Adam und Eva: Auf ein Neues
Eveline Goodman-Thau über die Schöpfungsgeschichte und den Dialog der Geschlechter
Eveline Goodman-Thau ist Rabbinerin und Professorin für Jüdische Religions- und Geistesgeschichte. Geboren in Wien, floh sie 1938 mit ihren Eltern nach Holland, wo sie in einem Versteck den Holocaust überlebte. Seit 1956 lebt die mehrfache Großmutter in Jerusalem. Mit ihren Gastprofessuren in Deutschland und den USA sowie zahlreichen Publikationen zu Frauen- und Geschlechterstudien hat Goodman-Thau auch der christlichen feministischen Theologie wichtige Anstöße gegeben. 2001 wurde sie die erste Rabbinerin Österreichs in Wien, an der dortigen Universität hat sie zur Zeit eine Gastprofessur. Außerdem leitet sie die Hermann-Cohen-Akademie in Buchen/Odw. Im Juni 2004 feiert Eveline Goodman-Thau ihren 70. Geburtstag.
Das Verhältnis von Männern und Frauen ist kompliziert, das fängt schon bei Adam und Eva an. Eine neue Interpretation des Schöpfungsberichtes kann wegweisend sein für den aktuellen Dialog der Geschlechter, meint die jüdische Theologin Eveline Goodman-Thau.
Eveline Goodman-Thau ist Rabbinerin und Professorin für Jüdische Religions- und Geistesgeschichte. Geboren in Wien, floh sie 1938 mit ihren Eltern nach Holland, wo sie in einem Versteck den Holocaust überlebte. Seit 1956 lebt die mehrfache Großmutter in Jerusalem. Mit ihren Gastprofessuren in Deutschland und den USA sowie zahlreichen Publikationen zu Frauen- und Geschlechterstudien hat Goodman-Thau auch der christlichen feministischen Theologie wichtige Anstöße gegeben. 2001 wurde sie die erste Rabbinerin Österreichs in Wien, an der dortigen Universität hat sie zur Zeit eine Gastprofessur. Im Mai feiert Eveline Goodman-Thau ihren 70. Geburtstag.
Das Thema unseres Heftes lautet »Männer – das ratlose Geschlecht«…
… das begrüße ich aber sehr, dass Sie endlich diese Geschichte mit den Männern angehen. Meine Meinung war schon immer, dass der Dialog zwischen Mann und Frau noch nicht geschrieben ist und dringend geführt werden muss.
Warum?
Weil die religiöse Identität von Männern wirklich gefährdet ist. Jahrhunderte lang haben wir Frauen uns darauf verlassen, dass die Männer Menschenwürde, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit pflegen, aber es hat sich herausgestellt, dass das überhaupt nicht der Fall war. Sie haben die Frauen ausschlossen, und nicht nur das: Sie haben auch alle Schwächen des Mannes auf die Frau projiziert.
Zum Thema Männer und Frauen gibt es ja einen grundlegenden Text, die Geschichte von Adam und Eva.
Ja, dieser Text behandelt unterschwellig Fragen der männlichen Identität. Das fängt schon im 1. Kapitel der Genesis an, wo die Rede davon ist, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schafft, männlich und weiblich, dass er Adam , den Menschen, schafft. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, ob dieses Adam der Eigenname des Mannes oder des Menschen ist. Das 5. Kapitel der Genesis gibt die Antwort. Dort heißt es: »Am Tage, als er sie erschaffen hat, nannte er ihren Namen Adam «. Es besteht also überhaupt kein Zweifel daran, dass Adam Mann und Frau ist. Der Mann hat sich Adam nur als Eigennamen angeeignet.
Wenn Adam nicht Mann, sondern Mensch bedeutet, wozu braucht es dann Eva?
Im 2. Kapitel zeigt sich, dass die Schöpfung nicht so gut ist: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.« Gott bringt also alle Tiere zu ihm, aber Adam findet unter ihnen keine »Hilfe gegen ihn«, so die wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen, ezer kenegdo . Das Wort für ezer , Hilfe, ist dasselbe wie im Psalm 23, wo es heißt: »Gott ist mein Helfer.« Adam findet also keinen Gegenpart, der ihm auch Hilfe sein kann. Deshalb bringt Gott ihm eine Frau aus seiner eigenen Rippe. Aber anstatt jetzt zu sagen: »Danke schön, Gott, dass du mir eine Hilfe gegeben hast«, sagt Adam nur: »Das ist Fleisch von meinem Fleisch, sie soll ischah , Frau, heißen, weil sie von isch , vom Mann, genommen ist«.
Und das heißt?
Das heißt, der Mann erkennt sich selbst erst als Mann, nachdem Gott ihm eine Frau vorgeführt hat, also die weibliche Seite Adams – das Wort »Rippe« bedeutet im Hebräischen auch »Seite«. Die zusätzliche Schöpfung eines weiblichen Wesens gibt der männlichen Welt erst ihre Identität. Das ist das A und O des Männerproblems. Zuerst ist Adam ein geschlechtsloses Wesen. Aber nachdem Gott ihm diese ischah als Frau vorgeführt hat, erkennt sich Adam als Mann. Seine eigene Identität, die männliche Identität, ist also davon abhängig, ob er der Frau eine eigenständige Position in der Welt gibt oder nicht. Die Kabbala, die mystische Lehre des Judentums, hat das sehr schön gesagt: »Er gibt ihr die Rippe, und sie gibt ihm die Seele«.
Allerdings isst die Frau dann vom verbotenen Baum der Erkenntnis und löst so die Vertreibung aus dem Paradies aus.
So hat man das gelesen. Aber im Judentum gibt es keinen Sündenfall. Die Vertreibung aus dem Paradies ist keine Strafe, sondern beschreibt die Bedingung der menschlichen Existenz. Immerhin beantwortet die Frau, indem sie vom Baum der Erkenntnis isst, die wichtige Frage nach Gut und Böse. Sie will das wissen. Und sie will auch, dass der Mann es weiß. Sie bekommt den Namen Eva, das heißt Mutter aller Lebendigen, und nach der Geburt ihres ersten Sohnes sagt Eva: »Ich habe ein Kind, einen Sohn bekommen mit Gottes Hilfe.« Ihre Gottesbeziehung ist also durch das Wissen um den Tod nicht zerstört. Sie stellt die Verbindung nach oben, zu Gott, wieder her.
Die Geschichte mit ihren Söhnen verläuft aber auch nicht gerade glücklich.
Ja, Kain bringt seinen Bruder Abel um. Während die Mutter versteht, dass die Verbindung mit Gott in Ordnung ist, dass sie mit der Vertreibung aus dem Paradies nicht beendet ist, hat Kain, ihr Sohn, als Mann dasselbe Problem, das auch Adam schon hat: Er ist von vielen Versuchungen gefährdet – also genau das, was der Mann später der Frau vorwirft. Kain bringt seinen Bruder um, weil der eine gute Gottesbeziehung hat. Die zwei Söhne Evas stehen für die zwei Möglichkeiten: Konflikt oder nicht Konflikt. Kain bleibt in dem Konflikt mit Gott. Er bringt seinen Bruder um, und seither muss er dieses Zeichen, das Kainsmal, tragen. Meine ganz radikale These ist, dass der Mann noch immer das Zeichen von Kain trägt. Mord ist ja ein ständiges Thema in der Weltgeschichte. Die Rabbiner haben im 1. Jahrhundert überlegt, worüber Kain und Abel gestritten haben, und finden drei Themen: Land und Grundstücke – also Marx. Ihre Schwester, die sie nach der Legende beide zur Frau wollten – also Sexualität, Freud. Und schließlich der Ort des Tempels, die Religion.
Frauen haben diese Probleme und Konflikte nicht?
Für das jüdische Volk, ganz am Anfang, werden die Grundfragen und die wichtigsten Anstöße durch die Frauen gegeben. Während der Mann Gott gegenüber oft hilflos und sprachlos ist, geht die Frau ohne weiteres zu Gott. Hagar hat in der Wüste die erste Gotteserscheinung. Sara lacht über Gott, und Gott sagt, du wirst einen Sohn haben. Moses wäre nie nach Ägypten gekommen, wenn ihm nicht all diese Frauen geholfen hätten. Rebecca hört von Gott, was sie zu tun hat, und bringt den Segen. Frauen sind in vielen Geschichten die Retterinnen, Initiatorinnen. Der Mann dagegen liegt ständig im Konflikt mit Gott. Dabei spielt auch eine Eifersucht darüber mit, wer die Frau beherrscht. Viele wichtige Frauen haben in der Bibel keine Kinder, weil Gott sie »unfruchtbar« macht. Ein Mann kann zehnmal mit ihr schlafen, aber sie hat kein Kind von ihm. Der Streitpunkt lautet: Wer befruchtet die Frau? Das Ganze hat natürlich einen Höhepunkt in der christlichen Tradition von der unbefleckten Empfängnis. Die wirkliche Beziehung zu Gott wird von den Frauen geführt.
Aber in den biblischen Geschichten gibt es doch auch zahlreiche Männer, die eine Gottesbeziehung haben.
In der Tat gibt es in der Bibel zwei männlichen Paradigmen: Priester und Prophet. Der Priester sichert den festen Boden der Religion und des Kultes, und der Prophet ist derjenige, der das alles in Frage stellt. Aber dann gibt es noch ein drittes Modell – allerdings nur im Judentum, nicht im Christentum – und das heißt Messias. Und das ist meiner Meinung nach das weibliche Modell.
Warum?
Weil die Frau diejenige ist, die ohne Plan agiert. Sie sagt: Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber ich gehe trotzdem zu ihm, und dann passiert etwas. Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen göttlichen Plan gibt, aber ich handle, weil ich retten muss. Sie agiert also im »dennoch«. Das sind alles messianische Motive. Wenn das Judentum daran festgehalten hat, dass man an einen Messias glaubt, dass alle Verheißungen eines Tages in Erfüllung gehen werden, obwohl die Geschichte doch ganz dagegen spricht, mit aller Vertreibung und Verfolgung, dann ist das ein Affront. Das Christentum hat das allerdings durch die Jesusfigur rückgängig gemacht.
Was folgt aus all dem für den aktuellen Dialog zwischen Frauen und Männern?
Dieser Dialog erfordert, dass wir beide, Männer und Frauen, uns als Erwachsene sehen. Wir Frauen dürfen nicht immer wieder erwarten, dass wir die Erlösung von den Männern bekommen, dass wir die Erkenntnis von den Männern bekommen, dass wir in ihnen einen Vermittler haben. Wir müssen uns daran erinnern, dass in der Bibel die Frau zwischen Mann und Gott steht. Auch wenn es sich in der Tradition umgedreht hat und behauptet wurde, zwischen Frau und Gott stehe der Mann.
Und die Männer?
Die Männer müssen sehen, dass es falsch war, aus dem Menschen nur einen Mann zu machen. Sie müssen sehen, dass sie sich selber als Mann eigentlich überhaupt nicht verstehen konnten, weil sie nie das Gegenüber der Frau gehabt haben. Das ist der Grund, warum sie als Männer so schwach geworden sind. Was ist denn in der Paradiesgeschichte geschehen? Der Mensch fand Selbsterkenntnis, Gotteserkenntnis und moralisches Bewusstsein. Der Mann hat nicht verstanden, dass er all das nur durch die Frau bekommt. Er hat die Verantwortung abgeschoben und geglaubt, die Frau sei an allem schuld – also weg mit ihr. Darum bin ich auch der Meinung, dass dieser Weg des Dialogs für Männer viel schwieriger ist, als für Frauen, auch wenn das paradox klingt.
Zumal sie von ihrer Macht noch nicht viel abgegeben haben.
Stimmt. Sie haben die Institutionen besetzt, aber der Kampf um ihre Privilegien bricht nun aus. Meine These ist, dass wir den Männern jetzt helfen müssen. Wir dürfen nicht dieselben Fehler machen wie sie, indem wir sie schwächen, so wie sie uns geschwächt haben. Ich sehe auch keine Lösung darin, dass wir uns zurückziehen in eigene Frauenräume. Wir müssen den Mut haben, ohne Überheblichkeit, aber aus gemeinsamer Verantwortung heraus den Dialog mit ihnen zu suchen, so schwierig er auch ist. Die Lebenserfahrungen, die Frauen mitbringen, sind oft so total anders als die von Männern, dass wir erst einmal eine Sprache finden müssen, die dem gerecht wird. Ich glaube, das ist nur möglich, wenn wir die Schwächen der Männer nicht immer wieder benennen und sie nicht immer wieder damit nerven.
Was heißt das konkret?
Ich nenne das die dritte Phase der Frauenbewegung: Wir kämpfen nicht mehr für Rechte – Rechte werden nur genommen und nicht gegeben, das haben wir schon gelernt. Wir kämpfen auch nicht mehr für Rollen, denn wir haben die meisten Rollen, die wir spielen wollten, schon ausprobiert. Jetzt sind wir in der Phase der Regeln der Partizipation. Wir sind nicht mehr bereit, zu jedem Preis mitzumachen, wenn wir nicht die Regeln mitbestimmen und mitdiskutieren können. Meine Erfahrung ist: Sobald die Männer merken, dass sie es mit Frauen zu tun haben, die keine Kompromisse mehr machen bei Dingen, die ihnen wichtig sind, sondern ganz sachlich sagen: Nein, das möchte ich jetzt so machen, ansonsten bin ich dir kein Partner, dann lässt sich etwas erreichen. Wenn wir es schaffen, den Männern wirklich das Gefühl zu geben, dass wir Freunde sind und Verhandlungspartner, dann kann der Dialog zwischen Adam und Eva endlich geführt werden.
aus: Frauen Unterwegs, Mai/Juni 2004
und: Publik Forum, Juni 2004
und: RPH (Religionspädagogische Hefte), Nr. 1/2006
Zum Weiterlesen:Eveline Goodman-Thau:»Eine Rabbinerin in Wien«, Czernin-Verlag, Wien 2003.
Interview mit Goodman-Thau in der Jerusalem-Post:http://www.jpost.com/servlet/Satellite?pagename=JPost/JPArticle/ShowFull&cid=1111030174026