Gott ist weiblich!
in: ELAN. Evangelisch-Lutherische Ansichten und Nachrichten, Magazin der Ev.-luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe, Herbst 2020.
Hat Gott ein Geschlecht? Nein, werden Sie vermutlich antworten: Gott ist ein Name für das Unverfügbare, die Transzendenz, das, was unserem Verstand nicht so einfach zugänglich ist. Es wäre ganz falsch, Gott auf so etwas Irdisches wie geschlechtliche Identitäten herunterzubrechen. Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es schließlich!
Soweit die Theorie. Wenn man allerdings den Begriff „Gott“ einmal in die Google-Bildersuche eingibt, erscheint in vielfältigen Variationen jener „alte Mann mit weißem Bart“, als den sich unsere Kultur Gott über viele Jahrhunderte vorgestellt hat. Das Göttliche wurde im Christentum immer wieder mit dem Männlichen gleichgesetzt. Schon im ersten Korintherbrief heißt es, der Mann sei Abglanz Gottes, die Frau hingegen nur der Abglanz des Mannes. Der kirchliche Klerus war lange Zeit exklusiv männlich und ist es in vielen Kirchen heute noch. Christentum und patriarchale Herrschaftsstrukturen haben sich immer wieder gegenseitig gestützt und bestärkt.
Wie kommen wir da heraus? Es genügt nicht, sich von dieser patriarchalen Vergangenheit verbal zu distanzieren oder zu behaupten, das alles wäre nicht der Kern des Christentums, sondern patriarchale Überformung. Vielmehr ist Handeln gefragt.
Nicht nur, weil die Verwechslung von Gott und Männlichkeit eine glatte Häresie ist. Sondern auch aus ganz praktischen Gründen. Heutzutage wird vielerorts gesellschaftliche Diversität eingeklagt. „Alte weiße Männer“ haben nicht mehr die selbstverständliche Autorität, die ihnen früher zugesprochen wurde, ganz im Gegenteil: Angesichts von Bewegungen wie #Metoo und #Blacklivesmatter gelten sie heute eher als Problem denn als Lösung.
Kein Wunder, dass da auch Gott ein „Imageproblem“ hat, wenn er wie ein alter weißer Mann daherkommt. Es müsste deshalb ein ureigenes Anliegen von Kirchen und Theolog*innen sein, ihre theoretische Erkenntnis – nämlich dass Gott keineswegs männlich „gelesen“ werden sollte – auch praktisch rüberzubringen, und zwar einem möglichst großen Publikum.
Aber das tun sie leider nicht. Stattdessen bestreiten viele Theolog*innen, dass es an dieser Stelle überhaupt ein Problem gibt. Wenn man in einen zufällig gewählten Gottesdienst geht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dort von Gott permanent als Vater oder als Herr die Rede ist, und dass ganz selbstverständlich für ihn – für sie? – männliche Pronomen benutzt werden.
Aus der Erkenntnispsychologie ist jedoch bekannt, dass Bilder, die sich in der Vorstellungswelt erst einmal festgesetzt haben, nicht dadurch verschwinden, dass man sie ignoriert. Man muss ihnen aktiv etwas anderes entgegensetzen, sie mit anderen Bildern überschreiben. Wir können Gott nur aus der schädlichen Parallelisierung mit dem Männlichen befreien, indem wir sie ganz bewusst eine Zeitlang in weiblichen Bildern darstellen. Ihr weibliche Pronomen geben.
Es ist so ähnlich wie bei einem Gummi, der lange in eine Richtung hin ausgebeult war: Will man ihn wieder glätten, muss man zunächst in die andere Richtung ziehen, nur so kann er sich in der Mitte einpendeln. Neutralität genügt nicht. Wenn die Behauptung, Gott sei geschlechtslos, wirklich ernst gemeint ist, dürfte ja auch gar nichts dagegen sprechen, von ihr eine Weile lang vorwiegend als Mutter, als Geistkraft, als Gebärende, als Stillende, als Trösterin, als Hebamme, als Bäckerin, als Adlermutter, als Henne, als Weisheit zu sprechen. Das alles sind schließlich biblische Umschreibungen des Göttlichen, die in der christlichen Tradition viel zu wenig beachtet wurden.