Alice Schwarzer: Die Antwort. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 17,90 Euro
Einige Fragen zur Antwort…
Gewissermaßen mit einem »best of« ihrer zentralen Themen und Thesen hat sich Alice Schwarzer mit einem neuen Buch in die aktuelle Feminismus-Debatte eingeschaltet: die Natur der Frauen, den Islam, Abtreibung, Muttermythos, Berufstätigkeit, Dünnsein, Pornografie, Prostitution, Männer – zu jedem dieser Themen beschreibt sie kurz und knapp ihre Position. Viel Überraschendes findet sich da nicht (in der Tat verweist Schwarzer selbst immer wieder darauf, dass sie dasselbe schon vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren geschrieben und gesagt hat). Aber in dieser knappen, komprimierten Form ist das Buch hilfreich, um dem Phänomen auf die Spur zu kommen, dass die Person Alice Schwarzer im Kontext der Frauenbewegung immer wieder diese ganz spezielle Mischung aus Faszination und Unbehagen hervorruft.
Die Faszination beruht sicher darauf, dass kaum eine die Überzeugungen des Gleichheitsfeminismus so klar und in ihrer Logik bestechend auf den Punkt bringt wie Alice Schwarzer, also jener feministischen Strömung, die in der Differenz der Geschlechter ausschließlich ein Problem sieht und den Weg zur Freiheit der Frauen einzig in ihrer vollständigen Integration in die historisch männlich geprägten kulturellen und politischen Institutionen erblickt. Meisterlich dekliniert Schwarzer durch, wo die wunden Stellen einer Gesellschaft liegen, die sich die Gleichheit der Menschen auf die Fahnen schreibt, diese Gleichheit aber nur mehr oder weniger halbherzig auch auf den weiblichen Teil der Menschheit anwendet. Zu Recht freut sie sich, dass mit der erfolgreichen Emanzipation in westlichen Ländern dieses Herumlavieren endgültig zum Scheitern verurteilt ist. Und unter dieser Prämisse hat Alice Schwarzer praktisch in allem recht, was sie schreibt.
Das Unbehagen hingegen beruht darauf, dass Alice Schwarzer nach wie vor nicht bereit ist, ihre Vorannahme, dass das Gleichheitsdenken und der dahinter stehende Universalismus der Weltanschauung die einzig mögliche »Antwort« ist, auch nur einen Millimeter in Frage zu stellen. Von den komplexen, vielfältigen, differenzierten feministischen Debatten der vergangenen drei Jahrzehnte ist sie völlig unberührt und unbeeindruckt geblieben: Alles, was von ihrer Linie abweicht, fällt unter das Verdikt »Differentialistinnen« (ein eigentümliches, von Schwarzer erfundenes Etikett), und die wiederum werden pauschal in die Rubrik »Biologismus« einordnet. Was natürlich jede Diskussion überflüssig macht, weil der Biologismus wie jede andere Form des Essenzialismus, der auf eine angebliche »Natur der Frau« oder ein woher auch immer kommendes »weibliches Wesen« baut, in der Tat falsch ist und zu nichts führt.
Dass das Denken der Geschlechterdifferenz aber keinesfalls auf Biologismus oder Essenzialismus gründet (auch wenn sich solche Tendenzen durchaus immer wieder dort finden lassen, was dann aber eben auch immer wieder kritisiert werden muss), sondern vor allem eine kulturelle und politische Praxis ist, will Schwarzer einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Dabei schreibt sie selbst: »Realität jedoch ist, dass wir heute Frauen und Männer sind, Produkt nicht nur einer frühen Prägung, sondern auch einer lebenslangen alltäglichen Realität: der Zuweisungen, Erwartungen und Projektionen unserer Umwelt.« (S. 24). Ich würde hinzufügen, dass diese Realität der sexuellen Differenz nicht nur etwas ist, das uns von außen gewissermaßen »aufgedrückt« wird, sondern etwas, das wir gleichzeitig auch immer selbst aktiv gestalten und mit prägen. Und Feminismus ist nach meinem Verständnis gerade die Reflektion dieser Wechselwirkung und daraus resultierend die politische Frage, auf welche Weise, mit welchen Mitteln und mit welchem Ziel wir uns in diesen immerwährenden Austauschprozess zwischen eigenem Begehren und gegebener Realität einbringen.
Dieses Thema (und eben nicht die Frage, ob es eine weibliche Natur gibt oder nicht) ist es, bei der sich mir einige wichtige Fragen zu Alice Schwarzers Antwort stellen. Diese lautet, dass die aus dem Patriarchat resultierenden Probleme so (und nur so) zu lösen sind, dass das postulierte Ziel der Gleichheit von Frauen und Männern möglichst umfassend realisiert wird, insbesondere durch entsprechende Gesetze und Rahmenbedingungen. Meine Frage ist nun, ob wir nicht heute, nach mindestens zwanzig Jahren Emanzipationspolitik, kritisch reflektieren müssten, wo diese Strategie erfolgreich war – und wo nicht? Eine Frage, die durch Schwarzers jüngste Werbekampagne für die Bildzeitung ja noch einmal zusätzliche Brisanz gewonnen hat: Einiges ist der Emanzipationspolitik ganz offensichtlich so sehr gelungen, dass Feminismus heute nicht nur mit der offiziellen Regierungspolitik, sondern sogar schon mit der Bildzeitung kompatibel ist. Genau dieses Einvernehmen zwischen Feministin und Bildzeitung macht aber auch deutlich, dass, wer etwas Grundsätzliches an dieser Gesellschaft und ihrer Kultur verändern oder auch nur in Frage stellen will, nicht mit Alice Schwarzer rechnen oder sich auf sie berufen kann.
Schwarzer selbst thematisiert übrigens die Erfolge und Misserfolge des Gleichheitsfeminismus in ihrer »Antwort«: Weitgehend erfolgreich, so schreibt sie, war diese Politik bei der Integration der Frauen in die Arbeitswelt, bei ihrem Vorstoß in die Politik, bei ihrem Kampf gegen Abtreibung, bei der Schaffung eines neuen Mutterbildes. Erfolglos hingegen war sie bei der Vermittlung eines neuen Frauenbildes an eine große Gruppe von Männern (siehe Kapitel Pornografie und Prostitution), bei den Konflikten mit anderen als westlichen Kulturen und Weltanschauungen (siehe Kapitel Islam), und vor allem bei der Einbeziehung von Männern in die Haus- und Fürsorgearbeit (siehe Kapitel Männer. Alice Schwarzers Antwort auf dieses Auseinanderklaffen zwischen erfolgreicher und erfolgloser Emanzipationspolitik ist allerdings sehr schlicht: Da, wo sie erfolglos war, war sie eben nicht konsequent genug, waren die Gesetze nicht streng genug, sind die Frauen nicht stark genug in die Verhandlungen gegangen usw.
Könnte es aber nicht sein, dass das Scheitern der Emanzipationspolitik bei zentralen Themen auch die Grenzen dieses Ansatzes aufzeigt? Denn es ist ja nicht so, dass die Logik der Gleichheit in allen Feldern mehr oder weniger erfolgreich war, sondern sie war in einigen Bereichen sehr erfolgreich, in anderen hingegen gar nicht oder hat das Problem sogar noch verschärft. Diesen Punkt gälte es zu analysieren. Offenbar ist die Geschlechterdifferenz so tief in die kulturelle Praxis eingeschrieben, dass sie sich an bestimmten Punkten eben nicht mit einfachen Postulaten der Gleichheit aufarbeiten lässt.
Oder anders gesagt: Das Problem des Patriarchats war nicht einfach nur die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen, sondern diese war nur ein Symptom für viel tief greifendere Irrtümer. Alice Schwarzer selbst schreibt, dass die Aufteilung in die heute bekannten Geschlechterstereotypen gerade mal 200 Jahre alt ist, weil vorher die Frauen nicht als die »Anderen« galten, sondern als eine defizitäre Variante des Mannes. (S. 36). Der Irrtum, der feministischerseits zu beklagen wäre, liegt nun aber doch nicht nur in den relativ neuen bürgerlichen Geschlechterrollen, sondern eben auch schon in der Definition einer (männlichen) Norm in den Jahrhunderten davor. Es ist ein klassisches patriarchales Verständnis von Differenz, diese nur als Hierarchie oder defizitäre Abweichung von einer angeblichen Norm zu lesen. Und genau hier – nicht in der Zuweisung dieser Defizite an die Frauen – liegt die Wurzel all jener Probleme, die sich mit der Emanzipation alleine nicht lösen lassen. Weil Emanzipation und Gleichstellung zwar dafür sorgen können, dass es nicht mehr speziell die Frauen »trifft«, alles andere aber beim (schlechten) Alten bleibt. Eine Tendenz, die heute schon ganz konkrete soziale Folgen hat, wenn etwa schlecht bezahlte Osteuropäerinnen in unsicheren Lebensverhältnissen die Haus- und Fürsorgearbeit in Deutschland übernehmen, oder wenn emanzipatorische Projekte wie der Ausbau von Krippenplätzen und das Elterngeld mit Kürzungen bei sozial schwachen Familien gegenfinanziert werden.
Gleichheitspostulate, auch feministische, stehen immer in der Gefahr, den grundlegenden Fehler des Patriarchats zu wiederholen, nämlich den, die Differenz zu leugnen und den westlich-weißen-erwachsenen Mann zur Norm des Menschseins zu erheben. Denn auch der Gleichheitsfeminismus denkt das Menschsein universalistisch und arbeitet mit Normen (wie es ja auch das explizite Programm von Alice Schwarzer ist). Eine kulturelle und politische Praxis der Differenz hingegen könnte die sozialen Probleme der heutigen Gesellschaften auf einer neuen Ebene angehen und thematisieren. Sie könnte im Begehren und im Handeln von Frauen eine Ressource und eine Anregung sehen, auch dann, wenn es sich nicht auf das richtet, was eine traditionell männliche Kultur als wichtig, bedeutend und erstrebenswert deklariert hat. Dass eine solche politische Praxis der Differenz immer wieder Gefahr laufen wird, in Klischees und Stereotype abzudriften, ist richtig und muss dringend Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sein. Aber seit wann lassen sich Feministinnen von Gefahren abschrecken?
In: Kofra. Zeitschrift für Feminismus und Arbeit, August/September 2007.
Siehe auch: Rezension dieses Buches in Publik Forum