Antje Schrupp im Netz

Kerstin Hensel: Im Spinnhaus. Luchterhand, München 2003, 19 €

Irgendwo im Erzgebirge, weit entfernt von jeder Stadt, sogar etwas außerhalb der kleinen Nachbardörfer, steht das 1860 erbaute Spinnhaus. Seine drei Stockwerke haben im Lauf der Jahrzehnte vielen Menschen Heimat geboten: Unten waren zuerst die Spinnerinnen am Schuften, später zog dort eine eigensinnige Wäschereibesitzerin mit ihren Arbeiterinnen ein. Oben wohnten meist ziemlich merkwürdige Gestalten. Zum Beispiel die »alte Uhlig«, die mit 60 zum ersten Mal schwanger wird und es mit 70 immer noch ist, oder der Pfarrer Kasemir, der die Welt nicht verändern konnte, obwohl er doch so gerne gewollt hätte. Im Spinnhaus träumten die Teenager Gisela und Sophie von der weiten Welt, hier fanden die Liebenden Dora und Urosch eine Zuflucht, als ihr Haus nach der Wende von einem enteigneten Grafen wieder in Besitz genommen wurde. Mit einer wunderbar bildreichen Sprache erzählt Kerstin Hensel insgesamt 33 Geschichten aus einer ganz, ganz kleinen Welt, in der gleichwohl das große Zeitgeschehen tiefe Spuren hinterlässt.


Frauen Unterwegs, September 2003