Antje Schrupp im Netz

Frau ist nicht gleich Frau

Konfession, Frauenrechte und Politik im Libanon

»Der Libanon ist eine Ansammlung von zersplitterten Gemeinschaften, die nur vom Patriarchat zusammen gehalten werden«, glaubt Suad Joseph, Leiterin des Institutes für mittelöstliche Frauenstudien an der Universität von Kalifornien. Viele libanesische Feministinnen teilen ihre Sicht. So kompliziert wie im Libanon stellt sich die Frage der Frauenemanzipation selten.

In dem höchst fragilen Staatsgebilde Libanon, wo 19 offiziell anerkannte Religionsgemeinschaften jeweils ihr eigenes Süppchen kochen, ist Frau nicht gleich Frau. Nicht mal vor dem Gesetz. Dass christliche Teenager sich im Bikini am Strand sonnen, während ihre muslimischen Altersgenossinnen nur tief verhüllt auf die Straße treten, ist ja vielleicht normal. Aber im Libanon haben solche kulturellen Unterschiede Rechtsform.

Ehen zum Beispiel schließt nicht das Standesamt, sondern der jeweilige Priester oder Imam. Und zwar nach seinen eigenen Regeln: Eine Anglikanerin kann sich scheiden lassen, eine Muslimin unter Umständen auch, eine Katholikin nicht. Gemischtreligiöse Ehen sind im Libanon rechtlich unmöglich. Entweder einer der beiden tritt zur Religion des anderen über – in der Regel die Frau – oder es muss im Ausland geheiratet werden.

Das ist kein Zustand, findet Linda Matar, Präsidentin des größten libanesischen Frauenverbandes. Sie selbst musste als geborene Maronitin zur armenisch-orthodoxen Kirche übertreten, damit sie ihren Mann heiraten konnte. Seit Jahren kämpft sie für ein ziviles Eherecht – ohne Erfolg. Denn eine solche Eingabe hat im Parlament keine Chance. Dort sitzen die religiösen Machthaber, und wenn sie sich auch ansonsten bis aufs Blut bekriegen, sind sie doch an diesem Punkt vollkommen einig: Sie wollen ihre Macht behalten.

Es gäbe noch eine lange Liste weiterer Gesetze, die Frauen entweder ohnehin diskriminieren oder die Entscheidung den Religionsführern überlassen. Aber das Parlament wird daran wohl kaum etwas ändern: Nur 3 von 128 Abgeordneten sind Frauen.

Der Konfessionalismus hat im Libanon vor allem historische Wurzeln, und die sind eigentlich ganz sympathisch. Schon vom dritten Jahrhundert an lebten hier verschiedene christliche Kirchen weitgehend friedlich zusammen: Kopten, römische Katholiken, Syrisch- und Griechisch-orthodoxe. Auch in den folgenden Jahrhunderten war das Land Fluchtstätte für religiös Verfolgte wie den Mönch Maron, der im 8. Jahrhundert in den zerklüfteten Bergregionen Zuflucht fand. Seine Anhängerschaft ist heute die größte christliche Gruppe im Libanon.

Etwa gleichzeitig kamen sunnitische Muslime in die Region, und kurz darauf auch verfolgte Schiiten, von denen sich im 11. Jahrhundert die Drusen abspalteten. Verschiedene protestantische Gemeinden wie Anglikaner, Lutheraner oder Baptisten gibt es seit dem 19. Jahrhundert im Libanon. Und nach dem ersten Weltkrieg schließlich fanden auch die von der Türkei verfolgten Armenier im Land Zuflucht.

Bis zum Bürgerkrieg 1975 galt der Libanon, die »Schweiz des Nahen Ostens«, als eine beispielhaft offene Gesellschaft, wo diese vielen Religionen friedlich zusammenlebten. Die Politik funktionierte damals wie heute über Proporz: Der Präsident ist immer ein Maronit, der Premierminister ein Sunnit, der Parlamentspräsident ein Schiit. Politisches Profil hat im Libanon nur wenig mit Inhalten zu tun, aber viel mit der Religionszugehörigkeit.

Auch die meisten Libanesinnen verstehen sich nicht in erster Linie als Staatsbürgerinnen, sondern als Angehörige ihrer religiösen Gemeinschaft. »Im Libanon ist Religion immer und überall gegenwärtig«, sagt auch Renate Kirsch vom Weltgebetstags-Team, die vor einigen Monaten das Land bereist hat, »ganz anders, als in Deutschland.« Deshalb stellt sich auch die Frage der Frauenemanzipation im Libanon komplizierter als anderswo. Besonders sichtbar und stark ist das Engagement der Frauen zum Beispiel in der schiitischen Hisbollah, die sich an der iranischen Gesellschaft orientiert. Die Hisbollah-Aktivistinnen sind außerordentlich selbstbewusst und politisch engagiert – doch von Emanzipation im westlichen Sinne halten sie gar nichts.

Aber nicht nur die Schiitinnen befinden sich im Aufbruch. Libanesinnen aller Religionen sind in ihrem Land sehr aktiv, und sie haben dort auch einen gewissen Einfluss: 92 Prozent der jungen Frauen können lesen und schreiben, die Hälfte aller Studierenden sind Frauen, viele Frauen sind erwerbstätig, häufig als erfolgreiche Unternehmerinnen. Der Frauenanteil in den Verwaltungen, Krankenhäusern, Gerichten oder im Kunstbetrieb ist ansehnlich. Ein Pfund, mit dem die Frauen im Libanon wuchern sollten.


aus: Frauen Unterwegs, Oktober 2002.