Antje Schrupp im Netz

Die Freiheit der Frauen in einer gleichgestellten Welt

Das Thema meines Vortrags lautet: »Die Freiheit der Frauen in einer gleichgestellten Welt«. Als ich das vorschlug, wünschte sich Frau Veit-Prang, dass wir das Wort »gleichgestellt« in Anführungszeichen setzen. Daraus lese ich ein gewisses Unbehagen, das wohl viele Frauen teilen: Zwar führt alle Welt heute das Wort »Gleichstellung« im Munde und kaum noch jemand bestreitet das noch grundsätzlich. Aber so rundum zufrieden mit dem Erreichten sind wir nicht.

Nach 40 Jahren neuer Frauenbewegung und 20 Jahren aktiver Frauenförder- und Gleichstellungspolitik seitens des Staates müssen wir feststellen, dass die Emanzipation der Frauen, also die Abschaffung von diskriminierenden Gesetzen und die formale Zulassung von Frauen zu allen Sphären der Gesellschaft offenbar nicht dazu geführt, dass wir von einer gelungenen Umsetzung feministischer Anliegen sprechen können.

Deshalb setzen wir die Gleichstellung mal vorerst in Anführungsstrichen. Aber sie sind zweideutig, diese Anführungszeichen. Sie können entweder heißen, dass wir bezweifeln, ob es mit der Gleichstellung wirklich schon so weit ist, wie behauptet wird. Sie können aber auch heißen, dass wir bezweifeln, ob »Gleichstellung« überhaupt das richtige Konzept ist.

Für die erste These – dass Gleichstellung zwar im Prinzip ganz prima ist, es nur bislang an der Umsetzung hapert – könnten wir vielerlei Belege benennen: Der immer noch deutlich geringere Anteil von Frauen in der Öffentlichkeit, in der Politik, in der Wirtschaft. Das Bild, das hinter dieser Analyse steht, ist das eines geraden Weges, den der Feminismus nimmt, weg von den unemanzipierten, patriarchalen Zeiten der Vergangenheit, hin zu einer schönen, gleichberechtigten Zukunft, in der es keine Probleme mehr gibt, weil Frauen nicht mehr im Vergleich zu den Männern benachteiligt werden. Und die Anführungsstriche weisen darauf hin, dass wir da noch nicht angekommen sind, sondern mehr oder weniger weit von diesem Ziel entfernt stecken geblieben sind.

Ich teile dieses Bild nicht. Ich glaube nämlich, dass es für den Feminismus keinen eindeutigen Weg gibt. Das Ziel ist keineswegs so klar, es steht nicht fest, sondern kann sich im Lauf des Weges immer mal wieder ändern. Es ist nicht einfach so, dass wir zwar auf dem richtigen Weg ist, aber noch nicht weit genug gekommen, sondern wir müssen uns zwischendurch immer wieder auch die Frage stellen, ob wir überhaupt auf dem richtigen Weg sind.

Vor allem aber überzeugen mich die Argumente nicht, die normalerweise für das »noch nicht ganz« der Gleichberechtigung angegeben werden: Die alten Seilschaften der Männer an der Macht, das Beharrungsvermögen eingefahrener Rollenmuster und so weiter. Seit wann lassen sich mutige, selbstbewusste und starke Frauen von solchen Widrigkeiten aufhalten? Es ist niemals leicht, die Welt zu verändern, und natürlich müssen auch Frauen, die sich das vornehmen, mit allerlei Hürden und Hindernissen rechnen. Die Frage, die mich interessiert und auf die es meiner Ansicht nach aus der Perspektive der weiblichen Freiheit eine Antwort braucht, ist nicht: Wie sorgen wir (oder Vater Staat) dafür, dass Frauen auf ihrem Weg möglichst wenig Hürden und Hindernisse vorfinden. Denn das würde ja nur denjenigen Frauen helfen, die genau auf dem Weg unterwegs sind, den Vater Staat ihnen vorgibt: derzeit ist das der Weg zur leistungsbereiten Arbeitskraft, die die Wirtschaft wieder auf Trab bringt und gleichzeitig noch zwei bis drei Kinder kriegt, um den demografischen Wandel abzumildern. Was aber ist mit den Frauen, die sich seitwärts in die Büsche schlagen, die anderes vom Leben wollen, Ideale haben, die denen des Staates oder der Wirtschaft oder auch der Mehrheitsmeinung generell gegenüber vielleicht sogar entgegengesetzt sind?

Nein, meiner Ansicht nach bedeutet Feminismus nicht, Frauen die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die sie in der Welt nun einmal vorfinden, sondern Feminismus bedeutet, Möglichkeiten dafür zu finden, dass Frauen sich auf ihrem Weg, wohin auch immer er sie führen mag, nicht gleich von jedem Hindernis entmutigen lassen, dass sie einfallsreich sind und entschlossen und selbstbewusst, um es mit diesen Hindernissen aufzunehmen, und zwar auch mit denen, die wir jetzt noch gar nicht kennen, weil wir gar nicht wissen, wohin die Frauen überhaupt in Zukunft einmal wollen.

Ich bin auch ganz optimistisch, dass das möglich ist. Denn auch wenn wir diese Gleichstellung immer noch in Anführungsstriche setzen müssen, so haben Frauen doch in anderer Hinsicht in den letzten Jahrzehnten sehr viel erreicht: Und zwar nicht, weil die Männer es ihnen zugestanden hätten oder weil der Staat ihnen dabei die Hindernisse aus dem Weg geräumt hätte, sondern weil den Frauen sehr viel daran lag und sie sich entsprechend engagiert haben. Mir fallen da vor allem drei Bereiche ein:

  1. Die weibliche Erwerbstätigkeit. Die ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich in die Höhe geschnellt. Frauen stellen heute 45 Prozent der Erwerbsbevölkerung – sind also in diesem Bereich fast »gleichgestellt«, könnte man sagen. Sicher: Sie verdienen weniger und bevorzugen andere Berufe als Männer, vor allem streben sie weniger in Führungspositionen, dazu komme ich später noch. Aber festzuhalten ist: Von der alten Idee, dass Frauen ihren alleinigen Wirkungskreis in der Familie und im Privaten haben sollen, ist praktisch nichts mehr übrig geblieben. Und wie groß waren die Widerstände dagegen! Ich glaube, es ist noch längst nicht raus, wie sehr das unseren Begriff von »Arbeit« verändern wird.

  2. Der Bildungsgrad von Frauen ist enorm gestiegen. Zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir vergangenes Jahr habe ich »Das andere Geschlecht« noch einmal gelesen, und es ist frappierend, was sie da über den Stand der Mädchenbildung vor 60 Jahren geschrieben hat. Das ist ganz und gar passé. Junge Frauen sind heute im Allgemeinen sogar besser ausgebildet als junge Männer. Und das, obwohl es lange Zeit allgemeine Überzeugung war, Frauen hätten keine abstrakte Denkfähigkeit und die Universitäten sich lange gegen die Zulassung von Frauen sträubten. Aber die Frauen wollten das eben unbedingt.

  3. Das Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern haben Frauen ebenfalls radikal verändert. Das alte patriarchale Familienmodell, das ja nicht nur die Herrschaft des Mannes über die Ehefrau zementierte, sondern vor allem das des Vaters über die Kinder, ist abgeschafft. Das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern ist viel besser als früher, es ist Allgemeingut geworden, dass Erziehungs- und Fürsorgearbeiten auf Respekt und Anerkennung kindlicher Eigenwilligkeit beruht und nicht auf Drill und Leistungsdruck. Diese Veränderung im Übrigen war im Übrigen die Vorbedingung dafür, dass jetzt die Krippenplätze so radikal ausgebaut werden, wie die Bundesfamilienministerin es plant. Die Krippen sind nämlich heute so, dass man Kinder guten Gewissens dorthin geben kann.

Die Veränderung, die die Frauenbewegung in diesen drei Bereichen (und das sind nur Beispiele) angestoßen hat – und es war die Frauenbewegung beziehungsweise ein durch den Feminismus gestärktes weibliches Selbstbewusstsein, dass dies bewirkt hat, auch wenn das viel zu selten gesagt wird – waren keineswegs einfach. Sie ist den Frauen nicht in den Schoß gefallen. Frauen mussten hart darum kämpfen, viele Widerstände praktischer wie ideologischer Art überwinden. Viele Frauen gingen mit großem persönlichen Mut in diese Konflikte. Manche riskierten ihre Ehe, wenn es ihnen nicht gelang, die neue Freiheit ihrem Mann zu vermitteln. Andere nahmen finanzielle Entbehrungen auf sich, um ihren Töchtern Schule und Studium zu ermöglichen. Lehrerinnen riskierten Auseinandersetzungen mit ihren männlichen Kollegen oder den Schuldirektoren, wenn sie neue pädagogische Konzepte einführen wollten.

Heute, wo alle Welt sich diese Errungenschaften der Frauen zu Eigen gemacht hat, weil sich zeigt, dass dadurch die Welt für alle, auch für die Männer, besser geworden ist, erinnern wir uns nur selten daran, wie anstrengend das war. Wie völlig gegen den gesellschaftlichen Mainstream gerichtet. Und wie entschlossen und stark Frauen sein mussten, um diese Veränderungen herbeizuführen – und dass die Initiative dazu von den Frauen ausging, auch wenn sie sicher von manchen Männern unterstützt wurden, steht wohl fest.

Überhaupt können wir ja heute dank der Frauenbewegung auf ganze Bibliotheken von Forschungsarbeiten über den Mut von Frauen, etwas zu verändern zurückgreifen. Schon immer haben Frauen ihre eigenen Visionen auch gegen Widerstände in die Welt gebracht, haben Konflikte und Auseinandersetzungen nicht gescheut, hatten den Mut, sich unbeliebt zu machen oder für verrückt erklärt zu werden – einfach weil sie sich sicher waren, auf dem richtigen Weg zu sein, weil ihr Begehren, dieses jetzt zu tun, groß und stark war. Und weil sie andere Frauen hatten, die ihnen dabei den Rücken stärkten, die sie ermutigten, denen sie sich anvertrauen konnten, mit denen sie sich besprechen und einen eigenen Maßstab erarbeiten konnten.

Wenn ich mir diese große Stärke der Frauen anschaue, die aus Liebe zu ihrer Freiheit und aus ihrem Begehren, die Welt besser zu machen, so vieles angestoßen haben – dann überzeugen mich die Argumente, die heute angeführt werden, warum sie faktisch noch nicht gleichgestellt sind, noch weniger.

Denn diese Argumente lassen Frauen immer klein und schwach aussehen. Sie trauen sich nicht, mit ihrem Chef über eine Gehaltserhöhung zu verhandeln. Sie trauen sich nicht, ihren Mann zur Hausarbeit zu verpflichten. Sie sind rhetorisch ungeschickt. Sie lassen sich alles Mögliche aufbürden. Überhaupt, sie wählen die falschen Berufe. Und so weiter und so fort.

Das alles stimmt natürlich. Die Frage ist aber: Warum? Warum kämpfen Frauen nicht mit gleicher Verve für ein höheres Gehalt wie für eine bessere Ausbildung ihrer Töchter? Warum spielen sie sich bei Präsentationen nicht genauso wie die Männer in den Vordergrund? Warum spekulieren sie nicht genauso gerne wie die Männer mit riskanten Geldanlagen? Warum werden sie nicht mit gleicher Begeisterung wie ihre männlichen Kollegen Managerin eines Rüstungskonzerns? Warum steht bei ihnen die Karriere nicht an erster Stelle, sondern wird den Erfordernissen des Familien- und Privatlebens untergeordnet? Wobei das alles natürlich, wohlgemerkt, nicht für alle Frauen gilt, aber eben doch für deutlich mehr Frauen als Männer?

Könnte es eventuell sein, dass das Begehren der Frauen, das im Bezug auf die drei Erfolgspunkte, die ich oben genannt habe, so groß war, dass sie sich dafür richtig ins Zeug gelegt haben, in Hinblick auf diese letztgenannten Punkte, an denen wir das Scheitern der »Gleichstellung« konstatieren müssen, offenbar nicht groß genug ist, um die damit verbundenen Hindernisse und Hürden zu überwinden? Sicher: Es ist für Frauen objektiv schwerer als für Männer, viel Geld zu verdienen und hohe Statusposten zu bekommen. Aber das etwas schwer war, war für die Frauenbewegung noch nie ein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen.

Diese ganze Diskussion ist schief, weil wir aus dem Vergleich mit dem Männlichen nicht herauskommen. Ich denke deshalb, es ist an der Zeit, den Terminus »Gleichstellung« grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn allein dieses Wort bedeutet schon eine Kapitulation aus Sicht der weiblichen Freiheit.

Karikatur von Pat Carra Die Antwort, so wie wir sie in den letzten 20 Jahren präsentiert bekommen haben, ist klar: gleich den Männern. Ganz automatisch haben wir uns angewöhnt, den Maßstab für die Frauen dort anzulegen, wo die Männer sind. Das, was sie machen, ist normal. Und die Frauen müssen sich dem angleichen – solange das nicht gelingt, liegt etwas im Argen. Ich ärgere mich zum Beispiel jedes Mal darüber, wenn beim Equal Pay Day gesagt wird, dass Frauen 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Wieso sagen wir nicht: Männer verdienen 30 Prozent mehr als Frauen? Wie kommen wir denn eigentlich dazu, das, was Männer für normal halten, auch als unsere Norm zu akzeptieren? Die Finanzkrise, um nur mal ein Beispiel zu nehmen, ist ja wohl nicht von Menschen verursacht worden, die sich mit zu wenig Geld begnügt haben, sondern von Menschen, die den Hals nicht voll genug kriegen konnten. Und ganz überwiegend waren das Männer. Was bitteschön, soll es eigentlich bringen, wenn wir uns jetzt Weg ausdenken, damit die Frauen genauso falsche Maßstäbe an ihr Handeln legen? Die Gleichstellung würde das wahrscheinlich in der Tat voranbringen. Für die Welt wäre es aber offensichtlich fatal. Eine Welt, in der Frauen zwar gleichberechtigt sind, in der sich sonst aber nichts verändert, ist nicht erstrebenswert.

Der Maßstab für feministische Politik kann nicht sein, Frauen mit den Männern gleichzustellen, sie in der männlichen Norm zu messen. Das haben Feministinnen im Übrigen immer wieder gesagt und betont, schon vor dreißig Jahren war ihnen diese Gefahr klar. Aber sie ist irgendwie im Zusammenhang mit der »Gleichstellungspolitik« aus dem Blickfeld geraten.

Wobei der Grund dafür keineswegs, wie dann immer leicht unterstellt wird, der ist, dass Frauen irgendwie von Natur aus anders wären als Männer. Das ist natürlich nicht der Fall. Der Grund ist ein ganz praktischer: Wenn Gleichstellung das Ziel ist, dann ist der Maßstab für weiblichen Erfolg ein männlicher und das schwächt die Autorität und das Selbstbewusstsein von Frauen ganz enorm. Ich bin oft erschüttert, wie unhinterfragt Frauen in bestimmten Ämtern oder Positionen die Regeln, die dort gelten – und die historisch ja männliche Regeln sind – akzeptieren und auf sich selbst anwenden. Wie wenig sie sich trauen, ihre eigene subjektive Meinung einzubringen, die Welt nach ihren Wünschen zu gestalten, so als müssten sie schon allein dafür dankbar sein, dass sie dieses Amt, diesen Posten überhaupt haben dürfen.

Viele Frauen scheinen vor lauter Dankbarkeit über ihre Emanzipation nicht mehr das Selbstvertrauen zu haben, die Spielregeln und Rahmenbedingungen, die sie in jenen Bereichen, in die hinein sie gleichgestellt worden sind, anschließend nach ihren eigenen Wünschen zu verändern. Das heißt, sie sind zwar gleichgestellt, aber weil sie glauben, dafür dankbar sein zu müssen und die männlichen Kriterien, die sie vorfinden, zum Maßstab für ihr eigenes Handeln machen, verändern sie dann nichts. Aber eine Gleichstellung als Selbstzweck ist aus Sicht der weiblichen Freiheit völlig unerheblich. Ob ich als Hausfrau oder als Managerin nur das mache, was andere von mir verlangen, ist letzten Endes egal.

Klar bin ich froh, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der ich nicht so leicht unterdrückt und vergewaltigt und zwangsverheiratet werde wie vielleicht anderswo. Aber ich bin nicht dafür dankbar, schon gar nicht einer westlich-aufklärerisch-männlichen Philosophie, deren Freiheitsvorstellungen ebenfalls jahrhundertelang auf die Freiheit der Frauen ganz wunderbar verzichten konnte, und in der Unterdrückung, Zwangsverheiratung und Vergewaltigung bis vor kurzem überaus normal und verbreitet waren. Und die Frauen heute zwar gleichberechtigt sein lässt, aber an der symbolischen Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche überhaupt nichts geändert hat. Wie kann ich einer Kultur dankbar sein und ihre Grundthesen von Autonomie und Individualität für mich selbst zum Maßstab machen, wo diese Kultur doch von Beginn an und bis heute die weibliche Differenz verachtet und lächerlich gemacht hat?

Nein, ich bin nicht dafür dankbar, dass ich als Frau nicht diskriminiert oder geschlagen oder vergewaltigt werde, und zwar nicht nur deshalb, weil das alles ja auch in unserer Westlichen Welt noch vorkommt. Aber selbst, wenn das nicht der Fall wäre, wäre ich dieser Gesellschaft und ihren männlichen Konstrukteuren nicht dafür dankbar, denn es ist ganz einfach das aller-selbstverständlichste von der Welt. Ich finde es unerhört, wenn westliche Männer sich mit der Gleichberechtigung brüsten und meinen, sie wären allein deshalb, weil sie Frauen nicht unterdrücken und für minderwertig halten, schon etwas Tolles.

Nein, ich bin nicht dieser westlichen Kultur dankbar, sondern den vielen Frauen, die durch die Jahrhunderte hinweg diese Frauenverachtung des westlichen Kultur bekämpft, analysiert und verändert haben, zuweilen natürlich auch gemeinsam mit Männern, aber fast immer unter großen Opfern, gegen große Hindernisse, mit ungewöhnlichem Mut. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass es heute für eine Frau nicht mehr lebensgefährlich ist, eine eigene Meinung zu haben. Und die Frage ist, wie wir uns an ihnen ein Beispiel nehmen können, wie wir von ihnen etwas lernen können, und wie wir eben vielleicht auch etwas von ihrem Elan, ihrer Stärke, ihrem Enthusiasmus den jüngeren Frauen vermitteln können.

Die Abwendung vom Maßstab des Männlichen ist dabei nur der erste Schritt. Ein zweiter Schritt ist die Wahrnehmung und Wertschätzung des weiblichen Begehrens, worauf auch immer es sich richtet. Was will ich wirklich? Was bereitet mir Unbehagen? Was möchte ich verändern, wie stelle ich mir die Welt vor? Frei darüber nachzudenken mit anderen Frauen diskutieren, darum geht es – und nicht darum, wie ich innerhalb eines vorgegebenen Systems Karriere machen kann.

Dies macht uns freier im Umgang untereinander und mit der weiblichen Differenz, also der Differenz der Frauen untereinander. Und mit eben dieser Haltung auch nach dem Begehren anderer Frauen Ausschau zu halten: Warum träumen so viele junge Frauen heute wieder von Familie und vielen Kindern? Welches Begehren steckt dahinter und vielleicht auch welche Kritik an einer nur auf Leistung und Karriere ausgerichteten Wirtschaftskultur? Wie müssten diese Ämter und Strukturen sein, damit mehr Frauen sie attraktiv finden? Oder: Warum finden sich so schwer Frauen, um auf Leitungsämtern zu kandidieren? Oder: Warum legen so viele Frauen aus anderen Kulturen so großen Wert, sich bei ihrer persönlichen freiheitlichen Entfaltung dennoch nicht mit ihrer Familie und kulturellen Community zu entfremden? Warum sind zum Beispiel für viele muslimische Frauen die westlich-aufklärerischen Werte offensichtlich nicht attraktiv? Was können wir für unsere Kultur daraus lernen?

Aber natürlich andererseits auch: Warum gibt es so viele junge Frauen, die den männlichen Karriereweg attraktiv finden und die auch nur auf Geld, Einkommen und Status schielen? Warum vergessen sie den Feminismus, warum vergessen sie so leicht die Errungenschaften und das Vorbild ihrer Vorkämpferinnen? Warum gibt es keine weibliche Genealogie? Warum ist der Unwillen jeder jungen Frauengeneration so groß, sich als »feministisch« und »weiblich« zu identifizieren und dies nicht als Einschränkung, sondern als Vorbedingung ihrer individuellen Freiheit zu sehen?

Die Antwort ist: Weil der Maßstab – trotz und vielleicht eben sogar wegen der Emanzipation nach wie vor das Männliche ist. Da sind wir alle ein Opfer der westliche Philosophie, die so lange ohne Frauen und ohne die Freiheit der Frauen ausgekommen ist, dass sie Frauen nicht an und für sich wertschätzen kann, sondern nur unter der Prämisse ihrer Gleichheit mit den Männer. Deshalb meine ich, das weibliche Begehren ist als solches bereits etwas Wertvolles ist, egal worauf es sich richtet. Doch um zu verhindern, dass sich dieses Begehren im Rahmen einer männlichen Kultur Maßstäbe sucht und in einer rein systemkonformen und überhaupt nicht Welt verändernden »Gleichstellung« endet, ist es notwendig, dafür einen anderen Maßstab zu finden. Dieser Maßstab muss der einer weiblichen symbolischen Ordnung sein, also konkret: Er ist im Gespräch, im Streit, im Austausch, generell: Im sich-Beziehen auf andere Frauen zu finden.

Das war schon immer so, aber die Möglichkeiten dafür sind in unserer vergleichsweise, (Anführungsstriche hin oder her) gleichgestellten Welt eigentlich tatsächlich gut. Es gibt ja inzwischen eine ganze Reihe von Frauen in Ämtern und Positionen, an die wir uns mit unserem Begehren wenden können. Mit unseren Ideen, Projekten, Vorschlägen. Vorausgesetzt eben, sie nutzen ihren Einfluss auch, um die Welt tatsächlich im Sinne der weiblichen Freiheit zu verändern und sind nicht vollständig damit beschäftigt, ihren männlichen Kollegen und Vorgesetzten zu beweisen, dass sie überhaupt ein Recht haben, auf diesem Posten zu sein.

Damit meine ich nicht Frauensolidarität um jeden Preis. Die Frauen, die Ämter und Einfluss haben – also in gewisser Weise wir alle – sind keineswegs Wunscherfüllungsautomaten für die Ansprüche anderer Frauen, sondern sie haben ihr etwas voraus – Erfahrung, Wissen, das den anderen Helfen kann, ihren Weg zu gehen. Das weibliche Begehren ernst zu nehmen, bedeutet nicht, jeder Frau jeden Wunsch möglichst zu erfüllen, sondern es bedeutet unter Umständen auch Konflikt. Deshalb ist es auch zum Beispiel falsch, in der Mädchenarbeit immer die Frage nach der Zielgruppe zu stellen: Was wollen die jungen Frauen? Die Frage ist erst einmal: Was interessiert uns an den jungen Frauen – und, nachdem wir ihnen aufmerksam zugehört haben, weil sie uns nämlich interessieren – was für einen Ratschlag möchten wir ihnen geben, was möchten wir ihnen vermitteln?

Die Frage nach dem weiblichen Begehren und die, was Frauen sich wünschen, wird oft verwechselt, beides ist aber nicht dasselbe. Viele Frauen, gerade junge Frauen, wünschen sich zum Beispiel, ohne Konflikte mit Männern leben zu können, was dann häufig der Grund dafür ist, dass sie ihr eigenes Begehren zurückstellen und klein machen. Die Gefahr ist heute noch größer, da Frauen, die über ihre Probleme sprechen, heute nicht einfach Opfer sind, wie in den alten, patriarchalen Zeiten, sondern auch noch selbst schuld: Es zwingt sie ja niemand mehr dazu, sich mehr als die Männer um Kinder, Haushalt, persönliche Beziehungen usw. zu kümmern und darüber ihre Karriere zu vernachlässigen.

Dazu habe ich kürzlich von einer interessanten Studie gehört, wonach bei den Vergewaltigungsanzeigen der Anteil der »Fremdvergewaltigungen« wieder steigt und fast auf dem Niveau der Fünfziger Jahre liegt. Eine Polizistin ist dem nachgegangen und hat herausgefunden, dass es Scham ist, die junge Frauen heute nach einer Vergewaltigung sagen lässt, sie hätten den Täter nicht gekannt – obwohl natürlich nach wie vor die meisten Vergewaltigungen im Bekannten- und Familienkreis geschehen. Aber als emanzipierte Frauen halten sie sich für selbst Schuld, wenn es ihnen nicht gelingt, sich im privaten Umfeld gegen sexuelle Gewalt zu schützen. Ähnlich ist es wohl bei Ungerechtigkeiten in der Aufteilung der Haus- und Familienarbeit usw. Eine Frau, die sich heute, wo wir doch emanzipiert sind, nicht dagegen wehrt, ist selbst Schuld, da sie nicht mehr »die Verhältnisse« dafür verantwortlich machen kann. Deshalb ziehen viele Frauen vor, das gar nicht mehr zu thematisieren. Denn würden sie die Verhältnisse beim Namen nennen, dann käme die Frage heraus, warum sie die Möglichkeiten, die ihnen die neuen, emanzipierten Verhältnisse geben, nicht nutzen. Warum lassen sie sich so etwas nach wie vor gefallen?

Und darauf gibt es nur zwei Antworten: Entweder sie begehren das gar nicht. Oder sie haben nicht genug Selbstbewusstsein.

Ich glaube, dass es da in der herkömmlichen Debatte eine Argumentationslücke gibt. Und die besteht darin, dass eine offizielle Gleichheitsrhetorik, andere Gesetze, eine andere Polizeipraxis, Werbekampagnen für hausarbeitende Männer und so weiter zwar unbestreitbar gut sind, aber nicht die ganze Lösung des Problems. Auch in einer gleichberechtigten Welt sind Konflikte unausweichlich, und zwar persönliche Konflikte, die eine Frau, die ihre Freiheit liebt, mit anderen Menschen und eben auch mit Männern zu führen hat. Es ist eine Illusion zu glauben, Gesetze und Rahmenbedingungen könnten die individuelle Freiheit einer Frau gewährleisten.

Ich beobachte bei vielen jungen Frauen, dass sie ihre eigene Sichtweise immer mit »objektiven Argumenten« zu unterfüttern versuchen – dies ist sozusagen die gesetzliche, emanzipatorische Ebene. Es muss aber eine subjektive Ebene hinzukommen: Wenn es um die Frage von konkreten Regeln geht, sei es im privaten Zusammenleben oder im beruflichen Miteinander, bringt es uns nicht weiter, wenn Frauen sich hinter dem gesellschaftlich-emanzipatorischen Konsens verstecken, sie müssen persönlich für ihr Urteil einstehen und eventuelle Konflikte dabei aushalten. Es geht nicht darum, ob es objektiv richtig ist, dass das Bad einmal in der Woche oder im Monat geputzt werden muss, sondern auf welche Weise sie das in ihrer Wohnung haben will.

Oder ein anderes Beispiel: Ich bin Redakteurin einer Zeitung, die konsequent inklusive Sprache benutzt. Und zwar, weil ich das so will – und manchmal muss ich mich darüber streiten. Manchmal verliere ich dabei auch. Aber mein Argument ist nur zum einen Teil, dass inklusive Sprache objektiv besser ist. Wenn ich warten wollte, bis ich damit alle überzeugt habe, würde es noch ewig dauern. Fakt ist: Ich bin von inklusiver Sprache überzeugt und deshalb wird sie überall da, wo ich etwas zu sagen habe, eingeführt. Die Veränderung der Welt funktioniert nicht so, dass wir erst alle Menschen von unseren Ansichten überzeugt haben und entsprechende Regeln eingeführt haben, sondern in dem wir sie da, wo es in unserer Macht steht, in die Realität umsetzen, uns den damit verbundenen Konflikten aussetzen und Verantwortung für unser Handeln übernehmen.

Und das ist meiner Ansicht nach der Punkt, an dem es heute hapert und mich interessiert die Frage, warum hier viele Frauen – und vor allem jüngere Frauen – so zurückhaltend und vorsichtig sind, so »unkämpferisch«. Diese Frage ist nicht mit dem Hinweis auf Hürden und Hindernisse zu beantworten, denn diese Hürden und Hindernisse liegen in der Natur der Sache, wenn ich etwas verändern will.

Der Dreh- und Angelpunkt ist dabei natürlich ein gewisses Selbstvertrauen und eine Selbstsicherheit, nämlich die, dass das eigene Urteil und das eigenen Begehren eine Berechtigung hat, in der Welt zu sein, auch dann, wenn es dem Mainstream entgegen läuft. Diese Selbstgewissheit finden Frauen in der Beziehung zu anderen Frauen, in weiblicher Autorität. In anderen Frauen, die Vorbild in Dissidenz sein können, die Ratschläge haben, die ein Mehr haben, das eine Antwort bietet auf das Begehren, das eine Frau dazu bringt, sich die Welt anders zu wünschen und verändern zu wollen.

Natürlich müssen wir den jungen Mädchen erklären, warum es möglicherweise dumm ist, mit 17 die Lehre zu schmeißen und ein Kind zu bekommen. Wir sind als ältere Frauen oder als Ämter-Frauen damit aber nur glaubwürdig, wenn wir unsere eigenen Argumente dafür anbringen und nicht einfach zu Erfüllungsgehilfinnen des Mainstreams machen. Ihnen einfach nur zu sagen, dass die Welt eben heute nach dem Leistungsprinzip funktioniert und sie deshalb Geld verdienen müssen, ist dafür zu wenig. Damit wären wir noch nicht viel weiter als die Mütter in den Romanen von Jane Austen, die die großen und verrückten Wünsche ihrer Töchter auch immer mit dem Hinweis auf gesellschaftliche Konventionen klein gehalten haben.

Nein, weibliche Autorität, also ein Maßstab für das weibliche Begehren, der dieses an die Freiheit der Frauen bindet und nicht an ihr gutes Funktionieren in einer von Männern erfundenen Kultur, solche Autorität kann nur zirkulieren, wenn die Frau, die sie äußert, selbstbewusst und mutig und entschlossen für ihre eigenen Ansichten einsteht und sich nicht hinter einem »Die Welt ist eben so« versteckt. Sondern wenn eine weibliche symbolische Ordnung die Orientierung an einer männlichen Symbolischen Ordnung ersetzt. Wenn wir unser Feministinsein hingegen darauf beruhen lassen, dass wir nur ständig von anderen etwas fordern und darüber klagen, was die Männer oder der Staat oder die böse Welt alles falsch machen, dann haben wir keine Autorität und müssen uns nicht wundern, wenn junge Frauen in uns für ihr Begehren keinen Maßstab finden.

Natürlich müssen wir die Verhältnisse anprangern, müssen verhindern, dass Steuergelder für massenweise neue Autos ausgegeben werden, dass Zuschüsse für Frauenprojekte gekürzt werden, dass Frauen weniger verdienen und Männer und all das. Aber das alles sind zum Beispiel Themen, die wir in unseren jeweiligen Positionen im Konflikt mit den Männern und womöglich auch einigen Frauen dort durchfechten müssen, wo wir unsere Macht und unseren Einfluss geltend machen müssen. Sie sind kein Argument zum Beispiel im Austausch mit jüngeren Frauen, die sich mit ihrem Wunsch, in der Welt frei zu sein, an uns wenden. Die interessiert, um es kurz zu sagen, nämlich nicht, was andere machen können, sondern was wir machen können.

Die weibliche Freiheit ist nicht davon abhängig, dass die Männer oder ihre Institutionen sie uns gewähren. Sondern es ist genau umgekehrt: Wenn Frauen in der bewussten Bindung an den Maßstab der Autorität anderer Frauen aktiv werden, wenn sie sich also nicht mehr den männlichen Kategorien und Maßstäben unterwerfen, dann sind sie frei. Und nur freie Frauen haben überhaupt den Mut, die Stärke, das Selbstbewusstsein und die Entschlossenheit, die Welt zum Besseren zu verändern – und damit Vorbilder zu sein für die jüngeren Frauen, die noch auf der Suche nach ihrem eigenen Weg sind.

Libreria delle Donne: Wir wollen nicht, dass die weibliche Freiheit – unsere Freiheit und die der anderen Frauen – von den Fortschritten einer Kultur abhängig ist, die sich seit Urzeiten von der Verachtung unseres Geschlechts nährt. Wir werden es umgekehrt machen. Wir binden uns in einem Pakt der Freiheit an die anderen Frauen und über die anderen Frauen an die Welt, und von dort aus, wo uns eine freie Existenz in der Gesellschaft garantiert ist, werden wir tun, was noch zu tun ist, damit die Gesellschaft von der Verachtung des weiblichen Geschlechts frei werde. Die Politik der sexuellen Differenz kommt nicht nach der Verwirklichung der Gleichheit zwischen den Geschlechtern, sondern sie ersetzt die Politik der Gleichberechtigung, die zu abstrakt und oft widersprüchlich ist. Sie bekämpft jede Form der sexistischen Unterdrückung vom Ort der weiblichen Freiheit aus, die über soziale Beziehungen zwischen Frauen erobert und aufgebaut wurde.

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Vortrag beim Fachtag Frauen- und Mädchenarbeit am 7.5.2009 in Wiesbaden