** **Das Ende des Patriarchats
Ein Interview mit der italienischen Philosophin Luisa Muraro
Luisa Muraro i****st Philosophin, lebt in Mailand und lehrt in Verona. Sie ist eine der Mitautorinnen einer Mailänder Flugschrift über das Ende des Patriarchats.
Das Patriarchat soll also zu Ende sein. Und das, obwohl Frauen noch immer in Parlamenten und Konzernen unterrepräsentiert sind, obwohl sie immer noch mehr arbeiten und weniger verdienen als Männer, obwohl es immer noch sie sind, die die Doppelbelastung durch Beruf und Familie zu tragen haben. Das, sagt Luisa Muraro, sei ihr durchaus bewusst:
«Wenn wir sagen, das Patriarchat ist zu Ende, dann sind wir uns darüber im Klaren, dass die kulturelle, soziale und rechtliche Realität noch anders aussieht. Die Lebenssituationen von Frauen sind sehr unterschiedlich, und vor allem in bestimmten Ländern ist das Ende des Patriarchats bisher, wie soll ich sagen, nur ein Versprechen. Wenn man die Geschichte nur von außen, also soziologisch betrachtet, ist sie immer noch eine Geschichte des Elends. Aber die Wirklichkeit besteht nicht nur aus diesen äußeren Gegebenheiten. Es gibt auch eine Geschichte des Empfindens, des Bewusstseins, das voranschreitet, um sich zu verwirklichen und zu verbreiten. Und auf diesem Gebiet ist schon viel passiert.«
Wenn vom Ende des Patriarchats die Rede ist, dann meinen die Italienerinnen also nicht in erster Linie die äußerlichen Gegebenheiten, sondern das, was Frauen selbst denken und tun. Das Patriarchat ist nicht zu Ende, weil die Männer das Feld geräumt hätten, sondern weil die Frauen sich verändert haben.
«Es geht darum, eine Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen, die symbolischer Natur ist, die im Denken stattfindet. Wir sprechen aus, was auch vielen anderen Frauen, mit denen wir Kontakt haben, aus ganz unterschiedlichen sozialen Verhältnissen und Altersstufen, aufgefallen ist: dass nämlich die männliche Überlegenheit, diese Vorrangstellung des Mannes, die in meiner Jugend noch ganz selbstverständlich war, dass es die heute so nicht mehr gibt. Sie verliert ihre Bedeutung, weil immer mehr Frauen nicht mehr daran glauben. Das spürt man an der Art und Weise, wie Frauen sprechen, wie sie Entscheidungen treffen. Das meinen wir, wenn wir vom Ende des Patriarchats sprechen: Es ist zu Ende, weil die Frauen nicht mehr daran glauben, weil sie ihm keinen Kredit mehr einräumen.«
In die Kritik geraten sind die Italienerinnen in Deutschland vor allem deshalb, weil sie die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht für ein erstrebenswertes Ziel halten. Im Gegenteil: Sie befürchten, dass das Streben nach männlichen Privilegien das Gespür für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche von Frauen verschütten könnte. Deshalb sind sie auch gegen Gleichstellungsgesetze, Quotenregelungen und ähnliche Maßnahmen.
«Solche Aktionsformen sind nicht eigentlich ein Kampf für die weibliche Freiheit. Förderpläne und Quotenregelungen sollen die Gleichheit im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verwirklichen, im Parlament zum Beispiel. Meiner Meinung nach nimmt aber die Kraft dieser Institutionen ab, nicht in dem Sinne, dass sie plötzlich zusammenbrechen, aber doch so, dass sie ihre Allgemeingültigkeit verlieren. Institutionen, die sich nicht freiwillig durch die Gegenwart von Frauen erneuern, werden zu Orten männlicher Exklusivität. Damit nehmen sie die Bedeutung von, sagen wir, Fußball an. Fußball ist ein Männersport. Auch wenn es einen sehr sympathischen Frauenfußball gibt, so würde doch niemand sagen, dass der Fußball für die Allgemeinheit die gleiche Bedeutung hat, wie für Männer. Und so etwas ähnliches passiert derzeit mit den Parlamenten. Für Männer sind sie nach wie vor wichtig. Aber wenn man die Frage stellt, wie und von wem das Leben in diesem Land wirklich geprägt wird, dann ist der Einfluss der Frauen doch schon überall gegenwärtig und nicht zu leugnen. Uns geht es darum, diesen Einfluss sichtbar zu machen.«
In ihren Büchern greifen Luisa Muraro und andere italienische Feministinnen häufig auf Frauen aus der christlichen Tradition zurück. Die Mystikerinnen zum Beispiel sind ihnen ein Vorbild, weil sie gerade nicht versucht hätten, es ihren männlichen Zeitgenossen gleichzutun: Statt zum Beispiel dafür zu kämpfen, am theologischen Disput der männerdominierten Scholastik teilnehmen zu dürfen, hätten Frauen wie Hildegard von Bingen oder Teresa von Avila ihren eigenen, vom männlichen Denken unabhängigen Zugang zur Theologie gefunden. Weibliches Denken dürfe nicht länger daran gemessen werden, ob es die Kontroverse mit den Männern und ihrer Vorherrschaft sucht, sondern daran, ob es die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen verwirklichen hilft. Und dennoch: In den von Männern dominierten Institutionen unserer Gesellschaft, den Parlamenten, Gerichtssälen und Kirchenleitungen, werden ja Entscheidungen getroffen, die auch auf Frauen Auswirkungen haben. Ist es da nicht weiterhin eine Aufgabe des Feminismus, für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an diesen Institutionen zu kämpfen?
«Der Feminismus hat die Aspekte der Diskriminierung und Unterdrückung sehr deutlich hervorgehoben. Allerdings tendiert er dazu, auch Dinge für Diskriminierungen zu halten, die gar keine sind. Zum Beispiel, dass viele junge Studentinnen humanistische Fächer wählen und keine technischen oder naturwissenschaftlichen. Manche Feministinnen sehen darin eine Diskriminierung, diskriminierende Universitätsstrukturen oder eine unbewusste Selbstdiskriminierung der Frauen. Ich bin mir da nicht so sicher. In einer Gesellschaft, die gerade eine Revolutionierung auf dem Gebiet der Kommunikation erlebt.«
(Dieses Interview lief als Radiosendung im November 1998 im Hessischen Rundfunk)
Foto: Ilse Bechthold – mit frdl. Genehmigung des Christel-Göttert-Verlages