Schau mich an!
Sie trainieren und sie hungern. Sie legen sich unters Messer. Sie geben ein Vermögen für Kosmetik und Klamotten aus. Sie behängen sich mit Schmuck, malen sich an, stechen sich Löcher in den Bauchnabel und sonstwohin. Ein Zeitgeist-Phänomen? Nicht nur. In allen Kulturen und zu allen Zeiten haben Menschen ihre Körper verändert, gestylt, hergerichtet. Und das alles nur, um schön zu sein. Aber: Was ist eigentlich schön?
Der menschliche Körper durfte noch nie einfach so bleiben, wie er ist. Schon die alten Griechen bewunderten die hart trainierten Muskeln der Männer, und im alten China galten Frauen nur als schön, wenn sie ihre Füße verkrüppelten. Es braucht offenbar keine Schönheitsindustrie und keine Massenmedien, damit der Körper bestimmten Idealen unterworfen wird. Auch wenn sich die Vorstellungen von dem, was schön ist, immer wieder verändern – klar ist: es gibt sie, und kein Mensch kommt sozusagen »ungeschoren« davon.
Kein Wunder, dass Menschen schön sein wollen. Wer schön ist, ist auch erfolgreich, findet leichter Freunde, hat mehr Chancen im Beruf, das haben soziologische Studien erwiesen. Doch besteht das Streben nach Schönheit wirklich nur darin, sich Konventionen anzupassen, dem gesellschaftlichen Druck nachzugeben? So einfach ist es auch wieder nicht. »Ich tue das für mich selber«, sagen die meisten Frauen, wenn sie sich ihrer Schönheit widmen, »es geht mir darum, meinen individuellen Stil zu finden, ich will mir vor allem selbst gefallen.« Und irgendwie haben sie auch Recht damit.
Denn das genau ist der Witz an der Schönheit: Sie ist immer ein Wechselspiel zwischen subjektivem Urteil und der gesellschaftlichen Norm. Sich einfach nur anzupassen, quasi ohne jede Individualität, funktioniert nämlich nicht. Wenn alle Frauen gleich groß, gleich dünn, gleich blond und langhaarig sind, wird’s langweilig – weil man dann all die Jennifers, Christinas und Angelinas kaum noch auseinander halten kann. Die Fernsehwelt ist manchmal ja fast schon so weit.
Die Gefahr, dass Schönheit austauschbar wird (und damit keine mehr ist), ist heute größer geworden, weil sich Macken und Abweichungen von der Norm so gut ausbügeln lassen wie noch nie – der Schönheitschirurgie sei Dank. Niemand muss so bleiben, wie Gott ihn oder sie geschaffen hat; Schönheit ist nicht ein Geschenk der Natur, sondern die Frucht harter Arbeit und Disziplin. Höchstens noch eine Frage des Geldes. Aber prinzipiell ist alles machbar, wer hässlich bleibt, ist selber schuld. Viele kritisieren den Druck, der dadurch gerade auf jungen Frauen lastet. Und zunehmend auch auf Männern: Sie mussten in früheren Zeiten nicht unbedingt schön sein, Macht und Reichtum machten sie ebenfalls anziehend. Heute hat sich das relativiert: Auch Männer dürfen sich nicht mehr jede Hässlichkeit erlauben.
Die monotheistischen Religionen sind traditionell der äußerlichen, körperlichen Schönheit gegenüber eher skeptisch eingestellt. Vor allem der der Frauen. Fromme Christinnen durften sich früher nicht schminken, keinen Schmuck anlegen, mussten schlichte Kleidung tragen, um nicht die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen. Genauso begründen viele muslimische Theologen heute das Kopftuch. Auch im orthodoxen Judentum sollen Frauen lange Röcke und dicke Strümpfe tragen. Der Grund ist immer derselbe: Schönheit, vor allem die Schönheit der Frauen, ist haarscharf an der Grenze zur Sünde.
Dabei ist sie einfach auch eine Form der Kommunikation: Wer sich »schön macht« sendet eine Botschaft aus: Ich will dir gefallen. Ich will dir etwas von mir zeigen. Wer sich um die eigene Schönheit kümmert, macht sich Gedanken darüber, wie das eigene Ich der Welt präsentiert werden soll. Es geht darum, Beziehungen herzustellen. Das Streben nach Schönheit sagt nichts anderes als: Schau mich an!
Nur »für sich selbst« schön zu sein ist vielleicht nicht unmöglich, auf jeden Fall ist es sinnlos. Schon der Philosoph Kant hat festgestellt, dass es zwar keine Regel geben kann, »nach der jemand genötigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen. Ob ein Kleid, ein Haus, eine Blume schön sei: dazu lässt man sich sein Urteil durch keine Gründe oder Grundsätze aufschwatzen. Man will das Objekt seinen eigenen Augen unterwerfen – und dennoch, wenn man den Gegenstand alsdann schön nennt – glaubt man, eine allgemeine Stimme für sich zu haben, und erhebt Anspruch auf die Beistimmung von jedermann.«
Schönheit lässt sich also nicht definieren. Und trotzdem wissen wir meistens ziemlich genau, ob etwas schön ist oder nicht. Das ist zwar ein subjektives Gefühl, aber wir meinen doch irgendwie, dass es auch für andere gelten müsste. Und genau darum geht es: darüber zu urteilen, was schön ist und was hässlich. Wer dieses Urteil an die Modeindustrie delegiert, wird langweilig und austauschbar. Wer sich um Schönheit hingegen gar nicht schert, bleibt vermutlich ziemlich einsam.
In: Evangelisches Frankfurt, Nr. 2/2006