkeiten und Ressourcen, die Gelder und Strukturen, die die Kirche ihr als Pfarrerin bietet, um etwas zu bewirken, um etwas Neues in die Welt zu bringen, um Ideen umzusetzen. Und das gelingt ihr gut. Aber sie hat den Eindruck, dass ihr Amt sie nur so lange trägt, wie sie dieses Engagement auch aufbringt. Dieses Engagement, ihre Aufgeschlossenheit, ihre Authentizität, ihre Offenheit wird von ihr erwartet, und das setzt sie unter Stress. Der Pfarrer dagegen wird qua Amt akzeptiert. Nicht er trägt das Amt, sondern das Amt trägt ihn, weil er es hat, ganz unabhängig davon, wie er es ausfüllt und was er daraus macht. Er ist einfach der Pfarrer.
Ich will natürlich überhaupt nicht bestreiten, dass es auch engagierte Männer in kirchlichen Ämtern gibt. Und sicherlich gibt es in neuester Zeit auch Frauen, die ein Amt um des Amtes willen anstreben, auch wenn sie sehr selten sind, noch zumindest. Es geht mir um das Prinzip, das dahinter steht.
Ich schlage daher vor, in Gedanken, spielerisch sozusagen, die Worte Pfarrer oder Pfarrerin noch einmal neu zu definieren. Vielleicht erschließt sich ja ein Sinn, wenn wir dabei eine andere Differenz im Auge haben als die, welches biologische Geschlecht der oder diejenige, von dem die Rede ist, hat. Eine Pfarrerin könnte so also jemand sein, die (oder vielleicht auch der) sich im Beruf so verhält, wie meine Freundin, ein Pfarrer wäre jemand, der (oder vielleicht auch die) sich so verhält, wie ihr Kollege. Pfarrerin sein, das ist ein Mittel, ein Weg, um ein Ziel zu erreichen, um das eigene Begehren in die Welt zu bringen. Pfarrer sein, das ist Selbstzweck.
So gesehen hätten wir es also mit zwei verschiedenen Ämtern zu tun. Und ich glaube in der Tat, dass bei der Berufsentscheidung vieler Frauen dies mitschwingt, nicht nur, wenn es darum geht, Pfarrerin oder Pfarrer zu werden. Und diesmal meine ich das nicht als zusammenhängendes Wort, sondern tatsächlich als Alternative: Will ich Pfarrerin werden oder Pfarrer? Will ich Chefin werden oder Chef? Kann ich überhaupt Chefin werden? Oder muss ich nicht, um Chef zu werden, meine Ambitionen, Chefin zu sein, aufgeben? – dies ist bestimmt ein Grund dafür, warum viele Frauen zögern, Ämter und Leitungsfunktionen zu übernehmen. Und was bedeutet es also, wenn wir eine Bischöfin haben? Und haben wir an die Bischöfinnen, die es inzwischen gibt, nicht in der Tat die Erwartung, es mögen wirklich Bischöfinnen sein und nicht einfach Bischöfe weiblichen Geschlechts?
Viele Frauen, die in der Kirche Leitungsämter übernommen haben, klagen ja auch über den hohen Erwartungsdruck, der ihnen von ihren Geschlechtsgenossinnen entgegenschlägt. Sie müssen doch nun etwas für die Frauen tun. Hier wird Solidarität eingeklagt, und an diesem Anspruch und Selbstanspruch scheitern viele. Manche reagieren darauf, indem sie sich von dieser Solidarität explizit distanzieren, indem sie für sich einklagen, ein Funktionsträger wie alle anderen zu sein. Sie betonen, ihr Frau-sein spiele keine Rolle. »Die Versuchung des Neutrums« nennt das die italienische Philosophin Wanda Tommasi. Diese Versuchung ist für Frauen groß, denn es eröffnet ihnen tatsächlich den Weg in das bequeme Amt, so wie es die Männer bisher verstanden haben. Aber es bleibt natürlich unbefriedigend, weil sie auch ihr eigenes Begehren, ihre eigenen Wünsche klein halten müssen. Sie müssen sich funktionalisieren, professionalisieren, abgeklärt und cool sein, und das können sie natürlich auch. Aber befriedigend ist das nicht.
Andere dagegen nehmen diese Erwartung, diesen Anspruch, mit Frauen solidarisch sein zu müssen, für sich selbst an. Sie sehen sich selbst als Anwältinnen von Fraueninteressen und glauben, sie müssten als gute Feministin die Möglichkeiten und Ressourcen, die das Amt ihnen bietet, lediglich als Hilfestellung für die Interessen und Wünsche anderer Frauen nutzen – indem sie deren Projekte unterstützen usw. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind aber ebenfalls ihre eigenen Wünsche, ihr eigenes Begehren. Sie trauen sich nicht, an anderen Frauen Kritik zu üben und ihre Position als Persönlichkeit auszufüllen, weil sie Angst haben, damit die Solidarität der Basis zu verlieren.
Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Eine Möglichkeit, in dieser Amtskirche als Frau tätig zu sein, ohne das eigene Begehren klein halten zu müssen? Mein Vortrag hat ja den Titel: »Hunger nach Sinn – Frauen und Amtskirche ». Hunger nach Sinn haben meiner Beobachtung nach die meisten Frauen. Sie bestehen darauf, dass das, was sie tun, Sinn haben soll und dass die Umgebung, die Kirche in der sie tätig sind, Sinn machen. Es ist nicht so, dass Frauen einfach die gleichen Ambitionen haben, wie Männer, die Karriere machen. Sie gehen ihre berufliche Laufbahn nicht mit dem Ziel an, möglichst schnell aufzusteigen, viel Geld zu verdienen, ein dickes Auto zu fahren, und drei Sekretärinnen herumkommandieren zu können. Das ist meiner Ansicht nach auch da Problem vieler dieser Karriere-Ratgeber-Bücher für Frauen à la »Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin«. Diese Bücher geben Tipps und Ratschläge, wie Frauen innerhalb der Verhältnisse, so wie sie nun einmal sind, Karriere machen können. Das funktioniert, keine Frage. Aber meinem Eindruck nach ist es gar nicht das, was die meisten Frauen wollen (und übrigens auch nicht alle Männer). Frauen, die diesem Weg folgen, die Ellenbogen ausfahren und all das, die werden zwar das haben, was man innerhalb dieses Systems Erfolg nennt, aber ich bezweifle, dass sie zufrieden sind. Um dies zu tun, müssen sie ihr eigenes Begehren klein halten – das nach einer kommunikativen und entspannten Arbeitsatmosphäre, ihr Wunsch nach Gerechtigkeit, nach funktionierenden Beziehungen, ihre Freude über gelungene Projekte, die Sinn machen. Das Problem an diesen Büchern ist, dass Frauen eingeredet wird, diese Wünsche und Vorstellungen von einem guten Leben seien ein Zeichen ihrer Schwäche. Weil sie zu mitleidig sind, zu bescheiden, zu sehr auf andere hören, nicht genug von sich selbst überzeugt sind. Das sind aber nur aus der Sichtweise des Patriarchats Schwächen. Ich finde eher, Rücksichtslosigkeit, Beziehungsunfähigkeit, Egoismus, Unaufrichtigkeit sind Schwächen, und zwar solche, die man vor allem bei Männern findet, die Karriere machen und wichtige Posten innehaben. Es sind Unarten, die schädlich sind – für unsere Gesellschaft, für unsere Kirche.
Das Patriarchat ist aber glücklicherweise zu Ende, behaupte ich. Im Zusammenhang mit unserem Thema bedeutet das zum Beispiel, dass Frauen nicht mehr für den Zugang zu Ämtern kämpfen müssen, sie haben ihn – in der Kirche vielleicht noch mehr als anderswo in der Gesellschaft. Pfarrerinnen sind längst keine Seltenheit mehr und sogar von Bischöfinnen können wir schon in der Mehrzahl reden. Wir müssen uns nicht mehr an das System anpassen und alle unsere Tugenden, Eigenschaften, Begehren ablegen, stromlinienförmig werden, um etwas tun zu können. Bildhaft gesprochen: Wir müssen uns nicht mehr als Mann verkleiden, um überhaupt gehört zu werden. Ende des Patriarchats, das heißt nichts anderes als dass wir die Möglichkeit haben, zu überlegen, was wir eigentlich wollen, dass wir die Möglichkeit haben, darüber zu streiten, wie wir uns die Kirche und die Gesellschaft vorstellen und wie wir in ihr handeln wollen.
Das Verhältnis von Frauen zur Amtskirche nach dem Ende des Patriarchats stellt jede einzelne von uns vor zwei Fragen. Erstens: Wie verhalte ich mich selbst zu den Ämtern, die es in der Kirche gibt? Strebe ich sie an? Möchte ich sie verändern? Welchen Preis bin ich bereit, dafür zu bezahlen? Was verspreche ich mir davon? Das ist also die eine Frage: Welches Verhältnis nehme ich selbst zum Amt ein, wie nahe gehe ich ran und wie weit halte ich mich davon fern. Die Palette möglicher Antworten reicht von der grundsätzlichen Verweigerung – ich gehe nie in ein Amt, das ist nichts für Frauen (so sagten Frauen früher, zum Beispiel Teresa von Avila) bis hin zur ganz unreflektierten Anpassung an die Amtskirche – nach dem Motto: jetzt wo die Beschränkungen aus dem Weg geräumt sind, spielt der Unterschied zwischen Frauen und Männern keine Rolle mehr, wir müssen nur die Chancen nutzen und Leitungsfunktionen übernehmen, dann wird die Amtskirche auch eine Kirche für Frauen sein.
Die zweite Frage ist: Was erwarte ich von Frauen in Ämtern? Was erwarte ich von einer Bischöfin? Wie verhalte ich mich bei Interessenskonflikten zwischen mir und meiner Chefin? Was erwarte ich auch von mir selbst, wenn ich ein Amt habe? Wie gehe ich, eine Frau, mit der Macht um, die ich dadurch habe? Auch hier reicht die Palette wiederum von Vorstellungen, die auf jeden Fall Frauensolidarität einklagen bis hin zu denen, die bestreiten, dass es überhaupt einen Unterschied macht, ob es eine Frau oder ein Mann ist, der ein jeweiliges Amt bekleidet.
Ein Problem bei diesen Diskussionen ist meiner Ansicht nach, dass die Bedeutung der Geschlechterdifferenz oft falsch verstanden wird. Es wird übersehen, dass es nicht nur von unseren individuellen Wünschen und Absichten abhängt, ob wir als Frauen einfach wie die Männer das Amt mitsamt Geld und Ehre übernehmen wollen, oder ob wir ihm eine neue Bedeutung geben sollen. So einfach ist das nicht. Denn es gibt grundsätzlich einen gewissen Abstand gibt zwischen dem Frau-Sein und der Amtskirche. Alle Ämter der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft, und also auch die in der Kirche, sind historisch gesehen Männerämter, das heißt, sie entstanden zu einer Zeit der fixen Rollenaufteilung zwischen Frauen und Männern und basierten darauf, dass Frauen gerade nicht in diese Ämter gehen. Dieser Abstand zwischen Frau-Sein und Männerämtern hat Auswirkungen bis heute, die wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen müssen. Was sich geändert hat, sind die Zugangsbedingungen. Es wird aber nur so getan, als seien diese Ämter heute geschlechtsneutral. In Wahrheit hat sich an der Amtsstruktur ja nur wenig geändert, ein Umstand, der durch die inklusive Sprache, die überall mit Innen um sich wirft, nur verschleiert wird.
Es geht also um die Frage, wie wir mit der Tatsache, dass es diesen Abstand gibt, umgehen wollen, nicht darum, ob er uns gefällt oder nicht, ob wir ihn für uns akzeptieren oder nicht. Wenn es regnet, nützt es wenig, zu sagen, ich will aber, dass die Sonne scheint. Ich habe nur die Wahl, den Regenschirm aufzuspannen oder nass zu werden. Oder gar nicht erst raus zu gehen.
Auf der anderen Seite wird oft übersehen, dass, von Geschlechterdifferenz zu reden, nicht unbedingt bedeutet, dass man biologistische Festlegungen von der angeblichen Natur der Männer und der Frauen vornimmt. Im Gegenteil, es geht hier um eine kulturelle Differenz. Die Amtsstruktur ist eine Ausprägung der westlichen Kultur, die mit den bürgerlichen Vorstellungen von weiblich und männlich verbunden ist. Sie hat nichts oder zumindest nichts wesentliches mit der biologischen Tatsache zu tun, dass es zwei Geschlechter gibt. Insofern ist die Tatsache, dass es eine Differenz, einen Abstand gibt zwischen dem Frau-Sein und dem Männeramt, keine, die von Naturgesetzen abhängt, sondern sie betrifft die kulturellen Werte und Maßstäbe, an denen wir natürlich mitarbeiten und die sich prinzipiell auch verändern lassen. Eine Tatsache sind sie aber – vorläufig – dennoch. Und das ist nicht nur schlecht. Ich bin der Meinung, dass die kulturelle Tatsache der sexuellen Differenz in vielerlei Hinsicht wertvoll ist, jedenfalls zu wertvoll, um einfach so abgeschafft zu werden.
Wie wollen wir diese Kirche haben? Diese Frage ist nach dem Ende des Patriarchats offener denn je. Ja, erst wenn die Maßstäbe des Patriarchats keine Gültigkeit mehr haben in unserem Denken, erst dann können wir sie uns überhaupt stellen, denn interpretieren wir Frauen nicht mehr als Nicht-Männer. Frauen sind nicht das andere der Männer, sie sind nicht genauso wie Männer, sie sind nicht das komplementäre der Männer, also ihre Ergänzung. Der Punkt ist also, dass überhaupt nicht klar ist, was Frauen sind. Die gesamte westliche Kultur, Philosophie, Kunst hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, was ein Mann ist. Das ist die Tradition, die auch wir Frauen in der Schule und Universität gelernt haben. Wenn etwas über Frauen zu hören war, dann nur im Vergleich dazu – Frauen sind anders als Männer, genauso wie Männer, die Ergänzung der Männer. Wenn wir nicht mehr die Brille des Patriarchats aufsetzen, das heißt, wenn wir Frauen nicht mehr in ihrem Verhältnis zu den Männern betrachten, dann stellen wir fest, dass wir gar nicht wissen, was Frauen sind. Ich weiß nicht, was weiblich ist. Das einzige, was ich sicher weiß, ist, dass ich eine Frau bin. Wenn ich es also, genauso wie viele andere Frauen, ablehne, die Spielregeln und Maßstäbe der Männerkirche einfach so zu übernehmen, dann nicht deshalb, weil ich andere, weibliche Spielregeln und Maßstäbe im Kopf hätte, die ich stattdessen einführen will, sondern weil ich mir die Freiheit nehmen will, herauszufinden, was Frau-Sein bedeutet. Frauen haben keine gemeinsamen Interessen. Außer vielleicht dem, an einer Kultur mitzuarbeiten, eine neue symbolische Ordnung zu schaffen, sagen die Italienerinnen, in der es um diese Frage geht.
Das Problem an der Themenstellung »Frauen und Amtskirche« ist also, dass wir zwar ziemlich genau wissen, was die Amtskirche ist, aber nicht, was Frauen sind. Das eine können wir definieren und inhaltlich beschreiben, das andere nicht. Die Aufgabe besteht also zunächst einmal darin, eigene Maßstäbe zu finden, mit denen wir die Welt beschreiben können. Die Italienerinnen sprechen von einer neuen symbolischen Ordnung. Und in einem zweiten Schritt können wir dann vielleicht sehen, was das für unser Verhältnis zur Amtskirche bedeutet. Es ist also ein Prozess, der gerade erst beginnt, der mit dem Ende des Patriarchats begonnen hat, oder: der überall da beginnt, wo das Patriarchat zu Ende ist. Dafür gibt es nämlich keine historische Marke gibt. Man könnte es auch andersrum sagen: Überall da, wo die Suche nach eigenen Maßstäben in Gange ist, da ist das Patriarchat zu Ende – und so war es auch schon früher zu Ende, etwa bei den Klostergründungen der Teresa von Avila.
Darüber, wie diese Suche nach neuen Maßstäben funktionieren kann, denken Philosophinnen schon seit einigen Jahren nach, und zwei Punkte aus diesen Überlegungen möchte ich jetzt vortragen, weil sie speziell mit dem Thema Amtsstrukturen zu tun haben.
Der erste Punkt ist das Verhältnis von Macht und Autorität, ein Schwerpunktthema bei den italienischen Philosophinnen, der zweite Punkt ist das männliche Imaginäre, das sich in der westlichen Ämterkultur festgesetzt hat, und über das wir in unserer Flugschrift »Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn – über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik« geschrieben haben.
Weibliche Autorität ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Frage aufkam, wie es gelingen kann, die Wünsche, die Frauen an die Welt und an ihr Leben haben, mit der Realität, mit der Welt, so wie sie nun einmal ist, zusammenzubringen. Dabei machen sie sich den Umstand zu nutze, dass Frauen unterschiedlich sind. Es gibt Frauen, die haben ein »Mehr« als andere. Dieses Mehr kann ein mehr an Wissen sein, eine größere Fachkompetenz, ein mehr an Geld, an Möglichkeiten, an Ideen, an Lebenserfahrungen.
Zwischen einer Frau, die etwas begehrt, die etwas in der Welt realisieren will, die Ambitionen und große Wünsche hat, und einer Frau, die ihr gegenüber ein »Mehr« hat, kann eine Autoritätsbeziehung entstehen, wenn beide das wünschen. Die Frau mit dem »Mehr« willigt dann ein, Vermittlerin zu sein zwischen den großen Wünschen der anderen, und der Realität, der Welt, eine Vermittlung, die sie aufgrund ihrer größeren Erfahrung, ihrer Kompetenz oder worin auch immer ihr »Mehr« besteht, leisten kann. Die andere Frau willigt ein, sich dem Urteil und dem Rat dieser Frau anzuvertrauen – affidamento, das italienische Wort für »sich anvertrauen«, ist das Stichwort, unter dem diese Diskussion in Deutschland bekannt wurde.
Grundmuster für eine Beziehung, in der weibliche Autorität anwesend ist, ist die Beziehung zwischen Tochter und Mutter. Die Mutter »bringt die Tochter zur Welt«, das heißt, sie vermittelt zwischen ihr und der Realität. Wenn Beziehungen zwischen Ungleichen als solche verstanden werden, wo nicht Herrschaft, sondern Vermittlung aus dieser Ungleichheit folgt, dann ergibt sich ein anderes Menschenbild und ein anderes Verständnis von Hierarchien, als wir das aus der männlich-patriarchalen Philosophiegeschichte kennen. Die Italienerinnen sprechen von der symbolischen Ordnung der Mutter, die es uns ermöglich, zu verstehen, wie wir mit der Tatsache umgehen können, dass die Menschen verschieden sind. In der männlichen Philosophie werden Menschen vor allem als Vertreter unterschiedlicher Interessen gesehen, als autonome, prinzipiell unabhängige Wesen, die miteinander Verträge schließen, um ihre Interessen auszugleichen, und die Regeln, Gesetze und Hierarchien erfinden, damit sie sich nicht gegenseitig umbringen oder doch dauernd schaden. Das heißt, die Tatsache, dass die Menschen unterschiedlich sind, wird hier in erster Linie als ein Problem gesehen, für das man Abmachungen und Regelungen finden muss. Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Menschen nicht als autonome Wesen vom Himmel fallen, sondern eben von einer Mutter zur Welt gebracht werden, so heißt das, sie sind niemals autonom und unabhängig, sondern stehen von Anfang an in einer Beziehung, und zwar in einer Beziehung der Ungleichheit. Und diese Ungleichheit ist keineswegs ein Problem, sondern im Gegenteil die Grundvoraussetzung dafür, dass wir überhaupt in der Welt sein können. Denn wäre unsere Mutter uns gleich gewesen, hätten wir keine zwei Tage überlebt. Dass es Menschen gibt, die uns gegenüber ein »Mehr« haben, ist kein Ärgernis, sondern ein Glück, die Voraussetzung dafür, dass wir mit unseren Wünschen und Begehren in die Welt eintreten können.
Autorität, wenn sie so verstanden wird, ist also etwas ganz anderes als Macht. Beides sind Phänomene, um mit der Ungleichheit zwischen Menschen fertig zu werden. Macht ist eine äußerliche Sache, eine Kompetenz, die mir aufgrund einer Funktion zugesprochen wird, unabhängig von der jeweiligen Beziehungssituation. Macht ist mit Ämtern und Titeln verbunden. Autorität hingegen ist eine Beziehungsqualität. Ob es sie gibt, hängt davon ab, dass sie von beiden Seiten gewünscht und freiwillig anerkannt wird. Sie kann nicht in äußeren Zeichen festgehalten werden, sondern muss in jeder konkreten Situation neu ausgehandelt werden. Beides, Autorität und Macht, gibt es. Um die Welt zu verstehen, ist es wichtig, zwischen beidem unterscheiden zu können, zu sehen, wo Autorität im Spiel ist und wo es um Machtverhältnisse geht. Wenn diese Unterscheidung nicht gemacht wird, wenn alle Ungleichheitsverhältnisse als Machtverhältnisse interpretiert werden, entsteht ein schiefes Bild und ich verstehe nicht, was um mich herum, was in meinen Beziehungen geschieht.
Was das Potenzial zur Veränderung der Welt angeht, ist Autorität sehr wirkungsvoll. In den Beispielen, die ich genannt habe, den Frauen, die mir als Interviewpartnerinnen vermittelt werden oder meiner Freundin, die Leben in ihre Gemeinde gebracht hat, war weibliche Autorität am Werke. So verändert sich die Welt, werden interessante Projekte geboren, neue Wege beschritten. Aus diesen Beispielen kann man aber auch sehen, dass Autorität untrennbar mit der Person verbunden ist, die sie ausübt und der sie zugesprochen wird. Autorität muss immer wieder ausgehandelt werden und hängt davon ab, dass andere da sind, die mit ihren Begehren und Wünschen diese Autorität suchen.
Streng genommen ist Pfarrerin oder Bischöfin, so wie ich die Begriffe vorhin definiert habe, also gar kein Amt. Denn so, wie die Ämter in der patriarchalen Geschichte unserer Gesellschaft entstanden sind, waren sie gerade gedacht, um unabhängig von der jeweiligen Person zu existieren. Den Charakter indelibilis (oder so ähnlich) des katholischen Priesters hat man sogar explizit festgehalten – die Sakramente sind gültig, unabhängig von der persönlichen Integrität des Mannes, der sie austeilt. Ämter führen Befugnisse und Entscheidungskompetenzen mit sich, die unabhängig sind von der persönlichen Qualität desjenigen, der das Amt ausfüllt. Ämter haben mit Macht zu tun, sie sind etwas äußerliches, das einer Person zugesprochen wird. Sie müssen, wie das Beispiel des Pfarrers in der Gemeinde meiner Freundin zeigt, nicht speziell mit Sinn und Leben ausgefüllt werden. Man könnte sagen, dass Ämter und Macht geradezu Erfindungen waren, die dazu gedacht sind, mit dem Mangel an Autorität fertig zu werden. Denn was würde aus einer Kirche, in der Pfarrer keine Autorität haben, wenn dann nicht wenigstens noch die Macht übrig bliebe? In dem Stadtteil, in dem meine Freundin Pfarrerin ist, würde es nach zehn Jahren Regentschaft ihres Kollegen wahrscheinlich schon längst keine Gemeinde mehr geben, wenn er nicht das Amt und eine Amtskirche im Rücken hätte.
Betrachten wir mit diesen Überlegungen noch einmal die Geschichte von meiner Freundin in ihrer Gemeinde. Ihr Erfolg, so würde ich nun sagen, kommt daher, dass sie Autorität hat. Es ist nicht ihre Machtposition, mit der sie all diese Veränderungen zum Positiven bewirkt hat. Da sie aber gleichzeitig diese Machtposition auch hat, vergleicht sie ihre Situation unweigerlich mit der ihres Kollegen und stellt fest, dass sie dabei schlecht abschneidet. Er gibt sich mit der Macht des Amtes zufrieden und hat keine Ambitionen. Das ist zwar schlecht für die Gemeinde, aber er lebt ganz gut damit.
Das Unbehagen, das die Pfarrerin an ihrer Rolle hat, kommt aus der fehlenden Unterscheidung zwischen Macht und Autorität: Sie spürt, dass sie nicht als Amtsperson ihre Erfolge verbucht. Sondern nur deshalb, weil sie in konkreten Beziehungen Autorität zugesprochen bekommt. Und dass diese Position jederzeit neu ausgehandelt werden muss, dass alles immer von der freiwilligen Anerkennung der anderen abhängt. Diese Situation ist aus der Perspektive der Macht natürlich sehr unbefriedigend, weil anstrengend. Meine Freundin reagierte auch erst einmal mit Wut. Mit Wut auf ihren Kollegen, den sie als faul empfindet, als lethargisch und uninteressiert. Sie ärgert sich über ihre Gemeindemitglieder, die ihre Verdienste nicht würdigen. Aber sie weiß nicht, wie sie das ändern kann. Die Situation erscheint verfahren. Sie reagiert mit Forderungen – danach, dass er mehr Verantwortung übernehmen soll – ohne Erfolg natürlich, denn weder will ihr Kollege Autorität ausüben noch gibt es Leute, die so etwas bei ihm suchen.
Das Missverständnis liegt meiner Ansicht nach darin, dass meine Freundin Äpfel mit Birnen vergleicht, nämlich sich und ihren Kollegen, die Pfarrerin und den Pfarrer: Sie will die Befriedigung, die das Wirken von Autorität mit sich bringt, und sie will gleichzeitig die Bequemlichkeit und Ehre, die die Macht mit sich bringt. Ich will gar nicht sagen, dass das ein unmöglicher Wunsch ist. Vielleicht ist es ja tatsächlich möglich, Macht und Autorität gleichzeitig zu haben, aber beides hängt nicht miteinander zusammen. Man kann es zufällig gleichzeitig haben, so wie man ein Buch und ein Paar Inline-Skater gleichzeitig haben kann. Aber man sollte nicht von dem Buch erwarten, dass man damit durch die Straßen rollen kann.
Wenn mir Autorität zugesprochen wird, dann kann ich nicht erwarten, dass ich dafür mit Titeln, Geld und Würden überhäuft werde. Wenn ich das will, muss ich tun, was man in der Logik der Macht dafür tut – Namensschilder mit Doktortitel an die Tür hängen, meine Zeit nur noch mit einflussreichen Leuten verbringen, Arbeiten, die keine Ehre bringen, unerledigt lassen und so weiter. Halt all die Ratschläge befolgen, die in diesen schrecklichen Böse-Mädchen-Büchern drinstehen. In dieser Hinsicht nützt es rein gar nichts, wenn ich Autoritätsbeziehungen aufbaue. Davon würden mir diese Ratgeberinnen vehement abraten. Wenn ich aber »Hunger nach Sinn« verspüre, wenn es mir um die Sache geht, dann ist Autorität der richtige Weg. Macht ist etwas für Leute ohne inhaltliche Ambitionen. Das Problem, die Ungleichheit zwischen meiner Freundin und ihrem Kollegen besteht darin, dass sie etwas vermisst, er aber nicht. Sie will zwar Macht, aber sie will auch Autorität. Ihr Kollege nicht. Er will vor allem seine Ruhe.
Das bedeutet, wenn wir uns einer neuen symbolischen Ordnung anvertrauen wollen, wenn wir weibliche Autorität stärken wollen – nicht aus einer ominösen Frauensolidarität heraus, sondern weil wir unseren »Hunger nach Sinn« stillen wollen, weil wir uns nicht mit Amt und Würden zufrieden geben, die die Amtskirche ihren treuen Dienern zur Belohnung bereit hält – dann laufen wir innerhalb solcher Strukturen Gefahr, den Kürzeren zu ziehen. Deshalb müssen wir diese Machtstrukturen in Frage stellen.
Allerdings nun nicht mehr so, dass wir kleinen und ohnmächtigen Opfer uns zusammenschließen und gegen die böse Macht anrennen. Mit weiblicher Autorität haben wir ein viel besseres Mittel zur Hand. Zum Beispiel: Wenn ich mich in Freiheit an die Autorität einer anderen Frau binde, dann werde ich frei von dem Urteil der Mächtigen – und die Mächtigen meint in diesem Fall: Die Mehrheit, die Konventionen, das Übliche. Seit ich mich in meinem Denken an die Autorität zum Beispiel von Luisa Muraro gebunden habe, bin ich zum Beispiel frei davon, was die männlichen Philosophen über meine Texte sagen würden. Konkret gesagt: Ich stelle mir nicht mehr vor, was mein ehemaliger Professor zu diesem Vortrag sagen würde, sondern ich stelle mir vor, was Luisa dazu sagen würde. Das heißt keineswegs, dass ich ihr nicht widersprechen würde, und das heißt natürlich auch nicht, dass das nächstes Jahr auch noch so sein muss. Aber: Obwohl Luisa Muraro mir noch nie eine Note gegeben hat und – jedenfalls mir gegenüber – über keinerlei Macht verfügt, hat in meinem Denken viel mehr bewirkt, als alle meine Uniprofs zusammen. Wenn ich mich in Freiheit an Autoritätsbeziehungen binde, dann kann ich dadurch zwar keine Macht bekommen, aber ich werde frei, mich Machtstrukturen zu entziehen.
Und, wie die italienische Philosophin Chiara Zamboni sagt: Wenn ich mein Verhältnis zur Welt verändere, dann verändert sich auch die Welt. Wenn Frauen, immer mehr Frauen, andere Maßstäbe haben, um ihr Handeln in der Welt zu beurteilen, dann werden die anderen, patriarchalen Strukturen an Macht verlieren. Ja: Für mich haben sie ihre Macht in diesem Moment schon verloren.
Nur gegen die äußeren Ungerechtigkeiten hilft das natürlich nicht sofort, sie bestehen erst einmal weiter. Solange wir also in Strukturen arbeiten und leben, in denen es Macht und Hierarchien gibt, ist die Wut und Unzufriedenheit meiner Freundin berechtigt. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten, zu handeln.
Eine Möglichkeit wäre es zum Beispiel, neu über den Sinn von Dankbarkeit nachzudenken. Wenn eine Frau für mich Autorität hat und mich dadurch weiterbringt, dann empfinde ich Dankbarkeit. Diese Dankbarkeit möchte ich ausdrücken, sie lässt sich nicht mit Geld und Ehre bezahlen. Dass ich dankbar bin, ist kein Äquivalent, das Verhältnis ist weiterhin ungleich. Ich bezahle meine Schulden nicht, sondern ich mache sichtbar, dass ich einer anderen etwas schulde. Aber ich möchte es öffentlich ausdrücken und nicht stillschweigend einheimsen. Ich möchte sie teilhaben lassen, an dem Erfolg, den das hatte. Vielleicht wäre das ein Tipp, den ich meiner Freundin einmal sagen sollte: Kann sie irgendwie Dankbarkeit einklagen? So wie meine Mutter, die mir immer – und zwar völlig zu recht – Undankbarkeit vorgeworfen hat, und der ich heute aus vollem Herzen Danke sagen kann, danke, dass du mich zur Welt gebracht hast? Das Nachdenken über Dankbarkeitsrituale unter Frauen wäre auch noch ein Projekt, an dem wir weiter überlegen sollten. Wem bin ich dankbar? Und: Wer müsste mir eigentlich dankbar sein? Dankbarkeit als eine Form der Rückerstattung, die nicht als Bezahlung gemeint ist, im Sinne von: Ich bezahle dich, damit ich dir nichts mehr schulde, sondern im Gegenteil: Ich erkenne meine Abhängigkeit an, ich erkenne dein »Mehr« an, und ich bin dir dankbar dafür. Denn: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass meine Freundin all das für die Gemeinde tut, was sie tut. Von Amts wegen wird das nicht von ihr erwartet – was das Beispiel ihres faulen Kollegen ja anschaulich beweist. Dankbarkeit ist deshalb durchaus etwas, das ich einklagen kann und auch sollte: Erstens geht es mir dann besser, zweitens verändert sich die symbolische Ordnung, wenn sichtbar gemacht wird, wie wichtig weibliche Autorität ist und was sie alles bewirkt. Und noch etwas: Wenn die Dankbarkeit ausbleibt, kann ich der Betreffenden auch meine Autorität entziehen. Ich bin nicht dazu verpflichtet, anderen weiterzuhelfen und Ratschläge zu erteilen, sie zu fördern und zu unterstützen. Es geht eben gerade nicht um Solidarität, sondern darum, dass zwei Frauen etwas miteinander aushandeln.
Die Zeit reicht heute nicht aus, um das Konzept der weiblichen Autorität umfassend darzustellen. Aber schon mit dieser Unterscheidung können wir an die oben angesprochenen Fragen herangehen: Wenn ich ein Amt übernehme – erhoffe ich mir davon Autorität? Dann kann ich es gleich vergessen. Erhoffe ich mir davon die Möglichkeit, mit bestimmten Menschen in Kontakt zu kommen, um möglicherweise Autoritätsbeziehungen aufbauen zu können? Das kann in der Tat der Fall sein. Und andersrum: Was suche ich in der Frau, die Bischöfin oder meine Chefin ist? Spreche ich ihr Autorität zu? Dann muss ich bereit sein, mit ihr in eine inhaltliche Auseinandersetzung gehen, muss das »Mehr«, das sie mir gegenüber hat, anerkennen und mich ihrem Urteil anvertrauen, muss mich also von ihr abhängig machen. Oder will ich von ihr nur Geld und Unterstützung für mein Projekt, obwohl ich sie inhaltlich eigentlich für schwach halte? Dann verhandle ich mit ihr als Machtperson. Mir jedenfalls hilft die Unterscheidung zwischen Macht und Autorität im Umgang mit Alltagssituationen, gerade auch im Bereich der Amtskirche, in der ich selber arbeite, ganz häufig weiter.
Der zweite Punkt, von dem ich sprechen möchte, ist das, was wir das männliche Imaginäre genannt haben. Während wir grade beim Schreiben der Flugschrift waren, das war 1998, gab es die neue Regierungsbildung in Deutschland. Uns ist aufgefallen, dass die Diskussionen darum, ob Frauen Ämter bekommen sollen oder nicht, ganz anders lief, als früher. Zum Beispiel beim Besetzen der drei grünen Ministerämter. Eigentlich besetzen die Grünen ja Ämter immer abwechselnd mit einer Frau und einem Mann, bei ungraden Zahlen zuerst mit einer Frau. Nun war es aber anders, und warum? Nicht weil es nicht genügend qualifizierte Frauen gegeben hätte, sondern: Weil Fischer und Trittin beide unbedingt Minister werden wollten. Gleiches vollzog sich bei der Besetzung des Amtes des Bundespräsidenten, auch hier gab es einen Mann, Herrn Rau, der beleidigt gewesen wäre, wenn er leer ausgegangen wäre. Die Nichtberücksichtigung der Frauen für wichtige Ämter wurde also nicht mehr mit ihrer mangelnden Fachkompetenz begründet, sondern mit der fehlenden persönlichen Reife der Männer – man kann es den Armen doch nicht zumuten, den Kürzeren zu ziehen.
Dieses Beispiel zeigt sowohl den Erfolg als auch die Grenzen der bisherigen Strategie der Frauen, nämlich mit Fachkompetenz den Zugang zu Ämtern zu erreichen. So, wie sich Männer und Frauen im öffentlichen Raum der Politik und der Kirche derzeit präsentieren, gibt es einen bedeutsamen Unterschied im Umgang mit Professionalität und Kompetenz: Für Frauen wird Professionalität zum Selbstzweck, während sie für Männer eher Mittel zum Zweck ist. Frauen sind immer noch dabei zu beweisen, dass sie die Funktion, in die sie gewählt wurden, als Frau auch ausfüllen. Sie machen, wie man so sagt, »die Hausaufgaben«, und sie machen sie gut. Darin liegt aber die Gefahr, dass sie sich auf die Funktion reduzieren lassen, das heißt, sie akzeptieren die Grenzen ihres Amtes, anstatt es primär als Persönlichkeit auszufüllen. Ich glaube, das liegt gerade auch an der kulturellen Differenz, von der ich vorhin sprach, an dem kulturellen Abstand zwischen dem Frau-Sein und dem Männeramt. Männer empfinden diesen Abstand nicht, sie fühlen sich, oft sogar noch, wenn sie unterqualifiziert sind, in dem Amt zuhause. Daher kümmert es sie auch weniger, was das Amt ihnen an Grenzen und Vorschriften auferlegt – sie sind es ja, sie sind das Amt, sie sind der Pfarrer, sie sind der Bischof. Frauen dagegen begeben sich in die Rolle des Bischofs, des Pfarrers, und daher sind sie unsicher, wenn es darum geht, die Grenzen der Funktion zu überschreiten. Sie befürchten, sich damit dem Vorwurf auszusetzen, als Frau eben doch nicht die Richtige für diesen Posten zu sein. Daher bleiben sie als Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit meinst blass, erscheinen als Neutrum oder als ungeschickt, wie wir es derzeit am Beispiel von Angela Merkel sehen.
Männer dagegen nutzen öffentliche Ämter und Funktionen, genauso wie den Bereich der beruflichen Tätigkeit, um sich ihre männliche Größe zu spiegeln. Deshalb stößt die Politik der Frauenförderung auch auf so anhaltenden Widerstand, das hat nicht nur mit konkreten materiellen und Macht-Interessen zu tun. Es geht um das männliche Imaginäre: Männer verteidigen Männer-Räume, weil sie ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Männlichkeit unter Männern zu spiegeln.
Solche Räume gibt es auch anderswo. Haben Sie schon mal versucht, mit einem Mann über Fußball zu diskutieren oder ihm zu erklären, was an Ihrem Motorrad kaputt ist? Das kann eine Frau vergessen – jedenfalls wenn es um Männer geht, die diesen Bereich für sich als männliches Imaginäres besetzt haben. Diese Situationen machen anschaulich, worum es hierbei geht. Es ist absurd, unlogisch, aber es ist so: Fachkompetenz und Rationalität spielen dann keine Rolle mehr, und deshalb lässt frau es besser und verdreht die Augen.
Was beim Beispiel Fußball noch harmlos ist – sollen sie doch unter sich bleiben im Stadion – ist im Bereich der Politik jedoch fatal. Deshalb muss es darum gehen, diese Doppelfunktion von Politik und Wirtschaft, nämlich unsere Gesellschaft zu regeln und gleichzeitig Männerraum sein, aufzubrechen. Ansonsten wird eine Tendenz weitergehen, die unter dem Stichwort »Politikverdrossenheit« bereits benannt wird, und die dazu führt, dass das Parlament irgendwann dieselbe Bedeutung haben wie Fußball, nämlich keine große, jedenfalls für die Allgemeinheit. Wenn aber Frauen sich auf diesem Parkett bewegen, dann müssen sie damit rechnen, dass es ihnen geht, wie einer, die sich mit Männern auf eine Diskussion über Fußball einlässt. Es ist ein hartes Geschäft und nahezu aussichtslos. Zu wissen, dass etwas unmöglich ist, oder dass mein Misserfolg nicht an mir liegt, hilft schon einmal weiter.
Was können wir in einer solchen Situation tun? Wir haben gesehen, dass es nichts hilft, in solchen Ämterstrukturen immer mehr Professionalität und Sachkompetenz anzuhäufen. Besser ist, sich diese Auswirkungen des männlichen Imaginären bewusst zu machen und auch öffentlich darüber zu sprechen. Denn es geht nicht nur um unser Fortkommen, sondern um die Institution überhaupt. Institutionen, die als Räume des männlichen Imaginären missbraucht werden, laufen früher oder später nämlich Gefahr, die Bedeutung von Fußball zu übernehmen – sie werden für das Allgemeine irrelevant. Im Bereich der Politik ist dieser Prozess längst im Gange, und in der Kirche auch. Deshalb ist es wichtig, diesen Prozess offen zu legen. Nicht im Interesse der Frauen müssen sich die Institutionen davon verabschieden, nur Männerraum zu sein, sondern in ihrem eigenen Interesse. Sie haben das auch zum Teil schon verstanden und Frauenförderpläne usw. verabschiedet.
Eine andere Folge davon, sich des männlichen Imaginären bewusst zu sein, ist die Möglichkeit, an bestimmten inhaltlichen Punkten Koalitionen mit Männern einzugehen. Nicht alle Männer nutzen die Orte des männlichen Imaginären. Weil sie die Männlichkeit der anderen aber nicht bedrohen, können sie dort manchmal mehr erreichen, als ich, eine Frau. Und daher lohnt es sich vielleicht, an bestimmten Punkten mit ihnen zusammen zu arbeiten. So wie ich einen Mann mit meinem Motorrad in die Werkstatt schicke, wenn es kaputt ist. Der kann viel weniger Ahnung davon haben, als ich, aber er verschafft meinem Anliegen Gehör. Eine ähnliche Erfahrung habe ich in einigen Redaktionen gemacht, für die ich als Journalistin arbeite. Auch Redaktionen sind nämlich häufig Orte des männlichen Imaginären. Wenn ich als Frau da eine Neuerung, etwas Unübliches und Revolutionäres vorschlage, habe ich wenig Aussicht auf Erfolg. Als Frau muss ich mich im Mainstream bewegen, wenn ich mich dort halten will. Daher habe ich mich darauf verlegt, meine Vorschläge und Überlegungen und Ideen den Männern zu erzählen, die das vielleicht in den Konferenzen durchsetzen. Natürlich geht das nur in Fällen, wo es mir um den Inhalt selber geht und nicht um die damit verbundene Ehre und Anerkennung. Aber es macht mir auch weniger Stress.
Eine solche Strategie sollte aber immer mit dem Projekt der Stärkung weiblicher Autorität verbunden sein und damit auch mit einer Kritik an den bestehenden Machtstrukturen, sonst läuft sie Gefahr, nur das Bestehende zu bestätigen. Ob und wie das gelingt, muss im Einzelfall entschieden und beurteilt werden. Eine gute Möglichkeit, jedenfalls hat sich das für mich bewährt, ist es, immer und jederzeit deutlich zu machen, dass ich eine Frau bin. Das bedeutet: Die sexuelle Differenz zu markieren, ohne sie gleich zu interpretieren. Also nicht zu sagen: Wir Frauen wollen oder die Frauen brauchen, sondern ganz einfach: Ich, eine Frau, sage und tue das.
Wenn eine Frau ihr Verhältnis zur Amtskirche bestimmt, dann gibt es keine klare Antwort, was sie tun soll oder nicht. Ob sie in ein Amt geht oder nicht, ob sie die Ämter bekämpft oder nicht, all dass muss im konkreten Fall verhandelt und entschieden werden. Verhandelt mit den anderen, mit meinen Kolleginnen und Kollegen, mit den Chefs und Chefinnen, mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und, und das ist das wichtigste, ich muss es verhandeln zwischen mir und mir selber: Welchen Preis bin ich bereit zu bezahlen? Was ist mir wichtig, was will ich erreichen? Wieviel Zeit und Engagement will ich aufbringen? Wie wichtig sind mir Macht und Ehre und Geld (das darf durchaus wichtig sein)? Wo finde ich weibliche Autorität, Frauen, die ein »Mehr« haben? Wem gegenüber sollte ich meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen und wer müsste mir eigentlich dankbar sein?
Dies sind einige der Fragen und Perspektiven, unter denen wir unser Verhältnis zur Amtskirche im Alltag bestimmen können. Was Sie von mir nicht hören werden, sind Ratschläge wie: Frauen müssen mehr Ämter übernehmen, Frauen dürfen auf keinen Fall Ämter übernehmen, Frauen müssen solidarisch sein, Frauen sind anderen Frauen gegenüber nicht verpflichtet, nur weil es Frauen sind, und so weiter. Denn wir sind in diesem Meinungsbildungsprozess unter Frauen mitten drin. An dessen Ende stehen vielleicht neue Maßstäbe von Kirche, aber sicher nicht eine einheitliche Meinung davon, was wir tun und lassen sollen. Frauen haben unterschiedliche Meinungen und werden sie immer haben. Und ich als Anarchistin habe eine bestimmte politische Meinung und lehne Institutionen und Ämter ab, aber nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich eine Frau bin mit einer bestimmten Weltanschauung, über die ich mich gerne jederzeit streite, von der ich aber heute nicht sprechen will, weil es mir darum geht, zu zeigen, was gegenwärtig passiert, auf welcher Grundlage wir uns streiten sollen.
Auch Teresa von Avila hat dazu schon eine Meinung gehabt, denn sie hat sich auf ihre Rolle als Frau beschränkt und ausdrücklich abgelehnt, mit den Männern um Lehrämter zu konkurrieren und sie zu kritisieren. Christine de Pizan hat das ganze christliche Lehrgebäude kritisiert und ihm eine andere Weltanschauung entgegengestellt. Katharina von Bora hat einen Kirchenreformer geheiratet und ihm den Rücken freigehalten, um den Preis, selber als Hausfrau festgenagelt zu werden. Frauenrechtlerinnen haben, auch in der Kirche, um Zugang um Ämter gekämpft. Andere sind wegen dieser patriarchalen Strukturen aus der Kirche ausgetreten. All diese Auseinandersetzungen sind Teil unserer Suche danach, wie wir unser religiöses und spirituelles Leben führen wollen. Es geht nicht darum, diese Positionen auf einen Nenner zu bringen, um dann eine »Frauenmeinung« zu dem Thema zu haben, sondern es geht darum, diesen Streit, diese Auseinandersetzung zu führen, aber mit den Maßstäben, die unser eigenes Begehren uns dafür bietet.
Im Rahmen einer neuen, einer weiblichen symbolischen Ordnung ist es deshalb auch nicht das Ziel eines frauenbewegten Denkens und einer frauenbewegten Politik, eine einheitliche Position im Bezug auf die Amtskirche zu finden. Sondern es geht darum, dass jede an dem Ort, an dem sie ist und den sie für sich gewählt hat, an dieser neuen symbolischen Ordnung weiter arbeitet: Indem ich mit anderen Frauen die Auseinandersetzung darüber führe, welche Kirche wir wollen, und zwar unabhängig davon, ob diese ein Amt hat oder keines hat, und unabhängig davon, ob ich ein Amt habe oder keines habe.
Wichtig ist nur, dass wir unser Begehren nicht klein machen, dass wir unseren Hunger nach Sinn nicht verlieren. Weder durch die Ansprüche der Amtskirche mit ihren Gesetzen und Konventionen, noch durch die Ansprüche eines ominösen »Wir« der Frauen, das uns Solidarität abverlangen will. Die Anerkennung weiblicher Autorität ermöglicht es uns, ein ein realistisches Verhältnis zu den gegebenen Realitäten der Männerkirche einzunehmen. Ein Verhältnis, das deren Unbeweglichkeit – als Überbleibsel aus dem Patriarchat und als Ort des männlichen Imaginären – nicht unterschätzt und das gleichzeitig aber nicht den Anspruch aufgibt, über die Grenzen der Männerkirche und ihrer Ämter hinauszugehen.
Vortrag beim Konvent Evangelischer Theologinnen der Hannoverschen Landeskirche am 15.9.2001.