Figner, Vera Nikolajevna
russische Revolutionärin
* 7.7.1853, Christoforowka, Kasan/Russland
† 15.6.1942, Moskau
Leben:
Vera Figner stammte aus einer adligen, wohlhabenden Familie. 1870 heiratete sie, wie viele Russinnen jener Zeit, damit sie ins Ausland reisen und Medizin studieren konnte. 1875 brach sie ihr Studium in Zürich jedoch ab und kehrte nach Russland zurück, wo sie sich der revolutionären Bewegung anschloss, die gegen das despotische Zarenregime kämpfte. Als Landarbeiterin warb sie unter der bäuerlichen Bevölkerung für ihre politischen Ziele und war 1876 Mitgründerin der Gruppe »Land und Freiheit«, die auf einen Volksaufstand hinarbeitete. 1879 gehörte Figner zu dem radikalen Zweig der Revolutionäre, der auch politische Attentate nicht ausschloss. Sie wurde nun führendes Mitglied der militanten Geheimorganisation »Volkswille«, die im März 1881 Zar Alexander II. bei einem Attentat tötete. Figner gelang zunächst die Flucht nach Südrussland, am 10. Februar 1883 wurde sie jedoch verhaftet und im September 1884 zum Tode verurteilt, die Strafe wurde allerdings in lebenslangen Kerker umgewandelt. Zwanzig Jahre lang blieb Figner in Isolationshaft in der berüchtigten Festung Schlüsselburg. 1906 konnte sie ins Ausland emigrieren und versuchte, sich erneut der russischen revolutionären Bewegung anzuschließen. Nach der langen Haftzeit fühlte sie sich jedoch »fremd, abgesondert und nutzlos«, wie sie in ihren Erinnerungen schreibt. Sie lebte in Finnland, in der Schweiz und Frankreich, wo sie ein Hilfskomitee für Zwangsgefangene gründete und die unmenschlichen Gefängnisbedingungen in Russland anprangerte. 1915 kehrte Figner nach Russland zurück. Nach der Oktoberrevolution geriet sie in Widerspruch zu den Bolschewisten, ohne sie aber offen zu kritisieren. Figner betätigte sich fortan vor allem auf karitativem Gebiet, organisierte Hilfeleistungen für die Opfer des Bürgerkrieges und engagierte sich für die Verbreitung von Kultur und Bildung auch in den ländlichen Regionen Russlands.
Werk:
Vera Figner steht für eine ganze Generation russischer Revolutionärinnen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert die überkommene, zaristische Gesellschaft bekämpften. Ihre Memoiren »Nacht über Russland« (1927) sind ein beeindruckendes Dokument dieser Bewegung, die sich durch ihre Radikalität, ihre Kompromisslosigkeit und ihre Leugnung sämtlicher Geschlechterrollen von der Frauenbewegung Westeuropas deutlich unterschied.
Zitat: »Hätte mir irgendein Organ der Gesellschaft irgendeinen anderen Weg außer dem der Gewaltanwendung gewiesen – möglich, dass ich ihn gewählt, sicher aber, dass ich versucht hätte, ihn zu gehen« (Vera Figner).
in: Harenberg-Lexikon. Das Buch der 1000 Frauen, Meyers Lexikonverlag 2004.