What time is it?
(Anmoderation zur gleichnamigen Frauentagung, August 2007, in der Ev. Akademie Arnoldshain)
Wenn es keine Zeit gäbe, müssten wir uns nicht so oft entscheiden. Wir müssten keine Wahl treffen zwischen Familie und Beruf, zwischen Freizeit oder Karriere, zwischen dieser und jener Arbeitsgruppe oder diesem und jenem Projekt oder diesem und jenem Buch, zwischen Ausschlafen oder in die Andacht gehen, zwischen einem gemütlichen Abend auf dem Sofa oder einem Besuch bei der Freundin, zwischen den Kindern etwas vorlesen oder die Wäsche bügeln. Wie in einer Welt von Paralleluniversen könnten wir alle Möglichkeiten realisieren, die Entscheidung für etwas wäre nicht mehr automatisch eine Entscheidung gegen etwas anderes. Wäre das nicht paradiesisch?
»I want it all, and I want it now« – »Ich will alles, und ich will es jetzt« (ich glaube, das ist eine Zeile aus einem Lied von Queen). Es scheint, als sei unsere Kultur von der Illusion angetrieben wird, dieser Wunsch ließe sich verwirklichen. Alles miteinander vereinbaren, die Karriere, die vier Kinder, das ehrenamtliche Engagement, den Sport. Und alles gleichzeitig haben und alles jetzt und jederzeit machen, auch dank Internet und Handy, jederzeit überall sein, dank Flugzeug, schnellen Autos und Google Earth.
»Ich will alles, und ich will es jetzt«, das ist sicher auch eine Haltung, die uns als möglich vorgaukelt, um uns alles mögliche zu verkaufen, es ist das Paradies des Kapitalismus, aber in gewisser Weise ist sie auch schon älter, vielleicht »männlich« wie die Virilität des Rennfahrers, von der Elisabeth Moltmann-Wendel gestern sprach.
Aber möglicherweise war es eine Zeitlang auch ein Traum der Frauenbewegung, oder zumindest klingt dieser Slogan in meinen Ohren – also denen einer »Spätgeborenen« im Hinblick auf die Frauenbewegung – ein bisschen so, als hätte er auch auf einem Plakat bei einer Frauendemo in den Siebzigern stehen können. I want it all, and I want it now. Und er passt auch ein bisschen zum Habitus so mancher jungen, voll durchstartenden Powerfrau. Oder eben auch die Rennfahrerinnen.
Vielleicht haben wir Frauen uns ja ein bisschen von diesem Wunsch der Männer nach Alles-haben-und-alles-erreichen-können anstecken lassen. Ich meine, wir sind ja hier unter uns und können auch ein bisschen selbstkritisch sein.
Elisabeth Moltmann-Wendel hat gestern Vormittag zum Abschluss der Diskussion gesagt: »Wir brauchen im Grunde einen neuen Feminismus, denn der alte Feminismus hat einige Fragen nicht beantwortet.« Vermutlich ist das eine dieser offenen Fragen, die Frage, wie wir damit umgehen, dass die Zeit all unseren Initiativen und Aktivitäten eine definitive Grenze setzt und dass es notwendig ist, damit sinnvoll umzugehen, was als ersten Schritt eben bedeutet, dass wir das akzeptieren.
Aber andererseits: Wissen wir das nicht eigentlich auch schon längst? Sie, Frau Jung, haben gestern beim Abendessen an unserem Tisch die Geschichte von Ihrer Großmutter erzählt, die Ihnen als Kind mit einem Maßband anschaulich gemacht hat, dass wenn es Abend ist, vom Tag schon so viel vergangen ist, dass man in dem kleinen Rest nur noch eine ganz kleine Aktivität unterbringen kann. Und wahrscheinlich haben wir alle schon viel von unseren Müttern oder Großmüttern oder anderen über die Zeit und ihre Tücken gelernt: »Trödel nicht so rum« oder auch: »Mach mal langsam, du brichst dir noch das Genick.« – »Sei nicht immer so ungeduldig, warte bis du an der Reihe bist.« –oder eben auch: »Willst du dich nicht endlich mal entscheiden? Wie lange sollen wir denn noch auf dich warten?« Das sind so die Sätze, die ich zum Beispiel im Ohr habe, ich höre dazu geradezu die Stimme meiner Mutter.
Der Wunsch »Ich will alles, und ich will es jetzt« ist ja tatsächlich ein kindischer Wunsch. Der Wunsch von Menschen, die noch nicht wissen, dass es die Zeit gibt und damit eine unverrückbare Grenze für jeden Tag. Wir sind aber schon erwachsen. Wir haben längst gelernt, dass wir nicht alles jetzt haben können. Nur scheint das auf einer gesellschaftlichen, politischen Ebene öfter mal in Vergessenheit zu geraten.
Die Problemfelder, um die es dabei gesellschaftspolitisch vor allem geht, haben wir gestern und vorgestern bereits ausgelotet: Die ungeklärte Frage, wer die Familien- und Hausarbeit macht und zu welchen Konditionen. Die Frage, wer eigentlich mit welcher Autorität protestiert, wenn das Leben immer mehr »verdichtet« und beschleunigt wird und wer sich um die kümmert, die dabei unter die Räder kommen. Die Frage, woher wir Kriterien bekommen für unsere Entscheidungen angesichts der Begrenztheit der Zeit.
Und wir sind auch schon zu Ideen und Antworten gekommen. Eine Entdeckung war, dass die Gegenüberstellung von Schnelligkeit und Langsamkeit am Kern der Sache vorbei geht. Es geht nicht um Geschwindigkeit als solche, sondern um die Qualität der Zeit, um das rechte Maß, um das, was jeweils angemessen ist. Von daher können wir in Zukunft schon mal immer skeptisch aufhorchen, wenn jemand predigt, dass die Welt aber unbedingt schneller oder aber auch unbedingt »entschleunigt« werden muss. Weder »Effektivitätssteigerung« noch »Entschleunigung« dienen als Pauschalrezepte, weil sie nicht die konkrete, einzelne Situation im Auge haben.
Wie brauchen keine neuen Trends und Heilsversprechen, sondern eher auch im öffentlichen Raum so etwas wie eine mütterliche Autorität, die mahnt, nicht so zu trödeln oder nicht so schnell zu rennen, erstmal abzuwarten oder auch nicht alle anderen warten zu lassen.
Was ist jetzt die Situation, was ist angemessen, damit diese Zeit, um die es geht, »gut« ist? Unter diesem Aspekt hat also unser Tagungsthema noch einmal eine ganz neue Bedeutung bekommen, was ich besonders schön finde, weil wir darüber bei der Vorbereitung eine ganze Weile diskutiert haben, also ob: »What time is it?« überhaupt korrektes Englisch ist. Aber »What time is it?« das bedeutet nach unseren Diskussionen gestern eben nicht unbedingt: Wieviel Uhr ist es? sondern: Was für eine Zeit ist es? What time is it?
Was ist gute Zeit, erfüllte Zeit? Daran haben wir gestern gearbeitet. Die Intensität war dafür ein Stichwort, das Gisela Brackert eingebracht hat, der »gelebte Augenblick«, das erfüllte Jetzt. In Kontakt sein, sagte eine Teilnehmerin in der Diskussion, mit mir selbst, mit dem Gegenüber und mit der Situation – dies macht »gute« Zeit aus. Die Fähigkeit zum Warten, zum Reifen lassen, die Elisabeth Moltmann-Wendel betont hat. Heute morgen hat Eli Wolf im Gottesdienst noch das Stichwort »Spiritualität« ins Spiel gebracht.
Dass Frauen aus ihrer Lebenspraxis heraus dazu vieles zu sagen, ist in den beiden Vorträgen von gestern, in denen so viel Erfahrung und Weisheit steckte, sehr deutlich geworden. Was aber natürlich nicht heißt, dass wir schon alle Antworten kennen oder gar die besten und einzig richtigen. Heute vormittag möchten wir in dieser Richtung weiter denken. Wo wäre ansetzen? Welche Stolpersteine haben wir noch übersehen? Wo sind die Sackgassen? Wo gibt es vielleicht schon positive Ansätze, nur dass wir sie noch nicht genügend wahrnehmen und würdigen? Und wie bringen wir unser Ideen in die Gesellschaft ein?
Darüber diskutieren hier auf dem Podium noch einmal Ulrike Holler, sowie Marie-Luise Jung und Wangare Greiner.
Marie-Luise Jung haben diejenigen, die in ihrer Arbeitsgruppe waren, bereits kennen gelernt. Für die anderen: Sie ist Diplompädagogin und arbeitet freiberuflich als Organisationsberaterin, unter anderem gibt sie eben auch Kurse und Fortbildungen im Zeitmanagement. Und sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie solche »Management«-Techniken, die durchaus auch im Dienst der Höher-Schneller-Profitabler-Logik eingesetzt werden können, durchaus auch sinnvoll sein können, um bewusst mit der begrenzten Ressource Zeit umzugehen.
Und schließlich ist Wangare Greiner auf dem Podium. Sie ist eine der Gastgeberinnen dieser Tagung, sie ist nämlich ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis Frauen der Akademie Arnoldshain und hat diese Tagung also mit geplant und vorbereitet. Sie ist in einer Vielzahl von Initiativen engagiert, hauptberuflich ist sie Sozialarbeiterin und arbeitet bei Maisha, einer Selbsthilfeorganisation für afrikanische Frauen in Frankfurt.
Wangare, du hattest dich am Freitag abend in der Diskussion über das Zeitverhältnis von Haus- und Erwerbsarbeit bei Frauen und Männern schon einmal kurz aus dem Publikum heraus zu Wort gemeldet und ein Thema angesprochen, auf das ich gerne noch einmal zurück kommen möchte: dass nämlich das »Zeitmanagement« vieler beruflich erfolgreicher deutscher Frauen auch deshalb funktioniert, weil immer mehr Migrantinnen Teile der Arbeit in den Haushalten oder im Pflegebereich übernehmen. Und das zu nicht immer guten Bedingungen. Gibt es da in der Diskussion in Deutschland über die »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« noch einen »Blinden Fleck«?
Du berätst auch viele Au-Pair-Mädchen, die in zunehmender Zahl in deutschen Haushalten arbeiten. Dabei kommt es oft auch zu Konflikten, die auch etwas mit den Entscheidungen zu tun haben.
Hat es auch etwas mit der Frage der Entscheidungen zu tun. Also der Konflikt, dass viele Frauen eigentlich selbst sich um die Kinder kümmern wollen oder glauben das zu müssen, und dann die Aufgaben- und Zeitverteilung nicht klar ist.
Die Aufteilung der Haus- und Familienarbeit auf viele Schultern, das betrifft ja nicht nur die Migrantinnen, sondern auch Großmütter, Tanten, Nachbarinnen, Babysitter, Kindergärtnerinnen – also es ist ja geradezu schon ein Netzwerk von fast ausschließlich Frauen, die dieses »Zeit-Jonglieren« bewältigen und irgendwie organisieren.
Hinter all dem steht ja letztlich der Umstand, dass die Zeit so ungeheuer egalitär ist: Jeder Mensch hat jeden Tag genau gleich viel davon. Zeit ist eines der wenigen Dinge, die man sich nicht kaufen kann (auch wenn die Werbung uns inzwischen manchmal versucht, das Gegenteil vorzugaukeln, aber egal wie man es dreht und wendet, es bleibt bei 24 Stunden am Tag.) Was machen wir mit dieser Zeit? Marie-Luise. Du berätst nicht nur Führungskräfte und Managerinnen, sondern auch Frauen aus sozialen Berufen, und das scheint mir spannend, gerade auch im Bezug auf unser Thema. Was müssen Frauen im Zeitmanagement besonders lernen? Gibt es speziell »weibliche« Fallstricke – und was können wir dagegen tun?
Ein Aspekt der Frage nach der »guten Zeit« ist da ja nicht nur die Feststellung, was und wann das ist, sondern daraus ergeben sich ja unter Umständen auch Veränderungen im eigenen Lebensstil und in der eigenen Lebensplanung, die dann auch erst einmal wieder mit anderen verhandelt werden müssen?
Ulrike: Du denkst sehr schnell, andere sind eher langsam. Sicher hast du es auch auf der Arbeit oft mit Menschen zu tun gehabt, die dir zu langsam waren oder denen du zu schnell waren. Was kann man in solchen Situationen tun? Wo drohen Konflikte und Missverständnisse? Wie können Schnelle und Langsame miteinander auskommen?
Und haben Sie auch einen Rat für die Langsamen: Was können sie tun, um die Schnellen nicht zu nerven?
Wenn wir nun wissen, dass das nicht im Sinne von Besser oder Schlechter zu bewerten ist, haben wir es ja vielleicht auch hier einfach mit dem Phänomen der Differenz zu tun: Dass es also eine Art interkulturelle Kompetenz geben müsste, sodass man sich gegenseitig befruchten kann, die Schnellen und die Langsamen. Ich glaube, dass das sicher auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung wichtig werden wird.
Damit kommen wir vielleicht noch einmal auf die Frauen aus anderen Kulturen. Haben manche von ihnen vielleicht einen gelasseneren Umgang mit Zeit, weshalb sie möglicherweise sogar besser qualifiziert oder geeignet sind für die Arbeiten, die hier zu Lande schlecht organisiert sind, also gerade Altenpflege oder so? Wangare: Sind sich die Migrantinnen einer Differenz im Bezug auf kulturelles Zeitempfinden bewusst und sehen sie darin eine Fähigkeit? Und gelingt es, sie zu vermitteln?
Das heißt, es käme darauf an, die Migrantinnen nicht nur als Lückenbüßerinnen zu sehen, die eine Arbeit machen, für die wir selbst glauben, keine Zeit zu haben, sondern vielleicht auch mal hinzuschauen, ob sie diese Arbeit nicht vielleicht sogar besser machen und etwas von ihnen lernen könnten?
Eine schlechte Möglichkeit, die unsere Kultur – oder vielleicht eher die männliche westliche Kultur – erfunden hat, um mit der Zumutung fertig zu werden, dass die Zeit begrenzt ist und den Menschen Grenzen setzt, ist vielleicht auch die, alle Arbeiten, für die man selbst keine Zeit hat oder glaubt keine zu haben, abzuwerten und für unwichtig zu erklären. So ein bisschen nach dem Motto: Da verpasse ich ja nichts. Vielleicht könnten wir da noch einmal darüber hinauskommen und dazu, die Unterschiedlichkeit verschiedener Zeitempfinden als eine Bereicherung schätzen zu lernen. Nur weil ich mich entschieden habe, etwas nicht zu machen, muss es ja nicht unwichtig sein. Du, Ulrike, hast dafür gestern auch schon ein Beispiel gebracht, das vielleicht auch für eine Politik der Frauen interessant ist, nämlich dass Sie aufgrund ihrer »Schnelligkeit« keine Lust hatten, sich in Gremien oder Führungspositionen wählen zu lassen, dass es aber durchaus auch wichtig ist, dass andere Frauen es machen.