Die Norm der „Sexyness“
in: Fama, Februar 2012
„Wer schön sein will, muss leiden“ – der Spruch ist alt, und das Phänomen auch. Dass Frauenkörper „hergerichtet“ werden und dass das mit Unannehmlichkeiten und Verzicht verbunden ist, ist kein neues Phänomen. Das Korsett wurde schon um 1600 erfunden. Weibliches Aussehen war noch nie einfach nur eine Frage von persönlichem Geschmack, sondern hatte schon immer mit sozialem Status, mit Normen, mit Zuschreibungen zu tun – kurz: war und ist ein soziales Phänomen, über das auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander gesellschaftlich verhandelt wird.
Wenn viele aber den Eindruck haben, dass sich die Situation heutzutage verschärft hat, dann ist das durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Über die Massenmedien sind wir mit mehr Bildern von Frauenkörpern konfrontiert als jemals. Die Schönheitsnormen beschränken sich heute nicht mehr auf die höheren Stände, sondern umfassen alle sozialen Schichten. Und im Zuge der Konsumgesellschaft beschäftigt sich eine regelrechte Industrie mit dem Thema und versucht, daraus Gewinne zu ziehen. Neu ist ebenfalls, dass der Zwang zu „gutem Aussehen“ inzwischen auch Männer betrifft.
Schönheit ist sexy
Darüber hinaus gibt es einige inhaltliche Verschiebungen, wenn man sich heutige „Schönheitsnormen“ im Unterschied zu früheren Zeiten anschaut. Unmittelbar ins Auge springt die Verknüpfung von Aussehen und Sexualität. Während „Schönheit“ in vormodernen Zeiten gewissermassen ein „ganzheitliches“ Konzept war, das nicht nur äusserliches Erscheinungsbild sondern auch Aspekte wie „Charakterstärke“ oder „gütiges Wesen“ umfasste, so geht es heute um „Sexyness“. „Sexyness“ betrifft dabei nicht nur das Aussehen als solches, sondern beschreibt eine Haltung, die „Bereitschaft“ signalisiert.
Neu ist auch, dass niemand sich mehr mit den Körpermerkmalen zufrieden gegeben muss, die er oder sie qua Geburt erhalten hat. Chirurgie macht es möglich, „unnormale“ Körperteile zu „korrigieren“, Nasen zu begradigen, Fettpolster abzusaugen, Leberflecken zu entfernen, mit der Folge, dass Frauen (und zunehmend auch Männer), denen „gutes Aussehen“ bescheinigt wird, einander immer ähnlicher werden.
Intimbereich
Damit zusammenhängend dringen Körpernormen bis in die intimsten Bereiche des Körpers vor. Ging es beim „Aufputzen“ früher darum, das eigene Erscheinungsbild für einen öffentlichen Auftritt zu inszenieren, etwa einen Opernbesuch oder ein Rendezvous, so betrifft es heute auch Körperzonen, die früher dem öffentlichen Bereich gänzlich entzogen waren. Zum Beispiel verzeichnet die Schönheitschirurgie eine wachsende Nachfrage nach Operationen, bei denen sich Frauen die inneren Schamlippen verkürzen lassen, weil es als „unnormal“ empfunden wird, wenn sie länger sind als die äusseren.
Dies wiederum ist eine Folge von Intimrasuren, die unter jüngeren Frauen heute flächendeckend selbstverständlich sind. Diese bewirken nämlich eine nie dagewesene Sichtbarkeit dieser Körperzonen, die eben nicht mehr von Haaren verdeckt werden. Auch der letzte, natürliche „Schleier“ vor bestimmten Körperzonen, die eigene Körperbehaarung, wird entfernt. Die gegenseitige soziale Kontrolle einer entsprechenden „Körperhygiene“ findet zum Beispiel in Fitnessstudios statt, wo beim Umziehen oder Duschen der eigene Körper für alle anderen sichtbar ist.
Schön und erfolgreich
Ein weiterer Punkt ist die Herauslösung der körperlichen Erscheinung von Frauen aus gesellschaftlichen Moralvorstellungen und ihre Überführung in eine ökonomische Logik, die den Körper als „Kapital“ begreift. Es gibt praktisch keine allgemeingültigen Vorstellungen von „Schicklichkeit“ mehr im Bezug auf die Präsentation des eigenen Körpers. Prinzipiell ist alles erlaubt. Erst recht, wenn sich damit Geld verdienen oder gesellschaftlicher Aufstieg bewerkstelligen lässt. Es werden also zunehmend Zusammenhänge hergestellt zwischen erfolgreichen Lebenswegen und der Präsentation des eigenen Körpers. So gelten Menschen, die das Idealgewicht überschreiten, als disziplinlos und nicht willensstark genug für Führungspositionen. Den eigenen Körper als Dekoration für Fernsehsendungen zu verkaufen, ist für junge Frauen ein regelrechter akzeptabler und sogar erstrebenswerter Berufszweig geworden.
Schön bis ins Alter
Schliesslich hat sich der Schönheitsdruck biografisch verlängert und umfasst heute nahezu die gesamte Lebensspanne einer Frau. Galt das „Schönsein“ früher als ein Privileg (und eine Verpflichtung) junger Frauen, die auf der Suche nach einem Ehemann waren, so endet der Anspruch, „am eigenen Körper zu arbeiten“ heute im Prinzip nie. Auch von älteren Frauen wird erwartet, dass sie „sich nicht gehen lassen.“ Den Mann fürs Leben gibt es ebenso wenig wie die Arbeitsstelle fürs Leben, man muss also permanent auf den eigenen „Marktwert“ bedacht sein.
Die Soziologin Eva Illouz hat in ihrem Buch „Warum Liebe weh tut“ darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Trends nicht um eine falsche Prioritätensetzung seitens der Frauen oder gar um ein psychologisches Problem handelt, sondern um objektive gesellschaftliche Entwicklungen. Es greift zu kurz, den Frauen, die in die Sexualisierung ihrer Körper einwilligen oder sie sogar selbst vorantreiben, einen Vorwurf zu machen. Sie handeln, so Illouz, letzten Endes rational im Rahmen der gegebenen Strukturen.
Trotz Frauenbewegung
Das erklärt auch, warum sich der Zwang zu einer weiblichen Schönheit trotz Frauenbewegung und weitgehend durchgesetzter Gleichberechtigung erhalten hat. Eine frühe feministische Vermutung war ja gewesen, dass die Notwendigkeit, Männern zu gefallen, eine direkte Folge des Patriarchats war. Frauen waren ehedem, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, darauf angewiesen, geheiratet zu werden, denn der gesellschaftliche Status einer Frau war vor ihrer rechtlichen Gleichstellung kein individueller, sondern über Männer vermittelt.
Die Frauenbewegung der 1970er Jahre hat daher den Versuch unternommen, die Frauen durch ökonomische und soziale Unabhängigkeit von diesen Zwängen zu befreien, das weibliche Aussehen zu individualisieren und sich Stereotypen und Normen zu widersetzen. Heute muss eine Frau nicht mehr unbedingt einen Mann finden, um „versorgt“ zu sein.
Backlash?
Dennoch legen junge Frauen allgemein, und übrigens auch Feministinnen, grossen Wert darauf, dass Eigenständigkeit und weibliches Selbstbewusstsein nicht mit „gutem Aussehen“ und „Sexyness“ in Widerspruch stehen müssen. Die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie hingegen hält das in ihrer Studie „Top Girls“ von einer für eine „postfeministischen Maskerade“. Sie glaubt, dass die alten Geschlechterstereotypen, die der Feminismus so grundlegend durcheinander gebracht hat, sich heute wieder schlagkräftig Bahn brechen. Die angebliche Freiheit heutiger Frauen sei nur eine besonders perfide Variante eines Backlash, der das Ziel hat, grundlegende Errungenschaften des Feminismus rückgängig zu machen. Das Perfide liege darin, dass feministische Ideen quasi augenzwinkernd aufgenommen, um dann umso gründlicher und dann ad acta gelegt zu werden: Gerade weil Frauen von heute selbst für sich sorgen können, gerade weil sie alles dürfen, sagt ihre Weiblichkeits-Maskerade nur umso deutlicher: Ich mache das freiwillig!
Weibliches Begehren
Was dabei von ihr jedoch übersehen wird ist, dass unsere Kultur auch noch eine andere Traditionslinie für Weiblichkeit kennt: und zwar die „ungeschminkte“ Frau, diejenige, die genau das Gegenteil von sexy sein will. Die andere Seite der „Hure“, die ihren Körper dem männlichen Begehren auf dem Präsentierteller serviert, war traditionell die „Heilige“, die ihren Körper möglichst unscheinbar machte. Vor diesem Hintergrund steckt unzweifelhaft auch ein freiheitlicher Impuls dahinter, wenn Frauen heute „sexy“ sein möchten.
Nein, es ist keine konzertierte patriarchale Aktion, die uns die heutigen Körpernormen aufzwingt. Und doch ist es zu kurz gegriffen, darin einfach einen Ausdruck weiblicher Freiheit zu sehen. Sondern es ist so, wie Eva Illouz schreibt, dass „der allgemein gewordene sexuelle Wettbewerb die Struktur des Willens und des Begehrens selbst verändert.“ (S. 113) Das weibliche Begehren von gesellschaftlichen Zugriffen zu befreien, bleibt deshalb als feministische Herausforderung weiterhin aktuell.