Ein inklusiver Ansatz
Die feministische Theologie Afrikas nutzt die Bibel als Spiegel, um das tägliche Leben von Frauen zu reflektieren
in: Wendekreis 6 (Juni)/2013
«Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Einsicht verbreitet, dass theologische Forschung nicht länger ein Import aus Europa sein könne», sagt Josée Ngalula. Die theologische Systematikerin aus dem kongolesischen Kinshasa erzählte im RomeroHaus Luzern über die «Tendenzen afrikanischer Theologie von Frauen und ihre Auswirkungen».
Josée Ngalula (links) im Gespräch mit Ina Praetorius. Foto: Antje Schrupp
Feministische Theologie aus Afrika ist in Europa nicht sehr bekannt, obwohl es seit 1989 eine internationale Vereinigung theologisch engagierter Frauen des Kontinents gibt und inzwischen auch eine ganze Reihe von Theologinnen an afrikanischen Institutionen forschen und lehren. Ein Meilenstein in der Entwicklung war die Gründung der «Ecumenical Association of Third World Theologians» im Jahr 1976. Auch internationale Kampagnen wie die UNO-«Dekade der Frauen» von 1976 bis 1985 hätten afrikanischen Theologinnen Rückenwind verschafft, erzählt Ngalula. Auf Initiative von Mercy Amba Oduyoye aus Ghana gründete sich dann 1989 der «Circle of Concerned African Women Theologicans» oder kurz «Circle», in dem sich Theologinnen verschiedener afrikanischer Länder vernetzen.
Zusammenarbeit der Konfessionen und Geschlechter_Der Ansatz des Circle sei von Anfang an inklusiv gewesen, sagte Ngalula: Nicht nur christliche Theologinnen unterschiedlicher Konfessionen arbeiten hier zusammen, sondern auch Musliminnen und Jüdinnen. Ausserdem können nicht nur formal ausgebildete Theologinnen Mitglied werden, sondern alle Frauen, die sich für theologische Fragen interessieren. Und schliesslich sind von Anfang an der Dialog mit Männern gesucht und afrikanische Theologen zu den Treffen eingeladen worden.
Wie schon in der Idee des «Kreises» zum Ausdruck kommt, sei die Arbeitsweise der Vereinigung nicht rein akademisch, sondern es gehe darum, einen Raum zu schaffen, um sich mit einem offenen, kontextuellen Ansatz über das Thema «afrikanische Frauen und Religion» auszutauschen, so Ngalula. Dies habe eine Wende in der theologischen Forschung auf dem afrikanischen Kontinent angestossen. «Vielen Frauen ist klar geworden, dass Theologie nicht nur das Ziel hat, auf den Dienst in der Kirche vorzubereiten, sondern es vor allem darum geht, das alltägliche Leben aus dem Blickwinkel der eigenen Existenz als afrikanische Frau zu analysieren.»
Von Klischées loskommen_Theologie definiert der Circle als «theologisches Gebären». Damit sei gemeint, dass sich das Denken im Lesen der Bibel «befruchten» lässt und sich einer Dynamik öffnet, die Frauen mobilisiert, erklärt Josée Ngalula. Sie lobt diese inklusive Perspektive, die die Forscherinnen «weder in akademische Muster noch in eine einzelne Konfession» einsperre und viel Raum für die Analyse alltäglicher Erfahrungen biete. Das ermögliche eine theologische Sprache, die allen Milieus zugänglich ist, und Publikationen, die auch ausserhalb kirchlicher Kreise verstanden und genutzt werden.
Die grösste Originalität haben afrikanische Theologinnen gemäss Ngalula dabei im Bereich der Bibelauslegung gezeigt: Ihnen wird die Bibel zu einem Spiegel, in dem das tägliche Leben der afrikanischen Frauen gesehen werden soll. Die Bibelwissenschaftlerin und Feministin Masenya Madipoane aus Südafrika etwa gründet ihre Exegese auf das, was Frauen ohne theologische Vorbildung in der Bibel entdecken. Diese Frauen finden im Anknüpfen an biblischen Geschichten eine Möglichkeit, ihre eigene tägliche Realität kritisch zu reflektieren. Die Bibellektüre helfe ihnen, von Klischées loszukommen, die Kolonialismus, Apartheit, Sexismus und Armut ihnen über das Frausein vermittelt haben. «Sie lesen die Bibel in erster Linie für sich selbst», so Ngalula, die Bibellektüre liefere ihnen nicht nur Ideen, sondern befähige sie, ihr Leben zu verändern. Diese Methode unterrichtet Madipoane auch an der Universität.
Noch weiter geht eine andere Bibelwissenschaftlerin, Musa Dube aus Botswana. Sie knüpft in ihrer Hermeneutik an afrikanische Traditionen der «Divination» an (was so viel bedeutet wie Enträtselung, Einsicht ins Verborgene oder Weissagung ), also etwa an die Praxis, in Bezug auf Lebensfragen den Rat von «Hellsichtigen» einzuholen. Musas Dube schlägt vor, die Geschichten der Bibel als Interpretations-Schlüssel für konkrete Lebenssituationen heranzuziehen, indem Frauen sich treffen und sich gegenseitig im Spiegel biblischer Geschichten ihr Leben erzählen.
Josée Ngalula selbst widmet sich vor allem den Möglichkeiten, die Bibel im Hinblick auf die Schrecken des Krieges hin zu befragen. Für Opfer von Vergewaltigungen sei es oft befreiend, zu erfahren, dass auch die Bibel von solchen Erfahrungen spricht. «Ich las die Bibel und stellte Gott dabei die Frage: Sag mir, was du vom Leiden der afrikanischen Frauen weisst und was du darüber denkst», so Ngalula. Bei dieser Art des Bibel-Lesens gehe es darum, «Gott zu beobachten, wie er die Welt beobachtet und auf das, was er sieht, reagiert.»
Frauen an die Fakultäten_Was hat sich seit der Gründung des Circle in der afrikanischen Theologie schon alles verändert? Einerseits hat seine Zusammenarbeit mit wichtigen Institutionen, etwa dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), indirekt Druck auf kirchliche Institutionen ausgeübt, Frauen zu ihren theologischen Fakultäten zuzulassen – etwa weil es vom ÖRK für Institutionen, die nur Männer zulassen, kein Geld mehr gab. Andererseits hat die Lobbyarbeit des Circle auch erreicht, dass zumindest an einigen theologischen Fakultäten die «Genderproblematik» explizit in den Lehrplan aufgenommen wurde. Im Laufe der Zeit sind zwanzig Bücher entstanden, die allerdings weniger in Afrika selbst als vielmehr in Europa und den USA Verbreitung gefunden haben, vor allem im anglophonen Sprachraum. Noch immer aber, gab Ngalula zu bedenken, gebe es auch viele theologische Institutionen, die die Arbeit des Circle ignorierten. Feministische Theologie bleibt ein Projekt – im Norden wie im Süden.