Teil 1: Wo stehen wir Frauen heute?
Die Frauenbewegung war die erfolgreichste soziale Bewegung, die wir jemals hatten. Wohl kaum etwas anderes hat sich in den vergangenen dreißig Jahren so sehr zum Positiven verändert, wie das Verhältnis von Frauen und Männern.
Vor einigen Jahren war ich bei einer Tagung, wo Erika Wisselink, die ja vielleicht einige von Ihnen noch kennen, einen Vortrag hielt, der mich sehr beeindruckt hat. Sie sprach immer von der Zeit »vor der Frauenbewegung« und »nach der Frauenbewegung«, so als handele es sich hierbei um ein sehr einschneidendes Ereignis, sozusagen um eine Zeitenwende. Und das ist es auch. Nach der Frauenbewegung ist nämlich nichts mehr so wie vor der Frauenbewegung.
Was genau ist es, das sich verändert hat?
Da wären zunächst einmal die offensichtlichen Fakten: Frauen haben heute gleiche Rechte. Dieser Prozess hat natürlich schon lange vor der Frauenbewegung der siebziger Jahre angefangen, eigentlich schon zu dem Zeitpunkt, als die Idee der gleichen Rechte in Europa erfunden wurde, im 18. Jahrhundert. Mit der französischen Revolution wurde die Idee, dass alle Menschen gleich seien und daher auch vor dem Gesetz gleich behandelt werden müssen, offiziell proklamiert. Bekanntlich hatten die Männer, die diese Idee entwickelt hatten, dabei die Frauen nicht im Sinn. Sie dachten, die gleichen Rechte und die Idee der Gleichheit ließen sich nur auf die Männer beschränken. Aber das ist ja schon rein logischer Blödsinn, und natürlich haben Frauen darauf von Anfang an hingewiesen. Die englische Feministin Mary Wollstonecraft und die französische Feministin Olympe de Goughes haben schon damals laut die Rechte der Frauen eingeklagt, Olympe de Goughes ist dafür unter der Guillotine hingerichtet worden. Ende des 19. Jahrhunderts dann wurde die bürgerliche Frauenbewegung zu einer Massenbewegung, die Suffragetten – das Wort stand für »Suffrage«, Wahlrecht – erkämpften das Wahlrecht für Frauen, das sich dann zwischen 1918 und 1970 in der ganzen Welt durchgesetzt hat.
Von Beginn an ging es aber nicht nur um das Wahlrecht, sondern auch um alle anderen Gesetze, insbesondere im Hinblick auf das Erbrecht, das Eherecht, das Arbeitsrecht, die Sozialgesetze und so weiter.
Später, in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, ging es dann nicht nur um die formale Gesetzgebung, sondern auch um die Herstellung von mehr tatsächlicher Gleichheit. Frauenförderpläne und Quotenregelungen wurden eingeführt, damit Frauen nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch faktisch gleichberechtigt werden. Inzwischen sind Gleichstellungsbeauftragte weithin eine feste Institution, Gender Mainstreaming, also das von oben nach unten durchgesetzte Verfahren, wonach alle staatlichen Gesetze und Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf Männer und Frauen untersucht werden sollen, ist eine verbindliche EU-Richtlinie geworden. Das Bekenntnis zur Gleichheit von Frau und Mann vor dem Gesetz ist zur offiziellen Richtlinie der Politik in Westeuropa und den USA geworden.
Viele scheinen zu glauben, dies, die Gleichstellung, sei die wesentliche Forderung und der Kern der Frauenbewegung, Feminismus sei also gleichbedeutend mit Emanzipation. Aber das ist falsch. Die Emanzipation ist eigentlich eine Erfindung der Männer, denn wenn man die Idee der Gleichheit aller Menschen erst einmal in die Welt gesetzt hat, dann ist ja nicht wirklich viel Phantasie nötig um sich vorzustellen, dass auch die Frauen diese Gleichheit eines Tages für sich beanspruchen würden. Die Frauenemanzipation war nichts Überraschendes, sondern ganz und gar vorhersehbar, nur eine Frage der Zeit.
Der Feminismus hingegen ist wirklich Überraschend, hat nichts Vorhersehbares, und zwar deshalb, weil seine Grundlage nicht der Vergleich mit den Männern ist, sondern die weibliche Freiheit, das, was Frauen begehren. Der Feminismus ist in die Zukunft hinein offen für das, was Frauen wünschen und wollen, und das kann niemand vorhersehen, auch die Frauen selbst nicht, die ja nicht wissen, was sie oder ihre Töchter und Enkelinnen in Zukunft einmal begehren werden. Diese weibliche Freiheit, die Welt nach dem eigenen Begehren zu verändern und zu gestalten, ist natürlich etwas viel Revolutionärer und Umwälzenderes als die Emanzipation. Es geht viel tiefer, es verweist auf eine ganz grundlegende Umwälzung der kulturellen Grundlagen unserer Gesellschaft. und diese Befreiung des weiblichen Begehrens war es, was die Frauenbewegung gebracht, sichtbar gemacht und zu einem politischen Faktor gemacht hat.
Das heißt, seit dieser Zeitenwende, seit der Frauenbewegung, gilt nicht mehr, was über Jahrhunderte und Jahrtausende selbstverständlich war, und zwar nicht nur für fast alle Männer, sondern auch für die meisten Frauen: Das Frauen schwächer und weniger wert sind als Männer. Frauen glauben das heute nicht mehr – jedenfalls die meisten. Sie haben, wie die Philosophin Luisa Muraro sagt, dem Patriarchat den Kredit entzogen, seine Glaubwürdigkeit. Früher, vor der Frauenbewegung, war das Problem ja nicht nur die rechtliche Diskriminierung der Frauen. Sondern das eigentliche Problem war doch, dass die meisten Frauen selbst nicht von ihrer Stärke und ihrer Würde überzeugt waren. Sie glaubten wirklich, dass sie viele Dinge nicht so gut können wie Männer, dass es schon seine Ordnung hat, wenn die Männer die Welt regieren und Politik und Wirtschaft dominieren.
Die Emanzipation allein konnte daran nicht viel ändern. Meine emanzipierten Lehrerinnen in den siebziger Jahren zum Beispiel haben mir immer gesagt, ich könnte alles erreichen, könnte einen Beruf ergreifen, studieren und so weiter, obwohl ich eine Frau bin. So als ob das Frausein ein Handikap, eine Behinderung sei, die ich überwinden müsste, um frei sein zu können. Das heißt, sie versprachen mir zwar Freiheit, aber um den Preis der Angleichung an das Männliche. Dafür gab es ja auch schon in all den Jahrhunderten zuvor genügend Beispiele: Frauen, die das taten, was sonst nur Männer taten – als Mannweiber galten sie auch, als Frauen, die aus der traditionellen Frauenrolle ausbrachen.
Die Frauenbewegung hingegen hat mich gelehrt, dass Frau sein und frei sein sich nicht ausschließt. Dass ich mein Frausein nicht verleugnen muss, wenn ich hinaus in die Welt gehen und sie gestalten und verändern will. Oder anders gesagt: Es gibt keine fixen Rollen von weiblich und männlich mehr, keine feste Vorstellung, wie eine Frau zu sein hat. Nein, heute weiß ich, dass ich auch als freie Frau meine Weiblichkeit nicht verliere: Egal, was eine Frau tut, es ist weiblich. Frausein und Freisein schließen sich nicht mehr aus.
Wenn wir uns also die Frage stellen: Wo stehen Frauen heute? Dann haben wir also zweierlei erreicht: Wir haben gleiche formale Rechte, jedenfalls in den westlichen Ländern und in immer mehr anderen auch. Und wir haben die Befreiung des weiblichen Begehrens, und zwar überall auf der Welt, wenn auch nicht immer bei allen Frauen und nicht jederzeit. Über die Frage, wie und wann weibliches Begehren in der Welt wirken kann und wann und wodurch es behindert und blockiert wird, spreche ich noch heute Nachmittag. Aber die Idee ist vorhanden, die Möglichkeit, die Kraft des weiblichen Begehrens zu erkennen und zu kultivieren.
Aber Frauen sind doch nach wie vor benachteiligt?
Das werden jetzt vielleicht einige von ihnen einwenden. Wahrscheinlich denken Sie dabei an die vielen Statistiken in den Sinn, die nachweisen, dass die Gleichstellung der Frauen mit den Männern noch nicht vollständig geschafft ist. Noch immer sind Frauen seltener als Männer in wichtigen Positionen vertreten, noch immer verdienen sie im Durchschnitt weniger Geld. Noch immer machen sie die Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit fast ganz allein. Offenbar gibt es auch so etwas wie eine »gläserne Decke«, die verhindert, dass Frauen in die wirklich hohen Positionen kommen.
Es gibt also viele äußerliche, statistisch messbare Befunde, die uns zeigen, dass es mit der Situation der Frauen noch nicht zum Besten steht. Was machen wir mit diesen Befunden?
Ein Problem in dieser Debatte sehe ich darin, dass der Erfolg der Frauen dabei immer an ihrer Gleichheit mit den Männern gemessen wird: Verdienen sie genauso viel? Sind sie in Machtpositionen in gleicher Zahl vertreten? Die Frage, die ich viel interessanter finde, ist , was wir aus dem Verhalten von Frauen vielleicht über das weibliche Begehren lernen können. Der Maßstab des Männlichen ist dafür nicht geeignet, denn Frauen können ja auch etwas anderes begehren als das, was die Männer haben und tun.
Bei manchen Statistiken wird Ihnen das unmittelbar einleuchten: Frauen, so las ich kürzlich, achten beim Autokauf in hohem Maße auf Umweltverträglichkeit, Männer hingegen so gut wie überhaupt nicht, eher PS-Zahl und ein guter Preis. Nun wäre es ja wohl kaum wünschenswert, wenn wir im Sinne der Gleichheit Förderpläne aufstellen würden, um Frauen dazu zu bringen, genauso wenig Wert auf Umweltverträglichkeit zu legen wie Männer und auch nur noch nach den PS zu gucken. Sondern es wäre doch wohl viel sinnvoller zu überlegen, wie wir es anstellen können, dass das Wünschen und Wollen der Frauen einen größeren Einfluss in der Welt bekommt.
Eine solche weibliche Differenz festzustellen, das hat nichts mit Biologismus zu tun, denn es ist ja nicht die Natur der Frauen, ihre Gene oder ihre Hirnströme, die sie für Umweltschutz interessieren, sondern es ist ihre bewusste Entscheidung, eine weibliche Kultur also.
Warum sehen wir das nicht auch bei den vielen anderen Statistiken so, die eine Benachteiligung von Frauen anzeigen: Frauen verdienen weniger Geld, arbeiten öfter Teilzeit, sind seltener in hohen Managerposten. Liegt das daran, dass die äußeren Strukturen es Frauen schwer machen, dort hin zu kommen? Oder liegt es daran, dass Frauen immer noch so sozialisiert und erzogen werden, dass sie nicht selbstbewusst genug sind, diese Posten zu ergreifen und über höhere Gehälter zu verhandeln?
Beides mag sicherlich einen Einfluss haben, aber es liegt eben auch daran, dass Frauen andere Vorlieben und Kriterien haben und andere Entscheidungen treffen als Männer. Vielleicht wollen Frauen diese Jobs gar nicht in gleichem Maße wie die Männer? Vielleicht sind sie nicht bereit, ihr ganzes Privatleben dem Job unterzuordnen, wie es nötig ist, wenn man heutzutage eine Führungsposition haben will? Vielleicht ist es eine bewusste Entscheidung, die sie treffen, weil sie sehen, dass es gesellschaftlich notwendig ist, andere Arbeiten zu leisten, sich um Kinder und Alte zu kümmern, sich ehrenamtlich zu engagieren? Vielleicht haben sie auch keine Lust, sich in diese Konkurrenz zu begeben und solchen Stress zu machen, wenn sie mit einer mittleren Position auch genug Geld zum Leben haben und viel mehr Lebensqualität? Beispiel Girls-Day: Sollen wir jungen Frauen ausreden, Erzieherinnen im Kindergarten werden zu sollen, weil sie dort so wenig verdienen? Oder müssten wir nicht eher dafür sorgen, dass junge Frauen ohne große Einbußen als Erzieherinnen arbeiten können?
Nicht bei den Frauen stimmt etwas nicht, wenn die Zahlen auf ein eklatantes Ungleichgewicht hindeuten. Sondern an dem System stimmt etwas nicht. Das Fehlen, die Nichtteilnahme von Frauen bezeichnet immer einen Mangel im Gesamtsystem, und den dürfen wir sozusagen nicht zukleistern, indem wir Frauen solange fördern, bis diese Differenz verschwunden ist. Quotenregelungen und Frauenförderpläne können durchaus sinnvoll sein, aber höchstens im Interesse der entsprechenden Institution – der Partei, des Vereins usw. – weil sie ihr dabei hilft, Frauen einzubinden und nicht zu einem bloßen Männerverein zu werden. Für die weibliche Differenz ist sind Instrumente wie Quote oder Frauenförderpläne zumindest zwiespältig. Einerseits verschafft es Frauen Zugang zu gewissen Positionen, in die sie anders vielleicht nicht gekommen wären. Andererseits ist damit aber auch immer die Gefahr verbunden, dass die weibliche Differenz und ihre kulturstiftenden Impulse verloren geht. Denn, wie gesagt, diese Differenz ist nichts natürliches, es liegt nicht im Wesen der Frau, in ihren Genen oder ihren Gehirnströmen, dass sie andere Maßstäbe setzt, als die Männer, etwa mehr auf Umweltverträglichkeit als auf PS achtet, mehr auf Beziehungen als auf Geld oder ähnliches. Dies ist nicht weibliche Natur, sondern weibliche Kultur, und das heißt, sie kann auch verloren gehen. Es ist denkbar, dass in Zukunft auch die Frauen sich nur noch für die PS-Zahl ihres Autos interessieren und keine Lust mehr haben, Kinder zu erziehen.
Es ist also problematisch,den Grad der Freiheit der Frauen am Grad ihrer Gleichheit mit den Männern zu messen. Es gibt weibliche Freiheit ohne Emanzipation, und es gibt Emanzipation ohne weibliche Freiheit. Deshalb sagen ja auch so viele moderne Frauen, auch viele junge von sich: Ja, ich bin zwar emanzipiert – aber Feministin bin ich keine. Sie sind also ganz offensichtlich der Meinung, dass es Emanzipation ohne Feminismus geben kann. Und damit haben sie Recht. Es gibt ja auch viele andere Beispiele für Emanzipation ohne Feminismus. Erinnern wir uns nur an die Länder des real existierenden Sozialismus: Da war die Gleichstellung der Frauen von oben verordnet, mit Feminismus, also mit der Liebe der Frauen zur Freiheit, hatte das nichts zu tun. Oder heute, wenn wir uns anschauen, dass die Emanzipation als Begründung für Kriege dient, als etwas, das mit Gewalt in alle Welt exportiert werden muss. Auch das hat mit Feminismus rein gar nichts zu tun. Ebenso wie das neuerdings oft gehörte Argument, die Emanzipation sei notwendig, weil die Wirtschaft qualifizierte weibliche Arbeitskräfte braucht.
Feminismus bedeutet, dass die weibliche Kultur wertgeschätzt und wichtig gefunden wird. Feministinnen sind Frauen, die den Maßstab ihres Tuns im Gespräch mit anderen Frauen, mit dieser weiblichen Kultur eben, suchen, und nicht in der Anerkennung seitens der Männer oder an der Höhe des Einkommens oder Titel. Wir sollten deshalb auch nicht als Argument für die Notwendigkeit des Feminismus anführen, dass die Gleichberechtigung doch noch nicht wirklich vollständig ist. Denn das heißt ja im Umkehrschluss: Wenn die Gleichberechtigung vollkommen verwirklicht wäre, bräuchten wir keinen Feminismus mehr. Ich bin aber im Gegenteil der Meinung, dass wir gerade wenn Frauen gleichberechtigt sind, den Feminismus umso nötiger brauchen. Denn je mehr gesellschaftlichen Einfluss Frauen haben, je mehr Machtpositionen sie besetzen und je mehr Aufgaben sie übernehmen, umso wichtiger ist es doch, dass sie ihr Tun reflektieren, dass sie ihrem Begehren auf der Spur bleiben, anstatt einfach nur zu Funktionieren, wie das System es von ihnen verlangt.
Es gibt aber nicht nur Emanzipation ohne Feminismus, es gibt auch Feminismus ohne Emanzipation. Gleiche Rechte sind keine Vorbedingung für die Freiheit der Frauen. Möglicherweise sind sie eine Folge davon, wenn nämlich freie Frauen Wert auf diese Rechte legen und für sie kämpfen. Wir sehen aber – und heute in einer globalisierten Welt mehr denn je – dass es auch freie Frauen gibt, denen der Kampf für die Gleichheit und für gleiche Rechte nicht so wichtig ist, wie uns Westlerinnen, die wir in der Tradition der Aufklärung und der Französischen Revolution stehen. Darüber können wir mit ihnen streiten. Wir können ihnen aber nicht ihre Freiheit und ihren Feminismus absprechen. Wenn das Begehren der Frauen der Motor ist für ihre Liebe zur Freiheit (und nicht das Streben danach, dem Mann gleich zu sein), dann ist es auch denkbar, dass sich das Begehren der Frauen auf etwas anderes richtet, als auf die Emanzipation.
Sich dies klarzumachen ist nicht nur wichtig für den Austausch mit Frauen aus anderen Kulturen heute, sondern auch, um unsere eigene Geschichte besser zu verstehen. Wie viele mutige, freiheitsliebende Frauen hat es da gegeben, mit wie viele Dingen haben sie sich beschäftigt: Sie haben Klöster reformiert, sie haben sich um Umweltschutz gekümmert, sie sind für den Frieden eingetreten, sie haben eine neue Pädagogik erfunden, sie haben sich um Arme und Kranke gekümmert, sie haben sich kulturell und künstlerisch betätigt. Viel zu oft haben wir das Engagement dieser Frauen nicht wahrgenommen, weil sie nicht im engeren Sinne emanzipatorische Forderungen aufgestellt haben. Damit haben wir eine große Ressource der Frauenbewegung vernachlässigt. Es ist wichtig, dieses Engagement genau anzuschauen, denn darin äußert sich oft eine große Freiheitsliebe. Wir beschneiden uns als Feministinnen selbst, wenn wir an andere Frauen immer zu schnell den Maßstab anliegen, ob sie denn den Kampf für die Gleichberechtigung betreiben. Wir verschließen dann die Augen vor dem weiblichen Begehren und seiner weltverändernden Vielfalt und Stärke.
Die Frage, um die es im konkreten Fall gehen muss, ist nicht: Wie emanzipiert und gleichberechtigt ist diese Frau? Sondern: Liebt sie die weibliche Freiheit, was heißt: Folgt sie ihrem Begehren, tut sie das, was sie will und was ihr wichtig ist, engagiert sich in der Welt – oder funktioniert sie nur, passt sie sich Konventionen und den Erwartungen anderer an?
Diese Fragestellung: Wo äußert sich das Begehren der Frauen? ist auch wichtig, wenn wir uns die Probleme anschauen, vor denen unsere Gesellschaft heute steht.
Denn auch wenn der Kampf für die Emanzipation sehr erfolgreich war, so müssen wir doch eingestehen, dass damit nicht alle Probleme gelöst sind. Frauen haben zwar gleiche Rechte und sind in wichtigen Schlüsselpositionen. Aber gleichzeitig wächst die soziale Ungleichheit, die Schere von arm und reich. Frauen übernehmen immer mehr wichtige Positionen in den Medien, gleichzeitig sind die Medien immer weniger eine kritische Kraft. Allerorten bekennt man sich zu weiblichen Kompetenzen wie Beziehungsfähigkeit, emotionaler Intelligenz, der Wichtigkeit von Kommunikation, gleichzeitig erleben wir Vereinsamung, um sich greifende Skrupellosigkeit in wirtschaftlichen Belangen, wird es immer schwieriger, soziale oder familiäre Bindungen einzugehen. Erhofft hatten wir uns doch eigentlich etwas anderes. Am Beginn der Gleichstellungsbewegung waren viele der Überzeugung, dass allein die Präsenz von Frauen zu Verbesserungen führen würde, zu einer gerechteren, sozialeren Welt für alle. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Woran liegt das?
Auch hier hängt vieles mit der bereits erwähnten Verwechslung von Emanzipation und Feminismus zusammen. Die Gleichstellung der Frauen mit den Männern ist erreicht. Das ist schön für die Frauen – die jetzt nicht mehr den alten Beschränkungen unterworfen sind, wie früher. Es ist egal für die Männer – für sie hat sich im Prinzip nicht sehr viel geändert, abgesehen davon, dass unter ihren Konkurrenten jetzt auch manche eine Frau sind.
Aber was das gesellschaftlich heißt, ist noch nicht zu Ende gedacht. Denn die Frauen haben vor ihrer Emanzipation ja nicht nur Däumchen gedreht. Sie haben wichtige gesellschaftliche Funktionen übernommen, wichtige Arbeiten geleistet, im Haushalt, in der Kindererziehung, im Ehrenamt.
Diese Arbeiten sind aber bislang in wirtschafts- und gesellschaftspolitische Überlegungen überhaupt nicht eingeflossen. Heute rächt sich das. Denn wenn die emanzipierten Frauen dasselbe machen, wie früher nur die Männer: Wer macht eigentlich das, was früher die Frauen gemacht haben?
Früher, vor der Frauenbewegung, ist diese Debatte auch schon mal geführt worden: Wenn die Frauen erst einmal gleichberechtigt sind, so prophezeiten damals die Gegner der Frauenrechte, dann werden die Kinder vernachlässigt, die Wohnungen verdrecken, Alte und Kranke siechen dahin, weil niemand sich mehr um sie kümmert, die Welt wird härter und unmenschlicher, weil keine weiblichen »helfenden« Hände mehr dafür sorgen, dass sie wohnlich bleibt.
Lange haben Frauen sich gegen solche Vorwürfe zur Wehr gesetzt, und mit guten Gründen: Sie haben – zu Recht – immer wieder betont, dass die Gleichberechtigung die Frauen nicht zu verantwortungslosen Karrieremonstern macht, die nur an sich selbst denken. Und tatsächlich hat sie das ja auch nicht. Trotz Emanzipation und Berufstätigkeit erledigen Frauen heute immer noch all diese Arbeiten. Noch immer werden 80 Prozent der Pflegebürftigen zuhause in der Familie versorgt, fast ausschließlich von Frauen. Zwar haben Frauen den Anteil dieser Care-Arbeiten zurückgefahren, um Zeit für ihren Beruf zu haben, aber mit Augenmaß und Verantwortung: In den letzten zehn Jahren, so eine aktuelle Studie, ist der Zeitaufwand für Haus- und Care-Arbeit bei Frauen um fünf Stunden pro Woche zurückgegangen. Die Zeit, die sie aktiv mit ihren Kindern verbringen, ist hingegen nicht weniger geworden. Das heißt: Frauen wirtschaften verantwortlich mit der weniger werdenden Zeit, die sie für Hausarbeit haben, sie lassen Unwichtiges weg und konzentrieren sich auf das Wichtige.
Die Kehrseite dieser Entwicklung ist aber unübersehbar. Frauen sind gestresst. Sie haben extrem wenig Zeit für sich selbst, zum Ausruhen, für ihre Hobbies und ihre Freizeit. Weil sie sowohl Haus- und Carearbeit leisten als auch im Beruf Erfolg haben wollen. Normalerweise wird dieser Komplex unter dem Stichwort »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« diskutiert. Dies ist aber höchst irreführend. Denn es hört sich so an, als hätten hier die Frauen ein Problem, nämlich dies, die beiden Aspekte zu vereinbaren. Es ist aber kein Frauenproblem. Die Frauen könnten ja, ebenso wie die Männer, die Care-Arbeit einfach sein lassen und mal abwarten was passiert. Ein Frauenproblem ist das alles nur, weil Frauen dieses allgemein-gesellschaftliche Thema zu ihrem Problem machen , und zwar nicht, weil ihnen das in den Genen liegt, sondern aus Verantwortungsgefühl für das Ganze heraus. Mit ihrer Mehrarbeit gleichen sie die Tatsache aus, dass unsere Gesellschaft schlichtweg keine Regelungen dafür hat, wie diese Arbeit, die vor der Emanzipation in die alleinige Zuständigkeit der Frauen fiel, nun, nach der Emanzipation, strukturiert werden soll.
Ein Versuch, das Problem zu lösen, ist der Vorschlag, die Lasten dieser Arbeit gleichmäßig auf beide Geschlechter zu verteilen. Männer sollen ihren Anteil an Haus- und Carearbeit übernehmen: Das Projekt ist so alt wie die Frauenbewegung selbst, aber bisher bekanntlich nur von mäßigem Erfolg gekrönt. In demselben Zeitraum, in dem Frauen ihre Hausarbeit um fünf Stunden pro Woche reduziert haben, ist der Anteil bei den Männern um gerade mal vier Minuten gestiegen. Obwohl die entsprechenden Gesetze längst geändert wurden, nimmt nur ein winziger Prozentsatz von Männern Erziehungsurlaub oder nutzt die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit, um Zeit für die Hausarbeit zu haben.
Woran liegt das? Ich glaube, es ist zu kurz gedacht, wenn wir hier nur Böswilligkeit oder Faulheit seitens der Männer unterstellen. Vielleicht haben wir, die Feministinnen, zu dieser Zurückhaltung auch selbst ein bisschen beigetragen. In dem Versuch, sich von überkommenen Frauenrollen zu befreien, haben auch frauenbewegte Frauen zur Abwertung der Haus- und Familienarbeit beigetragen. Sie haben sich von ihren Müttern, deren »Hausmütterchen«-Leben uns unemanzipiert und langweilig erschien, distanziert. Sie wollten nicht so werden. »Hausarbeit ist nicht sexy« sagt Alice Schwarzer noch heute in jeder Talkshow. Frauen selbst haben also mit an dem Bild gebastelt, wonach da draußen die große, verlockende Männerwelt ist, die wir für uns erobern wollen. Und, sozusagen als gerechten Ausgleich, wollten wir die Männer dazu verdonnern, ihrerseits ihren Anteil an der ungeliebten Dreckarbeit im Haushalt zu übernehmen. Was die natürlich nicht besonders toll finden.Diese Zweiteilung der Welt in »Öffentlich« und »Privat« ist natürlich keine Erfindung der Frauenbewegung, sondern eine des Patriarchats, das ja die Welt grundsätzlich als zweigeteilt gedacht hat: Natur versus Kultur, Seele und Leib, männlich und weiblich, höher und niedriger, Gesund und Krank, Erwerbsarbeit und Hausarbeit. Solange Frauen sich damit begnügen, nur ihren Anteil an der »höheren«, »männlichen« Sphäre einzuklagen, dann ändert sich nichts ab diesem dualistischen Grundprinzip, auf dem die ganze symbolische Ordnung der patriarchalen Kultur basierte, und wozu eben auch gehörte, die Arbeit der Frauen im Haushalt, in der Pflege und Erziehung, unsichtbar zu machen, sie für unwichtig zu erklären, sie gegenüber der Berufsarbeit abzuwerten, für intellektuell nicht anspruchsvoll zu halten. Im Rahmen dieser Ordnung ist die Hierarchie klar. Und die Folge der Emanzipation ist dann, dass niemand mehr diese notwendige Arbeit machen will, weil sie als »nicht sexy« gilt. Die Probleme, die daraus entstehen, können wir ja täglich in den Nachrichten besichtigen. Bericht aus der taz vom 18.3.2007: 50 Prozent der Menschenin Altenheimen leiden an Unterernährung (ÜS: »Einfach verhungert«, von Kathrin Burger)
Neuerdings gibt es allerdings auch den Versuch, die Haus- und Carearbeit aus ihrer Unsichtbarkeit herauszuholen und ihr sozusagen die Weihen der »richtigen« Erwerbsarbeit zu geben: Sie wird professionalisiert. Auch dies ist ein Trend, der von der Frauenbewegung mit angestoßen wurde und durchaus gute Seiten und Aspekte hat. Die ganze Professionalisierung der Krankenpflege, der Kindererziehung, der Hauswirtschaft, der Sozialarbeit war Anfang des 20. Jahrhunderts von Frauen angestoßen und vorangetrieben worden, und sie hat sehr viele Arbeitsplätze für Frauen geschaffen. Und sicherlich war es auch gut, in diesen Arbeitsfeldern Qualitätsstandards, strukturierte Ausbildungsgänge und dergleichen zu etablieren und nicht zuletzt dafür zu sorgen, dass die Frauen, die diese Arbeiten als Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern, Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen leisten, dafür bezahlt werden.
Allerdings kommt dieser Weg jetzt an sein Ende, und zwar aus mehreren Gründen. Der offensichtlichste ist der, dass diese Arbeit »zu teuer« ist. Schon jetzt ist es ja so, dass die entsprechenden Budgets – die Bildungsausgaben, die Kranken- und Pflegekassen etc. – sehr angespannt sind, und das, obwohl die Löhne in diesen Berufsgruppen skandalös niedrig sind, und ein hoher Anteil der Arbeit von Frauen ehrenamtlich geleistet wird.
Verschärfend kommt hier noch hinzu, dass wir in Zeiten leben, in der die alten sozialstaatlichen Regelungen von neuen, globalisiert-kapitalistischen Marktregeln abgelöst werden. Wurden früher Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheimen, Kindergärten mit pauschalen Sätzen finanziert, so muss heute jeder einzelne Schritt belegt und verrechnet werden. Betriebswirtschaft hält also Einzug in diese Bereiche, was zur Folge hat, dass erstmals herauskommt, wie »teuer« das alles wirklich ist.
Dieser betriebswirtschaftlichen Kalkulation der Care-Arbeit stellt sich unsere Wirtschaftspolitik noch immer nicht in voller Konsequenz, wie man zum Beispiel sehen konnte, als vor einiger Zeit diskutiert wurde, die Arbeit von Haushaltshilfen zu versteuern. In globalisierten Zeiten wird ja viel von der Hausarbeit, die früher die Hausfrauen selbst taten, von Frauen aus anderen Ländern übernommen: die Polinnen, die hier Alte pflegen, die Kindermädchen aus Lateinamerika, die Putzfrauen aus allen möglichen Gegenden der Welt. Die meisten von ihnen arbeiten »schwarz«, wie man so sagt, viele sind illegal oder mit ungesichertem Aufenthaltsstatus in Deutschland. Und ihre Auftraggeberinnen – die einheimischen Frauen also, die ohne die Hilfe der Migrantinnen ihren Doppeleinsatz als Erwerbstätige und Hausfrau gar nicht bewältigen könnten – könnten es sich oft gar nicht leisten, neben dem Lohn für diese Arbeit auch noch Sozialabgaben, Steuern etc. zu bezahlen. Beziehungsweise, wenn man das richtig kalkulieren würde, käme vermutlich heraus, dass sich dieses Arrangement betriebswirtschaftlich gar nicht lohnen würde: Ein viel zu großer Anteil des Verdienstes dieser deutschen Frauen auf dem Arbeitsmarkt würde dann dafür verwendet werden müssen, die Carearbeit der Migrantinnen zu bezahlen. Wie brisant dieses Thema ist, zeigte sich dann, als der Entwurf zur Einführung der Steuerpflicht für Hausangestellte ruckzuck wieder in der Schublade verschwand. Es ist ein Thema, an das man offenbar besser nicht rührt.
Der Grund, warum Care-Arbeit nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu teuer ist und sich nicht »rentiert« liegt darin, dass sie keine Profite abwirft. Das unterscheidet sie von der Produktion. Diese Arbeit schafft keinen Mehrwert, der sich verkaufen ließe, sie wirft keine Gewinne ab. Außerdem ist sie personal- und zeitintensiv. Sie lässt sich nicht so ohne weiteres rationalisieren, ohne dass die Qualität darunter leidet.
Und hier kommen wir zu dem zweiten Punkt – neben dem teuren Preis – der erklärt, warum Carearbeit nicht einfach nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisiert werden kann: Wir wissen nämlich noch gar nicht genau, was die eigentliche Qualität dieser ehemals und auch heute noch überwiegend von Hausfrauen geleisteten Arbeit ausmacht. Beziehungsweise ausgemacht hat. Es ist eben nicht damit getan, hier rein äußerliche Kriterien anzulegen wie: Ist der Patient satt und sauber? Im Bereich der Carearbeit haben wir es immer – neben aller Professionalität – auch mit menschlichen Beziehungen zu tun. Natürlich kann nicht nur die leibliche Mutter ihre Kinder betreuen und erziehen – aber es ist eben auch nicht jeder x-beliebige Mensch dafür geeignet. Wenn derzeit die Polinnen, die sich hier um pflegebedürftige Menschen kümmern, alle drei Monate wechseln, weil ihr Touristenvisum ausläuft, dann ist dies oft ein echtes Drama für alle Beteiligten, weil in der Pflege- und Betreuungssituation natürlich Beziehungen entstanden sind. Nicht nur die Professionalität der Krankenschwester zählt, sondern auch, ob ich ihr vertraue, ob ich sie mag. Von daher ist es ein Qualitätsverlust, wenn in Krankenhäusern oder auch in der ambulanten Pflege alle Handgriffe klassifiziert werden: Die Spritze setzt die Schwester, den Verband wickelt die Pflegehilfskraft, das Essen bringt die Praktikantin. So werden Beziehungen erschwert, was zwar den Ablauf vielleicht effizienter macht und die Gewinnspanne steigert – aber die Qualität der Pflege auf einer anderen Ebene verringert.
Das heißt, beide Wege, die derzeit eingeschlagen werden, um das ungelöste gesellschaftliche Problem der Organisation von Haus- und Carearbeit anzugehen, haben keinen Erfolg gebracht: Weder haben die Männer einen gerechten Anteil übernommen – und es ist auch nicht zu erwarten, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändert, denn so wie die Arbeitszeiten im Berufsleben sich heute wieder ausweiten und die allgemeine Belastung steigt, werden auch sie dafür immer weniger Kraft haben. Noch ist das Problem marktwirtschaftlich zu lösen, weil diese Arbeiten zu teuer sind und sich außerdem dann die Frage nach der Qualität stellt.
Welche andere Möglichkeit haben wir also? Ich denke, der Weg kann nur in einem kulturellen Umdenken liegen. Hier nur einige Vorschläge: Wir können uns klar machen, welche positiven Aspekte diese weiblichen Tätigkeiten hatten (und heute noch haben). Wir können darüber sprechen, welche Freude es uns macht, Hausarbeit zu tun, weil sie sinnvoll ist, weil sie uns in Beziehungen mit anderen bringt. Wir können über die Qualität sprechen und nachdenken, die wir hier erleben und erlebt haben. Wir können den Frauen zuhören, die davon erzählen, warum sie lieber Teilzeit arbeiten, um für solche Arbeit Zeit zu haben. Wir können uns von der Logik verabschiedet, dass nur, wer Erwerbsarbeit leistet, etwas Sinnvolles zu dieser Gesellschaft beiträgt. Wir können Wege unterstützen, die auf eine Trennung von Einkommen und Erwerbsarbeit hinführen, wie zum Beispiel die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wir können uns fragen, wie viel uns eine gute Carearbeit wert ist. Wir können den Krankenschwestern zuhören, wenn sie davon erzählen, wie sich ihre Arbeit verändert hat und was ihre Vorschläge sind. Kurz und gut, wir können den Frauen Autorität geben, die ihr Begehren nach einer guten Welt und einem Guten Leben verfolgen. Dies nur einige erste Anregungen, sicher kommen wir heute Nachmittag auf dieses Thema noch einmal zurück.
Teil 2: Wo wollen wir hin? Wie sehen die Wege aus?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich auf einen Aspekt eingehen, der sehr wichtig ist, den ich aber heute morgen noch nicht zur Sprache gebracht habe: Die Frage nämlich, wer »wir« eigentlich ist.
In den Diskussionen der Frauenbewegung in den vergangenen Jahrzehnten ist diese Tatsache, dass Frauen unterschiedlich sind, ja auch schon vielfältig diskutiert worden. Sie erinnern sich vielleicht, Sie kommen ja aus der christlichen Frauenbewegung, an die Auseinandersetzung über den Antijudaismus in der christlichen Theologie, von dem ganz zu Anfang auch die feministische Theologie geprägt war: In der Ablehnung eines patriarchalen Vatergottes tendierten manche dazu, die Schuld bei der jüdischen Religion zu suchen und dem ein freieres, frauenfreundliches Christentum gegenüber zu stellen. »Jesus, der erste neue Mann« hieß das etwa in einem Buchtitel von Franz Alt. Dagegen protestierten Jüdinnen und zeigten, dass das Judentum keineswegs per se patriarchaler ist als das Christentum. Dieser Streit hat uns geholfen, weiter zu kommen. Die Auseinandersetzung unter Frauen – in diesem Fall Christinnen und Jüdinnen – hat dann die gesamte Debatte weiter gebracht, in der Landeskirche, zu der ich gehöre, der von Hessen und Nassau, hat das zum Beispiel dazu geführt, dass das Bekenntnis zur »bleibenden Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen« – ich würde die Jüdinnen hier einfügen wollen – in den Grundartikel aufgenommen wurde. Ähnlich aufmerksam sollten wir heute sein, wenn der Islam als pauschal frauenfeindliche Religion dargestellt wird und die entsprechenden Entgegnungen von Musliminnen ernst nehmen.
Aber ähnliche Beispiele gibt es auch viele andere. In den USA haben schwarze Frauen gegen einen von weißen, bürgerlichen Frauen dominierten Feminismus protestiert, der ihre Situation nicht ernst nimmt. Auch dass die sozialen Unterschiede zwischen Frauen nicht ignoriert werden dürfen, ist uns heute viel bewusster, als noch vor dreißig Jahren.
Frauen sind nicht gleich, sie haben unterschiedliche soziale, kulturelle und religiöse Hintergründe, und jeder Feminismus, der beansprucht im Namen »der Frauen« zu sprechen, läuft Gefahr, diese Unterschiede zu nivellieren und die Anliegen einer bestimmten Gruppe von Frauen auf alle zu übertragen. Dies wird heute unter dem Stichwort »diversity« längst nicht mehr nur in feministischen Zusammenhängen diskutiert, sondern ist allgemein zu einem Kriterium geworden.
Aber wenn ich von der Unterschiedlichkeit der Frauen spreche, meine ich nicht nur diese »diversity«, nicht nur die Verschiedenheit, die aus unterschiedlichen Hintergründen resultiert wie Nation, Hautfarbe, Religion, wie könnten auch noch Alter, Lebensform usw. hinzufügen. Es gibt darüber noch eine andere Differenz, die meines Erachtens fast noch wichtiger ist, und zwar die des individuellen sich Unterscheidens.
Denn wenn Frausein frei sein heißt, dann bedeutet das, dass es zur weiblichen Freiheit gehört, dass eine Frau sich aktiv von anderen Frauen unterscheidet. Nicht nur aufgrund ihrer Herkunft, sondern aufgrund ihres persönlichen Begehrens, aufgrund ihres eigenen Denkens und Handelns. Die Herausforderung liegt also darin, dass wir verstehen, dass wir gleichzeitig von unserer Zeit, unserem Körper, unserer Erziehung und den äußeren Umständen geprägt sind, und dass wir frei sind. Eine »Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« haben wir das in einem Aufsatzband genannt.
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal auf einen Satz zurück kommen, den ich heute morgen sagte: Nach der Frauenbewegung ist nichts mehr so wie vor der Frauenbewegung. Diesen Satz kann man als historische Zeitenwende verstehen – und etwa die Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre meinen. Diesen Satz kann man aber auch persönlich verstehen: Als den Moment, in dem ich, eine bestimmte, konkrete Frau, verstanden und erkannt habe, dass mein Frausein nicht meine Unfreiheit festlegt, dass ich als Frau nicht schwächer und weniger wert bin als Männer, dass ich mein Frausein nicht verleugnen muss, um aktiv in der Welt handeln zu können. Diese historische Erkenntnis, die die Frauenbewegung öffentlich gemacht hat, wiederholt sich individuell in jeder Frau – oder eben auch nicht. Es gibt auch heute noch Frauen, die in gewisser Weise »vor der Frauenbewegung« leben.
Frauen haben keine gemeinsamen Interessen. Die Frauenbewegung ist keine Partei mit bestimmten Ideologien oder Programmen. Manche sprechen deshalb heute auch schon von »Frauenbewegungen« im Plural, aber das halte ich für irreführend, weil der Eindruck erweckt wird, in diesen »Unter-Frauenbewegungen« dann doch wieder der Lobbyismus das Entscheidende ist. Tatsächlich ist es ja heute so, dass es sehr viele unterschiedliche Frauengruppen gibt, die sich untereinander gar nicht grüne sind, weil sie einander inhaltlich ausschließen. Meiner Meinung nach gibt es keine Frauenbewegung im Plural mit jeweils unterschiedlichen Programmen und Anliegen, sondern nur die eine Frauenbewegung, der es um die weibliche Freiheit geht, das heißt, die gar kein einheitliches Programm haben kann, weil sie die weibliche Differenz und die Unterschiedlichkeit der Frauen in den Mittelpunkt stellt.
Seit vor drei Jahren mein kleines Büchlein »Zukunft der Frauenbewegung« erschienen ist, hatte ich vielerlei Gelegenheit, in Frauenzentren und Frauengruppen und Frauennetzwerken zu sprechen, was eine sehr interessante Erfahrung war, denn obwohl ich mir vorher über die sexuelle Differenz, also die Unterschiedlichkeit der Frauen, schon theoretisch Gedanken gemacht und sie in Teilen natürlich auch kennen gelernt hatte, so habe ich jetzt dieses Spektrum wirklich lebendig und plastisch vor Augen:
Da war zum Beispiel das autonome Frauen- und Lesbenhaus, mit angeschlossener Beratungsstelle für Frauen mit Gewalterfahrungen. Die Frauen dort bemängelten, dass ich in meiner Analyse nicht die Männergewalt ins Zentrum gestellt habe, denn diese sei Dreh- und Angelpunkt weiblicher Unterdrückung. Oder das Netzwerk von Business-Frauen: Sie bemängelten, dass ich so alte Worte wie Feminismus überhaupt noch benutze, wichtig sei doch, professionell zu sein und sich gegenseitig zu coachen und voranzubringen. Oder der Arbeitskreis spiritueller Heilerinnen: Sie sahen das Problem darin, dass Frauen sich von der Ganzheitlichkeit ihrer Lebensenergie entfernt haben. Oder der Diskussionskreis der Philosophiestudentinnen: Sie sahen den Hauptfehler meiner Analyse darin, dass ich überhaupt noch von Frauen redete, wogegen die Philosophie doch schon längst bewiesen habe, dass die Geschlechter lediglich eine Erfindung seien, die dekonstruiert werden muss.
Das waren nur vier Beispiele, ich könnte noch etliche mehr aufzählen. Jede dieser Frauengruppen leistet großartige Arbeit, ist höchst engagiert und hat mir interessante Diskussionen geschenkt. Trotzdem sind diese disparaten Projekte nicht auf einen Nenner zu bringen. Sie schließen sich teilweise regelrecht gegenseitig aus – die Dekonstruktion der Geschlechter lässt sich nicht mit einer Wiederentdeckung matriarchaler Kulturen unter einen Hut bringen, ebenso wenig wie die radikalfeministische Gesellschaftsrevolte sich mit dem Karrierenetzwerk von Businessfrauen vertragen kann.
Wie also interpretieren wir das? Welche sind die »richtigen« Feministinnen?
Und ich stelle ihnen diese Frage hier, weil ich aufgefordert worden bin, gerade auch über Visionen im Hinblick auf ein verbandlich-politisches Denken und Handeln von Frauen zu sprechen.
Klar dürfte geworden sein, dass es für keine Frauengruppe und für keinen Frauenverband möglich ist, im Namen »der Frauen« zu sprechen. Frauen haben keine gemeinsamen Interessen. Jede Gruppe von Frauen, jeder Verein und jeder Verband versammelt unter sich Frauen, die untereinander ein bestimmtes Anliegen und Interesse verbindet, und zwar eines, das sie nicht in erster Linie von den Männern unterscheidet – sondern von anderen Frauen! Hier knüpfe ich wieder an das heute morgen Gesagte an (dass nämlich der Maßstab für Feminismus nicht die Männer sind, sondern die anderen Frauen). Und ich knüpfe an das Begehren an: Nicht die Tatsache, eine Frau zu sein, führt mich in diesen oder jenen Verband, in diese oder jene Frauengruppe, sondern die Tatsache, eine Frau mit einem bestimmten Begehren zu sein. Einem Begehren, das ich mit den Frauen in diesem oder jenem Verband teile und das mich gleichzeitig von Frauen, die etwas anderes begehren, unterscheidet und trennt.
Nun wird an dieser Stelle oft gefragt, ob so ein Verständnis nicht die Frauensolidarität schwächt. Müssen wir nicht im Interesse »der Frauen« unsere Differenzen hinten anstellen und gemeinsam gegen die nach wie vor bestehende Diskriminierung und Benachteiligung kämpfen?
Ich würde sagen: Ja und nein. Wenn es Frauenhäuser gibt, die gegen Männergewalt aktiv sind, wenn es spirituelle Heilerinnen gibt, die neue Wege in der Medizin bestreiten, wenn es Frauennetzwerke gibt, die für bessere Karrierechancen eintreten, dann ist das gut und richtig. Ich frage mich nur: Warum müssen sie das im Namen »der Frauen« tun? Warum können sie es nicht einfach in ihrem eigenen Namen tun? Weil weibliche Autorität fehlt. Was Frauen sagen, ist für sich genommen nicht wichtig. Sondern nur, wenn sie es als »Neutraler« Mensch sagen – oder eben im Namen »der« Frauen allgemein sprechen. Frage ist also: Wie entsteht weibliche Autorität?
Ich glaube, dass der Rückzug auf eine imaginäre Einheitsgröße namens »die Frauen« das Anliegen konkreter Frauen eher schwächt als stärkt. »Frauen gemeinsam sind stark« – das stimmt eben gerade nicht . Und warum nicht? Weil diese Gemeinsamkeit sich nur herstellen lässt über eine gewisse Verwässerung der Inhalte. Weil Reden, die zum Ziel haben, einen größtmöglichen Konsens zu erreichen, immer langweilig sind. Weil wenn ich Angst habe, irgend jemanden zu ärgern oder vor den Kopf zu stoßen, ich keine neuen Ideen formulieren kann. Und weil Frauen, die sich nur aus Solidarität zu etwas überreden ließen, aber nicht wirklich Feuer und Flamme bei der Sache sind, auch andere nicht überzeugen können.
Wenn ich zum Beispiel aus Frauensolidarität immer nur zu einer Frau gehe – zur Zahnärztin, zur Schusterin, zur Bäckerin – dann bewege ich mich immer noch in der Gleichheits- und Gerechtigkeitslogik. Wir haben das gerade letzte Woche im Frauenprojektehaus in Tübingen diskutiert. Ich sagte: Aber ich gehe nicht aus Solidarität zu einer Ärztin, sondern zu dieser Ärztin weil ich hoffe, dass sie mich besser und angemessener behandelt, als ein Arzt. Daraufhin kam von einigen Frauen der Einwand: Warum müssen Frauen immer besser sein? Das Ziel ist erst dann erreicht, wenn mittelmäßige Frauen in ihren Berufen genauso akzeptiert werden, wie jetzt schon mittelmäßige Männer. Das ist eine Argumentation vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus, und als solche ist sie auch zutreffend.
Eine andere Frau wandte ein, dass wir ja über Extreme diskutieren – hier die mittelmäßige Frau, da die Beste in ihrem Metier. Und da kamen wir dann darauf, wie sehr wir immer noch in diesem Denken der Hierarchien und Konkurrenzen sind: Eine Zahnärztin oder eine Schusterin, die für mich gut ist, muss eben nicht unbedingt – von einem objektiven Standpunkt aus die Beste in ihrem Metier sein. Sondern sie hat eine Antwort, eine Lösung, eine Hilfe, für ein Problem oder ein Thema, das mich bewegt. Und deshalb suche ich mir diese Frau aus. Nicht aus Solidarität, sondern weil ich von ihr eine Antwort auf mein Begehren bekomme – dies bedeutet auch das italienische Wort affidamento , das aus der Theorie italienischer Philosophinnen kommt, und das Sie vielleicht schon einmal gehört haben: Affidarsi heißt »sich anvertrauen« und bedeutet, dass ich mich mit meinem Begehren eine anderen Frau anvertraue, von der ich erhoffe und erwarte, dass sie mir helfen kann und hilft, dieses Begehren in die Welt zu tragen und ihm zu folgen. Diese Frau hat dann Autorität – für mich und so vielleicht auch für andere. Wer die Beste ist, die beste Lehrerin, die beste Schusterin, die beste was weiß ich – das hängt also nicht von einem Vergleich mit Kolleginnen ab, sondern jeweils von meinem persönlichen Begehren.
Frauen, die in ihrem feministischen Engagement auf dem Weg ihres Begehrens sind und nicht auf dem solidarischer Pflichterfüllung, werden viel engagierter und mitreißender sein. Nur wenn ich mich für etwas einsetze, an das ich wirklich, im tiefsten Inneren, glaube, werde ich andere überzeugen können.
Heißt das aber nun, dass all diese verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung zusammenhanglos nebeneinander her leben müssen? Dass die einen das machen und die anderen das Gegenteil und alles zerfleddert?
Ich glaube nicht. Das Beispiel von affidamento zeigt ja schon an, dass es einen dritten Weg gibt zwischen Solidarität und Zerfledderung, nämlich den der Beziehung. Die Praxis der Beziehungen ist die wichtigste Praxis der Frauenbewegung gewesen. Beziehungen stellen eine Verbindung her zwischen Menschen, die gerade nicht gleich sind, die verschiedene Meinungen haben, die unterschiedliche Interessen haben. Und gerade diese Unterschiedlichkeit ist ja die notwendige Voraussetzung dafür, dass Frauen bei anderen Frauen eine Antwort auf ihr Begehren finden können: Wäre ich selbst Schusterin, müsste ich meinen Wunsch nach neuen Schuhen nicht einer anderen Frau anvertrauen. Hätte ich selbst schon die Lösung, müsste ich nicht eine andere um Rat fragen.
Ich sagte ja heute morgen, dass die Freiheit der Frauen sich gerade darin zeigt, dass eine Frau etwas anderes tun kann, als die Mehrheit der Frauen für richtig hält. Die Beziehung nun ist die Brücke, die dafür sorgt, dass dies nicht zu einer Zerfledderung der Frauenbewegung führen muss – auch wenn das manchmal leider so war. Es geht nicht darum, sich hier über alle Konflikte hinweg auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, das wäre ja totlangweilig.
Ich kann eine Beziehung haben zu einer anderen, auch dann, wenn ich nicht mit ihr einer Meinung bin. Ich kann das, was eine andere tut, für wichtig halten, auch wenn ich mich selbst nicht daran beteiligen mag, weil mir andere Dinge wichtiger sind. Ich kann das, was eine andere tut, völlig falsch finden, aber dennoch an ihr interessiert sein, weil mich irgend etwas an ihr reizt und herausfordert. Diese Differenz der Frauen, nicht die Solidarität stärkt weibliche Autorität.Weibliche Autorität, hat Andrea Günter es einmal auf den Punkt gebracht, ist gerade dann da, wenn ich mit einer Frau nicht einverstanden bin, und dem, was sie tut und sagt aber dennoch Bedeutung beimesse.
Das heißt, es geht auch hier nicht um einen moralischen Appell, wie etwa den, andere Frauen »Wertschätzung« entgegen zu bringen, auch wenn sie andere Meinungen haben. Dann wären wir ja wieder bei der Solidarität, nur mit ein bisschen diversity garniert. Nein, wenn eine Frau Unsinn redet, dann kann man ihr das ruhig sagen, und nicht jede Meinung, die von einer Frau vorgetragen wird, ist interessant. Es ist eben, wie bei der Schusterin: Es geht nicht darum, einer Frau zuzuhören, bloß weil sie eine Frau ist, ihre unterschiedliche Meinung zu tolerieren, bloß weil sie eine Frau ist, sondern es geht darum, zu sehen, wo und wann die andere Meinung einer Frau wirklich vielleicht eine Lösung für meine eigenen Fragen, eine Anregung für mein eigenes Denken erhält. Und dieser Frau, dieser Meinugn dann Autorität zu geben, zum Beispiel indem ich mich selbst überdenke.
Vielleicht wird es klarer, was ich meine, wenn ich dies an einem aktuellen Beispiel verdeutliche, der zur Zeit ja ziemlich konlfiktreichen Beziehung zwischen deutsch-christlich-westlichen Frauen und religös engagierten muslimischen Frauen. Nach dem 11. September haben viele Muslimas angefangen, sich wieder für ihre Religion zu interessieren, eine ganze Reihe von an sind wieder religiös geworden. Die Art und Weise, wie viele dieser Muslimas ihr Frausein thematisieren, inszenieren und interpretieren ist ja bekanntlich sehr anders, als die Art und Weise, wie westlich-emanzipierte Frauen ihr Frausein thematisieren, inszenieren und interpretieren.
Nun könnte man entweder – das wäre die ganz altmodische Variante – die Frage danach stellen, wer die bessere Feministin ist: Wer hat recht? was ist das wirkliche Interesse der Frauen, Kopftuch tragen oder Kopftuch ausziehen? Ganz offensichtlich ist diese Diskussion sehr schlicht, auch wenn sie leider die Medien dominiert, was aber eben nur was über das Niveau der Medien aussagt.
Die meisten Frauengruppen sind weiter. Sie erkennen die diversity der Frauen an, fordern Verständnis und Wertschätzung für die Gegenseite, ihre kulturelle Herkunft und so weiter, zum Beispiel organisieren christliche Frauengruppen Diskussionsveranstaltungen, bei denen Muslimas ihre Meinung vortragen können usw. Aber das ist meiner Meinung nach auch noch nicht viel besser. Denn noch immer steckt der Gedanke der Solidarität dahinter. Wirklich interessant wird es erst dort, wo ich nicht nur Verständnis habe dafür, dass eine Frau anderer Meinung ist, als ich, sondern wo ich daran interessiert bin, was sie sagt, weil ich spüre, dass sie ein Begehren in mir selbst anspricht, dass mich etwas an ihr fasziniert und herausfordert, mich selbst zu überdenken.
Von dem Streit der fixen Positionen über das friedliche Nebeneinander unterschiedlicher Positionen würden wir dann so wieder zum Streit kommen, allerdings zu einem wirklich offenen Streit, bei dem alle Beteiligten ihre vorherigen Standpunkte auf’s Spiel setzen, wo sie es riskieren, sich überzeugen zu lassen, wo sie mit echtem persönlichem Interesse – und nicht aus moralischem Solidaritätsgefühl heraus – das Gespräch mit der Anderen suchen. Ein echtes Streitgespräch also, bei dem nicht vorher klar ist, wie es ausgeht und welche Folgen es hat, ob die eine die andere überzeugt oder anders herum, oder ob beide gemeinsam noch ganz neue und unvorhersehbare Lösungen entwickeln. Womit wir wieder bei der weiblichen Freiheit sind, deren Zukunft immer offen ist.
Die Unterschiede zwischen Frauen – und zwar nicht nur die Unterschiede ihrer Religion, Herkunft, Nationalität, sozialer Schicht, sondern die von ihnen selbst gemachten Unterschiede, ihre unterschiedlichen Ansichten, Meinungen, Entscheidungen – diese Unterschiede halte ich deshalb nicht für ein Problem, das die Frauenbewegung schwächt, sondern im Gegenteil für ihre größte Ressource. Und auch für die größte Ressource unserer Gesellschaft
Einfach deshalb, weil lernen bedeutet, dass ich anders werde, als ich war. Weil mein Begehren sich immer auf etwas richtet, was ich noch nicht habe. Weil es die Differenz, das Andere ist, woran wir wachsen und uns weiterentwickeln. Weil mich irgend etwas herausfordern muss, damit ich meine eingefahrenen Meinungen überdenke. Weil nur aus Konflikten und Streitereien neue Ideen entstehen können – wenn auch freilich nicht zwangsläufig entstehen müssen.
Und, wie ich heute morgen sagte, ist dies: Ob eine Frau auf dem Weg ihres Begehren ist – etwas riskiert, oder nur funktioniert und Konventionen folgt, für mich die eigentliche Messlatte für weibliche Freiheit.
Ich habe ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie weibliche Autorität aus der Differenz unter Frauen entsteht und nicht aus ihrer Solidarität: Vor einiger Zeit nahm ich als Referentin an einer Tagung teil, bei der auch Männer teilgenommen haben. Konkret waren es zwei Männer, ein Referent und ein Teilnehmer. Der Referent war so lala, der Teilnehmer war schrecklich, er hat mit seinen wirklich deplatzierten Beiträgen die ganze Tagung gesprengt, solche Fälle hat man ja schon öfter gehört und vielleicht auch erlebt. Anfangs reagierten die Seminarteilnehmerinnen mit Solidarität. Sie bezogen sich nur aufeinander, versuchten, den Mann zu ignorieren und so weiter. Aber er hörte nicht auf, alle wurden immer nur genervter. Am zweiten Tag war es so, dass immer wenn dieser Mann sprach, Frauen anfingen untereinander zu reden oder demonstrativ aus dem Fenster zu gucken, am dritten Tag war es so, dass einige bei seinen Beiträgen aufstanden und den Raum verließen. Da hatten wir gerade die Abschluss-Podiumsdiskussion, an der ich als Referentin beteiligt war, und als wieder der Mann redete und einige Frauen aufstanden, um rauszugehen, habe ich aus einem spontanen Impuls heraus das kritisiert. Ich habe gesagt, dass ich es kein gutes Benehmen finde, wenn wir bei Wortbeiträgen von anderen, auch wenn sie uns nicht gefallen, einfach durcheinander reden oder rausgehen. Natürlich hatten wir dann prompt einen dicken Streit. Viele Frauen fanden es unmöglich, dass ich sie kritisierte. Andere sagten, dass sie sich ebenso unwohl gefühlt hätten. Wir haben wirklich heftig gestritten, wir konnten darüber keine Einigkeit erzielen, aber allein durch diesen Streit war plötzlich die weibliche Autorität in die Tagung zurück gekehrt. Frauen haben sich mit ihren Geschichten und Erfahrungen und Ansichten zu Wort gemeldet. Es war eine sehr schwierige Situation, mit vielen Angriffen. Aber dieser Mann hatte seine destruktive Macht verloren. Er hat sich von da an kein einziges Mal mehr zu Wort gemeldet.
Dieses Affidamento, das sich Anvertrauen an die Autorität einer anderen Frau, ist also in der Regel nicht konfliktfrei. Es ist nicht einfach eine harmoniedüdelige Angelegenheit von Schülerin und Meisterin. Meistens ist es aber so, dass neue Ideen und neue Wege bedeuten, dass ich mich von alten Gewohnheiten und Denkfiguren auch verabschieden muss. Niemand verändert sich gerne. Das Andere, das eine Antwort auf mein Begehren ist, ist eine Herausforderung. Die Frage ist: Ist mein Vertrauen groß genug, um mich auf die Andere und ihre Kritik einzulassen, sie ernst zu nehmen? Nicht, weil ich dazu moralisch verpflichtet wäre, sondern weil es die einzige Möglichkeit ist, eine Antwort auf mein eigenes Begehren zu finden?
Leider haben wir noch kaum eine Kultur entwickelt, die symbolische Formen für die Differenz unter Frauen hat. Wenn Frauen sich streiten, werden sie häufig immer noch als Witzfiguren karikiert. Auch Frauen untereinander haben oft keine gute Streitkultur. Jedenfalls auf der verbandlichen Ebene. Auf der persönlichen Ebene ist es leichter, da sind meiner Beobachtung nach schon einige Schritte unternommen, wobei es natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich ist. Aber ich beobachte, dass sich in den letzten Jahren immer öfter Frauen streiten, und zwar auf fruchtbare Weise.
Aber Sie fragten mich ja auch nach den Auswirkungen für die Verbandsarbeit. Da hätte ich folgende Thesen. Wobei ich diese aber nur als Diskussionsanregung verstehe, da ich in dieser Hinsicht keine Spezialistin bin, weil ich Verbandsarbeit überhaupt nicht kenne.
Erstens können Verbände sich – zum Beispiel in ihren Satzungen oder Richtlinien usw. – klar machen, welche Frauen sie vertreten und weniger das Frausein ihrer Mitglieder als vielmehr diese Inhalte in den Mittelpunkt stellen. Ich weiß nicht, statt: Evangelische Frauen in Bayern vielleicht: Bayerischer Verein für mehr weibliche Freiheit in Theologie und Kirche? Nur so ins Blaue hinein gesprochen.
Zweitens – und das hängt natürlich damit zusammen – die Differenz zu anderen Verbänden ernst nehmen, und vielleicht weniger »Frauensolidaritäts«-Veranstaltungen machen als vielmehr »Differenz-Veranstaltungen«. Vielleicht den Dialog suchen mit Vertreterinnen anderer Frauengruppen, zum Beispiel mit Kirchenkritikerinnen oder mit Katholikinnen oder mit Migrantinnen – wie auch immer, das alles mit dem Ziel, sich zu streiten und nicht mit dem Ziel, sich zu solidarisieren.
Und drittens glaube ich, dass Verbände auch nur dann lebendig bleiben, wenn sie auch die internen Differenzen ernst nehmen und offensiv diskutieren. Wenn sie Abweichlerinnen als Befruchtung des eigenen Engagements sehen und nicht als Gefahr. Wenn sie weniger Aufmerksamkeit darauf richten, gemeinsame Konsenspapiere zu schreiben, und mehr darauf, die Punkte zu diskutieren, bei denen sie sich nicht einig sind. Weil das ihre Mitglieder in ihrem Begehren stärkt, das diese dann in die Welt tragen.
Wobei für alle diese Auseinandersetzungen gilt, dass ihr Ziel nicht ist, am Ende doch zu einer gemeinsamen Überzeugung zu finden. Zwar kann ich mich nur in der Begegnung mit dem Anderen verändern und weiter entwickeln – also meinem Begehren folgen – das heißt aber nicht, dass am Ende keine Differenzen mehr da wären. Wahrscheinlicher ist, dass daraus neue Differenzen entstehen.
Dies wäre ein konkreter Weg, um »Freiheit in Bezogenheit« zu denken. Freiheit bedeutet, sich aktiv von anderen zu unterscheiden. Bezogenheit bedeutet das Wissen, dass ich niemals autonom bin, sondern eine Geschichte habe, bei der ich von anderen geprägt wurde und dass auch der Weg meiner Freiheit und meines Begehrens nur in der Beziehung zu anderen möglich ist.
Dies wäre nicht nur für die Frauenbewegung fruchtbar, sondern, da bin ich überzeugt, für die Gesellschaft insgesamt. Denn die Frage, wie wir mit Konflikten und Differenzen umgehen, ohne dass die einen die anderen beherrschen und unterdrücken, aber auch ohne dass alle über einen Kamm geschert und Unterschiede ausgeblendet werden, das ist ja in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung, vor der unsere politische Kultur steht.
Vorträge beim Studientag der EFB am 17.3.2007in Stein bei Nürnberg