Antje Schrupp im Netz

Blicke in parallele Welten

Frauen und Science Fiction

»

Manchmal ist es ganz schön schwierig«, stöhnte meine Freundin kürzlich, »in dieser anderen Welt die eigenen Werte und Maßstäbe nicht aus den Augen zu verlieren.« Meine Freundin hat Karriere gemacht, mit gutem Geld, Dienst­­wagen mit Fahrer und allem, was dazu gehört. Jeden Morgen schmeißt sie sich in Kostüm und Pumps, um bei einem Spiel mitzuspielen, das eigentlich gar nicht ihres ist. Man könnte auch sagen: Sie taucht in ein Paralleluniversum ein. Sie geht hinüber in eine Welt, die zwar genauso aussieht, wie die, in der ich lebe, die aber trotzdem ganz anders ist: Es gibt dort zum Beispiel viel weniger Frau­en und viel mehr Män­ner, die Menschen tun dort andere Dinge, halten Meetings und Konferenzen ab, sie essen (so stelle ich es mir jedenfalls vor) Kaviar­häppchen und dergleichen. Nur wenige Menschen können zwischen den Wel­ten hin- und herwandern, so wie meine Freundin. Ihr macht das Spaß, besonders wenn sie dabei etwas bewegen kann, was durchaus vorkommt. Trotz­dem: Es ist auch jetzt noch, nach zehn Jahren, eine andere Welt geblie­ben. Die »eigentliche« Welt, ihr »richtiges« Universum sozusagen, das ist hier bei uns.

An meine Freundin musste ich denken, als ich kürzlich eine Geschichte der ameri­ka­nischen Science Fiction-Autorin James Tiptree Jr. (alias Alice Sheldon) las. Sie handelt von einer Frau, die voller Zuversicht und Freude durch das Chicago einer fernen Zukunft läuft. Einer Zukunft, in der es keine Gewalt, keine Abgase, keine Männer, keinen Lärm und keine Hektik mehr gibt. Aber manchmal wird ihr schwindlig, manchmal hat sie Halluzinationen, und dann ist sie plötzlich mit einer anderen Realität konfrontiert, einer, in der sie keine freie, starke Frau ist, sondern eine depressive Vorstadtmutter, die völlig den Verstand verloren hat. Wer ist diese Frau? Ist sie verrückt? Oder ist sie einfach nur ein Wesen aus einer anderen, vielleicht besseren Welt?

Dazu würde jedenfalls passen, was die italienische Philosophin Luisa Muraro in einem Aufsatz geschrieben hat, dem sie den Titel »Frauen aus der anderen Welt« gab. Darin zieht sie eine Bilanz der Frauen­bewegung am Beginn des 3. Jahrtau­sends und kommt zu dem Schluss, dass trotz aller Erfolge und Anstren­gungen das weibliche Begehren »unübersetzbar« bleibt, dass es sich nicht über­­tragen und einordnen lässt in die Regeln und Handlungs­möglichkeiten dieser, von tausenden Jahren Patriarchat geprägten Welt. Das würde erklären, warum meine Freundin sich trotz aller Professionalität in jener Welt der Krawat­ten nicht wirklich zuhause fühlt. Natürlich gibt es längst – die Emanzipation hat’s möglich gemacht – »Überläuferinnen«. Das Überwechseln, sogar das Hin- und Herpendeln zwischen den Welten, der »realen« Welt der Män­ner und der »anderen« Welt der Frauen, ist möglich. Was aber nicht zu funktionieren scheint, das ist die gleichzeitige Anwesenheit in beiden Welten. Es sind eben parallele Welten, das heißt, sie laufen nebeneinan­der her und es gibt keine Be­rüh­rungs­punkte. Es gibt nur entweder-oder.

Science Fiction-Leserinnen wissen das. Geschichten von Paralleluniversen, die unabhängig voneinander existieren und jeweils nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten realisieren, gehören dort zum Standard, ebenso wie Abenteuer mit Raum-­Zeit-Verschiebungen, in denen Übergänge in solche anderen Welten in Aus­­nahmefällen doch möglich werden. Wenn sich Raumschiffe auf den Weg machen, um »fremde Welten, neue Lebensformen und unbekannte Zivilisationen« zu erforschen, wie es im Vorspann zu Star Trek heißt, der wohl populärsten SF-Serie aller Zeiten, dann lässt das spannende Begegnungen mit allen möglichen »Anderen«, Fremden, Aliens erwarten. Natürlich wimmelt es auch im Weltall von unsympathischen Typen, die sich selbst kurzerhand zur Norm erklären – der erwachsene, weiße Mann von der Erde ist da kein Einzelfall. Doch in den Weiten des Universums oder der fernen Zukunft werden die Karten immer wieder neu ge­mischt, kann das Unglaubliche geschehen, wird jede Norm über kurz oder lang obsolet. So stellt der SF eine extrem spannende Frage, von der auch die Frauen­bewegung immer wieder inspiriert wurde: Was wäre wenn?Es ist die Infrage­stellung der Norm, das Spiel mit anderen Möglichkeiten, das den Reiz des SF aus­macht: Was wäre, wenn man Roboter und Menschen nicht mehr auseinander halten könnte? Was wäre, wenn wir außerirdisches Leben träfen?

Natürlich existieren all diese Sterne und fremden Wesen nicht wirklich. SF-Geschichten sind Erfindungen, geschrieben von Erdenmenschen, und das schlägt sich nieder. Abertausende Titel gibt es, und die meisten davon sind ausgesprochen schlecht: »Primitive Geschichten, manchmal grotesk und oftmals umwerfend armselig in ihrer Phantasie«, so lautet das vernichtende Urteil der Literaturwissenschaftlerin und SF-Autorin Johanna Russ, vom kläglichen Frauenbild ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass Science Fiction bei Frauen nicht sehr beliebt ist. Aber es gibt hier eine gar nicht mal so kleine und überaus feine weibliche Tradition zu entdecken, die die Grundfrage des SF nutzt, um überkommene Geschlechterrollen in Frage zu stellen: Was wäre zum Beispiel, wenn es keine Geschlechter gäbe? Oder wenn die Frauen das Sagen hätten?

Darüber hinaus hat das Genre aber noch mehr Aufschlussreiches für eine feministische Reflexion der Geschlechterdifferenz zu bieten: Ein Science Fiction ist ein »Gedankenexperiment«, schreibt Ursula K. Le Guin, eine Pionierin der femini­stischen SF-Literatur, »ein Spiel, dessen Regeln sich ständig ändern.« Das unter­scheidet SF von »ernsthaften« politischen Utopien, die meist einen realisierbaren gesellschaftlichen Idealzustand entwerfen wollen. Im SF dagegen geht es nicht darum, feste oder gar optimale Szenarien zu erfinden, sondern darum, mit anderen Möglichkeiten zu experimentieren. So zu tun, als ob. Und dabei öffnet sich in der Tat eine faszinierende Fülle von parallelen Welten, die bevölkert sind mit Männern und Frauen, mit androgynen Wesen, mit Robotern und kleinen grünen Männchen, mit Zeitreisenden, intelligenten Einzellern und ähnlich unwahrscheinlichen Lebens­formen. Und egal ob sie aus der Feder einer feministischen Autorin oder eines kon­­­­­ventionellen Autoren stammen: Letztlich schlagen sie sich alle mit Fragen der Di­ffe­renz herum. Ihre »Experimente« sind für die feministische Theoretikerin der Erde äußerst interessant, denn die Grenzen ihrer Welten sind nicht von dem defi­niert, was machbar oder »realistisch« ist, sondern allein von der Vorstellungs­kraft ihrer Autorinnen und Autoren.

Game loaded: Frauen und Aliens

Dass Frauen in gewisser Weise Aliens sind, diese Einsicht ist ja eigentlich nichts Neues. Als Gene Roddenberry 1964 den Pilotfilm zu Star Trek drehte, be­setzte er den Kapitän seines Raumschiffs Enterprise zwar ganz konventionell mit einem weißen Mann. Die »Nummer Eins« jedoch, der erste Offizier also, war eine Frau, und die »Nummer Zwei« ein Außerirdischer, nämlich Spock vom Planeten Vulkan . Dem Fernsehsender NBC waren das jedoch zu viele Aliens auf der Kom­man­dobrücke – bekanntlich blieb der Vulkanier Spock mit seinen spitzen Ohren der Serie erhalten, die weibliche »Nummer Eins« dagegen wurde gestrichen. Es spricht also einiges dafür, dass in den Augen weißer Normal-Männer die Frauen sogar größere Aliens sind, als echte Außerirdische.

Aber man kann das Ganze auch andersherum sehen: Was wäre, wenn nicht die weibliche »Nummer Eins« auf der Brücke der Enterprise das Alien wäre, son­dern die Fernsehmacher aus den NBC-Studios? Was wäre, wenn nicht die Frauen mit ihrem »verrückten« Begehren Wesen von einer anderen Welt sind, sondern die­jenigen, die die Visionen der Frauen leugnen, die weibliche (menschliche) Liebe zur Freiheit bekämpfen und die Erde bürokratisch verwalten, weil sie kein anderes Interesse haben, als sie auszubeuten und an ihr zu verdienen? Diese Sichtweise schlägt jedenfalls Christoph Spehr in seinem Buch »Die Aliens sind unter uns« vor – das übrigens kein SF-Roman ist, sondern eine brilliante politische Analyse der Gegenwart. Dass die Aliens dabei sind, die Erde zu kolonialisieren, hat man ja schon häufiger gehört und gelesen, angefangen von Orson Welles’ legendärem Hörspiel Krieg der Welten über zahlreiche Kinofilme bis hin zur Kultserie Akte X . Und hin und wieder ist es schon aufgefallen, dass, wenn überhaupt, die Frauen diese Invasion aufhalten können. Für Christoph Spehr jedenfalls bildet die Frauen­bewegung eine der wichtigsten Säulen des Widerstandes gegen die »Alienisierung« der Welt. Weniger optimistisch ist allerdings Alice Sheldon, denn in ihrer Version der Geschichte haben die Außerirdischen diese Gefahr rechtzeitig erkannt. Die Invasion aus dem All beginnt daher so, dass die Erdenmänner plötzlich einem neuen fanatischen Glauben anhängen, der sie zwingt, alle Frauen zu ermorden. Was anfangs nach dem Wahn einer fanatischen Macho-Sekte aussieht, entpuppt sich bald als Auswirkung eines Virus, den Außerirdische, die sich als Engel aus­geben, auf der Erde verbreiten. So wollen sie den Planeten vom menschlichen »Schäd­lingsbefall« reinigen. Nur eine Frau, die letzte, erkennt kurz vor ihrem Tod die Wahrheit, als sie einen der Außerirdischen erblickt: »Er war gar kein Engel. Ich glaube, ich habe einen Grundstücksmakler gesehen.«

Level 1: Frauen und Männer sind gleich

Egal, ob Frauen nun Aliens sind oder im Gegenteil die einzig echten Wider­sacher der Aliens: Fest steht, dass sie anders sind, und im Patriarchat bedeutete das erst einmal – anders als die Männer. In den Frühzeiten der SF, als die bürger­lichen Geschlechterrollen noch voll funktionstüchtig waren, war es deshalb ein be­liebtes Stilmittel, Frauen so auftreten zu lassen, wie man es sonst eigentlich nur von Männern kennt, etwa in strenger Uniform und mit fester Stimme Befehle ertei­lend. Durch diese Irritation sollte die Distanz einer »fernen« Zukunft sichtbar ge­macht werden: Anders an den Frauen ist in diesem Fall, dass sie gerade nicht anders sind.

Legendär in dieser Rolle ist Eva Pflug als Sicherheitsoffizier Tamara Jagel­lovsk in der deutschen Serie RaumpatrouilleOrion aus den späten 1960-er Jahren. Dass der Versuch eher linkisch ausgefallen ist, liegt weniger am Konzept, als daran, dass die Phantasie der deutschen Orion -Macher für ein solches Frauenbild offenbar noch nicht ausreichte. Besser gelungen ist der Versuch der norwegischen Feministin Gert Brantenberg, die in ihrem Roman »Die Töchter Egalias« nicht nur die Frauen wie Männer sein lässt, sondern auch die Männer wie Frauen, was zu einer amüsanten Umkehrung von Rollenstereotypen führt: mit Herrleins, PHs (Penishaltern) und dergleichen mehr. Das mag damals, in den 1970er-Jahren, lustig gewesen sein, heute allerdings gehört das »Frauen sind wie Männer«-Sche­ma zum Standard, und zwar nicht nur im Science Fiction, sondern längst auch im wirklichen Leben. Frauen wie Brantenbergs machohafte Direktorin Bram sind ja keine Fiktion mehr, man trifft sie heutzutage in vielen Unternehmen, und wenn in Filmen wie Matrix Heldinnen in langen schwarzen Mänteln virtuos an die Waffen eilen, um die Welt zu retten, dann irritiert das wahrlich niemanden mehr. Mit der Frauenemanzipation hat die Figur der männlichen, muskulösen, kämpfen­den und befehlenden Frau ihre Aussagekraft verloren. Sie ist uninteressant gewor­den und kann höchstens noch im Stile von Lara Croft als Pin-up-Girl für Männer dienen, die den alten Zeiten hinterher trauern.

Level 2: Es gibt keine Geschlechter

Ein ambitionierterer Versuch, dem patriarchalen Norm-Mann und den von ihm ge­schaffenen Weiblichkeitsrollen etwas entgegen zu setzen, ist die Erfindung andro­gyner Wesen. Denn die Abschaffung des Geschlechts ist der logisch nächste Schritt, der auf die Gleichheit der Geschlechter folgt. Wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich das ist, zeigt der Versuch aus Star Trek – TNG , mit dem Androiden Data ein geschlechtsloses Wesen einzuführen. Data ist ein Roboter, der zwar aus­sieht wie ein Mensch, aber lediglich Daten verarbeitet, und zwar in großen Men­gen, absolut exakt und unbestechlich. Er zeigt keine Eigenschaften und Fähig­kei­ten, die im allgemeinen als »weiblich« oder »männlich« gelten. Doch schon Datas Schöpfer wusste, dass er unter Menschen nur würde leben können, wenn er einem der beiden Geschlechter zugeordnet ist. Er schuf ihn »nach seinem Bilde«, also als Mann, und das hat zur Folge, dass Datas Androgynität im Serienalltag schlicht nicht auffällt. Er ist ein Mann, wenn auch ein Roboter-Mann, und sein Stre­ben nach Menschlichkeit muss unweigerlich zur Übernahme »männlicher« Ver­hal­tens­weisen führen.

Androgynität kann in der humanoiden Gesellschaft nicht funktionieren, weil das menschliche Geschlecht nicht an die tatsächlichen Eigenschaften und Fähig­keiten des Individuums gebunden ist, sondern immer in einen kulturellen Kontext eingebettet. Und solange der von Zweigeschlechtlichkeit geprägt ist, bleibt dem (oder der) Einzelnen nichts anderes übrig, als nach diesen Regeln mitzuspielen, denn auch das Brechen von Regeln setzt diese nicht außer Kraft. Wie aber wäre es, eine ganze androgyne Gesellschaft zu erfinden? Diesen Versuch unternahm Ursula K. Le Guin mit ihrem Buch »Winterplanet«. Darin schildert sie eine Welt, in der die Menschen kein Geschlecht haben, sondern nur hin und wieder weiblich oder männlich werden. In diesem Zeitraum können sie Sex haben und Kinder empfangen oder zeugen, jeder Mensch kann also schon einmal Mutter oder Vater gewesen sein. Doch die meiste Zeit ihres Lebens sind sie androgyn. Das setzt den (männlichen) Besucher von der Erde in fruchtbares Erstaunen, allerdings erweist sich der Versuch, wie feministische Kritikerinnen zu Recht einwandten, als nicht gelungen. Denn da »öffentliche Präsenz« und »Männlichkeit« in unserer Erdenkultur so lange miteinander verknüpft waren, sind auch die geschlechtslosen Bewohner des Winterplaneten letzten Endes (zumindest für die irdische Leserin) mehr Mann als Frau.

Ganz ähnlich erging es anderen feministischen SF-Autorinnen der siebziger Jahre, und zwar selbst dann, wenn sie ihre eingeschlechtlichen Welten ausschließ­lich mit Frauen bevölkerten, wie etwa Françoise d’Eaubonne ihren »Mandelplane­ten«, Joanna Russ den »Planet der Frauen« oder Sally Miller Gearhart »Das Wanderland«. Sicher, hier gibt es »weibliche« Fähigkeiten, wie etwa telepatische Kommunikation, oder »weibliche« Riten, zum Beispiel aus Anlass der Menstruation, aber das ist eher Folklore. Schließlich werden auch in patriarchalen Gesellschaften ganz unterschiedliche Riten und Kulte praktiziert. Solange die Geschichten sich darauf beschränken, diese eingeschlechtliche Frauen-Welt zu beschreiben, blei­ben sie farblos. Interessant wird es erst dann, wenn die Autorinnen doch wieder an die Zweigeschlechtlichkeit anknüpfen. Wenn sich ihre Protagonistinnen zum Bei­spiel an die böse Vergangenheit erinnern, damals, vor der Ausrottung der Männer, oder wenn die neuen, geschlechtslosen (weil allein anwesenden) Frauen mit weib­lichen Rollenmustern konfrontiert werden, die in einigen Paralleluniversen immer noch herrschen. Der Preis, um den Androgynität, besser: Eingeschlechtlichkeit zu erreichen ist, scheint die Sterilität, die Langeweile zu sein. Dass Androgynität in der Tat die Ausmerzung des Anderen bedeutet und letztlich zum Totalitarismus führt, problematisiert auch eine Folge von Star Trek – TNG : Die Enterprise kommt auf einen Planeten, wo sich aus einer ehemals zweigeschlechtlichen Gesellschaft eine androgyne entwickelt hat. Jedoch empfinden einige der Men­schen dort immer noch »verbotene« geschlechtliche Neigungen, was die Stabilität der Kultur gefährdet. Die Gesellschaft kann ihre Androgynität nur wahren, indem sie den Abtrünnigen ihre »falschen« Gefühle in einer Art Gehirnwäscheprozedur austreibt.

Natürlich gibt es im SF dennoch eine Menge Lebensformen, die ohne Geschlecht auskommen: Winzige Nanozellen, zweidimensionale Wesen, alle möglichen Monster und Riesen, künstliche Intelligenzen oder Lebensformen, die keinen Körper mehr brauchen, weil sie auf anderen, transzendentalen Bewusst­seins­stufen zuhause sind. Allein: Sie sind nicht humanoid, nicht menschlich. Sie haben, könnte man auch sagen, ganz andere Probleme. Die einzige überzeugen­de androgyne Gesellschaft, deren Mitglieder humanoide Körper haben, sind die Borg aus dem Star Trek -Universum. Bei den Borg handelt es sich um eine aggres­sive Kultur, die andere Gesellschaften assimiliert. »Widerstand ist zwecklos«, so ihre lapidare Mitteilung an die Opfer, und zwar deshalb, weil die Borg alle egoisti­schen Interessen ausgemerzt haben. Die Einzelnen hören auf, als solche zu exis­tie­ren, ihre Gehirne sind alle untereinander verbunden. Auf diese Weise können sie sich Wissen, Erfahrung und Technologie der assimilierten Kulturen einverlei­ben: Sobald man gewaltsam »angeschlossen« wurde, ist das eigene Wissen allen verfügbar. Die Borg bilden ein echtes Netzwerk, keine egoistischen Interessen und Neigungen stören die effektive Zusammenarbeit des Kollektivs. Es gibt keine Abweichungen, keine »Anderen«. Und damit natürlich auch kein Geschlecht. Die Borg haben zwar männliche und weibliche Körper, aber das spielt in der Tat keine Rolle.

Dass die Androgynität der Borg sie den Preis der Individualität kostet, zeigt die Geschichte der 7 of 9 aus der Serie Voyager . 7 of 9 (die Borg haben keine Namen, sondern tragen Nummern) wurde als Kind »assimiliert«, landet aber schließ­lich auf dem von Erdenmenschen geführten Raumschiff Voyager und wird gewaltsam vom Borg -Kollektiv getrennt. Ihre langsame und mühevolle Metamor­phose hin zu einer selbstbewussten Individualität, die sich über viele Folgen erstreckt, geht unweigerlich einher mit der Ausbildung einer weiblichen Geschlechts­identität. Das heißt: Sie wird nicht einfach ein Mensch, sie wird eine Frau – was feministische Kritikerinnen scharf bemängelt haben, weil so aus der bestimmen­den, selbstgewissen, überlegenen Borg eine stereotype Klischeefrau wird. Doch letztlich ereilt 7 of 9 nur das Schicksal aller Individuen in zweigeschlechtlichen Welten: Sie müssen eine Geschlechterrolle darstellen. Transgender-Diskurse kön­nen nur geführt werden, indem man Rollenzuweisungen in Frage stellt. Wer als androgyner Mensch oder als »anderes« Geschlecht Erfolg haben will, muss sehr gut über Geschlechterrollen verhandeln können, sich also der eigenen Mensch­lichkeit absolut gewiss sein. Dass eine wie 7 of 9 , deren Problem ja gerade darin besteht, kein Mensch (gewesen) zu sein, in ihrer weiblichen Rollenfindung auf alte Klischees zurückgreift, statt sie zu transzendieren, wundert daher nicht.

Level 3: Frauen an die Macht

Wenn sich die Geschlechter also nicht gleichmachen oder abschaffen lassen, stellt sich als nächster Schritt die Frage: Was wäre, wenn nicht die Männer, son­dern die Frauen den Kurs vorgeben? Und zwar nicht einfach durch Umkehrung der Rollenmuster wie bei den Töchtern Egalias , sondern so, dass gerade das weibli­che »Andere« zur Entfaltung kommt? Wegweisend für diese Variante war der Ro­man »Herland« der US-amerikanischen Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman aus dem Jahr 1918. Gilman beschreibt eine Gesellschaft, der durch eine Natur­ka­tastrophe vor Jahrhunderten die Männer abhanden gekommen sind. Den Frauen ist es gelungen, sich durch Parthogenese, also durch Jungfrauengeburt, fortzupflanzen – allerdings sozusagen in letzter Sekunde. Die Mutterschaft spielt seither eine zentrale Rolle in ihrer Kultur, alle sozialen Einrichtungen, Gesetze und Regeln sind darauf ausgerichtet, optimal für die nächste Generation zu sorgen. Das gibt eine ziemlich perfekte Gesellschaft, die auch die drei Männer, die aus Zufall »Frauenland« entdeckt haben, in Erstaunen versetzt.

Die Stärke von Gilmans Entwurf besteht darin, dass sie »Weiblichkeit« nicht in Abgrenzung von »Männlichkeit« entwirft, auch wenn eine aufklärerische Absicht, die zeitgenössischen Vorstellungen von den Grenzen und Schwächen des weibli­chen Geschlechtes zu widerlegen, durchaus vorhanden ist. Gilmans Frauen wirken weit­aus souveräner, als viele dezidiert feministische Entwürfe aus den 1970er-Jah­ren. Während bei Eaubonne, Russ oder Gearhart der Kampf der Geschlechter im­mer im Hintergrund lauert, entweder weil die Frauen vorerst nur in einigen »be­frei­ten Zonen« die Vorherrschaft erreicht haben, wie in Gearharts »Wan­derland«, oder weil die patriarchale Vergangenheit ihnen noch immer präsent ist, wie im »Mandel­planeten«, oder weil die freie Frauenwelt nur eine von mehreren parallelen Mög­lich­keiten ist, wie im »Planet der Frauen«. In solch einem Setting muss sich das Weibliche immer als Abgrenzung, als Widerstand gegen das Männ­liche konsti­tu­ieren. Dadurch tendiert es jedoch dazu, selbst klischeehaft und tota­li­tär zu werden. Dies wird von den Autorinnen selbst durchaus problematisiert. Joanna Russ etwa erzählt ihre Geschichte aus der Perspektive einer Frau, die in vier »Varianten« auf­tritt: Jeannine, ein verhuschtes Weibchen aus dem Erdenpatriarchat der 1970er-Jahre, Janet, eine starke, glückliche Frau von dem befreiten Frauen­pla­ne­ten, Jael, eine skrupellos gegen die Männerwelt vorgehende (und gleichzeitig mit ihnen kun­geln­de) Kämpferin, die alle unsympathisch finden, die mit ihrem Kampf jedoch erst die Grundlage für Janets Freiheit schafft, und schließlich die Autorin selbst, Joanna, die versucht, ihren Alter-Egos gegenüber eine eigen­stän­di­ge Position zu finden. Auch in Gearharts »Wanderland« wird das skrupellose Vor­ge­hen der femini­sti­schen Freiheitskämpferinnen ambivalent gesehen, etwa im Konflikt um die Fra­ge, wie mit den »Sanften« umzugehen ist, also solchen Män­nern, die dem Patriar­cha­lismus abgeschworen haben. Doch am Ende hilft es nichts: Die Autorinnen finden keine Vision, die aus der Frau-gegen-Mann-Perspektive hinausführt. Ihre Ro­­ma­ne atmen weniger die visionäre Luft ferner Welten, als vielmehr den ideologi­schen Mief der siebziger Jahre. So ist man fast erleichtert, dass zum Beispiel Gisbert Haefs in seiner Barakuda -Trilogie dafür sorgt, dass die »Mördermütter von Pasdan« – eine eben solche abgeschottete, totalitäre Frauen­kul­tur – von den frei­heit­lich denkenden Männern und Frauen seines Planeten Shilgat am Ende besiegt werden.

Charlotte Perkins Gilman jedoch stellt das Verschwinden der Männer aus »Herland« nicht als Folge eines Kampfes dar, bei dem die Frauen siegten und die Männer unterlagen, sondern als Naturkatastrophe, die von den Frauen zunächst sogar betrauert wurde. Daher kann das »Weibliche« ihres Entwurfs sehr viel freier auftreten, sie kann sich ganz auf die Frage nach dem allgemeinen Guten konzen­trieren, anstatt sich in Abwehrkämpfen zu verausgaben. Und genauso souverän, bestimmt, aber nicht herrschaftlich, treten ihre Protagonistinnen den männlichen Besuchern aus der patriarchalen Welt gegenüber. Weil sie sich ihrer eigenen Wer­te und Maßstäbe sicher sind, können sie den Fremden zuhören, sich für sie inte­res­sieren, sogar Liebesbeziehungen eingehen. Natürlich birgt solche Offenheit für »das Andere« eine gewisse Gefahr in sich. Doch ohne dieses Risiko ist eine freie Weiblichkeit, die mehr ist als der Kampf gegen das Männliche, nicht zu haben.

Dass ein freies Frauenland auch mitten im Patriarchat entstehen, sogar aus den Federn völlig unfeministischer Drehbuchautoren fließen kann, zeigt im übrigen eine sehr lustige Episode aus Raumpatrouille Orion. Sie erzählt von der Begegnung des machohaften Orion -Kapitäns Cliff Alister McLane mit einer weiblich domi­nierten Zivilisation auf dem Planeten Croma , einer ehemaligen Erdenkolonie. Das Ambiente auf Croma ist plüschig und die Atmosphäre angenehm, es gibt liebliche Natur, Tee und Plätzchen, sowie schöne Frauen im Überfluss. Doch zu McLanes Leidwesen sind die Einwohnerinnen von Croma keineswegs nachgiebig bei den heiklen Verhandlungen um die Nutzung der Sonnenenergie. Seinem Ärger macht er wiederholt Luft wie ein Mann, er pöbelt also, schreit herum und haut auf den Tisch, aber das fruchtet nichts. Später will er einen versöhnlicheren Versuch star­ten, stottert aber nur unbeholfen herum, bis ihm seine Gesprächspartnerin hilfreich vorschlägt: »Vielleicht schreien Sie wieder ein bisschen?«

Auch in Star Trek – TNG gibt es Frauen, die die selbstbewusste Kraft der weiblichen Differenz repräsentieren. Zum Beispiel Lwaxana Troi vom Planeten Betazet , eine Telepathin und Priesterin, die hin und wieder die Enterprise besucht, auf der ihre Tochter als Offizier Dienst tut. Normalerweise stiftet sie mit ihrer herri­schen Art, ihrer offen gelebten Sexualität, ihrem Hang zu extravaganten Kleidern und ihrem festen Willen, nur das zu tun, was ihr gerade Spaß macht oder richtig erscheint, ziemlich viel Chaos. Aber sie verliert nie ihre Autorität und wird von allen respektiert. Eine ähnlich überzeugende Frau ist Guinan , die Wirtin im Raumschiff-Restaurant (gespielt von Whoopy Goldberg), die mit Ironie, Weisheit und Einfüh­lungsgabe ihren Gästen oft nicht nur Getränke, sondern auch guten Rat anzubie­ten hat. Beide Frauen lassen nie einen Zweifel an ihrer Weiblichkeit aufkommen und können doch nicht auf Rollenmuster fixiert werden. Das heißt: Sie sind immer wieder für eine Überraschung gut und gehören damit zu den stärksten Figuren der Serie – wo sie allerdings nicht zur Stammbesatzung gehören, sondern nur in eini­gen ausgewählten Episoden auftreten. Dennoch zeigen sie, dass sich die Kraft der weiblichen Differenz im SF jederzeit Bahn brechen kann (und im »wahren Leben« ist das genauso).

Level 4: Leben mit dem Feind

Wenn es also möglich ist, weibliche Differenz zu leben, die sich nicht als Ge­gen­modell zum Patriarchat versteht, sondern aus der Freude am eigenen Begeh­ren, aus Liebe zur Freiheit speist, dann stellt sich – und dies ist das nächste Level – unweigerlich die Frage, ob es möglich ist, eine solche freie Weiblichkeit auch in einer zweigeschlechtlichen Welt zu behalten. Gibt es, anders gefragt, eine Enterprise , in der Frauen wie Guinan und Lwaxana Troi nicht nur hinter der Theke stehen oder hin und wieder zu Besuch kommen, sondern zur Crew gehören? Lässt sich eine echte Föderation gründen zwischen den Frauen von Croma und den Män­­nern von der Erde? Wird »Frauenland« es überleben, wenn nicht mehr nur ein­zelne Männer zu Besuch kommen, sondern die Grenzen zu »Männerland« für alle offen sind? Können also, noch anders gefragt, Frauen freie Frauen bleiben, auch wenn sie ihren Gaststatus oder ihre Dominanz – was in gewisser Weise dasselbe ist – ablegen und gemeinsam mit den Männern, mit dem Anderen also, auf der Welt leben und für diese Verantwortung tragen?

Genau diese Frage stellt Ursula K. Le Guin in ihrem Buch »Planet der Habenichtse«. Allerdings entscheidet sie sich für eine männliche Hauptfigur – leider, mag man aus heutiger Sicht sagen, damals aber (das Buch erschien 1974) war diese Wahl vielleicht sogar klug, da, siehe oben, das Thema weibliche Freiheit im öffentlichen Bewusstsein unweigerlich die Assoziation »Kampf gegen die Männer« nach sich zog. LeGuin wollte aber die Frage nach dem Verhandeln der Differenz stellen. In ihrer Geschichte geht es um die Auseinandersetzung zwischen dem kapitalistischen Planeten Urras und seinem anarchistischen Pendant Anarres . Zwei Jahrhunderte vor den geschilderten Ereignissen war eine Kolonie von zwei Millionen Menschen von Urras auf den kargen Mond Anarres ausgewandert, weil sie die ausbeuterischen und Menschen verachtenden Verhältnisse nicht mehr mittragen wollten. Sie organisierten unter schwersten Bedingungen eine gemein­schaftliche, anarchistische Gesellschaft, deren philosophische Grundlagen auf eine Gründungsfigur namens Odo zurückgehen. Man muss das Buch halb gelesen haben, um zu erfahren, dass Odo eine Frau war – ein schöner Kniff der Autorin, der zugleich beweist, dass es ihr tatsächlich (auch) um die weibliche Differenz geht. 200 Jahre lang beruhte die Koexistenz des kapitalistischen (unsympathi­schen, »männlichen«) Urras und des anarchistischen (sympathischen, »weiblichen«) Anarres auf völliger Separation. Ein junger Physiker von Anarres jedoch hat eine Erfindung gemacht, die bedeutsam für das ganze Universum sein könnte. Da er auf seinem kargen Heimatplaneten, wo alle mit Überleben beschäftigt sind, aber niemanden findet, um seine Thesen zu diskutieren, sucht er Kontakt zu Wissen­schaftlern von Urras … Ist es möglich, die Differenz zu leben? LeGuin zeigt zumin­dest, wie schwierig es ist. Der Physiker wird von den eigenen Leuten angefeindet, weil sie fürchten, dass er durch die Kontakte zum »Anderen« die Stabilität der eige­nen Gesellschaft gefährdet. Die »Anderen« wiederum versuchen tatsächlich, ihn zu ver­einnahmen, ihn auszunutzen und zu korrumpieren. Aber auch wenn diese Ge­fahr real ist: Die größere Gefahr, so die Botschaft von LeGuin, besteht darin, die eigenen Werte und Überzeugungen gerade in dem Versuch, sie um jeden Preis zu schützen, am Ende selbst zu zerstören.

Ein ganz ähnliches Dilemma schildert Marge Piercy in ihrem Buch »Die Frau am Abgrund der Zeit«, wo ebenfalls eine »gute« (friedliche, dezentrale, naturver­bun­de­ne) Welt mit einer »schlechten« (patriarchalen, totalitären, zerstörerischen) Parallelwelt im Kampf liegt. Piercys »gute« Welt ist nach ganz ähnlichen Prinzipien organisiert wie LeGuins Anarres : Ohne zentrale Herrschaftsinstanzen, ohne Geschlechterhierarchien, mit höchstmöglicher individueller Freiheit, die eine Vielfalt von Lebensstilen und gemeinschaftlichen Organisationsformen hervorbringt. An den Rändern dieser Welt bricht nun aber teilweise die Parallelität zur »schlechten« Gegenwelt auf, es entstehen Überlappungen, sodass die beiden Realitäten sich zu vermischen drohen: Die Bewohnerinnen und Bewohner der »guten« Welt müssen zu den Waffen greifen. Sie stehen also vor einem ähnlichen Problem wie Anarres : Wie können wir angesichts der Bedrohung unsere Lebensart bewahren?

Marce Piercys Lösung hat einiges für sich: Ihre Heldin, Luciente , wagt sich hinüber in die andere, böse Welt und findet dort eine Verbündete: Connie, eine junge Frau aus armseligen Verhältnissen, die man zudem in die Psychiatrie ge­steckt hat, der es aber gelingt, in Kontakt mit der »Anderswelt« zu treten. Lucientes Idee ist: Statt die böse Welt zu bekämpfen (und dadurch am Ende selber böse zu werden) müssten wir unsere guten Ideale »drüben« verankern, sodass zunächst einige, später hoffentlich viele dort selbst den Widerstand wagen. Man muss die Beziehung zum »anderen« nicht nur akzeptieren, sondern sie sogar aktiv suchen, um am Leben, um lebendig zu bleiben. Ob das gelingt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. »Leben mit dem Feind« ist keine todsichere Strategie, sondern eine Haltung, eine Weise, politisch zu handeln. Und, wie seit Hannah Arendt bekannt ist: Die Folgen politischen Handelns sind grundsätzlich offen, jedenfalls für die Handelnde selbst nicht verfügbar.

Level 5: Alle sind anders

Wurde in den 1970er-Jahren der Umgang mit der Differenz noch als Kampf zwischen »gut« und »böse« verhandelt, so sind solche Gewissheiten in postmoder­nen Zeiten fragwürdig geworden. Für die Verbannung der Moral aus dem Univer­sum steht CaptainJean-Luc Picard in Star Trek – TNG . Während sein Vorgänger Captain Kirk noch in Wildwestmanier demokratische Werte ins Weltall trug, bringt Picard stoisch die »erste Direktive«, das oberste Gesetz der Sternenflotte, zur An­wendung, und das heißt: Nichteinmischung, solange es keine Verträge gibt, oder anders gesagt: Keine fremde Kultur darf gezwungen werden, sich an Regeln zu halten, denen sie nicht selbst zugestimmt hat. Was in philosophischer Theorie abstrakt-geschnörkelt daherkommt, wird in der Fernsehserie konkret: Wenn es die Sitte eines fremden Volkes ist, alle Sechzigjährigen den rituellen Selbstmord voll­ziehen zu lassen, dann ist das allein ihre Angelegenheit, und wenn auf fremden Planeten Bürgerkriege toben, mit denen sich die Bevölkerung selbst ausrottet, dann ist das eben so. So haben auch die weiblichen, emanzipierten Offiziere auf der Enterprise manch harten Brocken zu schlucken, wenn sie etwa das Selbstbe­stimmungsrecht der Ferengi achten müssen, eines schlitzohrigen Kapitalisten­vol­kes, dessen Frauen es verboten ist, Kleidung zu tragen und das Haus zu verlas­sen. Natürlich bleiben Handlungsoptionen: Wer solches Zuschauen mit dem eige­nen Gewissen nicht vereinbaren kann, kann sich immer noch auf eigene Faust ins Getümmel stürzen. Die Insignien einer interplanetarischen Ordnungsmacht jedoch sind vorher abzulegen, wer Partei ergreifen will, muss aus der Sternenflotte austre­ten. Bauchschmerzen hin oder her: Spätestens seit dem Irakkrieg und anderen Entwicklungen auf der Erde im Jahr 2003 ist klar, dass Kapitäne wie Picard einem Weltpolizisten wie George W. Bush vorzuziehen sind.

Es sind sicher nicht zufällig vor allem weibliche SF-Autorinnen, die diese Tatsa­che der unauflösbaren Differenz, die keinen moralischen Ordnungsfaktor zulässt, in ihren Romanen und Geschichten ausgearbeitet haben. Vor allem Alice Sheldon, deren Erfindungsreichtum im Hinblick auf Aliens schier unerschöpflich war. Aber auch in jüngster Zeit gibt es gute neue Bücher zu diesem Aspekt: Mary Doria Russell zum Beispiel erzählt in ihrem Buch »Sperling« von einer Erden­expe­dition zu dem Planeten Rakhat . Sämt­liche Besatzungsmitglieder sind hervor­ragend ausgebildet im interkulturellen Dialog, wachsam und offen, bemüht, Miss­verständnisse zu vermeiden. Dennoch lösen sie in allerbester Absicht einen Bür­gerkrieg aus, der nicht nur fast die ge­samte Erdendelegation, sondern bald auch einen Großteil der einheimischen Bevölkerung das Leben kostet und – im Fort­setzungsband »Gottes Kinder« – beinahe zur Ausrottung einer ganzen Spezies führt. Das Dilemma der Unmöglich­keit, sich gegenseitig zu verstehen, schildert, obgleich in völlig anderem Setting, auch Linda Nagate in ihrem Roman »Götter­funke«: Hervorgebracht durch die Forschungen einer genialen Wissenschaftlerin entsteht auf der Erde eine neue intelligente Lebensform: Die LOVs . Was wäre, wenn die LOVs auf der Erde die Herrschaft übernähmen? Die Wissenschaftlerin hält das für wahrscheinlich und ruft deshalb zu ihrer gnadenlosen Ausrottung auf. Eine kleine Gruppe von Rebellen und Rebellinnen hat jedoch entdeckt, dass man sich die kleinen Dinger sogar implantieren kann: Sie verstärken Gefühle, machen Gedanken klarer, verändern das Lebensgefühl. Was wäre, wenn man vor den LOVs gar keine Angst zu haben braucht?

Es gibt nicht mehr richtig und falsch, sondern nur die persönliche Entschei­dung, so oder so zu handeln. Sophie Mendez zum Beispiel, eine der Hauptper­so­nen bei Russell’s Rakhat -Mission, löst mit ihrer Revolte gegen ungerechte Verhält­nisse auf dem fremden Planeten die planetare Katastrophe aus. Trotzdem wird sie bis zum Ende überzeugt sein: Es war richtig, so zu handeln, und sie würde es wie­der tun. Die Moral überlebt, allerdings nicht als übergeordnete Ordnungsnorm, sondern als Handlungsoption der Einzelnen.

Game over: das Ende bleibt offen

Das Ende der Geschichte ist so banal wie wahr: Die Lösung für das Problem der Geschlechterdifferenz besteht in der Erkenntnis, dass es keine Lösung geben kann. Weil das Problem nämlich kein Problem ist, sondern eine Frage der Per­spek­­tive. Frauen sind und bleiben Aliens, das ist wahr, und neu ist höchstens die Erkenntnis, dass das für alle anderen auch gilt, für Männer und Ferengis , LOVs und Raumschiffkapitäne, Anarchisten und Kapitalisten, je nachdem. Das Ende der Norm bedeutet gleichzeitig das Ende der Moral, das Weltbild der weißen Männer ist ebenso am Ende wie das der gegen das Patriarchat kämpfenden Frauenrecht­lerinnen. Niemand hat Recht, denn wir alle sind Aliens – für die jeweils anderen.

Jetzt kommt es darauf an, diese Tatsache zu akzeptieren und kreativ mit ihr umzugehen, ja, sie sogar zu begrüßen: Denn dass Differenz und nicht Norm die Grundlage des Universums ist, ermöglicht gleichzeitig erst jede Beziehung, jede Verhandlung, jede Veränderung. Ohne Differenz nichts Neues. Immer mehr Menschen verstehen, dass es in den Verhandlungen mit den Aliens keine »höhere Instanz« gibt, auf die man sich berufen kann. Sicher, der Kontakt mit dem »Anderen«, birgt eine reale Gefahr, weil dabei die gewohnten Selbstverständlichkeiten und vielleicht auch Errungenschaften der eigenen Kultur auf dem Spiel stehen. Trotz­dem sind dieser Kontakt und die daraus entstehenden Verhandlungen unabding­bar notwendig: Nicht nur, weil die Aliens längst »unter uns« sind (so wie auf der Erde immer mehr Frauen wie meine Freundin sich in das Paralleluniversum der Männer hinein begeben). Sondern vor allem, weil ohne den Kontakt mit dem Anderen das eigene Leben banal und steril und langweilig wird.

Die Frage ist nur: Wie erkenne ich die Aliens und wie nehme ich mit ihnen Kontakt auf? Denn dass die Aliens nicht unbedingt grün sind, große Köpfe mit Mandelaugen und spindeldürre Beinchen haben, das ist ja klar. Das beweisen nämlich all die schlechten Science Fictions: Krieg der Sterne zum Beispiel, jene inzwischen fünf Kinofilme, in denen es doch nur um ganz banale irdische Proble­me geht: Gut gegen Böse, garniert mit ein bisschen Esoterik und klischeehaften Hetero-Romanzen. Auch in vielen Folgen von Deep Space Nine , jener Nachfolge­serie der ursprünglichen Enterprise -Folgen, wimmelt es zwar von exotischen Spe­zies, von Wesen mit merkwürdigen Hautfarben, monströsen Gesichtern, sieben Fingern an jeder Hand und anderen Abnormitäten. Doch leider benehmen sie sich meistens nicht anders als Lieschen und Otto Müller. Echte Differenz ist eben etwas anderes als die bunte Vielfalt von Merci. Nein, die wirklichen Aliens erkennt man nicht an der Hautfarbe (und auch nicht zwangsläufig am Geschlecht), sondern daran, ob sie wirklich etwas Neues bringen. Das ist auch der Grund, warum so viele Völker die Aliens zunächst für Götter halten. Wie zum Beispiel die Wald­wesen auf dem von der Erde zwangskoloni­sier­ten Planeten New Tahiti aus einem weiteren Roman von Ursula K. Le Guin. Das Neue war in diesem Fall, dass sie von den Menschen (für sie: die Aliens oder die Götter) gelernt haben, zu töten. Und nur so ist es ihnen gelungen, die irdischen Alien-Invasoren wieder zu ver­trei­ben. Eines der Waldwesen erklärt das am Ende so: »Manchmal kommt ein Gott. Er bringt eine neue Art, etwas zu tun, oder etwas Neues, das zu tun ist. Eine neue Art zu singen oder eine neue Art von Tod. Er bringt es über die Brücke zwischen der Traumzeit und der Weltzeit. Wenn er dies getan hat, ist es getan. Man kann Dinge, die in der Welt existieren, nicht nehmen und versuchen, sie in den Traum zurück­zudrängen, sie innerhalb des Traums mit Mauern und Heuchelei festzuhalten. Das ist Wahnsinn. Was ist, ist . Es hat nun keinen Sinn mehr, so zu tun, als wüssten wir nicht, wie wir einander töten können.«

Kontakte mit Aliens, der Umgang mit der Differenz also, sind immer ge­fähr­lich. Aber hat der erste Kontakt erst einmal stattgefunden, ist er nicht wieder rück­gängig zu machen. Was wäre wenn? Nur wenn wir diese Frage stellen, offen und neugierig und risikobereit, können wir Kontakt aufnehmen. Auch (und vor allem) mit den Aliens in uns selber.

Workshop beim 4. Out of this World-Kongress am 1.10.2004 in Berlin. Veröffentlicht in:

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Anmerkungen und Literaturhinweise in der gedruckten Version:

Kirsten Beuth, Annette Dorgerloh, Ulrike Müller (Hg): Ins Machbare entgrenzen. Utopien und alternative Lebensentwürfe von Frauen, Centaurus-Verlag 2004 (Schriftenreihe des Frauenstudien- und -bildungszentrums der EKD, 16 Euro, kann versandkostenfrei bestellt werden unterfsbz.zich@ecos.net).

Aus dem Inhalt:

Ulrike Müller: Herkunft und Verständnis des Utopiebegriffs

Dorothee Sölle: Eine Utopie der Arbeit

Ilona Scheidle: Beginen – Mitrelalter, Spiritualität und Aktualität

Annette Dorgerloh: Paradies auf Erden? Gartenentwürfe von Frauen

Kirsten Beuth: Die Utopien der Alexandra Kollontei

Ada Raev: Russische Avantgardistinnen

Kirsten Beuth: Frauen am Bauhaus

Ingeborg Reichle: Visionen vom »Neuen Menschen«?

Christiane Dietrich: Spirituelle Utopie

Barbara Merlau: attac – eine andere Welt ist möglich