Fünf Punkte für die Zukunft der Bewegung
Bis vor kurzem galt es als hoffnungslos antiquiert, sich zur Gattung »Feministin« zu zählen. Heute ist das Label plötzlich wieder en Vogue, sogar Ministerinnen und Mainstream-Autorinnen bekennen sich dazu. Und selbst jene besonders kapriziöse Spezies entdeckt das F-Wort wieder für sich, die wir schon fast abgeschrieben hatten: die jungen Frauen. Na wunderbar! Die Frage ist nur: In welche Richtung soll es gehen? Hier sind fünf Punkte, die meiner Ansicht nach jetzt auf die Agenda der Bewegung gehören:
1. Die Suche nach dem »richtigen« Feminismus aufgeben.
Die Frauenbewegung ist heute in viele Parallelwelten zersplittert: Universitäre Genderstudies, spirituelle Ritualkreise, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Business-Networkerinnen, Queer-Aktivistinnen oder Matriarchatsforscherinnen – und jede Gruppe beschuldigt die andere, keine »richtige« Feministin zu sein. Insofern ist der als »Zickenkrieg« inszenierte Medienstreit zwischen »jungen« und »alten« Feministinnen zwar eine falsche Skandalisierung (weil die Trennungslinie nicht wirklich zwischen Altersgruppen verläuft), aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Wenn Frauen das Engagement andersdenkender Frauen im Namen des »richtigen« Feminismus ignorieren oder lächerlich machen, schwächen sie die weibliche Autorität insgesamt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist kein Appell für mehr Frauensolidarität. Ich finde, Feministinnen sollten sich durchaus öffentlich streiten. Aber eben über ihre unterschiedlichen Inhalte, über ihre divergierenden Urteile und Ansichten, und nicht darüber, wem das Label »Feministin« gebührt und wem nicht.
2. Einen echten Dialog mit Männern führen.
In den vergangenen Jahrzehnten ist es gelungen, Gesetze und bürokratische Regeln so zu gestalten, dass Männer in vielerlei Hinsicht ihr Verhalten gegenüber Frauen verändern mussten. Solange sie aber nicht wirklich verstehen, warum es zum Beispiel wichtig ist, inklusive Sprache zu benutzen, einen gewissen Anteil von Frauen in Gremien zu haben oder Zeit für Hausarbeit aufzuwenden, bleibt es mühsam und es besteht immer die Gefahr eines »backlash«. Wie können wir mehr Männer davon überzeugen, dass die Anliegen der Frauenbewegung wichtig sind? Damit wir nicht dauernd mit der Peitsche hinter ihnen stehen müssen? Einfache Appelle im Sinne von »die Männer müssen…« helfen da nicht weiter, schon gar nicht, wenn sie wie so häufig in reinen Frauenkontexten geäußert werden. Mit dem ganzen Thema sollten wir phantasiereich und undogmatisch experimentieren – was im Übrigen auch bedeutet, die Männer als Gesprächspartner mit ihrer Kritik und ihren Vorbehalten gegen den Feminismus (oder das, was sie darunter verstehen) ernst zu nehmen.
3. Feminismus zum kulturübergreifendes Projekt machen.
Noch immer ist der Feminismus in Deutschland, und zwar in allen seinen »Fraktionen«, überwiegend eine Angelegenheit weißer, mittelständischer Frauen. Das schwächt die Bewegung enorm und birgt sogar große Gefahren (zum Beispiel, weil der interkulturelle Dialog in Deutschland gegenwärtig zu einer Angelegenheit konservativer Männer zu werden droht). Um das zu ändern, ließe sich einiges von den »postcolonial Studies« in den USA lernen. Vor allem aber braucht es konkrete Beziehungen zu Frauen aus anderen Kulturen, die auf einem echten Interesse aneinander basieren – und das auch dann, wenn diese nicht die Glaubenssätze des westlich-emanzipatorischen Feminismus teilen. Vielleicht gibt es ja auch noch andere Wege zu weiblicher Freiheit. Das ist im Übrigen kein Kulturrelativismus, sondern die einzige Chance, die wir haben, um Frauen aus anderen Kulturen eventuell vom Wert »westlicher« Errungenschaften zu überzeugen.
4. Der neoliberalen Einverleibung feministischer Forderungen entgegentreten.
Zurzeit ist die Wirtschaft sehr an der Verfügbarmachung qualifizierter, leistungsfähiger Frauen als »Human Resources« interessiert. In diesem Kontext werden alte feministische Forderungen wie Kinderkrippen, Entlastung der Frauen von Haus- und Familienarbeit sowie die Selbstverständlichkeit weiblicher Erwerbsarbeit politisch konsensfähig. Das ist einerseits natürlich schön. Andererseits war der Feminismus aber immer mehr als ein Hilfsmittel zur Optimierung des Kapitalismus, nämlich eine soziale Bewegung, die über die Grenzen des Gegebenen hinausführt. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren – und auch jenen neubekehrten Feministinnen vermitteln, die mit der Geschichte der Frauenbewegung vielleicht nicht so vertraut sind.
5. Postpatriarchale Weltgestaltung statt Kampf für Fraueninteressen.
Viele Konfliktlinien, die früher zwischen Frauen und Männern verliefen, verlaufen heute anderswo: Zwischen gut und schlecht Verdienenden, zwischen Erwerbsarbeitenden und Arbeitslosen, zwischen denen, die für Kinder oder Kranke sorgen und denen, die das nicht tun. Mit Statistiken über prozentuale Frauenanteile hier und da lässt sich das nicht mehr angemessen analysieren. Deshalb wird die Frauenbewegung in Zukunft noch weniger als bisher einfach nur für »Fraueninteressen« eintreten können. Worum es vielmehr geht, ist postpatriarchale Weltgestaltung in einem umfassenden Sinn: um die Frage, wie denn in Zukunft diese Welt und das Zusammenleben aller Menschen auf eine gute Weise gestaltet werden soll.
in: Wir Frauen, 3/2008
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