Antje Schrupp im Netz

Die Ehe als privates Projekt

Im Mai geben sich Paare besonders gerne das Ja-Wort: Wenn draußen alles grünt und blüht, Frühlingsgefühle romantische Stimmungen hervorrufen und dank milder Temperaturen auch das schulterfreie Brautkleid gut zur Geltung kommt. Für viele gehört eine kirchliche Trauung nach wie vor dazu. Und das hat gute Gründe – wenn auch andere als früher.

Seit einiger Zeit haben Soziologen und Feuilletonisten einen neuen Trend entdeckt: zurück zur Zweisamkeit. In wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten, so ihre Diagnose, legten die Menschen wieder mehr Wert auf familiäre Behaglichkeit. Woher diese Weisheit kommt, bleibt allerdings im Dunkeln. Die Statistik jedenfalls belegt etwas anderes: Auch im dritten Jahrtausend geht die Entwicklung ungebrochen weg von der Ehe – ein kontinuierlicher Abwärtstrend, der sich im letzten Jahrzehnt eher verstärkt als abgeschwächt hat. 79 Prozent der Deutschen glauben einer aktuellen Umfrage zufolge nicht mehr an den Sinn der Ehe. Und das gilt natürlich auch für die kirchlichen Trauungen: Ihre Zahl sank in der hessen-nassauischen Landeskirche von 8500 im Jahr 1990 auf unter 4500 heute.

Eines ist jedenfalls klar: Wer sich heute zur Hochzeit entschließt, tut das nur noch selten aus konventionellen Gründen, zum Beispiel, weil die Eltern es erwarten oder das nun einmal Tradition ist. Heiraten oder nicht – das ist vielmehr eine Frage der Abwägung. Einiges spricht dafür: weniger Steuern, klares Sorgerecht für die Kinder, und nicht zuletzt ist es ja auch schön romantisch. Andererseits weiß man, dass jede dritte Ehe ohnehin wieder geschieden wird. Immer öfter lautet daher die Antwort: Nein.

Zumal das mit dem Heiraten ja auch keine allzu große Sache mehr ist. Der Frankfurter Jugendsender »Planet Radio« lockte kürzlich sogar mit einem ganz besonderen Gewinnspiel: Zwei einander wildfremde junge Leute konnten eine Reise nach Las Vegas gewinnen – Blitz-Ehe mit rauschendem Fest und Scheidung am nächsten Tag inklusive.

Wo gesellschaftlich fast nichts mehr vorgegeben ist, wird die Hochzeit für diejenigen, die sich trotz allem dafür entscheiden, zu einem ganz persönlichen Projekt. Diese Erfahrung macht jedenfalls Pfarrer Jeffrey Myers, der bei den Frankfurter Hochzeitsmessen ehewillige Paare in Sachen kirchlicher Trauung berät. »Die meisten haben ein großes inhaltliches Interesse, sie wollen den Gottesdienst mitgestalten, Gebete und Lieder aussuchen«, hat Myers beobachtet, »wichtig ist ihnen die persönliche Ansprache, es sollen nicht einfach vorgefertigte Texte gelesen werden.« Reißenden Absatz findet etwa eine Liste mit Trausprüchen aus der Bibel. Ebenso wichtig wie der Inhalt ist aber das Ambiente. Das Service-Magazin »Journal Frankfurt« präsentierte vor einiger Zeit eine »Top Ten«-Liste der schönsten Hochzeitskirchen der Stadt.

Allerdings: Nur noch 30 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder, die standesamtlich heiraten, tun das auch in der Kirche – in den sechziger Jahren waren es noch um die 70 Prozent. Und dabei erfasst diese Statistik sogar noch all die gemischt-konfessionellen Ehen, die in der Regel evangelisch heiraten und nicht katholisch. Denn in der katholischen Kirche gilt die Ehe als ein Sakrament, das unauflöslich ist, wäh-rend die evangelische Kirche die Trauung als Segenshandlung versteht und die Ehe als einen Bund, der auch scheitern kann. Mit anderen Worten: Scheidungen sind aus evangelischer Sicht zwar ein Scheitern, aber möglich, Wiederheiraten entsprechend erlaubt.

Solche konfessionellen Unterschiede interessieren Paare heute aber kaum noch, hat Jeffrey Myers beobachtet. »Es ist eher die Suche nach Geborgenheit, nach einer Bestätigung für ihre Entscheidung, nach einer Kraftquelle und Orientierungshilfe.« Dahinter steht natürlich vor allem die Frage: Wie kann unsere Beziehung gelingen?

Auch die vom Arbeitsmarkt zunehmend verlangte Flexibilität mit häufigem Städtewechsel und langen Arbeitszeiten fördert nicht gerade eine zweisame Lebensplanung. Doch der Wunsch nach Heimat, nach Geborgenheit, nach sicherem Boden unter den Füßen bleibt. Und, ja auch das: nach Rechtfertigung für die eigenen Entscheidungen.

Die »Rechtfertigung« ist übrigens ein Kernstück des evangelischen Glaubens und besagt, dass alles, was Menschen mit aufrichtigem Bemühen tun, vor Gott gerechtfertigt ist, selbst wenn es am Ende doch vielleicht misslingt. Dass sie nicht alles aus eigener Kraft schaffen können, sondern auf Gott zählen können. Das ist vielleicht die ermutigende Botschaft der kirchlichen Trauung in einer Gesellschaft, deren unendliche Möglichkeiten den Einzelnen immer mehr Entscheidungen abverlangen.


aus: Evangelisches Frankfurt, Nr. 4/2004