Themenschwerpunkt: »Feminismus – zukunftsfähig?«
Christina Leisering im Gespräch mit Antje Schrupp
»Gerade wenn Frauen emanzipiert und frei sind, brauchen wir den Feminismus«
Christina Leisering sprach mit der Publizistin Antje Schrupp über die derzeitige politische Situation, das Begehren von Frauen in wirtschaftlich prekären Zeiten und ihr Buch »Zukunft der Frauenbewegung«, das 2004 im Christel Göttert Verlag erschienen ist.
Bisher habe ich in dieser Reihe mit Frauen an den Universitäten gesprochen. Nun sitze ich einer freien Publizistin gegenüber. Wie sieht der Kontext aus, in dem du arbeitest, und welche Erfahrungen machst du dort, wenn Stichworte wie »Feminismus« und »Frauenbewegung« fallen?
Ich bin Journalistin in der Ev. Kirche, also in einem nicht speziell feministischen Kontext, und sage immer ganz deutlich, dass ich Feministin bin. Das weckt durchaus Interesse, vor allem wenn ich dann Meinungen vertrete, die die Leute von einer Feministin nicht erwartet hätten. Ich merke, dass es sehr verbreitet ist, sich unter Feminismus spezielle Inhalte vorzustellen. Und ich finde es schade, dass selten über Feminismus und Frauenbewegung gesprochen wird. Das liegt aber nicht an Vorbehalten dagegen, sondern eher daran, dass man das alles für ein bisschen überholt hält.
Wie die derzeitige Situation der Frauenbewegung interpretiert wird – das hat mir dein Buch sehr deutlich gemacht –, hängt eng damit zusammen, was man unter feministischen Zielen und »Frau-Sein« versteht. Hier scheinen mir die Positionen sehr weit auseinander zu gehen. Was versteht der Differenzfeminismus unter »Frau-Sein« und was sind für ihn »feministische« Ziele?
Die Gegenüberstellung von Differenzfeminismus und Gleichheitsfeminismus ist ja eigentlich ein bisschen überholt. Was ich von den italienischen Philosophinnen aus dem Mailänder Frauenbuchladen und aus Verona gelernt habe, ist, dass die Bedeutung des Frau-Seins sich nicht ableiten lässt aus dem Mann-Sein. Ich verstehe feministisches Denken so, dass es versuchen will, eine freie Bedeutung des Frau-Seins zu finden, die nicht festgelegt ist durch Vergleiche mit dem Männlichen. Und das geht meiner Meinung nach nur darüber, dass ich mir die Differenz zwischen Frauen anschaue. Das ist für mich der Schlüsselpunkt: Also Frau-Sein ist das, was Frauen tun, wenn man alle unterschiedlichen Möglichkeiten weiblichen Handelns hat. Und in diesen Differenzen unter Frauen handelt sich das Frau-Sein aus.
Man redet heute häufig von den Unterschieden zwischen Frauen unter dem Stichwort »diversity«, und es ist sicherlich wichtig, diese Unterschiede zwischen schwarzen und weißen, christlichen und heidnischen Frauen usw. im Auge zu haben. Aber mir ist wichtig, dass es darüber hinaus auch noch selbstgemachte Unterschiede gibt, die sich nicht aus diesen Hintergründen ergeben, sondern aus dem, was eine Frau aus freier Entscheidung tut. Frauen sind nicht nur unterschiedlich, sie unterscheiden sich auch aktiv und bewusst voneinander. Ich finde es gut, wenn Frauen sich öffentlich über diese Differenzen streiten und austauschen und dabei gleichzeitig deutlich machen, dass sie alle Feministinnen sind. Dann kämen wir davon weg, dass Menschen unter Feminismus einen konkreten Inhalt oder eine konkrete Meinung verstehen. Und dann wird er vielleicht auch für andere wieder attraktiver.
Der differenzfeministische Ansatz hat das »Ende des Patriarchats« proklamiert. Was heißt das genau? Und was bedeutet es für die derzeitige Situation von Frauen und die Möglichkeiten frauenbewegten politischen Handelns?
Das Ende des Patriarchats ist keine Proklamation. Es ist eine Idee, die Luisa Muraro vor 10 Jahren in die Diskussion geworfen hat, als Vorschlag, dass wir, die wir ja oft damit beschäftigt sind, gegen die Windmühlen des Patriarchats anzukämpfen, mal inne halten und in unserem Kopf einen Raum für die Idee freimachen, es könnte vielleicht schon zu Ende sein. Ich finde diesen Vorschlag sehr fruchtbar, weil er erlaubt, den Feminismus auch jenseits vom Widerstand gegen das Patriarchat zu denken. Dass der Feminismus und die Frauenbewegung für manche so langweilig sind, liegt ja auch daran, dass oft gesagt wird, die Frauen seien doch heute emanzipiert. Und ich sage dagegen: Gerade wenn Frauen emanzipiert und frei sind, brauchen wir den Feminismus, denn gerade dann haben sie ja viel mehr Einflussmöglichkeiten, und umso wichtiger ist es, dass sie dies reflektieren und untereinander verhandeln, was sie tun.
Du betonst in deinem Buch, dass sich nicht die Frauenbewegung in einer Krise befände, sondern vielmehr die herkömmlichen politischen Strukturen. Was meinst du damit?
Ich glaube, dass patriarchale Institutionen wie die Universitäten, die Medien oder die Parteien die Probleme nicht lösen können. Zumindest haben viele Menschen das Vertrauen darauf verloren. Diese Krise ist ganz offensichtlich. Deshalb gibt es ja auch die Idee, Frauen in diese Institutionen einzubinden, um wieder frischen Wind hinein zu bringen. Diese ganzen gender mainstreaming und Frauenförderprogramme haben sicher auch ihre guten Seiten, aber es ist eben vor allem im Interesse der Institutionen, wenn sie Frauen einbinden. Ob es auch im Interesse der Frauen ist, dort eingebunden zu werden, ist eine andere Frage. Die ist nicht so leicht zu beantworten, und Frauen beantworten sie ja auch in der Tat unterschiedlich.
Du forderst also ein Nachdenken darüber, was Frauen heute wirklich wollen?
Was ich schwierig finde ist, wenn Entscheidungen von Frauen, eine bestimmte Institution nicht erobern oder eine bestimmte Art von Arbeitsleben nicht mitmachen zu wollen, als Defizite von Frauen ausgelegt werden. Es muss darum gehen, Wirtschaft und Politik grundsätzlich anders zu denken, und aus dieser Zweiteilung von angeblich höherwertigen, geistigen, wissenschaftlichen Berufen und angeblich weniger wichtigen, naturverbundenen, materiell-körperlichen Tätigkeiten herauszukommen. Das ist diese alte patriarchale Zweiteilung, die immer noch Auswirkungen hat, und die nicht dadurch aufgehoben werden kann, dass alle Frauen sich jetzt auf die andere Seite schlagen. Der Gleichheitsweg der Förderung und Integration hat sich bisher als nicht besonders erfolgreich erwiesen, finde ich. Ich halte den Weg über eine kulturelle Neubewertung für den interessanteren und vielversprechenderen.
Ich würde gerne noch einmal auf die Medien zu sprechen kommen, da sie in unserer Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielen. Wie siehst du die Rolle der Medien in Bezug auf Frauenbewegung und Frauenpolitik?
Wenn es darum geht, wirklich Veränderungen zu bewirken, dann stellt sich die Frage, ob die Medien dafür hilfreich sind. Heute gibt es eine immer selektivere Mediennutzung. Die Menschen lesen nur noch die Zeitungen, die sie interessieren, und sie gucken nur noch das im Fernsehen, was sie sowieso schon wissen. Dann ist es natürlich schwierig, jemanden dazu zu bringen, die eigene Meinung zu überdenken. Wenn es also das Anliegen ist, Veränderung zu schaffen, dann sind die Medien dafür heute weniger denn je geeignet. Die Medien sind ein guter Ort, um als Frau Geld zu verdienen und eine interessante Tätigkeit auszuüben, aber um feministisch wirken zu können, halte ich sie aus eben diesen Gründen nicht für sinnvoll.
»Das private ist politisch«, hat die Frauenbewegung gesagt – und das bedeutete damals, dass die privaten Sachen auch eine öffentliche Relevanz haben. Heute muss man manchmal daran erinnern, dass die öffentlichen Sachen auch eine private Relevanz haben. Dass Politik nicht nur in Gremien oder Medien stattfindet, sondern auch in persönlichen Gesprächen, in der konkreten Beziehung zwischen einer Frau und einer anderen Frau. Deswegen bin ich eine große Anhängerin von Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Seminaren, Workshops oder auch Kaffeeklatsch. Denn die Bedeutung, die die persönliche Begegnung hat, ist sehr groß: In der persönlichen Begegnung kann es mir gelingen, jemanden zu überzeugen, die eigene Meinung zu überdenken – und natürlich auch meine eigene.
In Zeiten, in denen wenige junge Frauen mit dem Begriff Feminismus noch etwas anfangen können, wie weit kann man da über persönliche Beziehungen kommen?
Die Frage ist: Gibt es eine andere Möglichkeit? Ich glaube, dass viel vom persönlichen Auftreten von Feministinnen abhängt. Eine feministische Lehrerin, eine feministische Vorgesetzte oder eine feministische Kollegin kann viel bewirken. Wichtig ist, dass der Feminismus nicht moralisch ist, in dem Sinn ‚Deine Pflicht ist es, dich mit anderen Frauen zu solidarisieren oder um deine Rechte zu kämpfen’. Nicht nur, weil das junge Frauen abschreckt, sondern weil es generell der falsche Weg ist. Der Feminismus lebt von dem persönlichen Begehren, von der Leidenschaft und dem Feuer, das Feministinnen haben, und dieses Feuer haben sie nicht, wenn sie ihr eigenes Engagement als Pflichterfüllung ansehen.
Du sprichst davon, dass Frauen anderen Frauen Lehrerinnen und Ratgeberinnen sein sollen. Das klingt sehr schön, aber kommt das bei der jüngeren Generation noch an? Denn das Wertbild, das heute vermittelt wird, ist doch sehr auf den (männlichen) Partner fokussiert, vielleicht stärker als das in den 70ern der Fall war…
Es ist klar, dass wir heute in anderen Zeiten leben, als es die 70er waren. Ich finde es eigentlich keinen unvernünftigen Gedanken, wenn ich in sozial und finanziell unsicheren Verhältnissen lebe, mir dann eine Sicherheit über Beziehungen zu suchen. Und eine Möglichkeit von Beziehungen ist es eben, Paarbeziehungen zu haben und Familie zu gründen. Eine andere, die ich bevorzuge, ist es, politische und persönliche Beziehungen zu Feministinnen zu haben. Die 70er Jahre waren eine Ausnahmesituation. Es regnete überall Geld von den Bäumen. Man konnte revolutionär sein, und wenn man keine Lust mehr dazu hatte, konnte man ohne Probleme den nächsten Bürojob finden. Das hat viel möglich gemacht, aber es ist kein Maßstab für heute. Wenn wir uns andere Länder, andere Zeiten anschauen, dann sind wir jetzt näher an dem Normalzustand, denn fast überall leben Menschen in wirtschaftlich prekären Situationen und müssen damit zurecht kommen.
Was mir wichtig ist: Das Begehren wird häufig als eine Art Luxus gesehen, so als könnte ich mir das nur leisten, wenn ich keine anderen Probleme habe. Ich verstehe das Begehen aber genau umgekehrt. Das Begehren ist eine wichtige Möglichkeit, mich mit der Welt in Verbindung zu setzen, gerade angesichts der Tatsache, dass ich nicht mächtig und reich bin. Das ist ein Wissen, das die Frauenbewegung in diesen prekären Zeiten anbieten könnte: Dass Menschen, die ihrem eigenen Begehen folgen, sich in schwierigen Zeiten besser in der Welt zurecht finden, weil sie nicht nur damit beschäftigt sind, einfach zu funktionieren, und sich nicht nur an fremden Maßstäben messen. Und damit verändern sie dann gleichzeitig auch die Welt.
In dieser Reihe beschäftigen wir uns auch mit dem Verhältnis der Begriffe »Feminismus« und »gender«. Du betonst in deinem Buch, dass es schwer ist, gleichzeitig sein Frau-Sein sichtbar zu machen und für das Ganze zu sprechen. Du scheinst dabei davon auszugehen, dass viele Frauen genau deshalb heute von »gender« sprechen: Sie wollen für das Ganze sprechen und verleugnen so ihr Frau-Sein. Aber hat der Begriff nicht – das hat z.B. Elisabeth Hartlieb in dieser Reihe betont –gerade in der wissenschaftlichen Analyse auch große Vorteile?
Begriffe sind nie für sich genommen gut oder schlecht. Sie sollen ja etwas vermitteln. Problematisch finde ich es, wenn das Sprechen von »gender« das Sprechen von »Frauen« ersetzen soll. Das sind eben zwei verschiedene Sachen. Man kann von beidem sprechen, aber man kann nicht das eine durch das andere ersetzen. Und zwar deshalb nicht, weil man bei »gender« sofort wieder das Paar »Mann-Frau« denkt. Außerdem ist »Gender« eine Hilfskonstruktion, ein abstrakter Begriff, »gender« gibt es ja nicht, Frauen gibt es aber sehr wohl. Und ich rede gerne von der Realität. Die Unterscheidung zwischen »sex« und »gender« hat mich ohnehin noch nie überzeugt, aber sie ist mit Judith Butler ja inzwischen überholt. Und deshalb können wir doch ruhig wieder von denen reden, bei denen weibliches »sex« und weibliches »gender« zusammenkommen, also von den Frauen.
Wobei es für Butler ja gerade umgekehrt ist: Sie löst die Kategorie »Frau« auf, so dass wir letztlich nur noch von »gender« reden können.
Das wäre dann der Punkt, wo ich mit ihr nicht mehr einer Meinung bin. Weil ich mich für die weibliche Freiheit interessiere, und die kann es ja nicht geben, wenn es keine Frauen mehr gibt…
Am Ende deines Buches schreibst du zur Zukunft der Frauenbewegung und den Möglichkeiten, sie lebendig zu halten: »Ich bin da optimistisch!« Woher nimmst du diesen Optimismus?
Optimistisch bin ich, weil ich selbst so begeistert vom Feminismus bin, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass es andere nicht sind. Ich finde, dass wir sehr viel erreicht haben. Die Frauenbewegung war in vielerlei Hinsicht wirklich erfolgreich und es ist eigentlich schade, dass sie so ein langweiliges Bild abgibt, was auch daran liegt, dass andere sich ihre Erfolge sozusagen einverleiben: Das Christentum, die Aufklärung, die Demokratie und wer noch alles behauptet ja inzwischen, die Freiheit der Frauen schon immer im Programm zu haben. Ich sage: Nein, das verdanken wir dem Feminismus! Und erfolgreichen Geschichten möchten sich doch viele gerne anschließen. Ich glaube, dass junge Frauen sich dafür wieder interessieren werden, denn sie haben mit sehr vielen Problemen zu tun, und das Patriarchat wird sie nicht lösen können. Der Feminismus und die Frauenbewegung aber haben schon viele Lösungen gefunden, und das können wir auch selbstbewusst nach außen tragen.
In: Schlangenbrut, Mai 2006