Sind Schwangere zum Gebären verpflichtet?
Vortrag am 16.10.2019 auf Einladung des Verdi-Frauenrats in Frankfurt am Main, Gewerkschaftshaus
Die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel nach §219a StGB, der Informationen über Abtreibungen auf Homepages von Arztpraxen unter Strafe stellt, im Herbst 2017 hat besonders jüngere Frauen irritiert; viele von ihnen wussten gar nicht, wie restriktiv die Gesetzgebung in Deutschland ist. „Raus aus meinem Uterus“ forderte Nina Straßner in einem viral gegangenen Blogpost und weist darauf hin, dass in Bezug auf die die körperliche Selbstbestimmung von Schwangeren völlig andere ethische Maßstäbe angelegt werden als bei anderen Menschen: „‘Ich bin ungewollt schwanger, ich möchte nicht gebären‘ ist allen Ernstes in unserer Rechtsordnung ‚Unrecht‘. ‚Ich möchte kein Blut spenden, selbst wenn jemand neben mir gerade stirbt und ich seine einzige Rettung bin‘ fällt jedoch glasklar unter das Recht auf körperliche Selbstbestimmung.“
Seit den 1970er Jahren hat sich, der Frauenbewegung sei Dank, die Situation ungewollt schwangerer Frauen in vielen Ländern zum Glück verbessert, da der Zugang zu Abtreibung zumindest unter gewissen Bedingungen legal möglich ist. Immer noch ist Abtreibung aber in 66 Ländern auf der Welt entweder ganz verboten oder nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Aber auch in Deutschland ist Abtreibung eben immer noch verboten.
Der gesetzliche Zwang zum Austragen eines Kindes wird nicht als problematisch empfunden, weil Schwangere in eine andere Kategorie von Mensch fallen, sie werden nicht als autonome Individuen gesehen, sondern im Schwangersein fließen nach dieser Logik Weiblichkeit und Opferbereitschaft prinzipiell ineinander.
Woher kommt das? Meine These: Es ist eine bestimmte Form, mit der biologischen Tatsache umzugehen, dass nur etwa die Hälfte der Menschen schwanger werden kann, die andere aber nicht. Damit, welche politischen Herausforderungen das bedeutet, beschäftige ich mich in meinem Buch „Schwangerwerdenkönnen“.
Die patriarchale Idee, dass das „normalen“ Menschen zugestandene Recht auf körperliche Selbstbestimmung im Fall von Schwangeren nicht mehr gilt, beruht wesentlich auf einem Argument: Dass der Embryo NICHT ein Teil des Körpers der Schwangeren ist, sondern ein eigenes Wesen mit eigenen Rechten und Interessen, die denen der Schwangeren entgegenstehen können, oder gar das Eigentum eines Anderen, der diese Rechte dann gegen die Schwangere vertritt, also ehemals der Ehemann der Schwangeren, der als Pater Familias das Bestimmungsrecht hatte, heute gegebenenfalls der Spermageber oder in dessen Vertretung der Staat und seine Justiz.
Von großer Bedeutung dafür war die Geschlechterlehre von Aristoteles (384 bis ca. 322 v. Chr.), der in seiner Schrift „Die Zeugung der Geschöpfe“ die Ansicht vertrat, dass der männliche Samen das aktive, formende Prinzip darstelle, während die Frau mit ihrem Gebärmutterblut lediglich das passive Material bereitstelle. Dass das biologisch falsch ist, weiß man natürlich längst, spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts, als die weibliche Eizelle entdeckt wurde.
Zu seiner Zeit war Aristoteles auch nur einer unter vielen, es gab in der Antike durchaus unterschiedliche Theorien zu dem Thema. Seine Bedeutung kommt daher, dass sich über Jahrhunderte hinweg immer wieder Menschen, vor allem Männer, auf ihn bezogen haben. Wenn heutzutage von schwangeren Frauen gesagt wird, sie hätten „einen Braten in der Röhre“, oder sie seien mit „seinem“ Kind schwanger, steht dahinter immer noch diese alte Vorstellung vom aktiven Sperma und passiven Uterus. Aristoteles schuf die Voraussetzung dafür, den Embryo nicht als Teil des Körpers der Schwangeren anzusehen, sondern als Besitz eines anderen – des „Vaters“.
Genau mit dieser Behauptung, Embryonen seien bereits menschliche Wesen und unabhängig vom Körper der Schwangeren, wird in Gesellschaften, die eigentlich Individualismus, Freiheit und Selbstbestimmung hochhalten, der Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung gerechtfertigt. So schreibt zum Beispiel der Autor Heinrich Schmitz auf der Internet-Plattform Die Kolumnisten: „Der Slogan ‚Mein Bauch gehört mir‘ ist rechtlich nur richtig, solange er sich alleine auf den Bauch selbst bezieht. Der ‚Inhalt‘ des Bauches gehört zunächst einmal sich selbst.“ Es wird also zwischen der Schwangeren und dem Inhalt ihrer Gebärmutter unterschieden und damit ein potenzieller Interessensgegensatz konstruiert. Das führt dann logischerweise zu der Frage, wer die proklamierten „Eigentumsrechte“ des Embryos an sich selbst denn wahrnehmen soll, wenn die Schwangere es offensichtlich nicht sein kann, da sie ja in egoistischer Weise beabsichtigt, dem Embryo zu schaden. Jemand anderes – die Gesellschaft, der Samengeber – muss dies übernehmen und quasi als Anwalt des Embryos auftreten, damit dessen Interessen gegen den Egoismus der Schwangeren geschützt werden.
Die Präsentation des Embryos ohne Schwangere ist auch das zentrale Motiv von organisierten Abtreibungsgegner*innen. Bilder von Embryonen ohne Gebärmutter suggerieren, dass es sich dabei um ein eigenständiges Wesen handele, das die Gebärmutter der Schwangeren nur als passive Umgebung nutzt. Die Schwangere ist so unwichtig, dass man sie nicht zeigen muss. Diese bildliche Tradition ist alt. Schon 1511 hat Leonardo da Vinci einen Fötus gezeichnet, der in einer aufgeklappten Gebärmutter hockt. Auch bei ihm ist von einer Schwangeren weit und breit nichts zu sehen. Embryonen existieren aber nicht außerhalb einer Gebärmutter. Die spektakulären Fotografien, mit denen der schwedische Fotograf Lennart Nilsson 1965 in seinem Bildband „Ein Kind entsteht“ Furore machte, und die inzwischen zu Ikonografien der Anti-Abtreibungs-Propaganda geworden sind, zeigen allesamt tote oder sterbende Embryonen, weshalb die Medizinhistorikerin Barbara Duden sie auch einmal als Hochglanzleichenschau bezeichnet hat.
Heute gibt es wieder eine zunehmende Frontenbildung gegen das Recht von Schwangeren auf körperliche Selbstbestimmung. Erica Millar beschreibt, wie gezielt die Anti-Abtreibungs-Lobby, „im Grunde eine Art globales Franchise-Unternehmen“, propagandistisch die Vorstellung verbreitet, es gäbe ein eigenständiges Lebewesen namens „ungeborenes Kind“, das losgelöst von der Schwangeren zu betrachten sei. Viele stellen sich unter einem Embryo oder einem Fötus inzwischen tatsächlich ein autonomes, babyartiges Wesen vor. Was immer und immer wieder wiederholt wird, wird irgendwann als wahr empfunden. Es gibt aber keine ungeborenen Kinder, Kinder entstehen durch eine Geburt. Es ist ein qualitativer Unterschied, ob ein menschliches Wesen im Mutterleib lebt oder außerhalb. Welche ethischen Bewertungen daraus zu ziehen wären, lässt sich diskutieren. Aber so zu tun, als wäre es mehr oder weniger egal, ob ein Fötus/Kind bereits geboren ist oder noch nicht, ist eine Missachtung der schwangeren Person und erklärt diese schlicht für irrelevant.
Schwangere und Fötus können in der Realität nicht getrennt werden. Die Beziehung zwischen einer Schwangeren und dem entstehenden Wesen in ihrer Gebärmutter ist keine (nur) soziale, sie ist eine biologische Tatsache, die nicht verhandelt werden kann. Es gibt zwar Science Fiction, die von Inkubatoren handeln, in denen Embryonen ohne den Körper einen Schwangeren reifen, und manche Feministinnen wie zum Beispiel Shulamath Firestone in ihrem wegweisenden Buch „Frauenbefreiung und Sexuelle Revolution“ sahen darin auch eine positive Utopie. Tatsache ist aber bis heute, dass Embryonen und Föten nicht außerhalb des Körpers einer Schwangeren existieren können, niemals vor der 22. Schwangerschaftswoche, und kaum vor der 24. Es gibt zwar technologische Fortschritte, die den Zeitpunkt, ab dem ein Fötus in einem Brutkasten lebensfähig ist, weiter nach vorne zu verschieben versuchen. Aber fünf bis sechs Monate lang braucht es immer noch einen schwangeren Körper, wenn neue Menschen zur Welt kommen sollen.
Die Schwangere ist in einen Prozess involviert, den niemand ihr abnehmen kann. Ohne ihr Mitwirken gibt es keine neuen Menschen. Schwangersein ist die einzige Tätigkeit „für andere“, die prinzipiell nicht delegiert werden kann, da sie sich innerhalb des eigenen Körpers abspielt. „You’re the only one who can do that“, wie Tishs Mutter in dem Film „Beale Street“ zu ihrer hochschwangeren Tochter sagt. Die Notwendigkeit, „in Fleisch und Blut“ beteiligt zu sein, begründet eine besondere Stellung der Schwangeren im Verhältnis zu einem neuen menschlichen Wesen, das nur sie allein zur Welt bringen kann. Diese besondere Beziehung endet mit der Geburt und mit dem Eintritt des Neugeborenen in die Gesellschaft. Vom Zeitpunkt der Geburt an sind Mutter und Kind zwei getrennte Individuen, nicht mehr „zwei in einer“. Was ihre Beziehung angeht, so greifen nun soziale Übereinkünfte, biologische Zwänge gibt es nicht mehr, das heißt, ab hier greift die Politik. Wir können uns, anders gesagt, als Gesellschaft ausdenken, was wir wollen.
Aber in Bezug auf das Schwangersein können wir das nicht, zumindest heute noch nicht. Daraus ergibt sich potenzieller Handlungsbedarf: Welche Unterstützung erfährt eine Schwangere (und damit auch das von ihr geborene Kind) durch die Allgemeinheit? Und welche Rechte hat die Allgemeinheit, zum Beispiel Väter oder bestimmte andere Menschen (Großeltern, Ärzt/innen, Nachbar*innen, Freundeskreise…) in Bezug auf das Kind? Sehr unterschiedliche Regeln sind diesbezüglich denkbar, und in unterschiedlichen Kulturen wurde und wird das ja auch sehr unterschiedlich geregelt. Es gibt aber keine Kultur, in der das NICHT geregelt ist.
Je nachdem wie diese Regeln ausfallen, haben sie unterschiedliche Folgen (Vorteile oder Nachteile) für gebärende Menschen und für solche, die gar nicht schwanger werden können. Beschließt eine Gesellschaft zum Beispiel, Schwangeren eine Art „Verdienstausfall“ zu zahlen (weil sie eine Zeitlang nicht in gleicher Weise wie Nichtschwangere für ihren Lebensunterhalt sorgen können) oder eine gute, von der Allgemeinheit finanzierte Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, dann werden manche niemals in den Genuss dieser Vorteile kommen, weil sie nicht schwanger werden können. Beschließt eine Gesellschaft hingegen restriktive Regeln für den Vorgang der Schwangerschaft (zum Beispiel ein Abtreibungsverbot oder Verfügungsgewalt anderer über ein Neugeborenes), müssen ebenfalls die einen damit rechnen, dass sie davon betroffen sind, während es den anderen persönlich egal sein kann. Geschlechterordnungen, etwas die Beschreibung von Menschen, die schwanger werden können, als eigene besondere Menschengruppe namens „die Frauen“, tragen dazu bei, diese Regeln sozial zu verankern und dann auch quasi als „natürlich“ erscheinen zu lassen, also ihren politischen Ursprung zu verschleiern.
Biologische Tatsache ist aber, dass die Beteiligung aller anderen Menschen – egal ob es um Väter, um Großeltern oder um andere Personen geht, und egal wie genau ihre Beteiligung ausgestaltet wird – an der Reifung und Geburt eines neuen Menschen etwas grundlegend anderes sind als die Beteiligung der Schwangeren. Die Rahmenbedingungen für die Mitwirkung aller anderen Personen an Schwangerschaft und Geburt sind grundsätzlich frei gestaltbar, sie sind nicht notwendig, höchstens wünschenswert, und sie können immer so oder auch anders ausfallen. Nur die Beteiligung der Schwangeren selbst ist eine biologische Notwendigkeit. Sie ist die einzige Person, die bei der Schwangerschaft und der Geburt anwesend sein muss. Das ist nicht verhandelbar.
Patriarchale Kulturen verstärken diese Notwendigkeit allerdings, indem sie aus einem biologischen Zwang (die Schwangere muss bei der Geburt anwesend sein) die Legitimation ableiten, von ihr auch soziale Opfer zu verlangen. In Deutschland steht in §219 des Strafgesetzbuchs, dass „ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt.“ Wer schwanger ist, wechselt nach dieser Logik also in einen anderen staatsbürgerlichen Status: Eine Schwangere ist kein freier Bürger, sondern sie muss „Opfer“ bringen, nämlich ihren eigenen Körper der Allgemeinheit und deren Interessen zur Verfügung stellen.
Bei uns kommt heute noch das Paradigma der Gleichstellung und damit der Imperativ, in einer heterosexuellen Paarbeziehung alles „fifty-fifty“ zu regeln. Oft wird zum Beispiel gesagt: „Der Mann zeugt das Baby, die Frau trägt es aus.“ Das klingt schön nach Halbe-Halbe, der eine macht dies, die andere das, Teamwork! Es ist aber schlichtweg falsch. Keineswegs zeugt „der Mann“ das Baby, sondern das tun beide zusammen: Die eine liefert die Eizelle, der andere das Sperma. Die Zeugung eines Babys ist in der Tat ein egalitärer Akt, etwas, das zwei Menschen miteinander vollbringen. Das war es dann aber auch schon. Für die Person, die durch den Sex schwanger geworden ist, fängt die Sache jetzt erst an. Rein biologisch betrachtet ist der männliche Beitrag zum „Kindermachen“ dem weiblichen weder ebenbürtig noch komplementär.
Aber die Fifty-Fifty-Ideologie führt dann auch im Fall einer Schwangerschaft zu der Idee, dass auch hier „beide entscheiden“ sollten. In seinen absurdesten Versionen führt das zu Gesetzen wie dem 2017 im US-Bundesstaat Arkansas erlassenen, das dem „biologischen Vater“ sogar dann eine Mitsprache bezüglich einer Abtreibung zugesteht, wenn er die Frau vergewaltigt hat. Statt die gewaltsame Schwängerung einer anderen Person als schwerwiegendes Verbrechen anzusehen, durch das der Täter selbstverständlich jegliche Ansprüche und Rechte gegen diese Person verwirkt, geht man davon aus, dass der reine Akt der Zeugung bereits eine quasi sakrale Verbindung zwischen „Kind“ und „Vater“ schaffen würde, eine Beziehung, die so wertvoll ist, dass sie das körperliche Selbstbestimmungsrecht der Frau außer Kraft setzt.
Zwar lassen auch die meisten Länder, in denen Abtreibung eigentlich verboten ist, im Fall von Vergewaltigungen Ausnahmen zu. Aber nicht alle. Und in manchen Ländern – etwa Polen oder Brasilien – gibt es Absichten, diese Ausnahme wieder abzuschaffen.
Diese soziale Kontrolle des Schwangerseins ist aber alles andere als „natürlich“, sie greift vielmehr ein in biologische Fakten und widerspricht denen zuweilen geradezu. Wenn eine Schwangerschaft eingetreten ist, bleibt nämlich prinzipiell lange ungewiss, ob sie auch tatsächlich zur Geburt eines Kindes führt. 30 bis 40 Prozent aller Schwangerschaften enden bereits in den ersten Monaten mit einer Fehlgeburt, weshalb man von Frauen, die schwanger waren, früher auch sagte, sie seien „guter Hoffnung“. Darüber wird nur wenig gesprochen, vielleicht auch deshalb, weil diese hohe Frequenz von natürlichen Todesfällen im Embryonalstadium nicht gut zu der von den so genannten „Lebensschützer*innen“ verbreiteten Dramatik der Abtreibungsdebatte passt.
Die Potenzialität des Schwangerseins auch eine Folge der freien Subjektivität der Schwangeren. Denn die Möglichkeit einer Abtreibung ist immer gegeben. Abtreibungen vorzunehmen ist nicht besonders schwierig, wenn man weiß, wie es geht. Schon in der Antike zirkulierten Anleitungen dafür, wie man es macht. Auch in patriarchalen Gesellschaften, in denen Abtreibungen verboten sind, finden sie statt, nur sind sie dann für die Betroffenen gefährlich, teuer, kompliziert und oft von menschenunwürdigen Umständen begleitet. Rund 47.000 Frauen sterben jedes Jahr nach einer Abtreibung, fast alle in Ländern, in denen Abtreibung illegal ist.
Deshalb gefährden Abtreibungsverbote vor allem Frauen aus unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, die Verbote nicht unter Rückgriff auf finanzielle und soziale Ressourcen umgehen können. Sarah Diehl hat in ihrem Dokumentarfilm „Abortion Democracy“ von 2008 die Situation in Polen und Südafrika verglichen. In Polen ist Abtreibung verboten, aber trotzdem kommen Betroffene relativ leicht an eine sichere Abtreibung, es ist nur teuer und umständlich. In Südafrika hingegen ist Abtreibung zwar gesetzlich erlaubt ist, aber wegen generell schlechter medizinischer Versorgung und konservativer Grundhaltungen in den Kliniken bekommen Frauen in der Praxis nur schwer Zugang dazu. Der Zugang zu Abtreibung hängt also in der Realität mehr von sozialen und finanziellen Privilegien ab als von der reinen Gesetzeslage. Deshalb war die Abschaffung von Abtreibungsverboten auch schon früh nicht nur eine Forderung der Frauen-, sondern auch der Arbeiterbewegung – es handelt sich dabei sowohl um eine Geschlechter- wie auch um eine soziale Frage. Auch die Armen treiben ab; sie gehen dafür eben nur ein sehr viel größeres Risiko ein als Reiche.
Jedenfalls gilt: Jede Frau, die ein Kind zur Welt bringt, ist eine Frau, die nicht abgetrieben hat. Eine Abtreibung ist eine verbreitete Option, die ungewollt Schwangeren zur Verfügung steht, auch wenn sie nicht das ist, wofür sie sich standardmäßig entscheiden. In Zahlen: Bei ungewollten Schwangerschaften entscheidet sich eine Mehrzahl der Frauen dafür, das Kind auszutragen, und zwar fast 60 Prozent laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2012. Gut 40 Prozent der ungewollt Schwangeren haben hingegen abgetrieben. Das heißt: Wenn man ungewollt schwanger wird, ist Abtreibung ein naheliegender Gedanke. Abtreibung ist – und das war immer und überall so – eine realistische Option, und nahezu jede Frau weiß das. Die Skandalisierung und Stigmatisierung von Abtreibungen im öffentlichen Diskurs hat nicht den Zweck, ihre Zahl zu verringern. Es gäbe sehr viel bessere und naheliegende Möglichkeiten, schwangeren Frauen die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern. Statt Frauen, die partout kein Kind wollen, zum Gebären zu nötigen, könnte man zum Beispiel damit anfangen, die Gründe aus der Welt zu schaffen, die Frauen auch dann zu Abtreibungen bewegen, wenn sie sich ein Leben mit Kind eigentlich vorstellen können, es ihnen aber aufgrund fehlender materieller Absicherung, fehlender Unterstützung, aus Angst davor, durch das Kind in die Beziehung zu einem Mann gedrängt zu werden und ähnliches unmöglich erscheint.
Dass der Kampf gegen die körperliche Selbstbestimmung schwangerer Menschen so vehement geführt wird, obwohl doch die Zahl der Abtreibungen durch Verbote nicht groß beeinflusst werden kann, ist nur verständlich, wenn man das Anliegen als symbolisches begreift: Die Fähigkeit, schwanger werden zu können, soll mit Unfreiheit verknüpft bleiben. Menschen mit Gebärmutter werden als passiv markiert, als „Opfer“ die Zwängen ausgeliefert sind. Sie sollen vergessen, dass das Schwangerwerdenkönnen in Wirklichkeit ein Ausdruck von Freiheit ist, wie Luisa Muraro es einmal in Anlehnung an Carla Lonzi formuliert hat: „Der Embryo wird ein Projekt des menschlichen Lebens, wenn die schwangere Frau Ja sagt. Das Ja der Frau zur Mutterschaft markiert den Anfang der mütterlichen Beziehung, aus der wir alle herkommen, Frauen und Männer.“
Dass Schwangerschaften nur dann zur Geburt eines Kindes führen, wenn die Schwangere in diesen Prozess einwilligt, ist allerdings sogar in der katholischen Kirche bekannt. Dort gibt es eine Tradition, die an diese Tatsache erinnert: das Fest der „Verkündigung des Herrn“. In dieser biblischen Geschichte verkündet der Engel Gabriel der jungfräulichen Maria, dass sie den Sohn Gottes gebären werde, und Maria antwortet: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Von Theologen, die im Patriarchat verhaftet sind, wird das gerne so interpretiert, dass Maria eine vorbildlich demütige Haltung gegenüber Befehlen von oben zeige. Feministische Theologinnen haben jedoch zu Recht gefragt, warum es den Evangelisten überhaupt so wichtig war, diese Einwilligung Marias festzuhalten. Die Antwort lautet: Weil sie, wie alle Frauen, auch hätte Nein sagen können.
Wie dramatisch eine ungewollte Schwangerschaft für die Betroffene ist, hängt ab von den sozialen Rahmenbedingungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, die schwanger sind, die Kinder auch gebären, ist umso höher, je freier, materiell abgesicherter und selbstbestimmter diese Menschen mit ihren Kindern leben können – oder auch ohne sie, wenn sie das wünschen. Je patriarchaler und frauenfeindlicher Gesellschaften sind, desto schlimmer ist es für Frauen, wenn sie ungewollt schwanger sind. Die allermeisten Gründe für Abtreibungen sind gesellschaftlich produziert.
Wer einen Eindruck von der weiblichen Angst vorm Schwangerwerdenkönnen bekommen möchte, kann auch das bei Émile Zola nachlesen. In drastischen Bildern schildert er die Gründe, warum am Ende des 19. Jahrhunderts Frauen keine Kinder haben wollten oder konnten (beengter Wohnraum, gewalttätige Ehemänner, Armut, Krankheit) und welche Torturen sie auf sich nahmen, um Schwangerschaften zu beenden oder zu vermeiden. Unter anderem haben wohl Chirurgen in Paris diesen Frauen die Gebärmutter operativ entfernt, um Schwangerschaften dauerhaft unmöglich zu machen. Die Risiken dieses Eingriffs spielten sie herunter und priesen das Ganze als Lifestyle-Operation an, mit fatalen und sogar tödlichen Folgen für manche ihrer Klientinnen.
Auch heute noch sind die Gründe für Abtreibungen fast immer in den gesellschaftlichen Umständen zu suchen. Prekäre finanzielle Absicherung, zu kleine Wohnungen, verantwortungslose Samengeber, eine kinder- und mütterfeindliche Arbeitswelt sind nicht gerade günstige Umstände, um Kinder in die Welt zu setzen. Je weniger attraktiv eine Gesellschaft für Mütter ist, umso mehr muss sie Druck machen und Schwangere zum Austragen nötigen. Aber auch in einer idealen Gesellschaft gäbe es vermutlich noch Schwangere, die kein Kind austragen möchten; und das wäre auch völlig legitim.
Die Erkenntnis, dass es möglich ist, auch im Fall einer Schwangerschaft noch selbst über den eigenen Körper entscheiden zu können, ist für Menschen, die in eine solche Situation geraten können, wie eine „kopernikanische Wende“ – damit ändert sich die Perspektive auf die Welt von Grund auf. Ich selbst erfuhr das Mitte der 1980er Jahre, als ich die Frauenbewegung kennenlernte und damit auch von der Möglichkeit erfuhr, abzutreiben. Von da an war meine Panik weg. Ich wusste, dass ein eventuelles Schwangerwerden mich nicht unweigerlich fremdbestimmen würde, sondern dass ich auch dann noch ein freier Mensch mit Handlungsoptionen wäre. Ich könnte abtreiben, oder ich könnte mich entscheiden, das Kind auszutragen, auch ohne den Mann, mit dem ich Sex hatte, mein Leben lang am Hals zu haben.
Wenn die Menstruation sich mal um ein paar Tage verzögerte, war ich nun nicht mehr panisch, sondern nur noch leicht besorgt. Die Frauenbewegung hat mir gezeigt, dass ein freier Umgang mit dem Schwangerwerdenkönnen möglich ist: Mein Bauch gehört mir. Selbstverständlich ist die Situation in Deutschland bei weitem nicht ideal. Zugang zu Abtreibungen ist zwar möglich, aber praktisch nur für Menschen, die sich mit dem Thema auskennen. Eine Frau, die sich mit der Frage beschäftigt hat, die gut vernetzt und informiert ist, die über finanzielle Ressourcen verfügt, wird im Fall einer ungewollten Schwangerschaft in jedem Fall abtreiben können, mit Hindernissen zwar, aber immerhin. Doch andere Frauen können durch die dem Thema untergelegte symbolische Bewertung als Unrecht, als Straftat, als etwas, das nur in äußersten Notlagen legitim ist, verunsichert und unter Druck gesetzt werden.
Es ist also nachvollziehbar, warum die Frauenbewegung bei ihren Kämpfen um reproduktive Selbstbestimmung den Fokus vor allem darauf legte, ungewollt Schwangeren legale und sichere Möglichkeiten der Abtreibung zu verschaffen. Allerdings ist der umgekehrte Aspekt genauso wichtig: dass jede Schwangere die Möglichkeit hat, eine Schwangerschaft zu Ende zu bringen, wenn sie das möchte, egal ob das irgendwem (dem Spermageber, ihrer Familie, der Regierung) vielleicht nicht passt. Keineswegs leben wir nämlich in Gesellschaften, die sich von allen Frauen möglichst viele Kinder wünschen. Im Gegenteil: Nur weiße, bürgerliche, gebildete, einheimische, gesunde Frauen in gesellschaftlich erwünschten familiären Verhältnissen sollen Kinder bekommen, andere aber nicht: arme Frauen, Frauen aus stigmatisierten Bevölkerungsgruppen, Frauen, die nicht in „ordentlichen“ Verhältnissen leben. Oder auch: Schwangere, die vom Samengeber oder ihren Familien zu einer Abtreibung gedrängt werden, Frauen, deren Babys möglicherweise krank oder behindert sind.
Aber es geht nicht nur um die Frage, ob Schwangere zur Abtreibung gedrängt werden. Ganze Bevölkerungsgruppen sollen zuweilen daran gehindert werden, überhaupt schwanger werden zu können. Zwangssterilisationen gehören in rassistischen Gesellschaften zum gängigen Herrschaftsrepertoire. Das Unrecht der antijüdischen und antiziganistischen „Rassenpolitik“ des Nationalsozialismus ist inzwischen anerkannt. Die Sterilisationspolitik von Ländern wie USA oder Australien gegenüber Schwarzen und indigenen Minderheiten, die noch bis in die 1970er Jahre praktiziert wurde, hingegen ist kaum skandalisiert worden. In der DDR wurden Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam oder anderen Ländern im Fall einer Schwangerschaft ausgewiesen oder zu einer Abtreibung gezwungen. Auch intersexuelle oder trans Personen werden häufig gezwungen, auf Reproduktion zu verzichten, weil Personenstandsänderungen nur nach Operationen möglich sind, die ihre reproduktiven Fähigkeiten zerstören (wie es in Deutschland bis 2011 der Fall war).
Zwangsabtreibungen waren in vielen Ländern auch zur Bekämpfung einer befürchteten „Überbevölkerung“ lange gängig, und zwar nicht nur im viel kritisierten China mit seiner Ein-Kind-Politik, sondern auch in Form von westlicher „Entwicklungshilfe“, wie Mara Hvistendahl in ihrem Buch über „Das Verschwinden der Frauen“ beschreibt. In ihrer Analyse der Entwicklung selektiver Geburtenkontrolle schreibt sie, dass noch in den 1960er Jahren Abtreibung in den USA (und zwar auch unter konservativ-christlichen Rechten) als probates Mittel zur Geburtenkontrolle bei „unerwünschten“ Bevölkerungsgruppen galt, zumal wenn es um die „Dritte Welt“ ging. Nachdem in den 1970er Jahren in Indien eine Kampagne zur Zwangssterilisierung von Männern erheblich zum Untergang der Regierung von Indira Gandhi beigetragen hatte, konzentrierte sich die Geburtenverhinderung auf weibliche Körper: Frauen zur Abtreibung oder zur Sterilisation zu zwingen, schien einfacher zu sein, als Männer ihrer „Potenz“ zu berauben.
Gleichzeitig wurde – ebenfalls vom Westen aus – die Ultraschaltechnologie in alle Welt verbreitet. Dass dies zu einer Geschlechterselektion führen würde, also zur gezielten Abtreibung weiblicher Föten, war abzusehen und wurde damals auch offen diskutiert. Viele (westliche) Bevölkerungsexperten erhofften sich davon einen positiven Nebenaspekt: Je weniger Frauen, desto weniger Geburten. Dass eine solche Entwicklung tiefgreifende soziale und kulturelle Auswirkungen auf die betreffenden Länder und Regionen haben würde, hatten sie nicht im Blick, und es interessierte sie auch nicht. Bald schon waren in Ländern wie Korea oder China mobile Abtreibungskliniken unterwegs, die teilweise ebenfalls vom Westen finanziert wurden. Fötusuntersuchungen mit sofortiger Abtreibung bei unerwünschtem, da weiblichem Geschlecht wurden gängige Praxis. Diese Abtreibungen fanden oft erst im zweiten oder sogar letzten Drittel der Schwangerschaft statt, denn je später, umso sicherer kann per Ultraschall das Geschlecht bestimmt werden.
Heute steigt die Zahl gesellschaftliche erwünschter Abtreibung an durch die Pränataldiagnostik. Wenn entsprechende Tests ergeben, dass aus einem Fötus voraussichtlich (sicher wissen lässt sich das nicht) ein Kind mit einer schweren Behinderung wird, Oder auch, wie im Fall von Trisomie 21, mit einer gar nicht mal so schweren, wird den Schwangeren in aller Regel zu einer Abtreibung geraten. Neun von zehn Föten mit Down Syndrom abgetrieben, und es ist sogar schon vorgekommen, dass Eltern ihren Arzt verklagt haben, weil er die Anomalie nicht vorgeburtlich festgestellt hat.
Einerseits tut unsere Gesellschaft so, als hielte sie jedes Leben für wertvoll, andererseits ist die kulturelle Ablehnung von Menschen mit Behinderung aber unübersehbar und schlägt sich direkt in fehlender Unterstützung von Familien mit besonderen Bedarfen nieder. Das Ganze ist maximal heuchlerisch: Abtreibungen aufgrund von embryopathischen (also mit Fehlbildungen beim Embryo begründeten) Indikationen sind allerdings in Deutschland seit 1995 verboten. Deshalb müssen sie formal unter dem Vorwand vorgenommen werden, dass ein behindertes Kind das physische oder psychische Wohl der Mutter gefährde. Die Schwangere wird also nicht nur in die Situation gebracht, dass sie eine moralische Entscheidung treffen muss, während dazu widersprüchliche gesellschaftliche Botschaften auf sie einwirken. Sie wird auch noch zu falschen Aussagen genötigt und pathologisiert, so als sei sie selbst die Ursache des Problems, nicht aber die Kultur, in der sie lebt.
Es ist selbstverständlich richtig, dass die konkrete Entscheidung auch in diesen Fällen bei der Schwangeren liegt und bei niemandem sonst. Aber sie zu treffen wäre vermutlich leichter, wenn wir uns als Gesellschaft zu einer halbwegs kohärenten Haltung durchringen könnten. Es handelt sich bei Abtreibungen aus eugenischen Gründen ja nicht einfach um die Entscheidung, kein Kind gebären zu wollen. Sondern es handelt sich um die Entscheidung, dieses spezielle Kind nicht gebären zu wollen, obwohl man sich eigentlich Kinder wünscht. Abtreibungen aus eugenischen Gründen erfolgen nicht bei ungewollten Schwangerschaften, sondern bei gewollten.
Wenn wir also vom Recht auf reproduktive Selbstbestimmung sprechen, ist es wichtig, beides gemeinsam zu betonen: dass niemand dazu gezwungen werden darf, schwanger zu werden oder eine Schwangerschaft zu Ende zu führen. Dass aber auch niemand daran gehindert werden darf, schwanger zu werden oder eine Schwangerschaft zu Ende zu führen. Das schließt meiner Ansicht nach ein, dass keine Person, die ein Kind geboren hat, anschließend dazu gezwungen werden darf, sich um dieses Kind selbst zu kümmern. Und es schließt ein, dass keine Person, die ein Kind geboren hat, daran gehindert werden darf, sich um dieses Kind zu kümmern. Reproduktive Selbstbestimmung bedeutet, dass Menschen, die schwanger werden können, sowohl in ihrer Sexualität als auch in Bezug auf eine Fortführung oder Beendigung einer Schwangerschaft frei sind, und dass sie selbst nach der Geburt eines Kindes entscheiden können, wie es nun weitergeht.
Bei den feministischen Kämpfen gegen staatliche Abtreibungsverbote geht es nicht darum, ein „Recht“ auf Abtreibung zu fordern oder darum, ein ethisches Urteil darüber zu fällen, wie schlimm oder nicht schlimm eine Abtreibung ist. Sondern es geht um die Frage, ob man Menschen, die schwanger werden können, als freie Subjekte betrachtet, die in Bezug auf ihre (unter Umständen schwangeren) Körper verantwortlich handeln, oder ob man sie entmündigt und im wahrsten Sinne des Wortes in ihren Körper hineinregiert. Der Feminismus kämpft nicht dafür, dass möglichst viele Abtreibungen stattfinden. Der Feminismus kämpft dafür, dass das Recht, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen, auch für Schwangere gilt. Man kann einen Embryo nicht losgelöst vom Körper der Schwangeren betrachten, von dem er ein Teil ist. Feminismus kämpft dafür, diesem speziellen menschlichen Zustand gerecht zu werden, der sich aus dem „nicht eine, nicht zwei“ ergibt. Abtreibungen sind für Menschen, die schwanger werden können, kein Recht, sondern manchmal eine Notwendigkeit, wie die italienische Philosophin Luisa Muraro sagt. Nur wer selbst in der Situation ist, kann über diese Notwendigkeit entscheiden.
Dass wir materielle, körperliche Wesen sind heißt, dass es Sachverhalte gibt, die wir nicht ändern können. Einer davon ist die Tatsache, dass die Hälfte der Menschen ohne die Fähigkeit zum Schwangerwerden geboren wird. Die Körper, die (nicht) schwanger werden können, sind real vorhanden und verlangen danach, in der Politik berücksichtigt zu werden. Dazu gehört insbesondere die Anerkennung der Tatsache, dass eine Schwangerschaft unmöglich von der schwangeren Person getrennt werden kann. Was bei jeder anderen Beziehung möglich ist, „to walk away“, wegzugehen, ist für eine Schwangere nicht möglich. Ihre Beziehung zu dem Wesen in ihrem Körper ist nicht, wie alle anderen Beziehungen, eine sozial vermittelte, sondern eine biologisch-materielle. Kulturtechniken, die für sozial vermittelte Beziehungen gültig sind, sind hier nicht anwendbar.
Für diese Art der Bezogenheit, die sich im Schwangersein zeigt, müssen eigene Überlegungen angestellt werden, die die Materialität dieser Notwendigkeit anerkennen. „Der schwangere Körper widerspricht der westlichen Ontologie, die von einem begrenzten, autonomen Selbst ausgeht, und wird falsch repräsentiert, wenn er als ein oder zwei Menschen dargestellt wird. Er ist weder das eine noch das andere“, schreibt Erica Millar. Die Frage, wie die für Schwangere charakteristische Existenzform des „Nicht eine, nicht zwei“ ethisch, moralisch, juristisch zu denken sei, steht im Zentrum der Auseinandersetzungen um die körperliche Selbstbestimmung schwangerer Menschen. Der für seine polemischen Internetkolumnen bekannte Rechtswissenschaftler Thomas Fischer hat es in einer Auseinandersetzung mit feministischen Positionen zur Abtreibung klar formuliert: „Das Eigentliche ist die Frage, ob ein Embryo nun eigentlich ein ‚Mensch‘ ist oder wenigstens ein ‚werdender‘. Denn wenn Letzteres der Fall ist, kann er eigentlich nicht zugleich nur Teil des Body der Schwangeren sein.“
Fischer wirft Feministinnen vor, hier keine kohärente Antwort zu haben und sich stattdessen in „kunstvolle Antworten“ zu flüchten, die sich „gern im Wolkigen verlieren“. In Wahrheit kann er aber bloß nicht verstehen, sich nicht vorstellen, dass ein „werdender Mensch“ gleichzeitig „Teil des Body der Schwangeren“ sein kann. Für ihn – wie für viele andere – ist das ein Widerspruch. Sie können sich die Situation nur als Entweder-oder denken: Entweder der Embryo ist eine eigenständige Entität, dann gelten für ihn sämtliche Menschenrechte, und Abtreibung ist Mord. Oder er ist Teil des Körpers der Schwangeren, dann kann sie mit ihm tun, was sie will, auch abschneiden und wegwerfen „wie die Hornhaut, der Wurmfortsatz oder die Fettgeschwulst“, um es mit Fischers eigenen Worten zu sagen. Vielleicht hat Thomas Fischer sein Unvermögen, diese Position zu verstehen, auf einer unbewussten Ebene erkannt, das würde zumindest das Wörtchen „eigentlich“ in seiner Behauptung erklären: Ein werdender Mensch, schreibt er, könne „eigentlich“ nicht zugleich nur Teil des Körpers einer anderen sein. Ja, vom herkömmlichen autonomen Menschenbild einer männlich geprägten Philosophie aus gedacht kann er es „eigentlich“ nicht, aber in Wirklichkeit, nämlich in Gestalt einer Schwangeren, kann er es faktisch doch. Also müssen wir vielleicht die Philosophie anpassen, unser Menschenbild ändern?
Zumal es beim Schwangersein noch ein anderes Paradox gibt, auf das Antoinette Fouque hinweist: Es ist die Verbindung von Zustand und Tat. Schwangersein ist eine zugleich aktive und passive Angelegenheit. Eine Bekannte von mir sagt, dass sie sich „mit etwas schwängert“, wenn sie ein neues Projekt – ja, quasi „ausbrütet“. Dieser Zustand des aktiv-passiven Tuns-und-Geschehen-Lassens ist nichts, was auf den körperlichen Zustand des Schwangerseins beschränkt wäre. Feministische Überlegungen in dieser Richtung sind häufig zu Unrecht als Biologisierungen verstanden worden, so als sollte schwangeren Frauen etwas zugeschoben und aufgebürdet werden. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Es geht darum, die Erfahrung des schwangeren Körpers gerade nicht als Sonderfall einer speziellen „Weiblichkeit“ zu verstehen, sondern als „normales Menschsein“, das alle betrifft, auch solche Menschen, die nicht schwanger sind und es vielleicht auch gar nicht werden können.
Feminism ist he radical notion, that women are people, heißt es. Dass Frauen schwanger werden können heißt nichts anderes, als dass Menschen schwanger werden können, nur eben nicht alle. Wenn für Schwangere das Recht auf körperliche Selbstbestimmung nicht gilt, dann gilt es für Menschen generell nicht. Wenn Schwangere nicht frei sind, dann ist unsere gesamte Gesellschaft unfrei.