Kabbala – die neue Modereligion
Madonna tut es, Demi Moore auch, Mick Jagger und Wynona Rider – immer mehr Schöne und Reiche bekennen sich zur jüdischen Geheimlehre der Kabbala. In den Texten der Tora, der fünf Bücher Mose, so glauben sie, seien alle Prinzipien des Universums überliefert. Wer ihren geheimen Code versteht, halte deshalb den Schlüssel zu Reichtum und Glück in der Hand.
Die Kabbala ist eigentlich eine Sammlung mittelalterlicher, schwer verständlicher Texte, voller Zahlenmystik, Rätsel und alter jüdischer Symbolik. Generationen von Theologen haben sich schon über ihre Bedeutung den Kopf zerbrochen. Doch der amerikanische Rabbi Philip Berg will diesen »DNA-Code des Universums«, wie er es nennt, nun entschlüsselt haben. Sein prominentester Fan ist Superstar Madonna:
Die Kabbala, sagt Madonna, ist eine Glaubenslehre, die einem die Werkzeuge gibt, um mit dem Leben umgehen zu können. Viele Millionen Dollar hat die Pop-Ikone bereits für Kabbala-Zentren in New York und London gespendet. In ihrem Video zum James-Bond-Titelsong »Die another day« zeigt sie auf nackte Haut tätowierte hebräische Buchstaben und hat ihren Arm mit dem rituellen jüdischen Gebetsriemen umwickelt.
Auch Madonnas neue Kinderbücher sind voller Anspielungen auf kabbalistische Geschichten.
O-Ton Madonna: Ich habe alles, was man mit Geld kaufen kann, sagt Madonna. Aber mir ist klar geworden, dass dies nicht die Dinge sind, die einen wirklich glücklich machen; nichts in der materiellen Welt kann das. Nach dem Erfolg von »Evita« hatte ich alles. Ich bekam Preise und ich war schwanger. Aber ich hatte das Gefühl, dass etwas fehlte: das Wissen, wo mein Platz in der Welt ist. … Ich hatte nicht das Gefühl, mein Leben zu kontrollieren.
Die Geheimnisse der Kabbala könnten solche Sinnkrisen füllen, glauben die schätzungsweise über drei Millionen Anhängerinnen und Anhänger des neuen Trends. Sie berufen sich dabei auf eine jüdische Form der Mystik, die im 13. Jahrhundert in Spanien entstanden ist. Die Kabbalisten suchten nach geheimen Überlieferungen in der Tora, den fünf Büchern Mose, indem sie zum Beispiel hinter bestimmten Buchstabenfolgen oder Zahlenkombinationen eine tiefere Bedeutung vermuteten. In der jüdischen Theologie gelten die kabbalistischen Texte bis heute als wertvoll und interessant, allerdings auch als undurchsichtig und mysteriös – zugänglich nur für diejenigen, die die Tora und ihre Kommentare, den Talmud, lange studiert haben. Das ist für Hollywoodstars natürlich viel zu mühsam. Der amerikanische Kabbala-Guru empfiehlt deshalb seine englische Übersetzung zentraler Kabbala-Texte, die man gar nicht erst lesen muss: Berg behauptet, es reicht, mit der Hand darüber zu streichen, um die Weisheit in Sekundenschnelle in sich aufzunehmen. Dafür kostet das Werk auch stolze 450 Dollar. Clever versteht es der ehemalige Versicherungsvertreter, auch über seine Homepage, die Kabbala markttauglich zu machen.
Stell dir vor, es gäbe eine universelle Weisheit, einen einzigen Samen, der der Ursprung aller Lehren ist. Ein Wissen, das die spirituellen und physikalischen Gesetze enthüllen kann, die den gesamten Kosmos regieren. Stell dir vor, es könnte alle Probleme lösen, die dich in diesem Moment bedrücken. Was, wenn es dir einen effektiven Weg zeigen würde, glücklich zu werden?
Wer die Kabbalah versteht, wird reich, schön und glücklich, so das reichlich großspurige Versprechen. Die offiziellen Repräsentanten des Judentums, seien sie orthodox oder liberal, halten den neuen Mode-Kabbalismus daher auch für Humbug. Was seiner Popularität aber nicht schadet. Denn offenbar ist der Bedarf an leicht verdaulichen Instant-Religionen, die die Geheimnisse der Welt im Handumdrehen zu lösen versprechen, einfach unerschöpflich.
hr1, 12.12.2004