Zukunft der Frauenbewegung
Die Frauenbewegung war die erfolgreichste politische und soziale Bewegung, die unsere Gesellschaft je erlebt hat. Vor etwa hundert Jahren, in der so genannten 1. Frauenbewegung, erkämpften Frauenrechtlerinnen die formale, rechtliche Gleichstellung der Frauen. In den letzten 30, 40 Jahren folgte die soziale Befreiung von festgelegten Rollenmustern, die Diskussionen über Sexualität, Generationenbeziehungen, weibliche Freiheit in einem weiteren als nur in einem formalen Sinn.
Das Verhältnis der Geschlechter hat sich im letzten Jahrhundert sehr verändert, im Osten wie im Westen, auch wenn die Entwicklungen unterschiedlich abgelaufen sind. Damit meine ich eben nicht nur die rechtlichen und formalen Erfolge, dass frauendiskriminierende Gesetze geändert wurden und Frauen Bundeskanzlerinnen werden und dergleichen. Was sich vor allem verändert hat, ist das Selbstbild der Frauen: Sie glauben, der Frauenbewegung sei dank, heute nicht mehr, dass sie schwächer und weniger wert sind als Männer. Ja, die Frauenbewegung hat viele Ziele erreicht.
Manche sagen deshalb, der Feminismus sei überflüssig geworden.
Ich glaube, das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, dass gerade in einer Gesellschaft, in der Frauen nicht nur rechtlich gleichgestellt sind, sondern auch faktisch Einfluss haben, der Feminismus wichtiger ist, denn je.
Nicht nur deshalb, weil es mit der Gleichberechtigung der Frauen noch nicht überall hundertprozentig klappt, weil es immer noch Machos, Diskriminierung, Hürden und Hindernisse für Frauen gibt.
Sondern weil es auch trotz Gleichberechtigung und Emanzipation in dieser Gesellschaft und in der Welt noch eine Menge Probleme gibt.
Und weil, davon bin ich überzeugt, dass die Frauenbewegung und der Feminismus Antworten anzubieten haben auf diese gesellschaftlichen Probleme. Anders gesagt: Je mehr Möglichkeiten und Einfluss Frauen in der Welt haben, umso größer ist auch ihre Verantwortung, umso wichtiger ist, was sie tun und lassen, was Frauen denken und sagen, wie sie handeln. Umso wichtiger ist also auch der Feminismus, nämlich die Reflektion über das Frausein.
Der Kampf gegen Diskriminierung und Ungleichheit war ja immer nur ein Teilaspekt der Frauenbewegung. Sogar eher ein nebensächlicher, wenn man sich die Jahrhunderte zuvor ansieht oder auch das Engagement von Frauen heute in vielen Teilen der Welt. Schon immer ging es nicht nur darum, die Interessen von Frauen als spezieller Gruppe zu vertreten, sondern um soziale Fragen, um Umweltthemen, um Wirtschaft, um Kultur. Das wesentliche Anliegen des Feminismus, der politischen Ideen von Frauen und ihrer politischen Praxis ist die Suche nach Ideen und Wegen für ein gutes Zusammenleben aller Menschen auf dieser Erde.
Der Feminismus stellt bei all dem die Frage nach einer freien Bedeutung der sexuellen Differenz, danach also, was es bedeutet, eine Frau zu sein, und wie ich, eine Frau, ausgehend von dieser Tatsache sinnvoll in der Welt tätig werde.
Und diese Frage gewinnt gerade in emanzipierten Zeiten eine immer größere Bedeutung. Denn die Verantwortung der Frauen liegt jetzt ja viel offensichtlicher zu Tage, als in Zeiten offener Diskriminierung und Unterdrückung. Wir haben viele Frauen in wichtigen Positionen, die für weit reichende Entscheidungen verantwortlich sind. Wir haben Frauen in den Medien und in der Politik. Wir stehen im Berufs- und im Familienleben. Wir haben Entscheidungen zu treffen, die gesellschaftspolitische Auswirkungen haben: Bekommen wir Kinder? Wie viele? Welchen Beruf ergreifen wir? Wie gestalten wir das Arbeitsleben? Wo und wie engagieren wir uns politisch?
Es gibt, zumindest in unseren emanzipierten Gesellschaften, keine klaren Rollenzuweisungen an Frauen mehr, an die wir uns anpassen oder gegen die wir rebellieren könnten. Eine Frau, die Karriere macht, wird von den einen gelobt, von den anderen angegriffen. Gleiches gilt für eine Frau, die ihre Berufstätigkeit wegen Kindern unterbricht. Jede Frau muss also zu einem eigenen Urteil kommen. Welche Antworten hat der Feminismus auf die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit anzubieten?
Es sind vor allem zwei Themenkomplexe, die meiner Meinung nach derzeit besonders aktuell sind.
Erstens: Das Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft, die Auflösung klassischer Berufsbiografien und die damit verbundene Bedrohung der gewohnten sozialen Absicherung und damit zusammenhängend all die Diskussionen um Hartz IV, die älter werdende Gesellschaft, die Geburtenentwicklung, die Bildungsmisere, die Frage nach Lebenssinn, den Beziehungen der Generationen und so weiter.
Zweitens: Die Notwendigkeit, zu einem neuen, sinnvollen Umgang mit dem Anderen, dem Fremden zu kommen in Zeiten, wo die Gesellschaft in immer mehr Minderheitskulturen auseinander fällt. Hierzu gehören die Diskussionen um den Islam, die Suche nach einer Leitkultur, die Frage, wie wir gemeinsam eine Gesellschaft bilden können angesichts gegensätzlicher Kulturen, Meinungen, Weltanschauungen.
Dass diese beiden Problemstellungen ganz eng mit dem Feminismus verknüpft sind, liegt auf der Hand, und sie werden nicht zufällig in der öffentlichen Diskussion in der Tat oft als »Frauenfragen« diskutiert: Beim ersten Punkt unter dem Stichwort Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. der Frage, wie viele Kinder Frauen bekommen. Beim zweiten Punkt im Hinblick auf die zunehmende Unterdrückung muslimischer Mädchen und Frauen und unter dem Stichwort »Kopftuchfrage«.
Beiden Themenfelder – und auch viele anderen – lassen sich unter dem Stichwort »Ende des Patriarchats« beleuchten. Das klingt vielleicht auf den ersten Blick paradox, wenn man unter Patriarchat einfach alles Böse zusammenfasst und alle Widrigkeiten, mit denen Frauen zu kämpfen haben und feststellt, dass das das Leben für Frauen nicht unbedingt leicht und rundum rosig geworden ist.
Was ich meine, wird aber in folgender Beschreibung sehr deutlich, die Fadela Amara in ihrem Buch »Weder Huren noch Unterworfene« von der Situation in den französischen Vororten gibt. Sie sucht nach Erklärungen dafür, warum sich die Situation der muslimischen Mädchen dort seit Anfang de 90er Jahre so extrem verschlechtert hat, die sexistische Gewalt gegen sie zugenommen hat und ihre Bewegungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird, und sie schreibt:
»Diese Verschlechterung fiel in eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit, die sich in den Banlieues verheerend auswirkte. Die Einwanderer waren die ersten, die entlassen wurden und die Väter standen ohne Arbeit, ohne sozialen Status da. Dieser erzwungene Wechsel von der Fabrik in die Untätigkeit veränderte das hierarchische Gefüge in den Familien völlig und erschütterte die Autorität der Väter nachhaltig. Bisher war ihnen jegliche Entscheidungsgewalt vorbehalten, sie bestimmten die Regeln des Zusammenlebens und schlichteten Konflikte zwischen Brüdern und Schwestern. Durch die Arbeitslosigkeit verloren die Väter all diese Vorrechte, die nun an die ältesten Söhne übergingen. Die Väter wurden so ihres Platzes beraubt.«1
Dies ist eine exakte Beschreibung des Verfalls einer alten Ordnung, der patriarchalen Ordnung nämlich, der Herrschaft des Vaters. Die Autorität des Vaters ist verschwunden. Der Übergang der Kontrolle von den Vätern an die Brüder ist aber nicht einfach der Übergang der Kontrolle von einem Mann an den anderen und damit einfach nur das Patriarchat in neuem Gewand. Sondern es ist etwas anderes, etwas Neues.
Das Patriarchat war eine Ordnung, zwar eine schlechte, aber eine Ordnung, die Beziehungen regelte und strukturierte, wenn auch in Abwesenheit der weiblichen Freiheit, weshalb wir zu Recht dagegen gekämpft haben. Aber die Brüderherrschaft ist keine Ordnung mehr, es ist Unordnung. Es gelingt ihr gerade nicht , Beziehungen zu ordnen und zu strukturieren, nicht einmal schlecht, im Gegenteil: Beziehungen zwischen Frauen und Männern, zwischen Eltern und Kindern werden systematisch zerstört, es herrscht Heuchelei, Lüge, pure Gewalt. Denn die Brüder haben zwar die Macht der Väter an sich gerissen, sie haben aber nicht deren Autorität. Sie werden gefürchtet, nicht respektiert.
Ich möchte daran erinnern, dass auch die heute emanzipierten Gesellschaften eine ähnliche Entwicklung durchlaufen haben. Die Massenarbeitslosigkeit und der hierdurch bewirkte Autoritätsverlust des Vaters, der seine ureigene patriarchale Aufgabe, nämlich für Frau und Kinder zu sorgen, nicht mehr erfüllen konnte, fanden hier aber bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts statt. Sie führten hier ebenfalls zu gewalttätigen und zerstörerischen Selbstbehauptungen des Männlichen, nämlich dem Faschismus und dem Nationalsozialismus. Und wenn wir heute einen Blick in die deutschen Teile der Gesellschaft werfen, die besonders von Massenarbeitslosigkeit geplagt, bestimmte Regionen in Ostdeutschland oder im Ruhrgebiet etwa, dann fällt ja auch hier die Zerstörungswut und Sinnlosigkeit der jungen Männer, die keinen positiven, konstruktiven Zugang zu ihre Männlichkeit finden können, auf der Hand.
Ich glaube deshalb nicht , dass es sich hierbei um einen Kampf der Kulturen oder der Religionen handelt. Es ist vielmehr das Problem einer zusammengebrochenen Ordnung, an deren Stelle noch keine neue Ordnung getreten ist, sondern Chaos und Unordnung.
Und genau dies ist meiner Meinung nach die Herausforderung, vor der der Feminismus, die Frauenbewegung heute steht. Welche Antwort haben wir für diese Notwendigkeit, eine neue, nachpatriarchale Ordnung zu schaffen?
Ich bin überzeugt, dass der Feminismus dafür schon viele gute Antworten gefunden hat, ja, ich bin sogar davon überzeug, dass die weibliche Freiheit geradezu im Zentrum der Lösung all dieser Dinge steht. Allerdings müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, warum das bislang so wenig gesellschaftlich sichtbar geworden ist. Frauen untereinander haben in vielerlei Hinsicht bereits neue Kulturen entwickelt – angefangen von scheinbaren Äußerlichkeiten wie der Gestaltung von Räumlichkeiten über ihr Gesprächsverhalten bis hin zu den Themen, die sie für wichtig erachten – und sie haben auch viel theoretisch gearbeitet, die männerzentrierte Geschichte hinterfragt, neue philosophische Ansätze erfunden und so weiter. Ich glaube jede von ihnen, die zuweilen in dem unterwegs ist, was wir »Frauenzusammenhänge« nennen, weiß um diesen Unterschied.
Aber auf die Mainstreamkultur hatte das, wie wir zugeben müssen, noch nicht sehr große Auswirkungen. Frauen haben zwar Zugang zu Institutionen und Politik, aber sie spielen dort meist nach männlichen Regeln mit. Frauen haben zwar längst neue Kriterien für das Zusammenspiel von Familien- und Erwerbsarbeit entwickelt und richten sich selbst oft danach, es ist aber noch nicht wirklich gelungen, auch die Männer davon zu überzeugen. Das ist ein wirkliches Problem.
Ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass uns im Zuge der Emanzipation auch der Begriff des Frauseins selbst entglitten ist. Wenn nicht klar ist, was überhaupt das Frausein ausmacht, dann kann man auch nur schwer über das sprechen, was eine weibliche Kultur ausmacht.
Also: Was bedeutet es heute überhaupt noch, eine Frau zu sein? Darüber besteht großes Rätselraten.
Die beiden traditionellen Antworten, die in der Frauenbewegung seit jeher miteinander im Klinsch liegen – unter dem Stichwort Gleichheit versus Differenz – sind offenbar nicht mehr attraktiv, vor allem nicht für junge Frauen.
Weder möchten sie sich denen anschließen, die die Tatsache, dass es Frauen gibt, schlicht für eine gesellschaftliche Konstruktion halten, die es zu dekonstruieren gilt, und deren Ziel eine Auflösung, gar eine Abschaffung der Geschlechter ist hinzu einem allgemein Menschlichen, das sich nur noch in individuelle Unterschiede aufgliedert. Die Versuchung des Neutrums, hat das die italienische Philosophin Wanda Tommasi einmal genannt. Der Dekonstruktivismus ist zwar in akademischen Kreisen nach wie vor beliebt, für die meisten realen Frauen aber offenbar keine Verlockung mehr. Im Gegenteil. Bei ihnen ist offenbar die Betonung der Weiblichkeit in Kleidung, Verhalten, Gestus wieder in. Damit droht aber die gegenteilige Versuchung des Biologismus, wonach die Tatsache des Frauseins aus der Evolution, den Genen, den Hirnströmen oder was weiß ich hergeleitet wird. Auch dies ist aber nicht wirklich verlockend, denn wer will schon in der eigenen Freiheit dermaßen eingeschränkt sein.
Was aber dann? Damit die Lösungen, die der Feminismus und eine freie weibliche Kultur für die gesellschaftlichen Probleme anzubieten haben, auch als solche in der Gesellschaft wirken und ihr nützlich sein können, brauchen wir ein neues, freies Verständnis der sexuellen Differenz, das über die Alternative Gleichheit versus Biologismus hinaus geht.
Ich möchte versuchen, ein Verständnis vom Frausein zu entwickeln, das sich an der Freiheit orientiert und nicht an der Abgrenzung oder Angleichung zum Mannsein. Frauen sind nicht von ihrer Biologie, ihrer Erziehung, ihren Genen und Hirnströmen festgelegt, auch wenn das alles immer eine Rolle spielt, weil wir als Menschen eben mit einem Körper und einer Geschichte ausgestattet sind und davon geprägt sind. Aber trotzdem sind Menschen frei, zu handeln. Und ihr Frausein ist dabei keineswegs bedeutungslos – nur dass diese Bedeutung ebenfalls frei ist, das heißt, sie steht nicht von vornherein und unverrückbar fest. Sondern wir selbst sind es, die durch unser Handeln und Sprechen jeweils dem Frausein eine Bedeutung geben (oder auch nicht).
Und das ist genau die Kernfrage des Feminismus: Wie handeln wir, die wir Frauen sind, in dieser Welt angesichts der Probleme, die sich stellen? Wie nehmen wir unsere Verantwortung wahr, heute, wo wir, der Frauenbewegung sei Dank, Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen haben? Wie entscheiden wir uns heute, wo der Lebensweg einer Frau nicht mehr fremdbestimmt und gerade vor ihr liegt? Und wo finden und stärken wir die weibliche Autorität, die uns mit ihrer Weisheit, ihrer Erfahrung, ihrem Rat hilft, all diese Entscheidungen zu treffen und so die Welt und diese Gesellschaft zu gestalten?
Kurz und gut, die zentrale Frage des Feminismus ist heute folgende: Frauen können alles – aber was wollen sie?
Ich möchte diese Frage ganz einfach beantworten. Frauen wollen:
etwas anderes als Männer und
etwas anderes als andere Frauen
Zunächst zu Punkt 1:
Frauen wollen etwas anderes als Männer
Um ein derzeit aktuelles Thema zu nehmen, die Diskussion um – angeblich – sinkende Kinderzahlen und die Geburtenrate, dann heißt das zum Beispiel: 11 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter sagen, sie wollen keine Kinder haben, aber 26 Prozent aller Männer der gleichen Altersstufe.
Würde man die These, dass Frauen etwas anderes wollen als Männer, außer Acht lassen, könnte man natürlich einfach sagen: 18 Prozent aller Menschen wollen keine Kinder. Es fällt ins Auge, dass das ein schiefes Bild ergäbe, weil es weder die Wünsche der Männer noch die der Frauen adäquat ausdrückt. Trotzdem wird bei vielen politischen Themen so vorgegangen.
Nun, bei der Geburtenrate allerdings nicht, weil hier die Relevanz dieser Unterscheidung evident ist. Ich glaube übrigens, wenn man in die Berechnung auch diejenigen einbeziehen würde, die schon Kinder haben, also Mütter und Väter, wenn man also fragen würde, wie viel Prozent mehr Kinder haben wollen, als sie faktisch haben (also nicht nur das erste Kind einbeziehen würde), dann würde der Unterschied noch viel größer ausfallen.
Es geht aber auch bei jedem anderen Thema: 18 Prozent der Frauen interessieren sich für die Fußball-Bundesliga, aber über 50 Prozent der Männer. Mehr Frauen als Männer studieren humanistische Fächer, bei den Naturwissenschaften ist es anders herum. Viel mehr Frauen als Männer machen Hausarbeit. Viel, viel mehr Männer als Frauen nehmen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Frauen lesen mehr Belletristik, Männer mehr Sachbücher oder gar nichts. Muslimische Mädchen machen in der Regel viel bessere Schulabschlüsse als muslimische Jungen. Und so weiter, und so weiter.
Also, wie interpretieren wir diese Befunde? Dass Frauen sehr viel mehr Kinder haben wollen, als Männer? Dass sie nicht so gerne ins Fußballstadion gehen? Dass sie lieber Germanistik studieren als Informatik?
Man könnte natürlich auf die alte Erklärung zurückgreifen, dass das etwas mit der Biologie zu tun hat. Man könnte sagen, Frauen haben ein Mutterschaftsgen oder sie denken weniger rational als Männer (sonst würde ihnen auch auffallen, dass sich Kinder wirtschaftlich nicht rechnen) oder dergleichen.
Eine andere beliebte Erklärung ist die Erziehung, die Sozialisation. Man könnte also sagen, weil Frauen von klein auf mit Puppen gespielt haben und Männer nicht, wollen sie mehr Kinder.
Ob dies so ist oder nicht und in welchem Ausmaß, darüber lässt sich lange streiten und das wird ja auch oft getan, aber ich möchte hier die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt richten: Auch wenn wir davon ausgehen, dass jede Frau, wie auch jeder Mann, nicht im luftleeren Raum schwebt, sondern in einer bestimmten historischen Situation lebt und geprägt ist von deren Werten, auch wenn jede Frau, wie auch jeder Mann, einen Körper hat, der sie in Zeit und Raum festhält und ihr Handeln prägt und beeinflusst, so ist doch weder der eine noch der andere Faktor allein ausschlaggebend für das, was sie oder er tut. Es gibt immer auch einen Anteil, der abhängt vom eigenen Urteil, vom persönlichen Begehren, von den eigenen Entscheidungen. Und auf die kommt es an.
Freiheit existiert nicht nur da, wo wir unabhängig sind von unserer Geschichte, unserer Erziehung, unseren Eltern, unserem Körper. Die alte, männliche Gleichsetzung von Freiheit und Autonomie ist überholt. Wir handeln frei, gerade innerhalb des Beziehungsnetzes, in das wir hinein geboren sind. Wir müssen uns nicht erst davon distanzieren, mit unserer Mutter brechen, die uns Körper und Kultur und Sprache gegeben hat, um frei zu werden. Wir sind schon frei, gerade in den Beziehungen, in denen wir stehen, und die immer auch veränderbar sind und die wir mit unseren Wünschen mitgestalten.
Und wenn das so ist, wenn wir also der Idee einen Raum geben, dass dort, wo Frauen etwas anderes tun und wollen als Männer, sich neben allen Konditionierungen und Biologismen auch weibliche Freiheit niederschlägt – dann ist es eine sehr interessante Beobachtung, wenn wir feststellen müssen, dass die gesellschaftliche Realität meist sehr viel mehr den Wünschen der Männer entspricht, als denen der Frauen.
Ungefähr 30 Prozent aller Menschen bleiben kinderlos, was sehr viel näher bei dem Wunsch der Männer als bei dem der Frauen liegt. Der Fußball genießt eine mediale Aufmerksamkeit und finanzielle Förderung, die völlig unangemessen wäre, würde sich nur ein Fünftel der Bevölkerung dafür interessieren. Teilzeitarbeit ist – vor allem in qualifizierten Berufen – schwer zu ergattern. Und so weiter und so fort.
Manchmal wird diese Übereinstimmung der Realität mit den Wünschen der Männer sogar noch den Frauen selbst angelastet. Dass ihre Entscheidungen anders ausfallen, als die der Männer, wird als falsch angesehen: Frauen studieren die falschen Fächer, deshalb machen sie keine Karriere. Frauen wollen nur Teilzeit, da brauchen sie sich nicht zu wundern, dass das mit dem Geldverdienen nix wird und so weiter.
Und das, obwohl es doch aus vielerlei Gründen wünschenswert wäre, wenn das Wollen der Frauen mehr zum Zuge käme: Aus demografischen Gesichtspunkten werden zu wenige Kinder geboren, ist die Erwerbsarbeitsgesellschaft am Ende und so weiter.
Die politische Frage lautet also, wie dem Wollen der Frauen zu mehr Bedeutung verholfen werden kann – und zwar nicht nur im Interesse der Frauen, sondern in dem der gesamten Gesellschaft.
Frauen wollen etwas anderes, als andere Frauen
Und für diese Frage nun ist die 2. These von entscheidender Bedeutung: Frauen wollen etwas anderes, als andere Frauen.
Im Bezug auf die Kinderfrage heißt das zum Beispiel: Manche Frauen wollen keine Kinder, andere wollen eines, wieder andere zwei, noch andere drei, vier oder fünf. Viele Frauen wollen diese Kinder zusammen mit einem Mann großziehen, andere aber auch allein oder zusammen mit einer anderen Frau. Im Bezug auf das Berufsleben wollen die einen Karriere machen, die anderen Teilzeit arbeiten, legen wieder andere mehr Wert auf den Sinn der Arbeit, als auf Geld. Manche Musliminnen wollen ein Kopftuch tragen, andere tragen es, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen ohne mit ihrer Familie brechen zu müssen, wieder andere sagen dem Kopftuch den Kampf an.
Faktisch aber wird diese Vielfalt der weiblichen Lebensmodelle nicht akzeptiert. Vielmehr richtet sich alles, die Debatte ebenso wie die politischen Maßnahmen, auf das aus, was man für ein ideales Frauenbild hält.
Im Bereich der Familienpolitik etwa wird nach wie vor die konfektionierte Vater-Mutter-zwei-Kinder-Familie idealisiert. Diese wird größtmöglich gefördert und ideologisch propagiert. Die Entscheidung für Kinderlosigkeit hingegen wird ebenso kritisiert wie die für eine Vielzahl von Kindern stigmatisiert. Alleinerziehende bekommen vergleichsweise wenig Unterstützung, lesbische Paare mit Kinderwunsch sogar allerlei Hürden in den Weg gelegt.
Der Fehler liegt hier – wie bei vielen anderen politischen Themen auch – in der Vorstellung, es gebe ein allgemeines Kollektiv der Frauen, die alle dasselbe wollen oder zumindest wollen sollten. Und dann wird heftig gestritten, nicht darüber, wie wir es erreichen, dass jede Frau das tun kann, was sie für richtig hält, sondern darüber, was eine anständige Frau zu tun hat.
Dem politischen Wollen von Frauen eine Bedeutung zu geben, heißt aber gerade nicht, dass alle Frauen über einen Kamm geschert werden, sondern dass sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit entfalten, und das heißt auch miteinander streiten, voneinander lernen, sich gegenseitig Mut machen oder sich gegenseitig kritisieren. Die Konfektions-Durchschnittsfrau ist keine relevante politische Größe.
Man könnte das jetzt auch in vielen anderen Bereichen anwenden. Zum Beispiel im Hinblick darauf, wie die Erwerbsarbeit zu organisieren ist. Hier lässt sich feststellen, dass Frauen im Schnitt weniger Stunden arbeiten wollen, dass sie mehr Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre legen und dafür weniger Wert auf Geld, dass ihnen der Sinn der Arbeit wichtig ist, dass sie neben der Erwerbsarbeit auch Kapazitäten für Hausarbeit, Fürsorgearbeit, Ehrenamt haben wollen und so weiter.
Es wäre auch hier unbestreitbar gut – angesichts der Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft – wenn dieses Wollen der Frauen politisch Gehör fände. Aber auch hier ist das nur möglich, indem die unterschiedlichen Wege akzeptiert und ermöglicht werden, der der Karrierefrau ebenso wie der der Hausfrau.
Das Wollen der Frauen – das sich in fast allen Bereichen von dem der Männer unterscheidet – darf also nicht wegdiskutiert oder wegerklärt werden. Und es darf auch nicht durch Umerziehungsmaßnahmen einem angeblich weiblichen Idealbild angeglichen werden, weder einem feministischen, noch einem patriarchalen. Das Wollen der Frauen äußert sich nicht in gemeinsamen Parolen und Programmen, sondern darin, dass Frauen sich persönlich, in erster Person, in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen.
Das heißt: Sie diskutieren mit Männern über ihre Wünsche und machen dabei deutlich, dass es hier unter Umständen andere Prioritätensetzungen, Erfahrungen und Perspektiven geht. Sie weisen Männer in die Schranken, wenn diese beanspruchen, im Namen der gesamten, neutralen Menschheit zu sprechen. Sie machen deutlich, dass auch jede Frau, so gesehen, im Namen der gesamten, neutralen Menschheit spricht.
Und das heißt auch: Sie diskutieren mit anderen Frauen darüber, was Frausein heute in dieser Welt bedeuten soll. Sie streiten sich über ihre unterschiedlichen Urteile und Wege. Sie diskutieren auch öffentlich darüber – und machen deutlich, dass es sich hier um eine Debatte unter Frauen handelt mit dem Ziel, neue Ideen, Wege und Vorschläge für die ganze Welt zu erarbeiten und dieser anzubieten. Ein solcher, bewusst geführter Frauendiskurs, der die Differenzen zwischen Frauen sichtbar und relevant macht, wird die weibliche Autorität nicht schwächen, sondern stärken.
Denn natürlich ist nicht alles, was Frauen mehrheitlich wollen, GUT. Dass mehr Frauen als Männer diese und jenes wollen, ist nicht automatisch ein Beweis dafür, dass dies richtig oder im Interesse der Gesellschaft ist, nicht einmal im Interesse der Frauen. Denn es sind gerade die Abweichlerinnen, also diejenigen, die sich gegen die Mehrheitsmeinung ihrer Geschlechtsgenossinnen stellen, die die weibliche Freiheit erweitern können.
Denn das, was Frauen mehrheitlich wollen oder gut finden, ist ja nicht unveränderlich. Es ist eine ständige Diskussion. So kann es durchaus sein, dass in einigen Jahren auch die Hälfte aller Frauen sich für Bundesliga interessiert. Oder genauso wenig Kinder bekommen möchte, wie die Männer. Aber solche Veränderungen in der weiblichen Kultur gehen immer von einigen aus, die vom weiblichen Mainstream abweichen und ihn in Frage stellen. Den Mädchen, die Fußball spielten, obwohl das ein Männersport war. Den Frauen, die Mathematikerinnen wurden, obwohl sie es da ausschließlich mit Männern zu tun hatte. Denen, die für die Straffreiheit von Abtreibung kämpften und für eine freie Sexualität. Denn man darf ja nicht vergessen, dass solche Pionierinnen meistens nicht nur die Männer und die Traditionen, sondern auch die Mehrheit der anderen Frauen gegen sich haben.
Es sind also genau die »Abweichlerinnen«, die weibliche Freiheit befördern. Deshalb ist mir auch sehr mulmig, wenn manchmal kritisiert wird, Frauen würden männliche Verhaltensweisen übernehmen. Meiner Meinung nach ist das gar nicht möglich. Ein Hosenanzug, von einer Frau getragen – und wäre es auch die erste, die das tut – ist nämlcih nicht mehr ein männliches Kleidungsstück, sondern durch ihre freie Tat zu einem weiblichen Kleidungsstück geworden. Mit ihrem Mut, ihrem Wagnis, ihrer Zielstrebigkeit machen gerade die Abweichlerinnen neue Wege für alle Frauen möglich. Und manchmal führt das eben dazu, dass diese neuen Wege zum Mainstream werden, weil viele, viele andere Frauen folgten. So wie das in den letzten Jahren nicht nur mit dem Hosentragen passiert ist.
Aber natürlich ist das, was Frauen machen, die vom allgemeinen Mainstream abweichen, auch nicht von vornherein gut. Denken wir nur an Lynndie England, die amerikanische Soldatin, die Gefangene im Irak folterte und die damit die mögliche Bandbreite des Frauseins um eine in meiner Sicht sehr unerfreuliche Facette erweitert hat, von der ich hoffe, dass sie niemals zum weiblichen Mainstream wird.
Dass das, was Frausein bedeutet, und damit die weibliche Kultur, veränderbar ist, zeigt ebenfalls die große Verantwortung, die wir Frauen heute, wo wir alles tun können, haben. In diesem Zusammenhang finde ich es richtig, eine Debatte über weibliche Tugenden zu führen, wie ich sie in so vielen historischen Äußerungen von Frauen wieder finde, die wir Feministinnen aber lange falsch verstanden haben.
Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal das berühmte Fernseh-Interview von Günter Gaus mit Hannah Arendt aus den sechziger Jahren gesehen habe, ärgerte ich mich sehr über einen Satz, den sie, befragt zu ihrer Meinung über die Frauenemanzipation, darin sagt. Sie sagt: »Es steht einer Frau nicht, wenn sie Befehle erteilt.« Ich habe mich darüber furchtbar geärgert, weil ich das im Licht des Kampfes um gleiche Rechte gesehen habe: Warum eigentlich soll es einer Frau nicht stehen? Warum soll es verwerflich sein, wo doch Männer das auch dürfen?
Was ich dabei übersehen habe ist, dass Hannah Arendt damals schon wusste, was mir erst später, im Zuge der Frauenbewegung klar wurde: Selbstverständlich dürfen Frauen Befehle erteilen. Selbstverständlich wäre es gerecht , wenn es bei ihnen genauso akzeptiert wäre, wie bei Männern. Aber wäre das auch richtig und wünschenswert? Oder würden dabei nicht weibliche Tugenden verloren gehen, die derzeit noch – heute allerdings schon weniger als damals – die weibliche Kultur prägen: Zum Beispiel das Wissen darum, dass sich Konflikte anders lösen lassen als durch Befehl und Gehorsam?
Nein, die weibliche Zivilisation und Kultur ist nicht festgelegt und unveränderbar. Anders gesagt: Wir können uns nicht darauf verlassen, dass sie durch die Natur, die Gene, und so weiter garantiert wird. Sondern sie ist im Wandel – und sie kann daher auch verloren gehen. Wir selbst sind es, die für diese Kultur sorgen müssen, die sich verändern können und die sie täglich verändern mit dem, was wir tun: Zum Besseren wie zum Schlechteren.
Weibliche Freiheit
Und was wäre nun der Maßstab, den wir, den Feministinnen, bei diesen Diskussionen anlegen könnten? Es ist die weibliche Freiheit. Denn diese steht und stand schon immer im Zentrum des Feminismus, sie ist es, der wir alle unsere Möglichkeiten heute zu verdanken haben.
Bevor die Idee der weiblichen Freiheit in der Welt war, gab es für Frauen nur einen Weg, aus vorgegebenen Rollen auszubrechen: Sie mussten ihr Geschlecht ablegen. Frausein und Freisein, das schloss sich gewissermaßen gegenseitig aus. Weshalb von Frauen, die frei waren, die also nicht das taten, was den Erwartungen an weibliches Wohlverhalten entsprach (das auch die Mehrheit der Frauen für richtig hielt), gesagt wurde: Sie tut das, obwohl sie eine Frau ist. So als wäre das Frausein eine Behinderung. Sie trägt Hosen, obwohl sie eine Frau ist, sie kann Mathematik, obwohl sie eine Frau ist, sie bereist ferne Länder, obwohl sie eine Frau ist.
Heute, der Frauenbewegung sei Dank, ist das nicht mehr so. Es waren lange Jahre Selbstfindungsgruppen, theoretischer Arbeit und praktischer Konflikte nötig, um dorthin zu kommen. Um sagen zu können, so wie ich es heute sagen kann: Ich, eine Frau, bin frei. Ich kann etwas anderes tun als alle anderen Frauen, und ich bleibe dennoch eine Frau.
Und genau dies ist auch ein Ausweg aus dem Dilemma einer falschen Alternative von Gleichheit versus Differenz: Die Möglichkeit, dem Frausein eine neue, eine freie Bedeutung zu geben. Die Möglichkeit nämlich, die Geschlechterdifferenz asymmetrisch und ohne bestimmte Inhalte zu denken: Es gibt Frauen und Männer, aber wie diese Differenz inhaltlich gefüllt ist, das wird jederzeit neu ausgehandelt. Kultur, Sozialisation, Biologie, Evolution – das alles spielt dabei eine Rolle, denn wir handeln niemals frei schwebend im Raum, sondern sind eingebunden in historisch gewachsene Umstände, und nur von dort aus können wir handeln. Aber wir können handeln. Diese Umstände, unsere Geschichte, unsere Herkunft sind nicht unser Feind, sondern der Ausgangspunkt und die Grundlage unserer Existenz. Aber bei diesem Ausgangspunkt bleiben wir nicht – wir gehen davon aus – woanders hin. Wohin, ist noch nicht festgelegt. Denn es ist immer möglich, einen neuen Anfang zu machen, neue Ideen zu finden, neue Experimente zu wagen.
Was heißt das nun für konkrete politische Fragen? Dazu möchte ich zum Abschluss einige Punkte aufzeigen, die meiner Ansicht nach heute wichtig sind:
1: Keine Stellvertreterinnenpolitik.Wenn wir von der weiblichen Freiheit ausgehen, dann lässt sich das Wollen, das das Begehren von Frauen nicht politisch zu Gehör zu bringen, indem irgend jemand stellvertretend für »die Frauen« bestimmte Forderungen erhebt. Die Frauenbewegung ist keine Lobbyinitiative zur Durchsetzung von Fraueninteressen. Jede Frau kann nur für sich selbst sprechen – aber genau indem sie das tut, indem als die eine Frau dieses sagt und die andere ihr widerspricht, in dem die eine dies tut und die andere jenes – wirkt weibliche Freiheit in der Welt, und genau das ist das Anliegen des Feminismus immer gewesen und wird es immer sein, in Zeiten des Patriarchats und der Diskriminierung ebenso wie in postpatriarchalen emanzipierten Zeiten. Ich bin der Meinung, in diesen noch mehr als früher. Als Slogan ließe sich das vielleicht so auf den Punkt bringen: Was wir brauchen, ist nicht mehr Frauenpolitik, sondern eine Politik der Frauen.
2. Politik ist überall.Diese Politik der Frauen, die immer eine Politik in erster Person ist,findet nicht nur im Parlament und den Institutionen statt, sondern überall. Überall da eben, wo Frauen sind: In Koalitionsverhandlungen, im Büro, am Küchentisch, in den Medien. Und diese Politik der Frauen ist auch nicht etwas, das erst für die Zukunft eingefordert werden muss, sondern sie ist schon immer der tragende Grund der Frauenbewegung. Diese Politik der Frauen verliert ihre Existenzberechtigung nicht mit einer durchgesetzten Emanzipation. Selbst wenn einmal die perfekte Gleichheit von Frauen und Männern hergestellt ist, wird es noch eine Politik der Frauen geben. Wird es Frauen geben, die ausgehend von ihrem Frausein politisch handeln in der Welt.
3: In die Welt gehen:Ganz entscheidend stellt sich die Frage, wie weibliches Wollen und Wissen besser für die Gesellschaft fruchtbar gemacht wird. Dafür ist derzeit ein guter Zeitpunkt, weil viele Institutionen das Defizit bemerkt haben, die Qualität, die ihnen fehlt, wenn sie Frauen ausschließen. Gender-Mainstreaming zum Beispiel hat ja genau diese Aufgabe, Frauen in Institutionen einzubinden. Wichtig ist hierbei zu sehen, dass es dabei in erster Linie um die Interessen der Organisation geht, nicht um die der Frauen. Daher ist es auch logisch, dass es sich hier um ein Top-Down-Verfahren handelt. Denn die Anliegen von Frauen stimmen ja nur zufällig mit denen dieser oder jener Organisation überein, je nachdem, welche Frau und welche Institution. Gender-Mainstreaming markiert daher keinen Fortschritt im Feminismus, sondern einen Fortschritt im Selbstverständnis von Institutionen: Sie haben nämlich nun verstanden (oder behaupten das zumindest), dass sie ein Interesse haben, Frauen zu integrieren. Leider geht diese Veränderung teilweise auch mit einem Verlust weiblicher Autorität einher und wird dadurch kontraproduktiv. Feministisches Wissen wurde im Prozess der Implementierung von Gender-Mainstreaming sozusagen in ein geschlechtsneutrales Gewand gekleidet. Diese Gefahr, dass hier etwas symbolisch auf eine schiefe Bahn gerät, sollten Frauen, die sich an Gender-Mainstreaming-Prozessen beteiligen, im Auge behalten und thematisieren.
4. Mit Männern kooperieren:Dies berührt insgesamt einen wunden Punkt, wie ich in vielen Diskussionen beobachte. Es ist der Frauenbewegung leider nicht gelungen, von Einzelfällen abgesehen, die Männer zur Mitarbeit für eine Welt, in der alle Menschen gut leben können, zu gewinnen. Vielleicht auch deshalb, weil wir sie immer nur mit Forderungen und Schuldzuweisungen bombardiert haben. Ich glaube, es ist an der Zeit, wieder auf Männer zuzugehen und sie einzuladen, zum Beispiel zu Veranstaltungen in Frauenzentren. Frauenzentren bleiben auch dann Orte der weiblichen Autorität, wenn dort Männer anwesend sind. Dieses Zugehen auf Männer ist freilich riskant, denn es erfordert, dass wir uns für ihre Kultur öffnen, sie ernst nehmen und vielleicht lieb gewonnene Selbstverständlichkeiten aufs Spiel setzen. Wo ich es versucht habe, fand ich das aber meistens fruchtbar. Hilfreich finde ich dabei das Bild, dies als einen interkulturellen Dialog zu sehen. Wie jeder interkulturelle Dialog ist das schwierig, birgt die Gefahr von Missverständnissen, Verletzungen, Unterstellungen. Aber da wir nun einmal beide, Männer und Frauen, in dieser Gesellschaft miteinander leben, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als dieses Risiko einzugehen. Außerdem verspricht es zwei große Vorteile: Männer, die wir von der Bedeutung der weiblichen Freiheit überzeugen, können wirkliche Verbündete sein, um dies auch ihresgleichen, anderen Männern zu vermitteln. Ich meine damit jetzt nicht diese strategischen Allianzen, die in manchen Ratgeberbüchern karrierewilligen Frauen anempfohlen werden. Sondern echte Beziehungen, echte Überzeugungsarbeit. Sie ist schwer, aber kann gelingen, und solche Männer, die wirklich etwas kapiert haben und nicht nur politisch korrekt sein wollen, können wertvolle Verbündete sein. Der zweite Vorteil ist, dass dieses Experiment des auf die Männer Zugehens uns Erfahrungen sammeln lässt, die für viele, viele Frauen wichtig sein könnten. Denn die meisten Frauen wünschen ja nach wie vor Beziehungen zu Männern zu haben, privat wie beruflich. Das führt mich zu einem weiteren Punkt:
5. Mit Autorität sprechen:Die Frauenbewegung hat leider in der Tat in den letzten Jahren einen gewissen Autoritätsverlust erlebt. Ich glaube, das liegt daran, dass wir manchmal nicht genug auf das Begehren der einzelnen Frauen achten, mit denen wir es jeweils zu tun haben. Die Frauenbewegung wurde und wird häufig wahrgenommen, als eine, die Forderungen erhebt, nicht als eine, die mit Autorität spricht und Lösungen anzubieten weiß. Forderungen zu erheben bedeutet aber, die symbolische Autorität an andere abzugeben – nämlich an diejenigen, die die Forderungen erfüllen, also das Problem lösen sollen, den Staat, die Männer usw. Oder dass allgemeine Forderungen »des Feminismus« erhoben werden, in denen sich aber die einzelne Frau, mit der wir es konkret zu tun haben, nicht unbedingt wieder findet. Oder dass wir über die Propagierung bestimmter feministischer Inhalte (die vielleicht gar nichts mit den aktuellen Problemen der jeweiligen Frau zu tun haben) vergessen, dass es eigentlich, und im Kern, um weibliche Freiheit geht – und die wiederum geht jede Frau etwas an. Die weibliche Freiheit kann man aber nicht lehren. Wie lässt sie sich denn verbreiten? Mir gefällt dabei gut ein Bild von Luisa Muraro, die sagt, »die Liebe zur Freiheitist ansteckend. Die Ansteckung erfolgt aber nicht, indem man den Feminismus lehrt, sondern indem wir unsere Freiheit und die der anderen lieben.«
6. Für eine Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit:Die Beziehungen zu Männern erneuern, zu jungen oder nicht-feministischen Frauen erneuern – in diesen beiden Punkten deutet sich schon an, dass es ganz entscheidend darum gehen muss, die feministische Politik wieder in die persönlichen Beziehungen zurück zu holen. Das Private ist Politisch war der Slogan in den Siebziger Jahren. Heute gibt es ja fast schon nichts Privates mehr, alles wird lang und breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Aber was damals eigentlich gemeint war, war ja eine Kritik an einer falschen Trennung dieser beiden Bereiche. Und deshalb könnten wir vielleicht heute sagen: Das Politische ist – immer auch – privat. Die Politik der Beziehungen war schon immer die stärkste Praxis der Frauenbewegung. Und sie ist es auch heute noch. Wir haben dazu kürzlich ein Buch geschrieben, in dem wir das für die verschiedenen Politikfelder – von der Wirtschaft über die Theologie und die Sozialpolitik bis hin zur Biologie – versucht haben, auszuformulieren – als Tipp für diejenigen, die hierüber noch weiter nachdenken möchten.
Vortrag im März 2006 in Dresden, Ansbach, München, Köln
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Amara, Fadala (2005) Weder Huren, noch Unterworfene, Berlin 2005, S. 35. ↩