Warum ich keine Frau mehr sein will
in: Frankfurter Rundschau, 1.8.2020
Eigentlich war ich immer ganz gern eine Frau. In meiner Jugend habe ich darüber nicht groß nachgedacht, es war einfach so. Später, als Studentin, entdeckte ich den Feminismus und fand es cool, schon qua Geschlecht ein revolutionäres Subjekt zu sein: den Frauen die Zukunft!
Doch in letzter Zeit vergeht mir der Spaß. Wenn man Google fragt, was „Frauen sind…“, lautet die Antwort „wie Blumen“, „wie Wein“ oder „wie Zahnbürsten“ – nicht zum Aushalten. Sogar feministische Debatten zum Thema erscheinen mir heute kleinkariert. Wenn manche meinen, nur wer menstruiert, sei eine richtige Frau, kann ich damit nichts anfangen. Die Menstruation war, als ich sie noch „hatte“, nun wirklich nicht das Schönste und Wichtigste in meinem Frauenleben, und ich möchte auch nicht darauf reduziert werden, ein Menschenweibchen zu sein.
Andere meinen, wir wären Frauen aufgrund unserer Sozialisation. Das gefällt mir genauso wenig. Der spezifisch „weibliche“ Anteil meiner Sozialisation war eher eine Zurichtung auf gesellschaftliche Konventionen als eine Förderung meines individuellen Selbst, ich hätte gut darauf verzichten können. Meine Sozialisation hat mich nicht zur Frau gemacht, sondern eher zu einem Klischee von Frau. Das Schöne am Frausein – die Freiheit, die Liebe, den Feminismus – habe ich erst später kennengelernt.
Es ist doch so: Worte existieren nicht für immer und ewig, sie können sich abnutzen und ändern im Lauf der Zeit ihre Bedeutung. Wenn ich heute jemanden als „gemein“ tituliere, kann ich mich nicht damit herausreden, dass das im 18. Jahrhundert mal ein wertneutrales Adjektiv war. Genauso bedeutet das Wort „Frau“ heute nicht dasselbe wie früher. Für mich fühlt es sich derzeit ausgelatscht an. Ich spüre zwar noch eine nostalgische Verbundenheit, aber ich frage ich mich schon, wozu es überhaupt noch gut ist.
Kann es vielleicht weg? Lann Hornscheidt und Lio Oppenländer schlagen in ihrem Buch „Exit Gender“ vor, auf geschlechtliche Identifizierungen ganz zu verzichten und andere Menschen wahrzunehmen, ohne „Genderfolien auf sie zu legen“. Das klingt doch vielversprechend! Wie schön wäre es, wir würden unser Gegenüber als einzigartiges Individuum anschauen und nicht in Schubladen wie „Mann“ oder „Frau“ stecken!
Allerdings kann man Gender nicht einfach so wegignorieren. Es ist schließlich eine der zentralen Grundkategorien unserer Kultur, und deshalb wäre ein solcher Perspektivenwechsel richtig harte Arbeit, wie auch Hornscheidt und Oppenländer zugeben: Man muss üben, üben, üben, um das Konzept langsam zu „verlernen“. Ganz ehrlich, so wichtig ist es mir dann auch wieder nicht, dann bleibe ich eben lustlos Frau aus purer Gewohnheit.
Oder geht es per Dekret? Die Idee kam mir, weil die Grünen vorschlagen, das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Derzeit steht da (in einem inzwischen auch ziemlich antiquiert klingenden generischen Maskulinum): „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Die Grünen argumentieren nun, dass es so etwas wie „Rasse“ gar nicht gibt, sondern nur Rassismus. Nicht die Hautfarbe der Diskriminierten sei das Problem, sondern die Einstellung derer, die Diskriminieren.
Ja! Und dasselbe gilt in Bezug auf Geschlecht! Auch Frauen werden nicht diskriminiert, weil sie Frauen sind, sondern weil unsere Kultur vom Patriarchat abstammt. Wenn wir dann schon dabei sind, können wir gleich die ganze Liste streichen und stattdessen ins Grundgesetz schreiben: „Niemand darf benachteiligt oder bevorzugt werden, aus welchem Grund auch immer.“
Dann wäre nicht nur das hässliche generische Maskulinum raus. Wir könnten auch aufhören, die vielen verschiedenen Identitäten und Zugehörigkeiten von Menschen zu sezieren, zu definieren, zu normieren, zu beurteilen, festzuklopfen. Wer weiß, vielleicht wäre ich dann auch wieder gerne eine Frau.