Antje Schrupp im Netz

Frauenbewegung gestern und heute

Als Angehörige der Mittleren Generation – ich bin 44 – gehöre ich weder zu den »Alten« noch zu den »neuen« Feministinnen. Ich glaube, das ist eine ganz interessante Position, denn auf der einen Seite kenne ich noch die alten Diskriminierungen, gegen die die Frauen in den 70er Jahren gekämpft haben, zwar nicht am eigenen Leib, aber an meiner Mutter, die z.B. ihren Beruf aufgeben musste, als sie Kinder bekam. Andererseits weiß ich aber auch, wie es ist, mit »emanzipierten« Erwartungen aufzuwachsen. Für mich war die Emanzipation schon nicht mehr nur Verheißung, sondern auch eine Pflicht, die neuen Möglichkeiten, die für mich erkämpft worden sind, auch zu nutzen. Ich darf eben heute nicht nur Bundeskanzlerin werden, sondern ich muss es auch. Viele meiner Altersgenossinnen haben es aber im Sinne dieser Möglichkeiten »zu nichts gebracht«, wir müssen dauernd in der Zeitung lesen, dass wir noch immer nicht genauso oft wie Männer viel Geld verdienen und in Führungspositionen sind. Dann wird zwar immer gesagt, das liege an ungerechten Strukturen, aber insgeheim muss ich zugeben, dass das nicht so stimmt. Es liegt irgendwie auch an mir. Und das Problem ist, dass wir das feministisch-politisch noch nicht denken und artikulieren.

Aber vielleicht fange ich erstmal mit einem Rückblick an. Wenn ich die Begeisterung höre, mit der Ulrike Holler von den Kämpfen damals erzählt, dann werde ich fast etwas neidisch, denn bei mir war das schon alles nicht mehr nur Aufbruch und Begeisterung, sondern auch schon eingeschliffen und oft langweilig. Es war also eine zwiespältige Sache.

Als junge Journalistin war ich zwar irgendwie angetan vom Feminismus, das war Mitte der achtziger Jahre. Ich habe zum Beispiel einige »Erste-Frau«-Geschichten geschrieben – die erste Bischöfin usw. – aber war bald schon davon gelangweilt, auch davon, immer die Frauenthemen als einzige Frau in der Redaktion bearbeiten zu sollen. Andere feministische Sachen haben mir hingegen Spaß gemacht, wie etwa der Kampf um inklusive Sprache. Und ich bin immer noch stolz, dass ich es war, die in der kleinen Zeitung, bei der ich gearbeitet habe, eingeführt hat, dass in Zukunft nicht nur die Leser, sondern auch die Leserinnen zu Weihnachten gegrüßt werden.

Ich erlebte dann als junge Frau die Installierung der Gleichstellungspolitik mit, es begann der Siegeszug des Emanzipationismus. Die 80er Jahre waren ja die, als überall Frauenreferate eingeführt wurden und Frauenförderpläne (heute erst wissen wir, wie dämlich das Wort ist), Gleichstellungskommissionen und so weiter, heute heißt es gender mainstreaming

Das hat mich aber damals schon nicht interessiert, denn ich fühlte mich nicht diskriminiert , und dieses Gefühl lag nicht daran dass ich etwa nicht gewusst hätte dass ich als Frau faktisch benachteiligt bin. Dies war mir durchaus klar, aber es war für mich in meiner Persönlichkeit nicht das entscheidende Problem. Ich identifizierte mich nicht als Opfer, obwohl ich wusste, dass ich ein Opfer war, in gewisser Weise, doch ich war einfach der Meinung, dass es wichtigere Probleme auf der Welt gibt, als die Situation weißer bürgerlicher Frauen im Vergleich zu den Männern aus ihrer Schicht.

Auch schon früh geärgert hat mich der Dogmatismus der Frauenbewegung, der sich damals, in den Achtzigern, eben schon ausgebildet hatte. Ich hatte nichts dagegen, mit Männern zusammen zu arbeiten, z.B. für die Themen, die mich damals interessierten – Startbahnwest AKW usw. -. Doch in den meisten inhaltlichen Forderungen gefiel ich mir auch darin, eine radikale Feministin zu sein, ich war schließlich jung und so konnten mir die Thesen nicht radikal genug sein, und wenn es Widerstände dagegen gab, startete mich das in meiner feministische Selbstdarstellung sozusagen nur noch mehr an.

Eine Wende ergab sich, als ich eines Tages merkte, dass sich viele feministische Dogmen, die ich da so glühend vertrat, selbst gar nicht wirklich teilte. Ich habe eine Szene noch in Änderung, es war ein Klassentreffen ein paar Jahre nach dem Abitur, und ich stand mit einem ehemaligen Schulkameraden auf de Balkon und erklärte ihm, dass er ein potentieller Vergewaltiger sei. Die Situation war so absurd und es war so offensichtlich Blödsinn was ich da redete, dass mir sein etwas entsetzter Blick die Peinlichkeit meiner eigenen Feminismusdarstellung deutlich machte.

Dies alles, also die Langeweile an der Gleichstellungspolitik, die Abkehr von fixen feministischen Inhalten, das Interesse an anderen politischen Themen brachte mich dazu, mich dann etwa zehn Jahre lang aus der Frauenbewegung herauszuziehen. Mitte der neunziger Jahre traf ich dann Chiara Zamboni, und lernte mit ihr erstmals eine Feministin kennen, die mir nicht ein Programm verkaufen wollte, sondern die an meinen eigenen Ideen interessiert war. Ich kann mich noch genau daran Innern wie sie mich immer wieder fragte, und du, was denkst du? Und wie erstaunt ich darüber war, dass jemand das wissen wollte, erst recht, eine Feministin.

Über Chiara Zamboni lernte ich dann andere Feministinnen kennen, die einen weniger »langweiligen« Feminismus praktizierten (aus meiner Sicht), das heißt, die mehr Wert auf die Differenzen und Unterschiede unter Frauen legten, als auf ein solidarisches Frauen-Wir, die politische Themenkomplexe erdachten und nicht nur in einfachen Gleichstellungsforderungen usw. das war der Moment, indem ich mich selbst anfing wie der als Feministin zu sehen, aktiv zu werden, mich an feministischen Projekten zu beteiligen.

Aber ich weiß natürlich, dass viele aus meiner Generation nicht dieses Glück hatten, eine andere Frau zu finden, mit der zusammen sie den Feminismus sozusagen für sich persönlich entdecken konnten. Die mediale Darstellung des Feminismus ist sehr klischeehaft sehr oberflächlich, man arbeitet sich an Pseudokonflikten ab, anstatt die breite Kreativität der feministischen Bewegung zu sehen.

Heute sicher so, dass sich die Frauenbewegung der siebziger Jahre in den achtziger Jahren praktisch in zwei Gruppen aufgespalten hat, um die einen, die innerhalb des Systems für ihre Forderungen eintraten und aus dem Feminismus einen Frauen Lobbyismus machten, und die anderen, die dabei nicht mitmachen wollten, die radikaler blieben und im Lauf der Zeit in Vergessenheit gerieten. Vielleicht auch deshalb, weil ohne jene vernünftigeren Schwestern ihr Hang zur Radikalität manchmal ein Hang zur Absurdität wurde.

Aber unter den Feministinnen, die meine Ideen ernst nahmen, und mit denen zusammen ich in den vergangenen 10,15 Jahren politisch aktiv war, sind viele aus jener älteren Generation, die am Emanzipationismus dieselbe Kritik äußern wie ich selbst, das heißt, es hat nicht nur etwas mit Generationen zu tun, sondern auch mit unterschiedlichen Ansichten generell. Was mich heute besonders beschäftigt, ist, dass junge Frauen von der Vielfältigkeit dieser feministischen Diskussion zu wenig mitbekommen. Ich bin überzeugt, dass wenn ich heute jung wäre, und vom Feminismus nur von der Gleichstellungsbeauftragten oder aus den Zeitungen erfahren würde, würde ich mich auch davon distanzieren.

Das Problem am Feminismus, so wie er in der Öffentlichkeit dargestellt wird ist, dass es so aussieht, als ginge es dabei speziell um Fraueninteressen. Nun muss aber jeder Mensch und eben auch jede Frau mit halbwegs klarem Verstand sehen, dass es heute, wo die handfesten Diskriminierungen abgeschafft sind und Gewalt gegen Frauen ein Straftatbestand, den die Polizei auch verfolgt, andere, wichtigere Themen und Ungerechtigkeiten gibt als die noch verbleibenden Restkämpfe um die vollständige Gleichstellung. Viele Frauen verstehen sich deshalb nicht als Feministinnen, weil sie meinen, es gebe dringendere Probleme, um die man sich kümmern muss.

Meine Antwort darauf ist immer, dass die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nicht ein isoliertes Problem sind, über das frau sozusagen großzügigerweise hinwegsehen könnte, sondern Symptome für generelles Nicht-Gut-Sein der Welt. Als Feministin bin ich davon überzeugt, dass die Probleme der Welt, um die Frauen sich sorgen – die Zerstörung des Klimas, die soziale Unsicherheit und Ungleichheit, die ungeklärte Frage, wie Privatleben und Berufsleben vereinbart sind in Zeiten einer immer menschenfreundlicher organisierten Arbeitswelt – dass ich all diese Probleme nicht lösen lassen, ohne eine geschlechterbewusste Analyse der Angelegenheit. Und wenn man die Geschichte der Frauenbewegung genau anschaut, war sie nie eine Lobbygruppe für Fraueninteressen, sondern es ging schon immer um die ganze Welt.

Und deshalb finde ich es wichtig, zwischen Emanzipation und Feminismus zu unterscheiden. Die Emanzipation hat zwar die Gleichstellung der Frauen gebracht, aber nicht die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche beseitigt. Zwar können heute Frauen als Individuen sozusagen in die Sphäre der Männlichkeit überwechseln, aber weibliche Subjektivität, das Frausein als solches, gilt immer noch nicht als Repräsentant des allgemein Menschlichen. Das neutrale Individuum war sozusagen schon immer männlich, und bleibt es auch, wenn es einen Rock trägt.

Konkret und praktisch im Alltag bedeutet das: im Kampf für die Emanzipation haben sich einige Tabus eingeschlichen, über die wir heute dringend reden müssen. Zum Beispiel über den Preis, den es kostet, in diesen Strukturen Karriere zu machen. Wir waren in den letzten Jahrzehnten so beschäftigt mit der Gleichstellung, dass uns die eigenen Wünsche manchmal abhanden gekommen sind, so als ob der Maßstab für weibliche Freiheit sich darin erschöpft, alles das auch machen zu dürfen, was die Männer machen. Und was wäre, wenn wir das nicht wollen?

Es gibt ganz einfach feministische Fragen, auf die die Gleichstellung und die Emanzipation keine Antwort hat. Zum Beispiel beobachte ich in meiner Generation einen Rückzug der Frauen aus der Öffentlichkeit, der mir Sorgen bereitet. Wir haben bewiesen, dass wir alles auch können, Managerinnen sein, Karriere machen, Bundeskanzlerin werden – und jetzt, so sieht es aus, haben viele Frauen keine Lust mehr auf den Stress. Denn die Bedingungen haben sich nicht verändert, die Strukturen sind männlich geblieben, Frauen können nur Erfolg haben um den Preis der Anpassung. Und sie müssen, denn schließlich braucht die Wirtschaft sie doch als Leistungsträgerinnen. Also sollen sie Rhetorik-Kurse belegen und die Kunst der Selbstdarstellung üben. Das war aber doch ursprünglich nicht gemeint?

In dem Zusammenhang halte ich auch die Debatten um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für zwiespältig. Sicher müssen ganz viele Krippenplätze gebaut werden – dass die Kinderbetreuung anders organisiert werden muss, fordert die Frauenbewegung ja schon immer. Aber: Wenn behauptet wird, die Vereinbarkeitsprobleme seien das Einzige, was Frauen aus den Führungspositionen heraushält, dann ist das eine Lüge. Ich zum Beispiel habe keine Kinder, aber trotzdem keine Lust, Managerin zu werden. Und das ist vielleicht tatsächlich eine Erkenntnis meiner Generation: Wir sind jetzt nämlich in einem Alter, wo die Kinderfrage nicht mehr die Entscheidende ist, die ist auf die eine oder andere Weise gelöst, die Kinder sind groß oder irgendwo untergebracht oder auch gar nicht vorhanden. Aber trotzdem bleibt ein Unbehagen an den Strukturen, obwohl sie jetzt alle ge-gender-mainstreamt. Die Erkenntnis lautet: Es war nicht nur die Hausarbeit, die uns davon ferngehalten hat, sondern irgendwie wollen wir da auch nicht mit derselben Dringlichkeit hin wie viele Männer. Darüber müssten wir mal reden.

Die italienische Journalistin Maria Terragni hat ein Buch geschrieben über das »Verschwinden der Frauen«. Und das beobachte ich auch. Wenn öffentliche Posten ausgeschrieben werden, dann finden sich regelmäßig zu wenige Frauen, die daran Interesse haben, und ich selber habe auch keins. Aber die Männer haben nach wie vor. Und da wir ja inzwischen die Gleichberechtigung haben, fällt niemand etwas auf. Einige Frauen sind ja immer dabei, die sich bereiterklären oder darauf auch Lust haben – und die restlichen Posten übernehmen weiterhin die Männer, jetzt sogar noch mit dem guten Gewissen, dass sie ja Frauen nicht mehr diskriminieren. Der entscheidende Punkt ist: Sie merken gar nicht, dass ihnen etwas fehlt.

Was mir also zu kurz kommt im gegenwärtigen Mainstream-Feminismus ist die Frage nach der weiblichen Dissidenz, dem weiblichen Unbehagen an dem Vorgefundenen. Die Emanzipation hat erreicht, dass Frauen mitmachen dürfen. Aber sie hat nicht erreicht, dass man es für wichtig hält, was Frauen zu sagen haben. Oder anders gesagt: Ich darf als Frau heute zwar gleich sein. Aber darf ich auch anders sein?

Eher nicht, wenn wir uns etwa den Fall Andrea Ypsilanti anschauen. Die Kampagne gegen sie hatte ja ganz offensichtlich frauenfeindliche Züge. Aber es gab keine Frauensolidarität mit ihr, fast als hätten wir uns alle geschämt, dass eine von uns auf diesem politischen Parkett so versagt und so »unbelehrbar« ist, wie die Zeitungen schrieben. Und nach dieser Lektion werden noch weniger Frauen, die etwas verändern wollen in der Welt und sich eben nicht einfach nur in die vorgefundenen Strukturen hinein emanzipieren, die Initiative ergreifen.

Mein Eindruck ist also, dass Frauen es zunehmend aufgegeben haben, öffentlich eine andere Meinung zu vertreten als der Mainstream. Und das liegt nicht mehr daran, dass wir uns nicht trauen würden, öffentlich zu sprechen, wie noch viele aus der Generation meiner Mutter. Eher haben wir den Eindruck, es hat sowieso keinen Zweck.

Es liegt auf der Hand, dass dieser Rückzug der Frauen gefährlich ist für die Welt, weil die männlichen Lösungen keine sind – und ich bin überzeugt, dass die meisten Probleme dieser Welt von der Finanzkrise bis zum Klimawandel etwas mit der männlichen symbolischen Ordnung zu tun haben. Und dagegen hilft die Emanzipation der Frauen gerade nicht, sondern sie kann im Gegenteil sogar dazu missbraucht werden, dieses System zu stabilisieren – siehe eben Krippenplätze für Leistungsträgerinnen zur Steigerung der kapitalistischen Effizienz.

Aus meiner Generationensicht würde ich also sagen, dass die Aufgabe des Feminismus heute darin liegen müsste, Wege aufzuzeigen, wie eine Frau sich mit ihren eigenen Wünschen in die Welt handelnd einzuschalten kann, nicht in der Absicht, »erfolgreich« zu sein und sich männliche Positionen zu erobern, sondern um die Welt und die vorgegebenen Strukturen ihren eigenen Wünschen gemäß zu verändern. Den Weg der Anpassung haben wir ausprobiert und für nicht geeignet gefunden. Es funktioniert nicht, dass wir erst die besseren Männer werden und ihre Methoden und Strategien erlernen, um dann etwas zu reparieren, das ja gerade wegen dieser Methoden überhaupt nur kaputt gegangen ist.

Wir melden uns also erst dann wieder zu Wort, wenn wir auch gehört werden, wenn ein Interesse an uns besteht, nicht an unserer Nützlichkeit für die Allgemeinheit, sondern an dem, was wir an Anderem einzubringen haben. In diesem Sinne ende ich an dieser Stelle mit einem vorläufigen Appell für mehr weibliche Dissidenz, also für eine neue feministische Revolution jenseits der Emanzipation.


Statement bei einer Podiumsdiskussion zum Internationalen Frauentag am 8.3.2009 in Bad Schwalbach