Kapitel 1

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Politik als Arbeit an der Kultur 

(1. Kapitel der Flugschrift)

Die gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind, werden meist als Fragen der Wirtschaft, des Sozialen, der Moral bzw. der Werte dargestellt. Damit sind sie aber noch nicht wirklich verstanden; es sind Probleme der Kultur. Kultur ist die Art und Weise, wie wir die existenziellen Momente des Daseins - Geburt, Erwachsen- und Altwerden, Tod, Schutz gegen Gewalten der Natur, die Erfindung und Herstellung von Gütern, die Verteilung materieller Güter und der Austausch immaterieller Werte - organisieren. In erster Linie aber ist Kultur die Art und Weise, wie Menschen Beziehungen untereinander leben. Politik ist für uns nicht die Folge einer Übereinkunft oder eines Vertrages zwischen vermeintlich autonomen, unabhängigen Individuen, die sich zum Schutz vor Feinden oder zur Überwindung des Mangels notgedrungen zusammenschließen, sondern sie beruht im Gegenteil auf der Erfahrung, dass gelingende Beziehungen unter Menschen möglich und lustvoll sind. Politik ist nichts anderes als das Ermöglichen und Erhalten gelingender Beziehungen zwischen Menschen in ihrer Verschiedenheit.

Nicht nur im engen Bereich dessen, was herkömmlicherweise als „Wirtschaft„ gilt, sondern in allen Aspekten des Lebens sind Beziehungen unter Menschen vor allem Tauschbeziehungen. Tauschen, verhandeln, aushandeln, vermitteln sind Grundformen menschlicher Kommunikation. Auf diesem „Tauschmarkt„ finden wir nicht nur Geld, Güter und Dienstleistungen, sondern auch Zuwendung, Fürsorge, Dankbarkeit und vieles mehr. Patriarchat und Kapitalismus beruhen gerade auf der künstlichen Trennung und Hierarchisierung all dieser Bereiche und verursachen auf diese Weise die kulturelle Unordnung, in der wir uns befinden. Gelingende Beziehungen sind hingegen darauf angewiesen, dass der Verhandlungsraum für die Kommunikation zwischen allen Bereichen möglichst offen gehalten wird.

Es wird keine Erneuerung der Ökonomie, keine Lösung der wirtschaftlichen Probleme ohne eine Erneuerung der Beziehungen geben. Vor allem Frauen haben in den letzten dreißig Jahren viel dafür getan, die Beziehungen der Menschen zueinander neu zu ordnen und festgefahrene Konstellationen wieder für neue Verhandlungen zu öffnen - dies betrifft die Geschlechterbeziehungen, die Familienstrukturen, die Teilhabe an einer Gemeinschaft oder der Gesellschaft insgesamt, die Arbeitsbeziehungen, Beziehungen zwischen Nachbarinnen und Freundinnen, die Liebesbeziehungen.

Was das politische Leben betrifft, scheint dies jedoch bislang wenig Wirkung zu haben und auch kaum wahrgenommen zu werden. Hier herrscht immer noch das Dilemma der falschen Alternativen vor. Die kulturelle Gestaltungsfreiheit der Menschen scheint angesichts der Vorherrschaft wirtschaftlicher Erwägungen auf ein Nichts zusammengeschrumpft. Wirtschaft ist zum Synonym für Kapitalismus geworden, und das Damoklesschwert der „Globalisierung„ hängt über allen Entscheidungen. Gegenüber solchen „Marktgesetzen„, die im allgemeinen Bewusstsein offenbar längst den Charakter von Naturgesetzen angenommen haben, wird höchst hilflos auf verlorengegangene „Werte„ gepocht, denen doch gleichzeitig überall systematisch der Boden entzogen wird: In der politischen Propaganda wird zwar noch die Illusion der gelingenden Beziehungen verbreitet, in Wahrheit aber erheben marktwirtschaftliche Analysen längst den Anspruch, die ganze Welt zu erklären, und Management-Prinzipien geben vor, die Welt gestalten zu können.

Doch die Konkurrenz um Eigentum und Besitz ist nicht das Ursprüngliche der Politik. Zudem gibt es so viele Wirtschaftssysteme, wie es menschliche Kulturen gibt - beides ist nicht voneinander zu trennen. Die Beziehungen zwischen Menschen in den Blick zu nehmen und zu verändern heißt deshalb, die Ökonomie zu verändern.

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