Weibliches Begehren verändert die Welt
Die Liebe zur Freiheit ist ansteckend und sorgt für die Zukunft der Frauenbewegung
Frauenprojekte müssen schließen, Gleichstellungs-Stellen werden weggespart, und die jungen Frauen wollen vom Feminismus sowieso nichts mehr wissen. Hat die Frauenbewegung da noch eine Zukunft?
Dass wir tatsächlich in einer Situation der Krise leben, können wir jeden Tag in der Zeitung lesen. Aber ich meine, nicht die Frauenbewegung befindet sich in einer Krise, sondern eher die herkömmlichen politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die ganz offensichtlich nicht in der Lage sind, auf die gegenwärtigen Herausforderungen Antworten zu finden. Die Frauenbewegung ist davon nur am Rande in Mitleidenschaft gezogen – nämlich immer dort, wo sie selbst ein Teil dieser Strukturen geworden ist.
Abgesehen davon kann sie sich eher über Erfolge freuen: Kein anderer gesellschaftlicher Bereich hat sich schließlich in den letzten Jahrzehnten so sehr zum Positiven verändert wie das Verhältnis von Frauen und Männern – der Frauenbewegung sei Dank! Frauen haben für sich gleiche Rechte errungen, sie haben die alten Rollenbilder aufgebrochen, sie haben an Einfluss gewonnen und neue Möglichkeiten für sich und ihresgleichen geschaffen. Frauen haben ihre Freiheit entdeckt und die diese Freiheit in die Welt getragen. Ihr Ausgangspunkt war nicht etwa ein Mangel – der Mangel an Geld, an Karrieremöglichkeiten, an Ämtern und Einfluss – sondern: die Fülle des weiblichen Begehrens.
Die Frauenbewegung ist keine Interessensvertretung von Unterdrückten und Benachteiligten, die Förderprogramme, Geld vom Staat und politische Fürsprecherinnen braucht. Ihre Basis ist ganz woanders: Sie wird getragen von Frauen, die entdeckt haben, dass die Welt eine andere (und bessere) wird, wenn sie nicht mehr die Rollen akzeptieren, die das Patriarchat ihnen vorschreibt. Von Frauen, die sich untereinander austauschen, um zu entdecken, was sie selbst eigentlich wollen. Dieser Austausch und die Stärke der Beziehungen untereinander machen es jeder Einzelnen möglich, ihr eigenes Begehren aufzuspüren und entsprechend zu handeln.
Gegeben hat es das weibliche Begehren freilich schon immer. Vor der Frauenbewegung hatte es aber kaum Möglichkeiten, sich zu äußern, weil über Frauen, die aus den gewohnten Bahnen ausbrachen, in der Regel gesagt wurde: »Sie tut das, obwohl sie eine Frau ist.« So, als sei das Frausein eine Behinderung. Aber nun, dank der Frauenbewegung, ist das weibliche Begehren frei. Jetzt gibt es diese Möglichkeit, zu sagen: »Ich bin eine Frau, ich akzeptiere diese Tatsache, und kann nicht trotzdem, sondern gerade deshalb frei in der Welt handeln.«
Was das konkret bedeutet, ist für jede Frau etwas anderes. Ihre Wünsche, Interessen, Hoffnungen, Absichten sind eben nicht festgelegt durch ihr weibliches Geschlecht; jede Frau kann sie in Freiheit herausfinden und verfolgen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die politische Bewegung der Frauen kein einheitliches Bild ergibt, dass sie verschiedene Strömungen hervorgebracht hat, die sich teilweise sogar gegenseitig widersprechen. Das macht gar nichts. Problematischer ist die Tendenz, dass viele Frauen, die heute aktiv und engagiert in der Welt tätig sind, glauben, ihr Frausein sei dabei unbedeutend und spiele keine Rolle. So wird das Weibliche symbolisch unsichtbar gemacht, was zu Verwirrung und Unsicherheit führt. Eine andere Herausforderung ist der Dialog (und das heißt auch: der Konflikt) mit den Männern. Er kann nicht stellvertretend für »die Frauen« geführt werden, sondern nur von jeder einzelnen, in erster Person. Wie ist es möglich, diese Auseinandersetzung selbstbewusst, aber auch offen und respektvoll zu führen? Und zwar nicht, um bei den Männern Anerkennung zu suchen, sondern um gemeinsam mit ihnen neue Lösungen zu finden für die Probleme der Welt?
Trotz aller offenen Fragen: Die Frauenbewegung hat eine Zukunft. Denn »die Liebe zur Freiheit ist ansteckend«, wie die italienische Philosophin Luisa Muraro schreibt, »die Ansteckung erfolgt aber nicht, indem man den Feminismus lehrt, sondern indem wir unsere Freiheit und die der anderen lieben.
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In: efi, evangelische frauen information für bayern, Nr. 1/2005