Antje Schrupp im Netz

Madeleine Delbrêl: Gott einen Ort sichern

Texte, Gedichte, Gebete, Hrsg. von Annette Schleinzer

Schwabenverlag, Ostfildern 2002, 13,50 €

Als »Mystikerin der Straße« wird die französische Christin Madeleine Delbrêl (1904–1964) derzeit vor allem in katholischen Frauengruppen wieder entdeckt. Obwohl sie aus einer intellektuellen, nicht sehr religiösen Familie stammte, ließ sie sich im Alter von 20 Jahren »von Gott überwältigen«, wie sie schreibt. Doch sie trat nicht, wie sie es eigentlich vorhatte, in den Orden der Karmeliterinnen ein, sondern gründete gemeinsam mit anderen Frauen eine religiöse Gemeinschaft in Ivry, der ersten kommunistisch regierten Stadt Frankreichs. Es war eine Gemeinschaft ohne Regeln, ohne äußere Kennzeichen, ohne Gelübde. Die Frauen wollten das Christentum im atheistischen Milieu verkörpern, einfach indem sie dort lebten, sich in sozialen und politischen Projekten engagierten und ein Haus der offenen Türen hielten. Ihre »Spiritualität im Alltagsleben« war attraktiv, die Gemeinschaft wuchs und gewann Anerkennung und Respekt. Madeleine Delbrêls Gebete, Texte und Gedichte sind – auch Dank der guten Übersetzung – von großer Dichte und Kraft, und voller äußerst kluger Gedanken. Sie zeigen, dass Mystik nicht etwas Vergangenes und Überholtes ist und auch nichts speziell katholisches, sondern eine Lebenshaltung, die zu jeder Zeit und an jedem Ort Aktualität gewinnen kann.


frauen unterwegs, Dezember 2002

Nachgedruckt in: Religion Vernetzt, 10., Kösel 2007.