Wenn Frauen Männer lieben
Ein Streifzug durch aktuelle Liebesromane
»Also, ich muss ein Wort erfinden, das diesen Zustand wiedergibt. Ein Zustand, in dem die Welt und ihre Normen auf den Kopf gestellt werden. Ein magischer, unirdischer Zustand, ein Reich der Sinne und Sehnsüchte. Roya , der schöne, unerreichbare Traum. Und desire für die Sehnsucht danach, diesen Traum zu erträumen. Royadesara .« (Shirin Kumm)
»Wenn Träume auf die Wirklichkeit stoßen, entsteht Verwirrung« schreibt Shirin Kumm. Wie wahr. In ihrem wunderschönen ersten Roman erzählt die persisch-deutsche Schriftstellerin von einer Frau, die (wie vermutlich alle Frauen) zwischen den Kulturen wandelt und liebt. Am Ende findet sie zwei Briefe vor von zwei interessanten, sehr gegensätzlichen Männern. Man ist gespannt, wie es ausgeht: Vielleicht liegen zwei Heiratsanträge in diesen Umschlägen, vielleicht aber auch Absagen. Sie zerreißt die Briefe, ungelesen. Eine Geschichte ohne Happyend also? Oder ist vielleicht gerade das das glückliche Ende? Eines ohne Männer? Weil nur so der Traum von der wahren Liebe zwischen Frau und Mann unerreichbar bleibt und damit schön?
Die Beziehungen, die aktuelle Liebesromane schildern, sind in der Tat alles andere als traumhaft. Vor allem wenn es um Beziehungen zwischen Männern und Frauen geht. Da wimmelt es nur so von Missverständnissen, unerfüllten Hoffnungen, Zweifeln und Vorbehalten. Die Liebe ist, so scheint es, kein überwältigendes Ereignis mehr, kein Höhepunkt im Leben einer Frau, sondern ein hartes Stück Arbeit mit ungewisser Kosten-Nutzen-Relation. Verwirrung eben.
Es sei denn, es handelt sich um einen Groschenroman. Da sieht alles nur kompliziert aus, ist in Wirklichkeit aber ganz einfach. Wie in dem neuen Buch der Bestseller-Autorin Eva Heller: »Welchen soll ich nehmen?« fragt sich die Heldin auf flott geschriebenen und doch langweiligen fast 400 Seiten. Männer im Angebot gibt es genug, aber leider hat jeder so seine Macken. Groschenromane leben davon, dass sie die Leserinnen nicht herausfordern, sondern bestätigen, weil sie sich und ihre Vorurteile darin wiederfinden – die Frau im Buch trifft auf dieselben Typen, die man selbst im eigenen Leben auch kennt. Und nimmt am Ende den am wenigsten Schlimmen. »Es hat keinen Sinn, ewig über die Männer zu jammern, wir müssen lernen, mit dem vorhandenen Material zu arbeiten«, lautet Eva Hellers Rat an die Leserin – Schluss also mit den unerfüllbaren Träumen, mit der Sehnsucht, Royadesara ade? Dann kann man es auch gleich so machen, wie die Frau in Sandra Wöhes Roman, und in eine Lesben-WG ziehen. Der mackenbehaftete Liebhaber kann sich so mit zwei kurzen Auftritten begnügen und ist ansonsten Nebensache, während die eigentliche Liebe zwischen Frauen stattfindet. Auch dies ein Groschenroman, aber wenigstens einer, der abseits vom Mainstream spielt – schließlich wollen ja auch frauenliebende Frauen hin und wieder Geschichten lesen, in denen sie bestätigt werden und sich wiedererkennen.
Aber die Männer und die Frauen, die kommen irgendwie nicht zusammen, auch wenn man nicht weiß, was sie denn eigentlich davon abhält. »Flüchtige Männer« hat Unda Hörner ihren Erzählband betitelt: Der unbekannte Mann im Café, die Nacht im Hotel mit einer Internetbekanntschaft, die Nachmittage mit dem Studienkollegen – flüchtige Begegnungen sind es, und am Ende gehen sie wieder auseinander, einfach so. Niemand ist schuld, auch nicht die Männer. Aber »es« passiert einfach nicht. Die Liebe ist kein Gefühl, sondern ein Ereignis, bemerkte die Philosophin Hannah Arendt. Ein Ereignis, das leider öfter ausbleibt, als eintritt.
Dass die Liebe kompliziert ist und verwirrend, ist natürlich keine neue Weisheit. Auch früher waren Schwierigkeiten zu überwinden: die herrschende Moral, Standesunterschiede, wirtschaftliche Nöte, Kriegswirren. Solche Äußerlichkeiten sind heute aber nicht mehr das Problem, die Hindernisse liegen vielmehr in den Beteiligten selbst. Genauer gesagt: dazwischen. Zweifel nagen. Ist er der Richtige? Sind meine Ansprüche falsch? Liebt er mich überhaupt? Und ich ihn? Solche Fragen treiben auch die Heldin in Annette Mingels’ »Puppenglück« um. Am Ende steht eine Liebe mit Vorbehalt, selbst im Happyend: »Und wenn dann jemand, der sich für originell hält, fragt: Für immer?, werde ich antworten: Das kann man nicht sagen, was kommt, weiß keiner.«
Großartig ist die Liebe offenbar nur, wenn sie vorbei ist. Der Geliebte muss sterben – ein klassisches Motiv des Liebesromans, das Barbara Gowdy und Elke Naters in ihren Büchern variieren, die eine mit kanadischer Lässigkeit und Ironie, die andere mit deutscher Direktheit. Die Liebe ist großartig, wenn der Geliebte tot ist, denn damit ist ausgeschlossen, was die Liebe normalerweise gefährdet: Banalität und Langeweile. Und vielleicht fällt auch nur im Rückblick der Erinnerung leicht, einzugestehen, was emanzipierten Frauen von heute eigentlich verboten ist: Dass sie ihn lieben, obwohl seine Macken unübersehbar viele sind, obwohl er faul ist und hässlich, nicht zuhört und säuft. »Auch dafür liebe ich Frank«, lässt Elke Naters ihre Ich-Erzählerin sagen: »für seine Verlässlichkeit. Man kann sich darauf verlassen, dass er versagt, wenn es darauf ankommt.«
Doch was ist mit Royadesara ? Was, wenn ich mir den Traum nicht abschminken will? Wenn ich mir den Geliebten lebendig wünsche und nicht tot? Wenn die Sehnsucht nach dem offenbar Unerfüllbaren bleibt? Eine überraschende Antwort steckt in der Geschichte, die Hella Eckert erzählt. Es ist eine chaotische und alles andere als viel versprechende Affäre zwischen der Schuhverkäuferin Nellie und einem ziemlich unsympathischen Nichtstuer. Trotz seiner Macken bleibt Nellie seinetwegen im Dorf, statt nach Paris zu ziehen, wie sie es eigentlich vorhatte. Am Ende heiraten die beiden genauso grundlos, wie die Paare aus den anderen Büchern sich trennen. In der Schlussszene aber steht Nellie mit ihrer Freundin Selina vorm Spiegel, und die beiden denken an Paris. »Selina«, sagt Nellie, und grinst sie an, »wenn mich nicht alles täuscht, beginnt hier das Leben.«
In dieser Beobachtung steckt viel Weisheit: Zu lieben und geliebt zu werden, das ist nicht das Ziel der Sehnsucht, sondern vielmehr ihr Anfang. Das Leben, Paris und der ganze Rest – sie enden nicht mit der Liebe, sie beginnen mit ihr. Royadesara bleibt, das Begehren, der unendlich große Traum der Frauen. Aber er gilt nicht einem Mann, sondern der Welt.
Shirin Kumm: Royadesara. Eine Verwirrung. Frankfurter Verlagsanstalt 2003, 15,50 €
Eva Heller: Welchen soll ich nehmen? Ullstein, München 2003, 20 €
Sandra Wöhe: Lass mich deine Pizza sein. Ulrike Helmer, Königstein 2003, 14,95 €
Unda Hörner: Flüchtige Männer, Suhrkamp TB, Frankfurt 2003, 7 €
Annette Mingels: Puppenglück. Zytglogge, Bern 2003, 19,50 €
Barbara Gowdy: Die Romantiker, Kunstmann, München 2003, 21,90 €
Elke Naters: Mau Mau, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 16,90 €
Hella Eckert: Da hängt mein Kleid. Luchterhand, München 2003, 18 €
aus: Frauen Unterwegs, Mai/Juni 2004