Schenken und beschenkt werden – gar nicht so einfach!
»Bei uns haben wir die Schenkerei abgeschafft« – das hört man immer öfter von Menschen, die entnervt sind vom Vorweihnachtsstress, die keine Lust mehr haben, so zu tun, als würden sie sich unterm Weihnachtsbaum über Dinge freuen, die sie nie haben wollten, und die sich nicht länger auf die Suche nach Präsenten machen wollen, die eigentlich niemand braucht. Trotzdem: Schenken und sich beschenken lassen ist wichtig.
Die Weigerung, sich am alljährlichen Weihnachts-Geschenkerummel zu beteiligen, ist ja eigentlich eine sympathische Einstellung. Wer hat sich noch nicht über den Konsumwahn zu Weihnachten geärgert, über Lebkuchen und Zimtsterne, die schon im September die Regale überschwemmen, über penetrantes »Jingle-Bells«-Gedudel in den Kaufhäusern und die Flut freundlicher Weihnachtsmänner, die keineswegs Geschenke verteilen, sondern letztlich doch nur irgend etwas verkaufen wollen. 30 Milliarden Mark setzen die Einzelhändler jedes Jahr allein in Deutschland im Weihnachtsgeschäft um. Ab Mitte Dezember ist ein Gang über die Zeil anstrengender als ein Fußmarsch zum Feldberg, die weihnachtliche Geschenkeindustrie ist ein Riesengeschäft, das ständig neue Belästigungen hervorbringt – neuerdings zum Beispiel penetrante Blinkkästchen auf Computerbildschirmen, in denen Internetfirmen versprechen, mit einem Mausklick würden sich die Weihnachtsgeschäfte quasi von selbst erledigen, was, wie jeder weiß, der es einmal ausprobiert hat, leider nicht stimmt.
Nein, das Schenken ist nicht mehr das, was es mal war – aber früher war es auch nicht besser. Historiker haben herausgefunden, dass das Schenken eigentlich ein Privileg des Adels war. Wer reich war, der hat andere – die Armen, die Untertanen, Gäste – beschenkt, und das war nicht ein Zeichen von Nächstenliebe oder Selbstlosigkeit, sondern diente vor allem dem eigenen Ruhm und der Angeberei. Wer anderen etwas schenkte, der machte damit deutlich, dass er mächtig und reich war, denn er besaß genug Überflüssiges, um anderen davon etwas abzugeben. Und die Beschenkten, da sie meist nichts zurückgeben konnten, wurden so zur Loyalität verpflichtet.
Auch der Brauch, zu Weihnachten Geschenke zu verteilen, so die Wissenschaftler, habe keineswegs christliche Wurzeln, denn die christliche Kultur hat ihn von den Heiden übernommen, die schon zu Zeiten der alten Römer zum neuen Jahr aus Aberglauben kleine Präsente austauschten – und Neujahr feierte man bis ins 17. Jahrhundert hinein an Weihnachten.
Als dann im aufkommenden Kapitalismus nicht mehr nur der Rang der Geburt, sondern auch der berufliche Erfolg des Einzelnen über die soziale Stellung entschied, wurde das Schenken
An diesem Versuch, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, ist etwas Wahres dran. Wenn man »Schenken« einmal definieren müsste, dann wäre es nur die erste spontane Reaktion, zu glauben, Schenken bedeute, etwas abzugeben, ohne dafür etwas wiederzubekommen. Wenn ma
Schenken ist daher letztlich nichts anderes als Verhandeln und Austauschen, und daran ist auch gar nichts Schlimmes. Soziologen haben untersucht, wie wichtig die soziale Funktion des Schenkens ist – kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, weiß schon das Sprichwort. Daran, wer wem etwas schenkt und wie viel, lässt sich manches darüber ablesen, in welcher Beziehung man zueinander steht. So bekommt zu Weihnachten die eigene Familie mehr Geschenke als ferner stehende Bekannte, Brautleute verstehen den Wert des Traurings auch als Indiz für die Bedeutung der Beziehung, und wenn der Ehemann nach zwanzig Ehejahren plötzlich mit einem Strauß Rosen vor der Tür steht, beschleicht die Gattin manchmal zu Recht der Verdacht, er könne etwas wieder gutzumachen haben.
Allerdings steht – und das ist der Unterschied zu einem Vertrag – das Ergebnis des Austausches beim Schenken keineswegs vorher schon fest: Das Betriebsklima kann trotz allem schlecht sein, das Kind quengelt möglicherweise trotz neuer Puppe weiter. Wer sich aufs Schenken einlässt, wagt ein Spiel, dessen Ausgang ungewiss ist, ein Spiel, das ohne feste Regeln auskommen muss oder bei dem zumindest die Spielregeln ständig neu ausgehandelt werden. Das ist ja gerade der Clou – was jeweils angemessen ist, das steht nirgendwo geschrieben, sondern es ist bis zu einem gewissen Grad Gefühlssache. Denn getauscht werden nicht nur materielle Werte, sondern eben auch ideelle: Dankbarkeit, Loyalität, Verbundenheit zum Beispiel. Es ist ein vielschichtiges Beziehungsgefüge, das hier berücksichtigt werden muss, und vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum Frauen in dieser Hinsicht als kompetenter gelten.
Noch schwieriger als das Schenken ist heutzutage vielleicht das Beschenktwerden. Denn da wird man herausgefordert, etwas zurückzugeben, ohne genau zu wissen, was. Ein Geschenk ist immer auch ein Angebot, ein Vorschuss sozusagen, und es bleibt mir selbst überlassen, wie ich darauf reagieren will. Nicht immer ist die gewünschte Antwort ein gleichwertiges Gegengeschenk. Manchmal kann sich hinter einem Geschenk auch der Wunsch nach einer tieferen Beziehung verbergen.
Nicht gleich wieder etwas zurückzuschenken, das kann daher auch bedeuten, sich auf dieses Freundschaftsangebot einzulassen, indem man bewusst etwas schuldig bleibt. Wie das geht, das bringen wir schon unseren Kindern bei, die ja nicht in der Lage sind, materielle Gegengeschenke zu machen: Die Kinder sollen lernen, danke zu sagen – doch genau das, nämlich dankbar sein zu müssen, versuchen Erwachsene weitgehend zu vermeiden. Ein Geschenk ohne Gegengeschenk einfach anzunehmen und schlicht danke zu sagen, das kann durchaus eine angemessene, wenn auch ungewohnte Antwort sein. Und wenn das auf der Gegenseite beleidigte Reaktionen hervorruft, nach dem Motto: Ich schenk der immer was und bekomme nie was zurück – nun, dann war es vielleicht doch einfach nur ein ganz konventionelles Geschenk und kein Freundschaftsangebot, und das zu wissen, ist ja auch etwas wert.
Im Schenken und Beschenktwerden steckt die große Möglichkeit, mit anderen Menschen in einen Austausch zu kommen, ohne gleich die Karten offen auf den Tisch zu legen. Es ist die Chance, das Verhältnis zwischen mir und den anderen auszutesten, über unsere Beziehung zueinander in Verhandlungen zu treten, ganz ohne langwierige Diskussionen, gewissermaßen spielerisch. Eine Chance, die sich vor allem an Weihnachten bietet und die man nutzen sollte – allen berechtigten Einwänden gegen den Konsumwahn zum Trotz.
Erschienen in: Evangelisches Frankfurt Nr. 7/2001