Antje Schrupp im Netz

Neid – ein ungeliebtes, aber viel sagendes Gefühl

Als Philosophin und Politikwissenschaftlerin einen Vortrag zum Thema Neid zu halten, ist sehr reizvoll. Normalerweise gilt das ja eher als Thema für Psychologinnen und Therapeutinnen, während wir Philosophinnen über abstraktere Dinge zu reden haben. Neid ist aber kein philosophischer Begriff, den man erst einmal mit Inhalt füllen muss, sondern es ist ein Wort, das in unserer Alltagssprache dauernd präsent ist. Alle sprechen wir von Neid, und wissen spontan, was damit gemeint ist.

Es sieht also auf den ersten Blick so aus, als müsste man das gar nicht genauer definieren. Neid ist ein Gefühl, das jede kennt, sei es, dass sie selbst hin und wieder neidisch ist oder sich an Situationen erinnern kann, in denen sie neidisch war, sei es, dass sie mit dem Neid von anderen konfrontiert war. Es ist ein Thema, über das schon viel geschrieben wurde, von Wissenschaftlern und Frauenmagazinen gleichermaßen.

Die These, die sich bei meiner Beschäftigung mit dem Thema sich herauskristallisierte ist, dass das, was unsere – von Männern geprägte – Kultur unter Neid versteht und das, was Frauen eigentlich meinen, wenn sie sagen, dass sie neidisch sind, zwei unterschiedliche Dinge sind.

Erst einmal stellte ich fest, dass es schwer ist, Neid überhaupt zu definieren. Die Definitionen, die ich gefunden habe, haben mich nicht überzeugt. So einfach es ist, in der Alltagssprache das Wort Neid zu benutzen, so schwierig ist es, genau festzulegen, was das überhaupt ist. Beziehungsweise: Es stellte sich mir eben bald die Frage, ob das, was nach allgemeiner Definition Neid ist, dasselbe ist, wie das Gefühl, das Frauen haben, wenn sie von Neid sprechen.

Die klassischen Lexikon-Definitionen setzen meist Neid mit Missgunst gleich. Im Brockhaus heißt es: »Neid ist ein gerichtetes, missgünstiges Gefühl gegenüber Einzelnen oder Gruppen wegen eines Wertes (Eigentum, persönliche Eigenschaften, Erfolg), dessen Besitz dem Neider nicht gegeben ist… Die traditionelle Lehre zählt Neid zu den sieben Hauptsünden.« Webster’s New-World-Wörterbuch besagt, Neid sei »das Gefühl der Unzufriedenheit und Feindschaft in Bezug auf Vorteile und den Besitz anderer…, ein ärgerlicher Widerwille auf Jemanden, der etwas Wünschenswertes hat.«

Neid hat nach diesen Definitionen also vor allem etwas mit der negativen Beurteilung eines anderen Menschen zu tun, es charakterisiert eine Beziehung zwischen zwei Menschen, und zwar eine negative, unfruchtbare Beziehung mit nachteiligen Folgen für beide Seiten. Wer neidisch ist, der gönnt einem anderen sein Glück oder seine Leistung nicht und versucht womöglich, ihn zu schädigen. Natürlich ist so ein Verhalten negativ bewertet, zu Recht, wie ich finde. Im alten Testament ist Neid nach dem Hochmut das schlimmste Vergehen; erst danach folgen Maßlosigkeit, Habsucht, Zorn, Trägheit und Wollust. – im Mittelalter wurden diese Vergehen dann zu Todsünden erklärt.

Aus dieser Ablehnung des Neides seitens der jüdisch-christlichen Tradition entstand dann jedoch in unserer Kulturgeschichte noch eine andere Tradition oder Interpretation dieses Gefühls, die zwar ebenfalls Neid und Missgunst gleichsetzt, daraus aber ganz andere Schlüsse zieht: Dass nämlich Neid nichts schlimmes ist, sondern ein kreatives Potenzial hat. Typisch für diese Sichtweise ist folgendes Gedicht von Wilhelm Busch:

Mein kleinster Fehler ist der Neid.

Aufrichtigkeit, Bescheidenheit,

Dienstfertigkeit und Frömmigkeit,

Obschon es herrlich schöne Gaben,

Die gönn’ ich allen, die sie haben.

Nur wenn ich sehe, daß der Schlechte

Das kriegt, was ich gern selber möchte;

Nur wenn ich leider in der Nähe

So viele böse Menschen sehe

Und wenn ich dann so oft bemerke,

Wie sie durch sittenlose Werke

Den lasterhaften Leib ergötzen,

Das freilich tut mich tief verletzen.

Sonst, wie gesagt, bin ich hienieden,

Gott Lob und Dank, so recht zufrieden.

Neid sagt nach dieser Definition also nichts über den Neider aus (der schlecht ist oder so), sondern etwas über den Beneideten, der nämlich mehr hat, als er verdient. In dieser eher linken Tradition werden Neid und Missgunst daher als Zeichen verstanden, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung sichtbar machen. Es ist also gut, dass es Neid gibt, weil er die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung anzeigt. Die linke Zeitschrift »Kursbuch«, die eine ganze Ausgabe dem Thema Neid gewidmet hat, schreibt etwa: »Ob im Verhältnis von Individuen, Klassen oder Ethnien: die Privilegierten müssen begreifen, dass es ein Menschenrecht auf Neid gibt.«

Zu dieser Debatte gehört auch die Rede vom so genannten Sozialneid. Damit ist zum Beispiel der Neid auf die Fußballer gemeint mit ihren Millionen, oder auf die Manager mit ihren hohen Gehältern, auf die Beamten, die angeblich nichts arbeiten müssen, die Ausländer, die angeblich zu viele Sozialleistungen bekommen. Das neueste Wort dafür ist, dass wir in einer »Neidgesellschaft« leben. Nach denen, die die Gesellschaft so interpretieren, basieren letzten Endes alle politischen und sozialen Errungenschaften auf Neid: Kapitalismus und Wettbewerb beruhen darauf, dass jeder so viel haben will, wie der andere. Und die Arbeiterbewegung und Ideen von Umverteilung und Gerechtigkeit beruhen natürlich auch darauf.

Man könnte diese beiden Haltungen unserer Kulturgeschichte als konservative und fortschrittliche, rechte und linke einteilen: Die einen sagen, dass die Unterschiede zwischen Menschen quasi gottgewollt sind, und danach ist Neid schlecht, weil jemand diese Unterschiede bzw. seine geringe Position darin nicht akzeptiert und sich gegen Gott oder die natürliche Ordnung auflehnt. Die anderen sagen, die Unterschiede zwischen Menschen sind ungerecht, Ziel ist die Gleichheit aller Menschen, und deshalb ist Neid gut.

Neid, so wie er hier zu Lande kulturell verstanden wird, hat also etwas mit Privilegien zu tun und mit der Vorstellung, dass den Menschen die Dinge, die sie haben dürfen, irgendwie zustehen müssen, dass sie ein Recht auf bestimmte Dinge haben und auf andere Dinge nicht. Das heißt, das Wort Neid macht nur Sinn im Bezug auf die schief laufende Beziehung zwischen zwei Menschen, wobei es eine übergeordnete, moralische Kategorie gibt (Gott oder die Gesellschaft), die entscheidet, wer Recht hat, der Neider oder der Beneidete. Neid entsteht dann, wenn die Zuteilung der Privilegien mit diesen Rechten nicht übereinstimmt. Wer neidisch ist, bestreitet also dem anderen das Recht zu haben, was er hat bzw. beansprucht, dasselbe auch haben zu dürfen. Hinter dem Neid, so wie er hier definiert bzw. gebraucht wird, steht die Vorstellung, dass es Gerechtigkeit gibt in dem Sinne, dass mir etwas zusteht, das etwas mein gutes Recht ist, und dass ich natürlich neidisch werde, wenn mir das vorenthalten wird und anderen nicht.

Das Problem an Neid wäre also, dass er den gesellschaftlichen Frieden stört und Streit zwischen Menschen schafft. Neid ist in dieser patriarchalen Kultur aber nicht nur ein unabwendbares Phänomen, insofern er zur Natur des Menschen gehört, sondern auch ein notwendiges. Privilegien sind nämlich nur dann etwas wert, wenn andere mich andere darum beneiden. Nur durch den Neid der anderen wird der Sieger zum Sieger. Ein gutes Beispiel dafür ist die Werbung: »Ihre Nachbarn: neidgelb, Ihr neuer Pool: azurblau. Ihre Finanzierung: wüstenrot« – der Pool, sagt die Werbung, ist nicht etwa erstrebenswert, weil man darin schwimmen kann, weil er erfrischt und Spaß macht, sondern weil die Nachbarn neidisch werden. Nur weil die anderen neidisch sind, kann ich mich an meinem Pool erfreuen. Ich soll etwas konsumieren, nicht weil es schön ist, ich es gebrauchen kann, es mir hilft, sondern damit andere mich beneiden. Unsere Wirtschaft baut auf dem Neid auf – und Neid entsteht nur, wenn andere das nicht haben, was ich habe. Gold wäre nichts wert, wenn alle es im Überfluss hätten. Daher wird so getan, als herrsche ein Mangel an allem. Ein Pool im Garten ist so nicht mehr ein schöner Ort, an dem ich mich und meine Freundinnen und meine Nachbarn sich mit mir vergnügen können, sondern der Auslöser für ein Bewusstsein des Mangels. Dadurch, dass wir etwas haben, fehlt uns was.

In dieser Logik kann es eine Welt ohne Neid nicht geben. Es wird immer eine ungleiche Verteilung von Gütern geben – und damit neidische Menschen. Selbst wenn alle reich sind, irgendwer hat immer noch mehr. Dem entspricht übrigens auch die übliche Definition von Armut von weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens: Selbst wenn alle Menschen reich sind und sehr viel haben, ist mit dieser Definition mathematisch festgelegt, dass es immer Armut geben wird. Neid ist daher ein typisches Phänomen von Gesellschaften, die Gerechtigkeit mit Gleichheit gleichsetzen. Daher ist man in Russland noch viel neidischer als bei uns (in der russischen Variante von »Wer wird Millionär« ist der Publikumsjoker so gut wie unbrauchbar, weil alle absichtlich die falsche Antwort drücken: Sie finden es eben ungerecht, dass jemand anders Kandidat sein darf und sie nicht). In Brasilien dagegen wird das Wort »Neid« fast nie gebraucht. Neid ist dort kein allgegenwärtiges Alltagsgefühl, und das, obwohl der Unterschied zwischen arm und reich viel krasser ist, als hier in Deutschland.

Von all diesen Bedeutungen des Neides sind Frauen, da sie in dieser Kultur leben, geprägt. Trotzdem würde ich nach den Gesprächen mit Freundinnen und Kolleginnen in der Vorbereitung dieses Vortrags sagen, dass diese Definitionen von Neid – die linke wie die rechte – nicht so richtig stimmen, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Die meisten Frauen verstehen unter Neid nicht Missgunst, das Gefühl ist nicht in erster Linie auf den oder die andere gerichtet. Wenn sie neidisch sind, dann nicht, weil sie einem oder einer anderen den Erfolg oder das Glück missgönnen, sondern weil sie traurig sind, selbst ein solches Glück oder solchen Erfolg nicht zu haben. Was sie neidisch macht, ist nicht der Zorn über die Privilegien der anderen (der macht sie eher wütend), sondern die Unzufriedenheit über die eigene Situation. Sie können nicht, wie Wilhelm Busch, sagen – ich bin zwar neidisch, aber sonst, bin ich recht zufrieden. Wer neidisch ist, ist nicht zufrieden.

  2. Die meisten Frauen sind nicht neidisch auf die Privilegierten, zum Beispiel auf die Männer oder auf die Reichen, sondern eher auf andere Frauen, die gerade obwohl sie nicht privilegiert sind, dennoch mehr haben. Wenn Frauen politisch aktiv sind und gegen die Ungerechtigkeit der Welt protestieren, bringen sie dies nicht mit Neid zusammen, das ist nicht ihre Motivation. Neid ist für sie eher ein individuelles Gefühl. Wenn sie über ihren Neid sprechen, stellen Frauen vor allem die Frage: Was ist bei mir schief gelaufen, wo habe ich Pech gehabt, wo reichen meine Fähigkeiten nicht aus? Dieser Punkt hängt natürlich mit dem ersten zusammen: Wenn bei mir etwas schief gelaufen ist, nützt es mir nichts, wenn bei anderen auch etwas schief läuft. Das ist allerdings auch ein Grund, warum Frauen manchmal nicht zugeben können, neidisch zu sein. Darauf komme ich später noch einmal zurück.

  3. Den meisten Frauen fallen auf die Frage, worauf sie denn neidisch sind, keine Güter ein, die knapp sind, an denen Mangel herrscht, sondern Güter, die grundsätzlich unendlich sind, um die man sich nicht streiten und konkurrieren muss, sondern die alle haben können: Liebe, gelingende Beziehungen, Zufriedenheit, Zeit, Schönheit.

Ich stellte also zunächst einmal fest, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem, worüber die Frauen sprechen, wenn ich sie nach ihrem Neid befragte, und der Definition des Begriffes in den Lexika und im öffentlichen Diskurs. Und zwar ist der hauptsächliche Unterschied: In der offiziellen Kultur interessiert am Neid vor allem seine Auswirkung auf andere Menschen – Neid ist negativ, weil er die sozialen Hierarchien in Frage stellt, oder er ist positiv, aus genau denselben Gründen. Bei dem, was Frauen dazu sagten, geht es nicht so sehr um ihr Verhältnis zu anderen Menschen, sondern um das zu sich selbst. Es ist eine Differenz, zwischen dem was ich bin und dem, was ich sein möchte, und die anderen sind dafür lediglich der Spiegel.

Daher meine These: Das wesentliche am Neid ist nicht die Beziehung, die er zwischen mir und einer/einem anderen konstituiert, sondern er ist Ausdruck eines Haderns zwischen mir und mir selbst, das aber nach außen umgeleitet wird durch die herrschende symbolische Ordnung, in der wir aufgewachsen sind. Weil für den Erhalt dieser symbolischen Ordnung der Neid notwendig ist. In einer weiblichen symbolischen Ordnung, die von der Fülle statt von dem Mangel lebt, die die Differenz schätzt und nicht nach Gleichheit strebt, ist Neid hingegen keine notwendige Komponente für den Erhalt dieser Ordnung.

Was ist es denn, das die Frauen zu beschreiben versuchen, wenn sie von Neid reden, wenn es doch nicht das ist, was in der männlichen Kultur mit Neid gemeint ist? Ich behaupte: Es ist das weibliche Begehren, das kulturell häufig als Neid interpretiert wurde und damit falsch verstanden wurde. Es wurde nämlich verstanden als etwas, wofür das männliche Haben ein Maßstab war, nicht als etwas davon Unabhängiges.

Weil es für das weibliche Begehren kulturgeschichtlich keine Begriffe und keine Symbole gibt, wird es als Neid bezeichnet und damit der Logik des Patriarchats gewissermaßen einverleibt. So ist den Frauen ja auch oft ihr Neid vorgeworfen worden, nach dem Motto »du bist ja nur neidisch«. Es ist übrigens ein typischer Ausdruck von Dominanzkultur, das Anderssein der nicht-Dominanten als Neid zu interpretieren. Das Begehren der Frauen wurde als Ausdrucksform von Benachteiligten verstanden, und auch die Frauenbewegung selbst hat sich diese Interpretation teilweise zu Eigen gemacht. Was zur Folge hatte, dass das weibliche Begehren stillgelegt wurde, entweder, weil Neid eben eine Todsünde ist, oder etwas, das sich auf die Benachteiligung im Bezug auf die existierende Gesellschaft bezog, aber nicht auf Begehren, auf weibliche Freiheit, von der erst einmal gefunden werden muss, was das ist.

Mir selbst ist das häufig vorgeworfen, wenn ich etwas an anderen kritisiert habe. Oder wenn ich etwas wirklich ungerecht fand. »Du bis ja nur neidisch« – das ist ein Totschlagargument, auf das ich immer mit vehementer Abwehr reagiert habe: Nein, ich bin überhaupt nicht neidisch, aber… Auch das ist logisch, wenn es der Neid ist, der gesellschaftliche Dominanz stabilisiert. Frauen wurde Neid regelrecht »andefiniert«, zum Beispiel Penisneid. Ein Penis ist nur dann etwas besonderes, wenn Menschen, die keinen haben, einen haben wollen. Wenn Frauen Neid vorgeworfen wird, dann muss man sich nicht damit auseinander setzen, dass sie vielleicht etwas ganz anderes haben wollen. Das Perfide daran ist: Man kann den Neid nicht bestreiten. Wer beteuert, nicht neidisch zu sein, bestätigt den Sieger nur in der eigenen Haltung, weil – wer will schon zugeben, dass er neidisch ist?

Was passiert also in diesen Fällen? Eine Einschätzung, ein Urteil, ein Wunsch einer Frau wird als Neid bezeichnet und damit als Ausdruck einer Beziehung interpretiert, als gerichtet auf andere Menschen (vorzugsweise Männer) und damit an ihnen messbar. Aber wenn es das nicht ist, welche Interpretation wollen wir dem Neid denn dann geben? Wie interpretieren wir und was machen wir mit diesem Gefühl der Unzufriedenheit, das uns befällt, wenn wir bei einer anderen sehen, was wir selbst gerne hätten oder wären?

Natürlich ist der erste und wichtigste Schritt, sich dieses Gefühl überhaupt einzugestehen. Schon allein dafür ist es gut, statt von Neid von Begehren zu sprechen – besonders vor dem Hintergrund, dass Neid in unserer Kulturgeschichte so negativ bewertet wird. Deshalb geschieht es häufig, dass man dieses Gefühl unterdrückt, für sich selbst nicht wahr haben will, sich die Situation schön redet. Gerade der unausgesprochene, uneingestandene Neid kann aber sehr schädlich für Beziehungen sein und diese geradezu zerstören. Neulich etwa kaufte sich eine Kollegin von mir einen schicken, extravaganten und teuren Mantel. Statt sich mit ihr zu freuen, fingen die anderen Kolleginnen an, an dem Mantel herumzumäkeln und Bedenken zu äußern: Wird schnell dreckig, kann man nicht dauernd tragen, man wird sich schnell daran satt sehen usw. Natürlich ärgerte sie sich sehr, und so wurde aus dieser kleinen Angelegenheit fast ein ernstes Zerwürfnis, um wie viel schlimmer, wenn es dabei wirklich um etwas Wichtiges geht.

Aber es gibt nicht nur uneingestandenen Neid, sondern auch inszenierten Neid, also dass jemand so tut, als wäre er oder sie neidisch. Menschen erzählen anderen, wie toll sie sind, »Du hast es gut«! Damit können sie einmal von den eigenen Privilegien ablenken und müssen nicht dankbar sein dafür (andere haben ja noch viel mehr), sie müssen auch nicht wirklich auf die andere eingehen (vielleicht geht es der ja gar nicht gut). Und es kann auch ein hilfloser Ausdruck für tatsächliche Bewunderung und Anerkennung sein – ich glaube, wir sprechen häufig von Neid, obwohl wir etwas ganz anderes meinen.

Wenn es aber wirklich Neid ist, den ich mir eingestehe, dann muss man erst einmal sehen, welcher Art der Neid ist, den ich habe. Da gibt es nämlich verschiedene Möglichkeiten:

Entweder die Person hat etwas, das ich auch haben will, aber nicht habe, und das man teilen kann. Geld zum Beispiel. Oder Bücher, oder CD’s – aber da es um materielle Güter geht, kann man sie immer irgendwie in Geld umrechnen. Da gibt es nun erst einmal eine ganz einfache Möglichkeit, auf die schon Sokrates hingewiesen hat, die aber merkwürdigerweise bei uns gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird, zumindest habe ich sie in allen heutigen Meinungen über Neid nicht gefunden.

Sokrates empfiehlt: »Freunde beseitigen den Neid, indem sie ihre Güter dem Freunde anbieten oder indem sie die seinen als die ihren ansehen«. Genau: Man kann ja einfach teilen. Kinder machen das übrigens so – wenn jemand was hat, von dem sie auch etwas haben wollen, dann verlangen sie ihren Anteil ab. Mütter bringen das ihren Kindern bei, wenn sie sie teilen lehren. Die Bereitschaft zum Teilen (und die Bereitschaft, ein Geschenk anzunehmen) ist ein wesentlicher Bestandteil von Beziehungen. Es ist ein ganz einfaches Ding, vorausgesetzt natürlich, man geht nicht davon aus, Menschen dürften nur das haben, was ihnen zusteht.

Ich habe damit übrigens praktisch sehr gute Erfahrungen gemacht, und vielleicht ist das schon ein wichtiger Grund, warum ich selten neidisch bin: z.B. habe ich einen Freund, den ich um sein sehr hohes Einkommen beneide, mit dem habe ich drüber geredet, er hat der Analyse zugestimmt, okay, also lasse ich mich zum Essen einladen. Oder wenn mein Nachbar einen Pool hat, frage ich, ob ich drin schwimmen darf. Und andersrum lade ich ihn dazu ein. Dass wir das spontan absurd und unmöglich finden, liegt daran, dass wir es in unserer Kultur verlernt haben, aus der Fülle zu leben. Wir haben keine Kultur des Gebens und des Schenkens. Dazu empfehle ich Ihnen sehr das kleine Büchlein von Dorothee Markert: »Fülle und Freiheit in der Welt der Gabe«

Uns zu freuen an dem, was da ist, zum Beispiel auch an der Freude der anderen. Wir sind einfach pessimistisch, wir leben immer aus eine Vorstellung des Mangels heraus, nicht aus einer Vorstellung der Fülle. Wir haben immer Angst, zu kurz zu kommen (wenn der Nachbar nun den Pool dreckig macht? Und überhaupt, warum soll er drin baden dürfen, wenn er doch gar nichts dafür bezahlt hat?) und haben ebenso panische Angst davor, jemandem etwas schuldig zu sein (am Ende fragt mich dann der Nachbar, ob er mein Auto haben darf und dann muss ich ja sagen). Der Mangel ist also oft nicht real, sondern symbolisch erzeugt. Herumzumäkeln und sich zu kurz gekommen zufühlen, das ist bei uns vor allem deshalb so idiotisch, weil wir als Gesellschaft – immerhin eines der reichsten Länder der Welt – ja insgesamt äußerst privilegiert sind und ziemlich viel zu verteilen haben.

Es ist möglich, soziale Ungerechtigkeit in der konkreten Beziehung zu bearbeiten – damit rettet man natürlich nicht die Welt, aber verändert sie doch. So kann ich zum Beispiel nicht verstehen, wieso viele Leute mit wenig Geld sich grundsätzlich nicht einladen lassen, um ihre »Unabhängigkeit« zu bewahren, als ob die davon abhinge, dass man Geld hat. Sie verweigern sich der naheliegendsten Lösung und schüren damit natürlich ihre Neidgefühle. Warum eigentlich? Weil wir die Möglichkeit, einfach grundlos (oder nur wegen der Beziehung) etwas abzugeben bzw. sich etwas abgeben zu lassen, in unserer Kultur symbolisch ausgeschlossen haben. Aber es ist in der Tat so einfach: Neid kann einfach ein Zeichen dafür sein, dass ich mit jemandem in Verhandlungen treten muss. Es geht dabei nicht um Rechte, sondern um Wünsche, deshalb kann ich nichts einklagen, sondern muss bitten, verhandeln. Aber im Austausch gegen materielle Güter kann ich in diesen Kreislauf durchaus etwas einbringen: Dankbarkeit, Loyalität, Freundschaft, Liebe. Wir können da von den Kindern viel lernen, die Meister in dieser Art von Verhandlungen sind.

Aber, wie schon Sokrates sagte, diese Lösung setzt voraus, dass Freundschaft da ist, dass ich eine persönliche Beziehung zu der Person habe, auf die ich neidisch bin. Es kann aber natürlich auch sein, dass es sich dabei nicht um eine Freundin handelt, sondern um völlig Fremde, so dass diese Art des Tauschens nicht geht, oder jedenfalls nicht so einfach (Bettler zeigen, dass es doch geht). Aber dann führt uns der Neid direkt in die Politik, und zeigt uns eine neue Perspektive auf im Umgang mit Ungleichheit: Argument wäre dann nicht ein Recht, oder die Gerechtigkeit, oder der abstrakte Anspruch, alle müssten das Gleiche haben, sondern der Wunsch derjenigen, die neidisch sind. Oder dessen Bedürfnis. In letzter Zeit sind diese Aspekte durch die Diskussionen um ein bedingungsloses Grundeinkommen ein wenig ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Denn ein solches Grundeinkommen wäre eine symbolische Gabe, ein Geschenk, der Gesellschaft an ihre Mitglieder. Aber die Diskussionen zeigen gleichzeitig auch, wie schwer wir uns dies auf politischem Gebiet vorstellen können: Dass Menschen etwas bekommen sollen, ohne dass sie es sich irgendwie »verdient« hätten oder es ihnen von »Rechts wegen« zusteht. (siehe auch www.gutesleben.org)

Ein anderes Beispiel dafür, dass nicht das Recht, sondern das Begehren Motivator für politische Verhandlungen sein kann, ist Victoria Woodhull. Sie war die erste Frau, die Präsidentin der USA werden wollte, und zwar kandidierte sie bereits vor 136 Jahren, nämlich im Jahr 1872, lange vor Einführung des Frauenwahlrechts. Gerade im Vergleich zu Hillary Clinton ließe sich vieles über Victoria Woodhull sagen – ich habe dazu kürzlich etwas in dem Internetforum bzw-weiterdenken.de geschrieben. Was in diesem Zusammenhang interessant ist, ist die Art und Weise, wie sie für das Frauenwahlrecht argumentierte: Nicht weil Frauen ein allgemein-abstraktes Recht auf politische Mitbestimmung hätten, sollen sie wählen dürfen, sondern weil sie es wollen, können sie die Männer zwingen, mit ihnen darüber zu verhandeln. Danach gibt es keine abstrakte Gerechtigkeit, sondern nur ein jeweiliges »Verhandlungsergebnis« sozusagen.

Soviel zu dieser ersten Möglichkeit, dass ich nämlich neidisch auf irgendein Gut bin, wie Geld, das knapp ist und ver- bzw. geteilt werden kann. Viel häufiger jedoch trifft die zweite Möglichkeit zu, dass ich nämlich neidisch bin auf etwas, das man nicht teilen kann, und das im Prinzip unbegrenzt vorhanden ist, nur dass ich es eben nicht habe. Das Gefühl des Neids verweist zwar immer auf einen Mangel – aber eben nicht im Sinne einer Konkurrenz, eines knappen Gutes, sondern viel häufiger auf einen Mangel in unserem eigenen Leben. Auf eine Unzufriedenheit. Dass jemand anderes glücklich ist, eine gute Liebesbeziehung hat, beruflich erfolgreich ist, zeigt mir, dass es möglich ist so etwas zu haben. Und neidisch zu werden heißt, dass ich insgeheim glaube, dass ich so etwas auch erreichen könnte – aber dass es gleichzeitig schwierig ist, so schwierig, dass ich schon fast keinen Mut habe, hier heranzugehen. In solchen Fällen hat Neid weniger mit Missgunst zu tun, als mit Traurigkeit. Es ist nicht so sehr die Einschätzung, dass sie der anderen das nicht gönnt, sondern dass sie selbst das auch haben will.

Viele Frauen, die auf das Glück, den Erfolg, das Selbstbewusstsein, die Arbeit einer anderen neidisch sind, glauben dann meist, dass sie selbst es nicht kriegen können, und zwar aufgrund einer eigenen Unfähigkeit. Diese Unfähigkeit wiederum kann ihre Ursache zum Beispiel in der Kindheit haben – hätte ich doch andere Eltern: eine andere Mutter gehabt. Eine, die mir dieses oder jenes beigebracht hat. Eine Freundin erzählte mir, sie sei immer neidisch, wenn sie hört, wie ihre Sekretärin mit ihrer Mutter telefoniert – sie selbst, sagt sie, hätte eine Mutter, mit der sie nie ein solches inniges Verhältnis haben kann. Eine andere ist neidisch, wenn andere selbstsicherer, weniger furchtlos, unabhängiger sind – und sie sieht die Ursache darin auch in ihrer Kindheit, wo sie diese Fähigkeiten eben nicht mitbekommen habe. Oder die Ursache kann eine Krankheit sein, die mich hinderte, dieses oder jenes zu tun. Oder eine eigene schwere Fehlentscheidung in der Vergangenheit: Hätte ich doch damals nicht, dann könnte ich jetzt auch… jedenfalls scheint es sich oft um eine unabänderliche Geschichte zu handeln: Ich habe keine liebevolle Mutter gehabt, meine Eltern haben mich nicht auf eine gute Schule geschickt, ich hatte keine ausreichenden finanziellen Mittel, ich habe zu viele schlechte Erfahrungen gemacht. Viele Frauen empfinden dieses Gefühl des Neides als lähmend und lassen sich davon blockieren.

An diesem Punkt setzen oft die Ratschläge der Frauenzeitschriften ein, die sich mit dem Thema Neid beschäftigt haben. Sie empfehlen ihren Leserinnen, doch ihr eigenes Schicksal beherzt in die Hand zu nehmen, die Konkurrenz der anderen zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen, sich anspornen zu lassen und sich vorzunehmen, die eigenen Ziele zu erreichen, meist mit Hilfe der ein oder anderen Technik, eines Kurses, eines Ratgeber-Buches. Leider ist es in der Realität meist nicht so einfach, wie es hier suggeriert wird.

Denn manchmal ist diese Einschätzung, dass die Möglichkeiten verpasst, die Chance unwiderruflich verstrichen ist, ja richtig. Wenn etwa eine fünfzigjährige kinderlose Frau neidisch ist auf eine Jüngere, die gerade Mutter geworden ist, dann kann sie daran nichts ändern. Sie hat keine Kinder. Und sie wird auch keine mehr bekommen. Es ist eine verpasste Gelegenheit, Pech, dumm gelaufen. Eine falsche Entscheidung getroffen. Traurig, aber wahr. Hier kommt es darauf an, dieser Trauer auch Raum zu geben, sie sich einzugestehen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Sich nicht etwas vormachen (etwa: Ich will ja gar keine Kinder, was für ein Glück, dass ich keine habe), sondern sich einzugestehen, dass dieses Begehren nicht erfüllt werden wird und ganz bewusst darum trauern. Und sich dann von diesem unerfüllbaren Wunsch lösen, statt Energien damit zu verschwenden, ihm trotzdem nachzueifern. Uns so wieder Raum zu schaffen, den nächsten Schritt gehen zu können. Zum Beispiel den, ein neues, ein anderes Begehren zu finden, eines, das erfüllt werden kann.

Aber viel häufiger als auf solche unerreichbaren Dinge, sind wir neidisch auf Sachen, die prinzipiell erreichbar wären. Wie entscheide ich, ob mein Begehren erreichbar ist oder nicht? Woher weiß ich, ob ich trauern muss, oder ob ich darum ringen soll?

Wenn ich merke, dass ich neidisch bin, ist es wichtig, zu sehen, was die andere, auf die ich neidisch bin, dafür tut, was sie erreicht. Eine Freundin erzählte mir zum Beispiel, sie sei immer neidisch auf Künstlerinnen, die gut musizieren oder gut malen können. Aber gleichzeitig weiß sie, dass für eine solche Fähigkeit sehr viel Üben notwendig ist – eine Disziplin, die sie selbst nicht aufbringt. Bei mir ist es so, dass ich manchmal neidisch bin auf Frauen, die eine bessere Figur haben als ich. Aber inzwischen ist mir dieser Neid vergangen, weil er mich jedes Mal daran erinnert, was ich eigentlich tun müsste: Weniger Schokolade essen, mehr Sport treiben. Im Fall von Abnehmen ist das ja ganz einfach. Natürlich habe ich es in der Hand, schlanker zu werden. Aber ich bin nicht bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Also muss ich mir eingestehen, dass mir das Ganze wohl doch nicht wichtig genug ist.

Und auch da zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, die Verhandlungen zwischen mir und mir selbst aufzunehmen, wozu uns der Neid herausfordert. Wie groß ist mein Begehren, und bin ich bereit, wirklich etwas dafür zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Das gilt übrigens auch, wenn der Preis, den ich zahlen müsste, höher ist als bei der, auf die ich neidisch bin: Weil ich zum Beispiel nicht so talentiert bin und noch mehr üben müsste, oder weil meine Eltern mir keinen Klavierunterricht finanzierten usw. Das Entscheidende ist: Es ist ein Preis, den ich zahlen könnte, auch wenn er hoch ist, aber den ich nicht zahlen will.

Das muss man sich erst einmal eingestehen, eine unangenehme Sache. Doch in sehr vielen Fällen stellt sich so heraus, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht, als um das, was ursprünglich den Neid ausgelöst hat. Im Fall meines Neides auf schlankere Frauen zum Beispiel hat sich ziemlich schnell herausgestellt, dass ich gar nicht neidisch auf die dünnen Frauen, die viel Sport treiben und nur Salat essen bin – und schon gar nicht auf die, die das nicht tun, weil sie gerne Sport treiben und Salat essen, sondern für die das eine Tortur ist, die sie nur auf sich nehmen, um dünn zu sein. Ich bin nicht neidisch, sondern ärgerlich auf eine Gesellschaft, die so ein Schönheitsideal hat, dass sie den Frauen abverlangt, zu hungern, mein Begehren ist nicht, dünn zu sein, sondern in einer Welt zu leben, wo Frauen nicht dünn sein müssen, um Anerkennung zu finden. Mich in eine weibliche symbolische Ordnung zu stellen, ist ein möglicher Weg, diesem Begehren zu folgen. Das ist ein einfacher Fall.

Der Fall meiner Freundin war komplizierter. Als ich sie damit konfrontierte, dass ihr Begehren, gut musizieren zu können, offenbar nicht besonders groß sein kann, wenn sie nicht bereit ist, dafür zu üben und dass es vor diesem Hintergrund doch ziemlich blöde sei, neidisch zu sein, stellte sich heraus, dass es gar nicht die Fähigkeit, ein Instrument gut zu spielen, ist, weshalb sie auf diese Frau neidisch ist, sondern schlicht die Tatsache, dass diese Frau eine Sache in ihrem Leben hat, die sie mit so großer Leidenschaft verfolgt, dass sie bereit ist, dafür viele Stunden am Tag zu üben – und dass der Mangel, die Unzufriedenheit, die bei ihr den Neid auslöst, eigentlich die ist, dass sie eine solche Leidenschaft in ihrem Leben vermisst. Sie ist unzufrieden, dass sie noch nichts gefunden hat, wofür sie bereit ist, mit solcher Hingabe und Disziplin zu arbeiten.

Das war für mich eine sehr faszinierende Spur, auf die wir da geraten waren. Ich war nämlich immer etwas ungeduldig gewesen mit Frauen, die auf mich neidisch waren. Ich habe mich immer unverstanden gefühlt, nicht gewürdigt auch in dem Preis, in den Entbehrungen, die ich bereit bin, für das, was sie an mir beneiden, zu bezahlen – und sie nicht. Wenn sie neidisch waren, dass ich so wenig arbeiten muss, dann hielt ich ihnen entgegen: Ich habe deshalb auch weniger Geld als ihr. Wenn sie neidisch sind auf meine vielen Reisen, dann halte ich ihnen entgegen: Ich habe bei diesen Reisen oft auch Angst und muss sehr unangenehme Situationen durchstehen, wozu ihr nicht bereit seit. Wenn sie mich wegen meiner Selbstständigkeit und Unabhängigkeit beneideten, hielt ich ihnen entgegen: Aber ich bin auch oft einsam und habe Selbstzweifel, aber ich behellige nicht alle Welt damit, und daher nehmt ihr das nicht wahr.

Wenn aber hinter diesem Neid vermutlich häufig gar nicht der Neid auf eine bestimmte Sache steckt, also auf meine halbe Stelle oder meine Reisen oder so, sondern wenn es eher der Neid ist auf die Leidenschaft, auf die Disziplin und Hingabe als solche, dann kann ich diesen Frauen ganz anders begegnen. Meine Aufforderung: Schaut doch erst einmal auf den Preis, den ich bereit bin, für das zu bezahlen, worauf ihr neidisch seid, ist nur der erste Schritt. Er ist wichtig, und richtig. Aber nur in den seltensten Fällen sagt dann eine: Okay, du hast recht, und ich mache es jetzt auch so. In der Regel stellen sie fest: Sie sind nicht bereit, den Preis zu bezahlen – und können sich doch nicht damit zufrieden geben. Das ist nicht schlimm, charakterschwach oder unmoralisch. Es zeigt nur: Da schlummert ein Begehren in ihnen, von dem sie selbst noch nicht wissen, wohin es sie führt. Worauf es ankommt, ist, dieses eigene Begehren zu finden. Neid ist also nicht unmoralisch, sondern kann eine Möglichkeit sein, etwas über mein Begehren herauszufinden. Wenn ich neidisch bin auf das, was eine andere hat, aber feststelle, dass ich nicht bereit bin, den gleichen Preis dafür zu bezahlen, der dafür notwendig wäre, dann bin ich nicht ein schlechter Mensch oder moralisch verpflichtet, meinen Neid zu bekämpfen, sondern ich habe schlicht und einfach noch nicht herausgefunden, worin mein Begehren wirklich liegt. Und: Wir müssen nicht alle den gleichen Idealen nachjagen: Was meine Leidenschaft weckt, dass muss deine noch lange nicht wecken.

Somit war für mich die Frage beantwortet, warum so viele Frauen – und vermutlich auch Männer – neidisch sind auf Dinge, die sie gar nicht begehren. Und damit kommen wir zurück zur Missgunst: Wir sind nicht neidisch auf den Pool der Nachbarn, sondern auf ihr oft sogar nur vermutetes Glück. Nur wenn wir diesen Weg zu unserem eigenen Begehren nicht verstehen, wenn wir den Neid also nicht in diesem Sinne kreativ nutzen, um unserem Begehren zu folgen, nur dann entsteht Missgunst.

Meine These: Die Gleichsetzung von Neid und Missgunst in unserer, in der patriarchalen Kultur und der männlichen symbolischen Ordnung ist eine Folge davon, dass in dieser Kultur das Begehren kein Gehör findet. Wenn aus Neid Begehren wird, dann bedeutet es, ich muss meine eigenen Ziele erreichen, nicht die anderen kopieren.

Wenn eine Frau Neid empfindet, dann bedeutet das nicht, dass sie ein schlechter Mensch ist, aber auch nicht, dass da irgendwo Ungerechtigkeiten lauern, die sie unterdrücken, sondern sehr wahrscheinlich schlummert da ein Begehren in ihr, das noch keinen Ausdruck gefunden hat. Sehr wahrscheinlich ist ihr Begehren auch nicht auf das gerichtet, auf das sie konkret neidisch ist. Ihr Problem ist nicht, dass sie etwas nicht bekommen kann, sondern eher, sag ich mal, dass sie nicht weiss, was sie will. Weil dieses Begehren in der herrschenden, patriarchalen symbolischen Ordnung keinen Platz, keinen Begriff hat, weil wir keine kulturelle Form haben, damit umzugehen und darüber zu sprechen, wird es mit anderen Worten bezeichnet, oft eben mit dem Wort Neid. Das Begehren wird so nicht nur nicht verstanden und wahrgenommen, sondern es wird auch symbolisch einer Kultur einverleibt, die darauf angewiesen ist, dass es Neid gibt, weil sie aus eine Vorstellung des Mangels heraus lebt und die Fülle nicht sehen will, weil sie auf Privilegien aufbaut, auf Konkurrenz – und damit eben auch auf Neid.

Es ist noch aus einem anderen Grunde fatal, dass weibliches Begehren oft als Neid fehlinterpretiert wird (von anderen, aber auch von uns selbst). Und zwar deshalb, weil ich meinem Begehren nur folgen kann, indem ich Beziehungen eingehe, so dass das Mehr anderer Frauen, ihre Autorität, für mein eigenes Begehren fruchtbar wird. Wenn mein Begehren sich aber als Neid äußert, dann zerstört das die Beziehungen. Neid ist daher in zweifacher Hinsicht eine Blockade: Er blockiert meine Verhandlungen mit mir selbst – was will ich wirklich, was bin ich bereit, dafür zu tun und zu zahlen? – indem er meine Aufmerksamkeit auf andere richtet: Denen geht es besser, die haben mehr. Und zweitens blockiert er meine Beziehungen zu den anderen, weil ich ihr Mehr als Bedrohung, als Ungemach wahrnehme und nicht als Möglichkeit, mich selbst auf dem Weg meines Begehrens zu begleiten und weiterzubringen.

Das weibliche Begehren ist für den Willen unverfügbar. Es lässt sich nicht kanalisieren oder instrumentalisieren. Es lässt sich auch nicht für kapitalistische Zwecke instrumentalisieren, denn das Begehren kann man nicht mit Werbung wecken oder anstacheln.

Eine weibliche symbolische Ordnung braucht den Neid aber nicht. Dass eine andere etwas hat, bedeutet nicht, dass ich das auch haben muss – erstens kann ich sie darum bitten, mir etwas abzugeben (oder andersrum, wenn ich viel habe, kann ich es mit anderen teilen) und zweitens ist es genauso gut möglich – und sogar sehr wahrscheinlich, dass ich so etwas gar nicht haben will, weil ich nämlich etwas ganz anderes begehre.

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  • Vortrag am 13.3.2002 im Kulturcafé Groß-Gerau,

  • am 13.6.2003 im Frauentreff der Frauenbeauftragten Viernheim,

  • am 15.4.2005 in der Lutherkirche in Krefeld und

  • am 8.4.2008 in St. Virgil/Salzburg.

  • am 6.11.2012 im Diözesanzentrum Obermünster in Regensburg.