Chiara Zamboni: Unverbrauchte Worte. Übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Dorothee Markert. Christel-Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2005, 22 Euro.
Unverbrauchte Worte
Die – vor allem öffentliche – Sprache ist zunehmend von Floskeln, Worthülsen, Standardsätzen und hohlen Phrasen geprägt. Sie dominieren Politikerstatements, Medieninszenierungen und Werbeplakate, und lassen vor allem diejenigen, die von Berufs wegen viel mit Sprache zu tun haben, häufig an deren Sinn verzweifeln.
Da erscheint das Vertrauen, das die italienische Philosophin Chiara Zamboni der Sprache entgegen bringt, fast schon atemberaubend. In fünf Kapiteln zeigt sie aus immer neuen Blickwinkeln, wie das menschliche Begehren auf dem Weg über die Sprache – über »wahre« oder »unverbrauchte« Worte eben – Veränderung bewirkt. Dabei begibt sie sich in einen Dialog mit so unterschiedlichen Denkerinnen und Denkern wie Walter Benjamin, der Psychoanalytikerin Francoise Dolto, der feministischen Theologin Mary Daly, Mahatma Gandhi oder Virginia Woolf. Ein wesentlicher Grundgedanke, der in vielen Beispielen immer neu anschaulich wird, ist die Möglichkeit einer gegenseitigen Öffnung zwischen den Worten, der Sprechenden und den Dingen, die benannt werden: »Wenn uns jemand etwas Wahres über unser gegenwärtiges Leben sagt, können wir das als eine Art Initiation deuten, als einen symbolischen Akt, der uns auf einen Weg der Veränderung führt.«
Auch dank der hervorragenden Übersetzung von Dorothee Markert ist die Lektüre weitaus weniger schwierig, als es das hochkomplexe Thema vermuten lässt. Das Buch richtet sich keineswegs nur an professionelle Philosophen oder Akademikerinnen, sondern an alle, die sich für die Frage interessieren, in welcher Weise Sprache die Beziehungen zwischen Menschen untereinander, aber auch zwischen Menschen und den Dingen, die sie umgeben, und den Umständen, in denen sie leben, vermittelt. Zambonis Frage: »Wie kann ich als Frau über Frauen und Männer sprechen und dabei Autorität haben, wo ich doch immer Betroffene und Partei bin?« greift zudem ein zentrales Problem der Frauenbewegung auf. Überhaupt ist es begrüßenswert, dass jetzt die Ideen einer weiteren Vordenkerin des italienischen Differenzfeminismus – Zamboni gehört zur Philosophinnengemeinschaft »Diotima« an der Universität von Verona, wo sie als Professorin arbeitet – auf deutsch zugänglich sind.
Aber auch wenn das Buch nicht schwer zu lesen ist, ist es doch nicht unbedingt leicht zu verstehen. Schwierig, oder besser ungewohnt, ist nämlich zwar nicht der Text als solcher, aber doch die dahinter stehende Grundhaltung. Zamboni widersetzt sich konsequent jeder instrumentellen Herangehensweise – theoretisch und eben auch praktisch. »Unverbrauchte Worte« zu finden (und zu hören), das ist keine Frage des Willens, der Technik, der Methode, sondern wie ein Schwimmen im freien Meer: »Wir sprechen und bekommen keine Klippe zu fassen, an der wir hochklettern könnten, um uns von oben sprechen zu sehen. Es ist, als wären wir immer draußen im offenen Meer.« Auf diesen Prozess, der eben gerade kein »Standpunkt« ist, sondern ein Wagnis, ein Experiment, muss sich einlassen, wer das Buch genießen will.
Deshalb ist es gut, dass Dorothee Markert nicht nur in einem Vorwort in die Texte einführt, sondern auch die einzelnen Kapitel jeweils noch einmal erläutert und Hinweise auf mögliche Verständniszugänge gibt. Und welche Antworten die einzelne Leserin findet, das hängt nicht zuletzt von ihren eigenen Fragen und ihrem persönlichen Begehren ab. Oder, wie Chiara Zamboni schreibt: »Dort, wo die Worte die Notwendigkeit begleiten, hört das leere Getöse auf.«
In: Virginia Frauenbuchkritik, Herbst 2005