Feminismus und Frauenbewegung heute
Vortrag in Ludwigshafen, 10.11.2011 (Stichwortsammlung)
Ist die Frauenbewegung tot? Oder ist sie vielmehr quicklebendig?
Offenbar quicklebendig, denn es wird sehr viel zu dem Thema geschrieben und diskutiert.
Frage: Was wir unter „Frauenbewegung“ verstehen.
Wir haben bei der Frauenbewegung oft die siebziger Jahre vor Augen, mit den klassischen Formen politischer Bewegungen wie zum Beispiel Demonstrationen, Petitionen, der Gründung von Frauenzentren und Frauenbuchläden, eigenen Publikationen wie Courage oder Emma.
„Frauenbewegung“ wird dann leicht verstanden als eine soziale Bewegung, die sich für bestimmte Anliegen einsetzt, parallel etwa zur Arbeiterbewegung, zur Umweltbewegung oder zur Friedensbewegung.
Früher, in Zeiten, als Frauen aufgrund ihres Geschlechtes handfest diskriminiert wurden, war das auch plausibel: Es ging um den Kampf für die Abschaffung von diskriminierenden Gesetzen, für gleiche Rechte und für Gleichstellung.
Man nennte das oft auch die „erste“ und „zweite“ Welle der Frauenbewegung – die erste Welle, Anfang des 20. Jahrhunderts, setzte sich für gleiche Rechte und den Zugang von Frauen zu männlichen Positionen ein, Wahlrecht, das Recht, alle Berufe zu ergreifen und zu studieren.
Die zweite Welle dann – angestoßen maßgeblich von Simone de Beauvoirs „das andere Geschlecht“, erschienen 1949 – beschäftigte sich vor allem mit der sozialen Benachteiligung von Frauen. Beauvoir schrieb ihr Buch als Reaktion auf die Gleichberechtigung und stellte fest, dass Rollenmuster so tief kulturell verankert sind, dass eine bloße rechtliche Gleichstellung nicht ausreicht, um Diskriminierungen abzuschaffen.
Auch bei diesen früheren „Frauenbewegungen“ gab es schon sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was das inhaltlich bedeutet. Ob zum Beispiel mehr die Gleichheit von Frauen und Männern betont werden soll, oder ob besser die Unterschiede und etwas spezifisch „Weibliches“ betont werden soll. Für die rechtliche Gleichstellung argumentierten zum Beispiel die einen, dass es aufgrund der prinzipiellen Gleichheit der Geschlechter keinen Grund gibt, Frauen aus der Politik und dem öffentlichen Leben auszuschließen, während andere argumentierten, dass weibliche Tugenden in den öffentlichen Bereich eingebracht werden müssten.
Allerdings gingen alle bis in die siebziger Jahre hinein noch davon aus, dass es so etwas wie ein gemeinsames „Subjekt Frau“ gebe, dass also eine „Frauenbewegung“ irgendwie doch für „die Frauen“ als Gruppe sprechen könne. Daher entstand eben die Idee, dass die Frauenbewegung die Interessen „der Frauen“ vertreten könne, so ähnlich eben wie die Arbeiterbewegung die Interessen von Arbeitern. Dass also die Frauenbewegung, so wie alle anderen sozialen Bewegungen auch, ein bestimmtes „Thema“ und bestimmte Inhalte hätte, eben die „Frauen“ oder auch die „Geschlechterverhältnisse“, so wie sich die Friedensbewegung mit Waffen und der Abschaffung von Kriegen oder die Umweltbewegung mit Umweltproblemen beschäftigt.
Das hat sich aber seit Ende der achtziger Jahre sehr geändert. Denn es ist immer klarer geworden, dass es ein gemeinsames „Wir“ der Frauen gar nicht gibt. Es ist uns klarer geworden, dass Frauen sehr unterschiedlich sind und auch ganz gegensätzliche Interessen haben können.
Unter den ersten, die solche Einwände vorbrachten, waren die afroamerikanischen Frauen, die bemängelt haben, dass die klassische Frauenbewegung von den Anliegen weißer, mittelständischer Frauen dominiert war.
Eine andere Konfliktlinie ist etwa der Umstand, dass die Emanzipation westlicher, mittelständischer Frauen oft über prekäre Lebensbedingungen von Migrantinnen ermöglicht werden, die ja in Deutschland einen Großteil der Fürsorgearbeiten übernehmen, und damit die Grundlage dafür schaffen, dass mittelständische Frauen in einem ähnlichen Maße wie Männer berufstätig sein können.
Aus dieser Bewusstwerdung entstanden dann feministische Theorien der so genannten „Intersektionalität“. Damit ist gemeint, dass verschiedene Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse sich quasi überkreuzen, dass wir also unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft einnehmen, die sich nicht nur entlang der Kategorie Geschlecht unterscheiden, sondern auch an Klasse und Hautfarbe bzw. kultureller Herkunft. Das Stichwort dazu war „Triple Oppression“, also dreifache Unterdrückung.
Doch auch diese Unterscheidungen erwiesen sich bald schon als nicht ausreichend, denn es gibt noch viele andere Kategorien, die man da anführen könnte, etwa Diskriminierung aufgrund von Alter, von sexueller Orientierung, von Aussehen und so weiter. Neuerdings könnte man noch die Diskriminierung aufgrund von Religion – Islamophobie – hinzufügen.
Eine seither sehr wichtige Frage in der Frauenbewegung ist also, wie Frauen, die in so vielerlei Hinsicht unterschiedliche Arten von Diskriminierung erleben, sich überhaupt gemeinsam engagieren können. Gerade in westlichen Gesellschaften eben, wo die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht sehr abgenommen hat, während andere Unterschiede – etwa die wachsende Armutsschere oder die Feindlichkeit gegenüber anderen Kulturen – zugenommen haben.
Aber es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Frauen sind nicht nur unterschiedlich, weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft unter unterschiedlichen Bedingungen leben, sondern auch, weil sie sich aktiv voneinander unterscheiden. Auch zwei Frauen, die ähnliche Herkünfte haben – etwa zwei weiße Frauen aus mittelständischen Familien oder zwei aus der Türkei eingewanderte Musliminnen – müssen nicht unbedingt einer Meinung sein.
Der wichtige Punkt dabei ist, dass die Kategorie „Frau“ für sich genommen nichts inhaltliches bedeutet. Frauen sind Menschen, und Menschen sind als politische Wesen dadurch charakterisiert, dass sie sich voneinander unterscheiden, dass sie unterschiedliche Ansichten und Meinungen haben. Diese Pluralität ist das Wesen von Politik, und das gilt auch für Frauen.
Einen Versuch, dies in eine feministische Theorie einzubeziehen, unternahmen italienische Feministinnen Ende der 1980er Jahre, indem sie die sexuelle Differenz betonten, und damit meinten sie vor allem die Differenz von Frauen untereinander. Ihre Idee war, dass Feminismus nicht bedeutet, dass Frauen ihre gemeinsamen Interessen und Forderungen artikulieren, sondern dass sie durch Beziehungen untereinander gerade ihre Unterschiede fruchtbar machen. Eine Frau, die anders ist als ich – sowohl von ihren Lebensumständen her als auch von ihren Auffassungen und Urteilen her – ist so gesehen keine Bedrohung für mich, sondern eine Ressource, denn sie kann mir helfen, meinen eigenen Horizont zu erweitern und auf neue Ideen zu kommen.
Nach Meinung der Italienerinnen – und das ist eine Richtung des Feminismus, der ich selbst mich zugehörig fühle – ist diese Perspektive auf die Beziehungen unter Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit auch eine gute Möglichkeit, um den vorherrschenden Politikformen, die aus einer männlichen Kultur heraus entstanden sind, etwas entgegen zu setzen. Durch den Austausch untereinander entwickeln Frauen eigene Vorstellungen von Politik und von gutem Leben. Die Frage ist also nicht mehr: Wie kommen wir in die männlichen Institutionen hinein? Sondern: Wie wollen wir, dass die Welt ist, und wie können wir sie gestalten?
Die Diskrepanz zwischen dem, was Frauen wollen (was nichts Einheitliches ist) und dem, wie die Welt ist (patriarchal geformt) entstünde also nicht mehr aufgrund eines spezifisch weiblichen Wesens oder weiblicher Biologie, sondern auf Grundlage einer weiblichen Kultur, eines Austausches unter Frauen mit all ihren Unterschieden und Differenzen.
Aber das war nur eine Richtung, in die es sich weiter entwickelt hat. Sehr stark war vor allem in Deutschland trotzdem auch der „Gleichstellungsfeminismus“, also die konzentrierte Aktion von Frauen, um Zugang und Repräsentation innerhalb von Organisationen, Parteien usw. zu erhalten. Seit Mitte der 1980er Jahre wurden überall, zum Beispiel in Kommunen verpflichtend, Frauenbeauftragte eingeführt, die später sehr oft in „Gleichstellungsbeauftragte“ umbenannt worden waren.
Die Frage, ob diese Gleichstellungsbeauftragten eigentlich ein Teil der Frauenbewegung sind, ist umstritten. Einerseits sind sie sehr oft aufgrund von feministischem Engagement eingeführt worden. Und anfangs waren die Frauen, die diese Stellen besetzten, selbst Feministinnen, das heißt, sie hatten ihre Wurzeln in der Frauenbewegung.
Später aber wurden sie häufig von Frauen aus der Verwaltung besetzt, zum Beispiel, wenn die Feministin, die ursprünglich diese Stelle hatte, in Pension ging. Das, was Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragte machen, ist sehr unterschiedlich, es hängt sehr von der jeweiligen Person ab, und auch davon, inwieweit sie in Frauennetzwerke außerhalb ihrer Institution eingebunden ist. Da gibt es manchmal Konflikte, wie zum Beispiel deutlich wurde an der Gleichstellungsbeauftragten in Goslar, die nach heftiger Kritik der örtlichen Frauennetzwerke und Frauengruppen ihr Amt aufgeben musste. Andernorts gibt es aber auch eine gute Zusammenarbeit. Die Palette dessen, was heute in Deutschland unter „Gleichstellungspolitik“ läuft, ist sehr breit, man kann es kaum auf einen Nenner bringen.
Mein Vorschlag ist, dass wir dazu nicht mehr „Gleichstellung“ sagen, denn es geht nicht darum, Frauen mit Männern gleichzustellen, sondern um „Differenzvermittlung“ – also das, was Frauen tun und was ihre Anliegen sind, innerhalb von Organisationen zu vermitteln, die von ihrer Logik her männlich sind.
Eine Unterform der Gleichstellungspolitik ist die Diskussion um Quoten, die momentan ja sehr kontrovers geführt wird…
Eine ganz andere Richtung hat die Frauenbewegung und der Feminismus an den Universitäten genommen. Hier ging es – in Folge von Judith Butler – vor allem darum, die Kategorie „Geschlecht“ zu hinterfragen. Während in der Logik der Gleichstellungspolitik zwischen „Sex“ und „Gender“ unterschieden wird – und die Bedingungen von „Gender“ gerechter gemacht werden sollen – wird dort die Unterscheidung in Frauen und Männer generell hinterfragt. Auch „Sex“ ist sozial konstruiert. Geschlecht wird immer „gemacht“ (Doing Gender), und wir sind darin nicht frei.
Queer- und Trans-Feminismus. Der ist vor allem in Berlin sehr stark und vor allem unter jungen Frauen. Ablehnung der „weiblichen Identität“ des 1970er Jahre Feminismus. Überschreiten von Geschlechtszuweisungen, Intersexualität. Ablehnung von „Heteronormativität“.
Konflikte mit der klassischen Frauenbewegung etwa im Bezug auf separate Räume: Wenn wir die Unterscheidung qua Geschlecht ablehnen, dann können wir keine eigenen Frauenräume mehr haben. Problem: Wie kann man männliche Kultur kritisieren, wenn man diese Kategorien für sich ablehnt? Fokussierung auf Privilegien. Viel Arbeit an Sprechpositionen, Ablehnung von „Normalität“, die Partikularisierung etwa von „cis-Frauen“ oder von Heterosexualität.
Weiteres Problem: Männerdominanz wird dadurch befördert, Beispiel Piratenpartei, die weil sie das Geschlecht nicht erfasst, einen eklatanten Frauenmangel hat. Allerdings wird das bearbeitet, ich bin gespannt, was dabei herauskommt.
Gewissermaßen am anderen Ende der Palette sind die so genannten „Matriarchatsfeministinnen“. Sie lehnen die männliche Kultur pauschal ab, sehen in ihr die Ursache für Kriege, Umweltzerstörung usw. Sie arbeiten an einer weiblichen Spiritualität, erforschen matriarchale Kulturen, große Kongresse, Göttinnen usw.
Problem: Rückgriff auf Essenzialismus, man geht davon aus, dass es etwas „Weibliches“ gibt (von Natur aus), und das Weibliche wird in Abgrenzung zum Männlichen verstanden, während ich darin etwas Eigenständiges sehe. Weibliche Freiheit ist unabhängig vom Männlichen, sie bestimmt sich weder über die Gleichheit mit dem Männlichen, noch über die Abgrenzung vom Männlichen.
Es gibt hier auch noch eine Altersdifferenz: Bei den „Matriarchalen“ sind eher ältere Frauen, bei den „Queers“ eher jüngere. Tendenzielle Differenzen auch im Bezug auf Themen wie Pornografie, Islam, Zusammenarbeit mit Männern. Erschwert durch verschiedene Mediennutzung (ältere Feministinnen sind selten im Internet, während sich die Jüngeren dort stark bewegen).
Beide Quer- und Matriarchatsfeministinnen – ich sag das jetzt mal so pauschal, es gibt natürlich viele Abstufungen und innerhalb der jeweiligen Strömung auch wieder sehr unterschiedliche Fraktionen – stehen sich konträr gegenüber, aber sie haben eine Gemeinsamkeit in der radikalen Ablehnung der überlieferten Gesellschaftsstrukturen. Daher beide in Gegnerschaft zum „Gleichheitsfeminismus“, der die Integration von Frauen in dieses System anstrebt. Kritik: Dadurch wird dieses System gestärkt, durch die Integration von Frauen wird das falsche „Normale“ noch „normaler“, zum Beispiel indem die Karriereambitionen von Frauen propagiert werden, wird dem Neoliberalismus Vorschub geleistet.
Problem der Wieder-Vermännlichung der Welt beheben.
Verschiedene Strömungen in der Frauenbewegung zusammenbringen. Die Unterschiede fruchtbar machen, konkrete Beziehungen…