Von Wunschkindern und Leihmüttern
In: Publik Forum, 23.10.2020
Bestellt und nicht abgeholt. So liegen hundert Babys nebeneinander in Plastikbettchen in einem Hotel in Kiew. Die Corona-Pandemie hat verhindert, dass die Babys von ihren »Auftragseltern«, die über den ganzen Globus verteilt sind, abgeholt werden. Geboren wurden die Kinder von Leihmüttern in der Ukraine, die dafür etwa 17 000 Euro erhalten. Leihmutterschaft ist unter anderem in manchen Bundesstaaten der USA, in Georgien, Ukraine, Griechenland oder Israel legal. Eizellenspende ist es unter anderem in Polen, Tschechien, Spanien, Russland, Österreich und den meisten skandinavischen Ländern. Manchmal werden diese reproduktiven Dienste als altruistische Spenden deklariert, um den kommerziellen Aspekt herunterzuspielen. Trotzdem gehen sie mit finanziellen Entschädigungen einher, die für die Eizellenspenderinnen und Leihmütter oft die wichtigste Motivation sind.
Die Situation ist dabei maximal unübersichtlich, Gesetze ändern sich laufend. Generell geht der Trend zu mehr Liberalisierung, auch wenn manche Länder wie Indien, Thailand oder Mexiko zuletzt wieder etwas zurückrudern, nachdem sie sich nach der Jahrtausendwende zu einem regelrechten Eldorado für reproduktionstechnologische Dienstleistungen entwickelt hatten.
Seit 1978 das erste »In Vitro« gezeugte Baby geboren wurde, hat sich die Reproduktionstechnologie rasant verbreitet: In den entwickelten Ländern kommen inzwischen schätzungsweise fünf Prozent aller Zeugungen technologisch assistiert zustande, Tendenz steigend. Meist sind es heterosexuelle Paare, die sich auf diese Weise ihren Kinderwunsch erfüllen, wenn es mit einer »natürlichen« Zeugung durch Geschlechtsverkehr nicht klappt. Aber Reproduktionstechnik ermöglicht noch mehr: Wenn Embryonen außerhalb des Mutterleibes gezeugt werden, müssen die Eizellengeberin und die Schwangere nicht mehr dieselbe Person sein. Das bringt die klassischen Vorstellungen von Familie, Zeugung, Elternschaft durcheinander: Kinder können nun drei statt zwei biologische Eltern haben, die Eizellengeberin, den Spermageber, die Tragemutter. Alleinstehende Frauen oder lesbische Paare können zu Schwangerschaften kommen, ohne Geschlechtsverkehr mit einem Mann haben zu müssen. Und da wir in kapitalistischen Gesellschaften leben, kann Reproduktion nun auch zur Ware werden: Männer verkaufen Sperma, Frauen verkaufen Eizellen oder sind gegen Bezahlung für andere schwanger.
Die technologischen Möglichkeiten sind inzwischen enorm. Man kann Eizellen einfrieren, Eierstöcke und Gebärmütter transplantieren, einzelne Spermien direkt in eine Eizelle injizieren, die Qualität von Embryonen vor der Implantation testen. Die politischen und ethischen Debatten kommen angesichts der rasanten Entwicklungen kaum hinterher. In Deutschland schlägt das Thema noch kaum Wogen, denn die Gesetzeslage ist im internationalen Vergleich sehr restriktiv: Reproduktionstechnologie ist nur erlaubt, wenn sie die traditionellen Familienformen imitiert. Das heißt: Nur heterosexuelle Paare in einem bestimmten Alter dürfen künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen. Eizellenspende an Fremde und Leihmutterschaft sind verboten. In vielen anderen Ländern geht längst viel mehr.
Das Marktvolumen der Reproduktionsindustrie lässt sich schwer schätzen, aber man kann wohl von einigen Milliarden Euro im Jahr ausgehen. Dass die gesellschaftspolitische Diskussion dazu noch vergleichsweise wenig geführt wird, hängt damit zusammen, dass viele Beteiligten nicht über ihre Erfahrungen sprechen. Lediglich homosexuelle Männer gehen meist transparent damit um, zumal es bei ihnen ja offensichtlich ist, dass sie für die Geburt ihrer Kinder auf eine dritte Person mit der Fähigkeit zum Schwangerwerden angewiesen waren. Heterosexuelle Paare hingegen, die den Löwenanteil der Kundschaft ausmachen, bemühen sich nach außen hin oft um die Illusion einer »natürlichen« Zeugung.
Was im Diskurs viel zu kurz kommt, sind die Erfahrungen, Hoffnungen, Überlegungen und Vorschläge von Menschen, die Reproduktionstechnologie in Anspruch nehmen, oder als Eizellenverkäuferinnen oder Leihmütter Geld verdienen. Welche ökonomischen Zwänge stehen hinter der Entscheidung einer spanischen Studentin, sich mit Eizellenverkauf etwas hinzuzuverdienen, oder einer armen US- Amerikanerin, die für andere Babies austrägt? Welche kulturellen Vorstellungen von Weiblichkeit oder gelingendem Leben führen dazu, dass Frauen Tausende von Euro ausgeben und schwierige medizinische Prozeduren auf sich nehmen, um ein Kind zu bekommen? Welche Probleme sehen die Betroffenen, was wünschen sie sich?
Vor dreißig Jahren, als die Reproduktionsmedizin noch relativ neu war, haben sich die meisten Feministinnen strikt dagegen ausgesprochen. Sie sahen in allem, was mit »künstlicher Befruchtung« zu tun hatte, eine wirtschaftskonforme Ausbeutung weiblicher Körper. Diese Strömung ist immer noch stark und unter dem Motto »Stop Surrogacy Now« (Stoppt Leihmutterschaft!) global vernetzt. Es gibt aber auch feministische Positionen, die zu einer differenzierteren Auseinandersetzung aufrufen. Sie fragen zum Beispiel, ob Reproduktionstechnologie nicht emanzipatorisch eingesetzt werden könnte, indem sie eine größere Vielfalt von Familienformen und selbstbestimmte Generationenbeziehungen ermöglicht. Allerdings sieht es auf dem real existierenden Reproduktionsmarkt nicht gerade nach mehr Freiheit aus. Eher führt die technologisch assistierte Zeugung dazu, traditionelle heterosexuelle Familienstrukturen zu bestärken. So schließen die meisten Länder, die Leihmutterschaft und Eizellenspende erlauben, homosexuelle Paare und alleinstehende Frauen ausdrücklich aus. Dafür gibt es weniger heterosexuelle Paare, die kinderlos bleiben: Mit Hilfe der Reproduktionstechnik ist die »Vater, Mutter, Kind«-Norm stabiler denn je.
Die größte Herausforderung für emanzipatorische und feministische Bewegungen bleibt die kapitalistische Verwertung weiblicher Körperdienstleistungen. Denn der neue Markt der Reproduktion ist stark von sozialen Ungleichheiten geprägt: Reiche Paare beauftragen arme Frauen mit reproduktiven Dienstleistungen. Diese Ungleichheit schlägt sich in schlechter Bezahlung, problematischen Rahmenbedingungen und unfairen Verträgen nieder. Auch bei juristischen Auseinandersetzungen ziehen die Tragemütter häufig den Kürzeren.
Aber wäre ein pauschales Verbot von Leihmutterschaft die Lösung? Analog zu den Debatten um Sexarbeit wird auch beim Thema »Reproduktionsarbeit« heute zunehmend betont, dass Eizellenverkäuferinnen oder Leihmütter nicht einfach nur willenlose Opfer sind, sondern – wenn auch unter schwierigen Umständen – rationale Akteurinnen. Anders gesagt: Für sie kann diese Art, zu Geld zu kommen, auch Vorteile haben, oder zumindest die beste von vielen schlechten persönlichen Einkommens- und Lebensoptionen sein. Materialistische Feministinnen wie das Kollektiv »Kitchen Politics« plädieren deshalb dafür, bezahlte Schwangerschaften und Eizellenverkauf als Arbeit zu verstehen, damit die Frauen sich organisieren und für ihre Rechte streiten können.
Ein einfaches Pro und Contra in Bezug auf Reproduktionstechnologie wird der komplexen Situation nicht gerecht. Stattdessen gilt es, die Maßstäbe zu klären: Welche Folgen hat eine Technologie oder eine neue Praxis der Reproduktion für Frauen? Nicht die Technologien als solche sind gut oder schlecht, sondern die Art und Weise, wie sie genutzt werden. Ausbeuterische Verhältnisse auf dem Reproduktionsmarkt lassen sich nicht mit einem Lob auf die vermeintlich »natürliche« oder »gottgewollte« biologische Kleinfamilie bekämpfen, sondern nur, indem man auf freiheitliche, emanzipatorische Lebens- und Familienformen hinarbeitet. Entscheidend dafür ist die Rolle, die schwangeren und gebärenden Frauen zugestanden wird: Akzeptiert man ihre Autonomie, Handlungsfreiheit, Entscheidungskompetenz und eigenen Willen? Oder sieht man in ihnen bloße Marktobjekte, Opfer der Verhältnisse?
Dass es so schwierig ist, eine schwangere oder potenziell schwangere Frau als freies Subjekt ihres eigenen Willens und ihrer eigenen Entscheidungen zu sehen, liegt auch an einer Jahrtausende alten Kultur der Abwertung und Passivmachung von Schwangeren und Müttern. Die Wurzeln dieser patriarchalen Ideologie reichen bis in die Antike zurück, zur Geschlechterlehre des Aristoteles. Der war der Ansicht, die Gebärmutter sei lediglich ein passiver Nährboden für den männlichen Samen. So entstand die Idee, dass ein Embryo nicht etwa zu derjenigen gehöre, in deren Uterus er zur Reife kommt, sondern »eigentlich« Besitz eines anderen sei: des Mannes, mit dessen Sperma er gezeugt wurde. Bis heute sagt man zum Beispiel: »Er zeugt das Kind, sie trägt es aus.« Was aber biologisch falsch ist, denn beide zeugen das Kind. Nicht das männliches Sperma ist menschlicher Same, sondern erst der Embryo.
Dass Schwangeren das Recht auf körperliche Selbstbestimmung vorenthalten wird, dass Männer oder die Gesellschaft als Ganze den Anspruch erhebt, über ihren Uterus und das darin reifende Leben mitzubestimmen, lässt sich ohne diese Denktradition nicht verstehen. Auch Leihmutterschaft wäre in ihrer heutigen Form nicht denkbar ohne die Idee, dass der Embryo im Bauch der Leihmutter »eigentlich« jemand anderem »gehört«.
In Wahrheit ist es aber gar nicht möglich, zwischen Embryo und Schwangerer eine klare Grenze zu ziehen. Die beiden sind »zwei in einer« – wie es die französische Philosophin Luce Irigaray ausdrückte – zwei Wesen in einem Körper, untrennbar voneinander. Die Plazenta, also das Organ, das sich während der Schwangerschaft an der Gebärmutterwand entwickelt und den Austausch von Körperflüssigkeit zwischen Schwangerer und Embryo ermöglicht, funktioniert keineswegs so, dass sie die beiden Körper fein säuberlich voneinander trennt. Zellen des Embryos wandern über die Plazenta in den Organismus der Schwangeren und bleiben dort dauerhaft. Sie werden später sogar auf andere Kinder übertragen, die dieselbe Frau austrägt. Das heißt: Unabhängig davon, von wem die Eizelle stammt, ist jedes Kind immer auch mit der Frau, die es geboren hat, biologisch verwandt. Auch alle anderen Kindern, die diese Frau geboren hat oder noch gebären wird, sind biologische Geschwister, unabhängig von den Umständen ihrer Zeugung.
Damit ergeben sich neue Fragen: Haben Kinder kein Recht auf Kenntnis der Frau, von der sie zur Welt gebracht wurden? Darf man ihnen vorenthalten, zu wissen, wer sie am Anfang ihres Lebens neun Monate im eigenen Körper getragen und geboren hat? Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen ein Recht auf Kenntnis der eigenen biologischen Abstammung haben, dann kann sich das nicht nur auf den Samenspender und die Eizellenspenderin beschränken, sondern muss genauso das Recht auf Kenntnis der eigenen »Gebär-Mutter« umfassen.
In ihrer derzeit praktizierten Version ist Leihmutterschaft ethisch nicht zu rechtfertigen, denn dabei werden Dritten – den Auftraggebern, den »Wunscheltern« – Rechte an Kindern zugesprochen, die eine Frau erst später gebären wird. Das Problematische ist nicht, dass durch Leihmutterschaft traditionelle Familienformen ausgehebelt oder »Kinder von ihren Müttern getrennt« werden, sondern dass Dritte ein Mitspracherecht über den Körper der Leihmutter beanspruchen.
Es kann viele Gründe geben, warum jemand ein Kind zur Welt bringt, ohne selbst Mutter sein zu wollen. Dass Kinder von anderen Menschen versorgt werden als von denen, die sie geboren haben, ist weltgeschichtlich nichts Neues. Entscheidend ist die Freiheit und reproduktive Selbstbestimmung der Schwangeren. Ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung darf durch keinerlei Verträge oder Gesetze eingeschränkt werden. Niemand hat zum Beispiel das Recht, einer Leihmutter Vorschriften zu machen, wie sie sich ernähren soll oder welche ärztlichen Untersuchungen sie zu machen hat. Und jede Frau, die ein Kind zur Welt bringt, muss die Möglichkeit haben, selbst die Mutter dieses Kindes zu sein – egal mit wessen genetischem Material der Embryo gezeugt wurde und egal, welche Absicht sie vorher bekundet hat. Es kann niemals legitim sein, einer Frau das von ihr geborene Kind mit Gewalt wegzunehmen.
Eine wirklich freiwillige Übergabe des geborenen Kindes in die Obhut anderer Menschen, die dann die Eltern dieses Kindes werden, ist aus ethischer Sicht hingegen unproblematisch. Statt eines einfachen Pro oder Contras muss differenzierter über Leihmutterschaft diskutiert werden: Wie können wir Elternschaft so gestalten, dass sowohl die Würde und Freiheit von Schwangeren als auch der Kinderwunsch von Menschen, die selbst nicht schwanger werden können, berücksichtigt werden? Wenn wir einen guten Umgang mit den Möglichkeiten heutiger Reproduktionstechnologie finden wollen, werden uns weder traditionell patriarchale Familienmodelle noch marktliberale Technologiegläubigkeit helfen.