„Was soll ich sagen, das ist mein Leben“
in: Via Dogana Nr. 106, September 2013
Warum hat Beate Zschäpe, heute 38 Jahre alt, als Mitglied der terroristischen Vereinigung namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) mutmaßlich über Jahre hinweg daran mitgewirkt, türkisch- oder griechischstämmige Kleinunternehmer in ganz Deutschland zu ermorden?
Das jedenfalls wirft ihr die Staatsanwaltschaft vor. Seit einigen Monaten steht Zschäpe vor Gericht. Sicher ist wohl, dass sie mit den Tätern, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, zehn Jahre lang im Untergrund zusammenlebte, in wechselnden Wohnungen, mit falschen Identitäten. Als sich Böhnhardt und Mundlos im November 2011 nach einem missglückten Banküberfall selbst töteten, steckte Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Brand, um Beweise zu vernichten, und stellte sich einige Tage später der Polizei.
Einem Polizisten hat Zschäpe damals anvertraut, dass sie eigentlich „umfangreich und vollständig aussagen“ möchte, denn sie sei niemand, „der nicht zu seinen Taten steht.“ Vielleicht tut sie das ja noch. Doch bisher schweigt sie, offenbar auf Anraten ihrer Anwälte.
Eine direkte Beteiligung an den Morden kann man ihr bisher nicht nachweisen. Die Medien nennen sie „die Nazi-Braut“, sie könnte sich also als Mitläuferin darstellen, als eine, die kaum Verantwortung trug. Doch das tut sie nicht. Sie sieht sich ganz offenbar nicht als Mitläuferin, sondern als Protagonistin, aber ihre Motive bleiben im Dunkeln.
Beate Zschäpe distanziert sich nicht von den Taten des NSU, sie zeigt keine Reue, kein Mitgefühl mit den Opfern oder ihren Familien. Sie demonstriert aber auch keinen Stolz auf ihren rechtsextremen Aktivismus, wie einige andere, die nun wegen Unterstützung der Gruppe vor Gericht stehen. Laut Presseberichten ist sie die einzige Angeklagte, die die Verhandlungen mit Interesse und Aufmerksamkeit verfolgt. Auch nach fast zwei Jahren Haft zeigt sie keine Anzeichen von Depressionen oder auch nur Verzweiflung. In einem Brief an einen Gesinnungsgenossen schrieb sie kürzlich: „Was soll ich sagen, das ist mein Leben, die Bürde muss ich erhobenen Hauptes tragen.“
Die Medien werden nicht schlau aus dieser Frau, die mit Polizeibeamten beim Warten auf Vernehmungen oder während langer Autofahrten viel geplaudert und erzählt, aber dabei „nichts Wesentliches“ gesagt haben soll. Nichts über die Taten, nichts über mögliche politische Motive. Sie wollte wissen, ob es ihren Katzen gut geht, die sie bei ihrer Flucht zurückgelassen hat, bedauerte, dass sie ihrer Oma, bei der sie aufwuchs, vor ihrem Abtauchen in den Untergrund nicht erklären konnte, „warum es so gekommen sei“.
Zschäpes Mutter hat ausgesagt, ihre Tochter sei schon als Jugendliche „nicht leicht beeinflussbar“ gewesen, sondern habe „ihre Meinung konsequent vertreten, wenn sie von etwas überzeugt gewesen sei.“ Auch der psychiatrische Gutachter des Gerichts kommt zu dem Schluss, dass Zschäpe „kein scheuer Mensch“ sei, sondern „eine lebhafte, selbstbewusste, burschikose junge Frau“.
Warum wählte diese Frau für ihren Lebensweg Rechtsextremismus und Fremdenhass? Für junge Männer mag der „Virilitätskult“ neonazistischer Banden eine Möglichkeit sein, ihre Männlichkeit zu feiern; bei Beate Zschäpe, einer Frau, fällt dieses Motiv weg. Sie passt aber auch nicht in das übliche Schema rechtsextremer Frauen, von denen es ja durchaus viele gibt – laut Schätzungen stellen sie inzwischen ein Drittel der Mitglieder der NPD, der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“. Doch die Mehrheit dieser rechten Frauen pflegt ein ganz anderes Frauenbild, eines, das um Mutterschaftskult und „Volksgesundheit“ kreist. Von Beate Zschäpe, der Kinderlosen, der militanten Aktivistin, distanzieren sie sich, jedenfalls in offiziellen Stellungnahmen.
Aufschlussreich ist vielleicht ein Foto, das Zschäpe im Januar 1998 bei einer rechtsextremen Demonstration zeigt, mit der Parole „Nationalsozialismus – eine Idee sucht Handelnde“. Ein ähnlicher Slogan, „Taten statt Worte“, steht als Motto im Mittelpunkt eines Bekennervideos, in dem der NSU seine Taten feiert, und das Beate Zschäpe noch an Moscheegemeinden und linke Gruppierungen verschickt haben soll, bevor sie sich der Polizei stellte.
Waren die Neonazis am Ende einfach die einzigen, die für den Wunsch dieser jungen Frau, etwas zu bewegen, ihrem Wunsch nach „Taten“, Verwendung gehabt hätten? Die ihr eine Perspektive boten, aktiv zu werden, ihrem Leben Bedeutung zu geben?
Die Journalistin Sabine Rennefanz, im selben Jahr wie Beate Zschäpe und ebenfalls in der damaligen DDR geboren, schildert in ihrem Buch „Eisenkinder – die stille Wut der Wendegeneration“, wie nach 1989 in der DDR fast von einem Tag auf den anderen praktisch alles in Frage gestellt wurde, was zuvor als normal gegolten hatte. Angesichts dieser Orientierungslosigkeit, so schreibt sie, habe sie sich „nach Übersichtlichkeit, nach Einfachheit, nach einer Heimat“ gesehnt: „Ich hätte wahrscheinlich auch Islamistin, Scientologin oder vielleicht, unter besonderen Umständen, Neonazi werden können. Es war nur eine Frage, wer mich zuerst ansprach.“
Man kann nicht wissen, ob es bei Beate Zschäpe ähnlich war. Allerdings gehörte sie direkt nach der „Wende“ offenbar kurz einer linken Jugendgang an, die „Rechte klatschte“. Einen aggressiven Habitus, der auch Gewalt nicht ausschloss, hatte sie Berichten zufolge schon vor ihrem Anschluss an die rechte Szene. Bereits als Jugendliche soll sie sich wiederholt Schlägereien mit Sicherheitsleuten in Diskotheken geliefert haben.
Es gibt ein Video, das Zschäpe als 16-Jährige zeigt, in dem ein Sozialarbeiter sie und andere Jugendliche 1991 über ihre Lebenssituation befragt. Selbstbewusst, eine Zigarette rauchend, schaut sie in die Kamera, lacht, beantwortet die Fragen mal belustigt, mal spöttisch. Nur auf eine Frage weiß sie keine Antwort: nach ihren Zukunftsvorstellungen. Beate Zschäpe hat damals offenbar keine, oder keine, die sie in Worte fassen könnte.
„Wie konnte aus diesem harmlosen Mädchen nur die Terrorbraut werden?“ fragt die Redaktion, die das Video 21 Jahre später veröffentlicht hat. Jedenfalls wählte Beate Zschäpe nicht den angepassten, karriereorientierten Weg, der so viele ihrer Altersgenossinnen – deutlich mehr Frauen als Männer – „in den Westen“ führte.
Wenn es stimmt, was die Staatsanwaltschaft vermutet, dass sie nämlich der logistische Kopf des NSU war, dessen Finanzen verwaltete und durch ihr freundliches Verhalten nach außen eine Fassade bürgerlicher Harmlosigkeit aufbaute, dann lag ihr berufliches Scheitern sicher nicht daran, dass Beate Zschäpe unbegabt war. Sie wollte nur eben nicht Malerin oder Gärtnerin werden. Aber die Möglichkeiten, eine ambitioniertere Laufbahn einzuschlagen, waren aufgrund sozialer Faktoren gering: Weder ihr familiärer Hintergrund noch ihr „burschikoser“, teils aggressiver und „unweiblicher“ Habitus machten sie zu einer wahrscheinlichen Kandidatin für bildungsbürgerliche Karrieren in westlichem Stil.
Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Alison Wolf hat in ihrer soeben erschienenen Studie „The XX Factor. How Working Women are Creating a New Society“ eine kritische Bilanz des emanzipatorischen Feminismus gezogen. Sie schreibt, der Erfolg der „emanzipierten“ Frauen, ihr gestiegener gesellschaftlicher Einfluss und ihre mediale Sichtbarkeit würden die Tatsache verschleiern, dass sehr vielen Frauen diese Art des Protagonismus verschlossen bleibe. Die Arbeitsbedingungen vor allem von Frauen hätten sich im Zuge des neoliberalen Umbaus verschlechtert, ihre Einkommen verringert, ihre Handlungsspielräume verengt. Die soziale Spaltung zwischen Frauen aus unterschiedlichen Milieus, kritisiert Wolf, habe stark zugenommen, und das betreffe auch die Orte und Möglichkeiten ihres politischen Handelns.
Sicherlich ist der Rechtsextremismus in Deutschland kein ein Phänomen „bildungsferner“ Schichten, ganz im Gegenteil: Diejenigen, die diese Ideologie schmieden, kommen fast immer aus dem Zentrum des bürgerlichen Milieus, wie zum Beispiel auch Uwe Mundlos als „ideologischer Kopf“ des NSU. Aber es ist falsch, zu glauben, außerhalb bürgerlicher Kontexte gäbe es keinen weiblichen Protagonismus. Beate Zschäpe wies den Fatalismus eines „Da kann man nichts tun“ oder „There is no alternative“ klar zurück, sie bestand darauf, dass sie trotz aller widrigen Umstände sehr wohl „etwas machen“ kann.
Ab Mitte der 1990er Jahre schloss sie sich der rechten Szene an, ab 1996 spielte sie dort eine maßgebliche Rolle. Für die Zeit zwischen 2000 und 2007 werden ihr und dem NSU bislang neun Morde zugeordnet, es könnten aber auch mehr sein – derzeit werden ungeklärte Bombenanschläge und Attentate aus diesem Zeitraum daraufhin überprüft.
Der eigentliche politische Skandal an all dem ist das Versagen der Ermittlungsbehörden. Die hatten trotz deutlicher Hinweise in all der Zeit den nationalistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund der Morde nicht erkannt (oder nicht erkennen wollen), sondern die Motive im Umfeld der Opfer selbst gesucht, in familiären Konflikten oder organisierter Kriminalität. Dieses Machtgefühl, ungestraft morden zu können, haben Beate Zschäpe und ihre Freunde genossen, und es hat sie motiviert, weiter zu machen. Ihr Bekennervideo verhöhnt nicht nur die Opfer, sondern verspottet auch die Polizei, die nicht in der Lage war, der Gruppe auf die Spur zu kommen.
Solange sie schweigt, wissen wir zu wenig über Beate Zschäpe, um ihre Beweggründe wirklich zu kennen. Aber unabhängig von ihrer Person stellt sich durchaus die Frage, welche anderen Wege für politisches Handeln Frauen wie ihr damals offen gestanden hätten – oder auch heute offen stehen. Beate Zschäpe fand jedenfalls in der rechtsextremen Ideologie einen Sinn: Wer die Schuld an den wirtschaftlichen und sozialen Problemen Deutschlands bei „den Ausländern“ sieht, empfindet das eigene, unbefriedigend verlaufene Schicksal nicht mehr als individuelles Versagen oder persönliches Pech (wie es die neoliberale Ideologie den Menschen weismachen will), sondern stellt es in einen größeren gesellschaftlichen Kontext.
Warum haben andere Konzepte sie nicht überzeugt? Warum haben „unsere“ Ideen und Vorschläge für bedeutsames weibliches Handeln in der Welt sie nicht erreicht? Wusste sie überhaupt, dass es sie gibt?
Es sind solche Fragen, zu denen uns Beate Zschäpes Schweigen herausfordert.