Die Schattenseiten der Quote
in: Direkte Aktion, Sept/Okt. 2012
Deutschland ist im Quotenfieber. Die Idee, einen bestimmten Prozentsatz, etwa 30, 40, seltener 50 Prozent für Frauen zu reservieren, dringt in den Mainstream vor. Doch was wäre eigentlich gewonnen mit einer Welt, in der Parteien, Aufsichtsräte und Chefredaktionen zur Hälfte mit Frauen besetzt sind – ansonsten aber alles bleibt wie es ist?
Ich gestehe, dass ich mit der Quote ein Problem habe. Denn von ihrer Logik her bekräftigt sie vor allem die angebliche Wichtigkeit und Bedeutung jener Institutionen und Strukturen, für die sie gefordert wird: Es scheint Frauen ja unglaublich viel daran zu liegen, dort hinzukommen.
Natürlich kann ich verstehen, wenn Frauen endlich Zugang haben wollen zu den Privilegien, die Menschen ihres Geschlechts in der Vergangenheit vorenthalten wurden. Geld, Macht, Einfluss, Prestige und Status sind ja schließlich angenehme Dinge.
Aber gleichzeitig ist doch längst evident, dass wahre Politik eher nicht in den Parteien gemacht wird, dass die Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft nicht in Aufsichtsräten gelegt wird und dass neue Ideen überall eher hervorgebracht werden als in Universitäten und Chefredaktionen.
Ich würde deshalb lieber offensiv das Unbehagen thematisieren, das viele Frauen diesen Orten gegenüber empfinden. Welche Vorstellungen von einem guten Leben stecken dahinter, wenn sie häufiger als Männer keine traditionellen Karriereambitionen hegen? Wie müssten sich Parteien, Redaktionen, Unternehmen verändern, damit sich Frauen dort wirklich gerne einbringen und engagieren? Der derzeitige Fokus auf Quoten dient auch dazu, solche grundsätzlichen Konflikte zu verschleiern.
Mir ist bewusst, dass das Thema heikel ist. Zumal die Quote noch immer von vielen Seiten mit falschen Argumenten abgelehnt wird. Etwa von jungen Frauen, die meinen, so etwas hätten sie nicht mehr nötig und diesen Geschlechterkram längst überwunden. Oder auch noch von Patriarchaten klassischen Formats, die dieses ganze Frauenzeugs aus Prinzip albern finden.
Trotzdem: Für eine feministische Vision halte ich die Quote nicht. Eher für den Versuch, ein schwer kriselndes System mit Hilfe von Frauen noch etwas länger am Leben zu erhalten.