Für Frauen alles wie bisher? Geschlechterrollen in der Science-Fiction-Literatur
in: Efi 1/2014
Die Zukunft ist ziemlich, naja, bieder. Zwar gibt es Raumschiffe, die Menschen haben längst Kolonien auf anderen Planeten gegründet, und Lebensformen aus blauer Geleemasse sind ganz normal. Nur eines ist wie immer: Frauen sind Hausfrauen und zu logischem Denken kaum in der Lage. Jedenfalls ist das so in den Zukünften, die Philip K. Dick, einer der bekanntesten und erfindungsreichsten Science Fiction-Autoren, entwirft.
Ebenso phantasielos war der Fernsehsender NBC, der ab 1964 die Serie Star Trek (in Deutschland: „Raumschiff Enterprise“) ausstrahlte. Deren Erfinder Gene Roddenberry wollte den ersten Offizier seiner Crew mit einer Frau besetzen, den zweiten Offizier mit einem Außerirdischen. Doch für NBC waren das zu viele „Aliens“ auf der Kommandobrücke – schließlich blieb Spock mit seinen spitzen Ohren übrig, die weibliche Offizierin wurde gestrichen.
Für eine Feministin ist es fast schon lustig, zu sehen, wie grandios männliche SF-Autoren an der Geschlechterdifferenz scheitern. Für sie sind Frauen schlicht „Aliens“. Dabei bieten andere Planeten und neue Technologien doch eigentlich ein ideales Umfeld für neue Konzepte der Geschlechterdifferenz. Das zeigen die vielen Autorinnen, die das Genre entsprechend nutzen.
Ursula K. LeGuin zum Beispiel, eine Pionierin der feministischen SF-Literatur, entwirft in ihrem Roman „Winterplanet“ eine Welt, in der Menschen kein festes Geschlecht haben, sondern nur hin und wieder weiblich oder männlich werden, um Kinder zu bekommen. Oder Majel Barrett, die in den 1990ern die Fernsehserie „Mission Erde“ initiierte (nach einer Idee ihres verstorbenen Mannes Gene Roddenberry): Darin kommen die geschlechtslosen „Taelons“ auf die Erde. Allerdings zeigen diese Geschichten auch, dass die „Abschaffung“ des Geschlechts nicht wirklich weiter hilft. Denn obwohl zum Beispiel die Taelons sogar von Frauen gespielt werden, wirken sie, genauso wie Le Guins Winterplanetarier, doch irgendwie „männlich“.
Andere Autorinnen haben dezidierte Frauenwelten geschaffen, in denen es keine Männer (mehr) gibt. Die Pionierin ist hier Charlotte Perkins Gilman mit ihrem bereits 1918 erschienen Roman „Herland“. Besonders beliebt wurde der Plot aber erst in den 1970er Jahren. Autorinnen wie Françoise d’Eaubonne („Mandelplanet“), Joanna Russ („Planet der Frauen“) oder Sally Miller Gearhart („Wanderland“) erzählten damals von Frauengesellschaften, die eindeutig weiblich konnotiert sind – es gibt zum Beispiel Menstruationsriten, Telepathie, Wertschätzung der Mütter. Allerdings wird die Handlung erst dann wirklich spannend, wenn die Zweigeschlechtlichkeit doch wieder ins Spiel kommt. Wenn das Land zum Beispiel von männlichen Reisenden entdeckt wird oder Erinnerungen an die Zeit vor der Ausrottung der Männer hochkommen.
Die interessantesten SF-Romane sind daher die, die das Thema „Differenz“ in einem weiteren Sinne bearbeiten. Das gilt etwa für die Geschichten von James Tiptree Jr: Unter diesem Pseudonym veröffentlichte die Psychologin Alice Sheldon jahrelang SF-Geschichten und wurde dafür als junger, aufstrebender Autor gefeiert – bis sich herausstellte, dass sie in Wahrheit eine ältere Dame ist.
Lesenswerte Romane, die das Aushandeln von Differenzen in den Mittelpunkt stellen, sind zum Beispiel „Anarres“ von Ursula K. LeGuin, „Die Frau am Abgrund der Zeit“ oder „Er, Sie und Es“ von Marge Piercy, aber auch Werke jüngerer Autorinnen wie Mary Doria Russell („Sperling“) oder Linda Nagate (»Götterfunke«).
Bei ihnen allen zeigt sich, dass die Lösung für das Problem der Geschlechterdifferenz ebenso wie für die Begegnung mit dem oder der Fremden generell, in der Erkenntnis liegt, dass es keine „Lösung“ geben kann. Weil das Problem nämlich kein Problem ist, sondern eine Frage der Perspektive: Worauf es ankommt ist, die eigenen Maßstäbe anderen nicht überzustülpen, sondern die Pluralität der Lebensformen als Bereicherung zu verstehen. Egal ob die „Aliens“ nun die Frauen sind oder andere „Andere“.