«Die Frauen« gibt es nicht
in: FrauenRat 6/13
Meiner Ansicht nach ist Feminismus kein inhaltliches Programm, sondern eher eine Haltung: Feministinnen und Feministen halten die Geschlechterdifferenz für ein wichtiges „Analysetool“, ohne das sich gesellschaftliche Prozesse und Verhältnisse nicht verstehen lassen. Und sie orientieren sich am Kriterium der weiblichen Freiheit, weil die einen Wert an sich hat, der nicht weiter begründet werden braucht (weshalb ein Argument wie: „Wir sollten mehr Frauen in Führungspositionen bringen, denn das bringt ökonomische Vorteile“, kein genuin feministisches Argument ist, denn es stellt die Einbindung von Frauen als Mittel zum Zweck dar).
Ansonsten können Feminist_innen aber zu ganz unterschiedlichen Schwerpunkten und Einschätzungen kommen: Befördert es die Freiheit der Frauen, wenn sie mit Männern möglichst „gleichgestellt“ werden oder unterwirft sie das nur erneut einer männlichen Norm? Ist die Geschlechterdifferenz als solches ein Problem oder wird sie dazu nur durch patriarchale Kontexte? Ist es für eine politische Strategie sinnvoller, die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu betonen? Lässt sich Prostitution mit weiblicher Freiheit verbinden oder ist beides prinzipiell ein Widerspruch? Auf solche Fragen gibt es keine eindeutige „feministische“ Antwort, sondern eine feministische Grundhaltung ist vielmehr die Voraussetzung dafür, dass über solche – und viele andere – Fragen überhaupt erst einmal sinnvoll diskutiert werden kann.
Es ist kein Zufall, dass sich die Frauenbewegung, im Unterscheid zu anderen sozialen Bewegungen, nie als Partei konstituiert hat. Ihr Anliegen ist es nämlich nicht, gemeinsame Forderungen aufzustellen, sondern die Individualität und Subjektivität von Frauen ans Licht zu holen und ihnen Bedeutung zu geben. Vor der Frauenbewegung wurde immer nur über Frauen diskutiert, also darüber, was Frauen tun müssen oder auf gar keinen Fall tun dürfen, was ihrem Wesen angeblich entspricht oder nicht entspricht, was die objektiven Interessen von Frauen seien und was nicht. Das Neue am Feminismus war es, zu sagen: Es kommt darauf an, dass Frauen selbst sprechen.
Das war ja anfangs weniger eine Theorie als vielmehr eine Praxis, nämlich die Praxis des Separatismus, die Schaffung eigener Frauengruppen, von denen Männer ausgeschlossen waren, und die vor allem den Sinn hatten, die Frauen selber zum Sprechen zu bringen, ohne dass der männliche Maßstab immer schon dabei ist. Diese Praxis des Separatismus ist heute teilweise überholt, weil Frauen heute sehr viel selbstbewusster das Wort ergreifen, auch in gemischten Gruppen, und weil das Frausein in seiner Bedeutung nicht mehr als so klar und eindeutig gesehen wird. Allerdings ist das Problem durchaus nicht vom Tisch. Gerade bei Internetdiskussionen, aber auch zum Beispiel in Parteien beobachte ich immer wieder, dass doch wieder über Frauen und ihre (angeblichen) Interessen gesprochen wird. Das merkt man zum Beispiel, wenn Ausdrücke wie „die Frauen“ fallen.
„Die Frauen“ kann es aber nur von einer Außenperspektive betrachtet geben. Denn sobald ausschließlich Frauen in einem Raum sind, wird schnell klar, dass es ein solches „Wir“ nicht gibt, weil Frausein eben Differenz bedeutet, und Feminismus Konflikte. Sich das immer präsent zu halten und nicht auf das manchmal ja durchaus verlockende Angebot einzugehen, „im Namen der Frauen“ zu sprechen, ist vielleicht die größte Herausforderung für eine Feministin, die sich im öffentlichen Diskurs engagiert. Es bedeutet eine Anstrengung, souverän zu bleiben und weder das eigene Frausein zu verleugnen und zum „Neutrum“ zu werden, noch aber „als Frau“ zu sprechen, also letztlich als Gattungswesen.
Für mich ist dabei eine Hilfe, mir immer wieder die Bedeutung des Satzes „Ich bin eine Frau“ ins Gedächtnis zu rufen (was ein Tipp von Luisa Muraro ist, der bei mir wirklich gut funktioniert). Das „Ich“ in dem Satz steht nämlich für meine persönliche Unverwechselbarkeit, für meine Freiheit von vorgegebenen Stereotypen, für meine Subjektivität und Individualität. Und das „Frau“ steht dafür, dass ich mich der Einverleibung in ein angeblich unterschiedloses Neutrum namens „der Mensch“ verweigere, der doch in Wirklichkeit immer nur ein männlicher ist.
Der Satz „Ich bin eine Frau“ ist also für mich so eine Art Mantra im alltäglichen Feminismusgeschäft geworden. Das hilft mir auch in ganz konkreten Situationen, etwa wenn sich in gemischten Gruppen wieder mal ein männlicher Maßstab ausbreitet, gerne ja mit der unvermeidlichen Frage: „Und was ist mit den Männern?“ Dann entgegne ich gerne: „Woher soll ich das wissen? Ich bin doch keiner!“
Ansonsten ist mir vor allem noch wichtig, dass Feminismus nicht als isoliertes Projekt verstanden wird, sondern dass die Verwobenheit der Geschlechterdifferenz mit anderen gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen gesehen wird, also das, was im akademischen Diskurs „Intersektionalität“ heißt. Derzeit sehe ich nämlich ein großes Problem darin, dass sich manche feministische Forderungen früherer Jahre gut dazu eignen, in einen neoliberalen Trend integriert zu werden, zum Beispiel wenn es darum geht, die Arbeitskraft von Frauen als „Humankapital“ dem Arbeitsmarkt verfügbar zu machen. Und das Elterngeld war, bei allen positiven Aspekten, die es auch hat, unterm Strich doch eine Umverteilung von unten nach oben. Arbeitslose Frauen oder Frauen in Minijobs bekommen seit der Reform weniger Geld, gut verdienende Frauen mehr als früher.
So hat die britische Ökonomin Alison Wolf in ihrem neuen Buch „The XX-Factor“ herausgearbeitet, dass viele frauenpolitische Forderungen wie zum Beispiel nach Quoten in Führungspositionen oder politische Maßnahmen zur Förderung der Vollerwerbstätigkeit auch von Müttern vor allem im Interesse des einkommensstärksten Fünftels der Frauen sind: Eine Anwältin oder eine Managerin hat mehr Nachteile zu erwarten, wenn sie wegen ihrer Kinder eine Weile aus dem Beruf aussteigt, als eine Verkäuferin oder eine Sachbearbeiterin. Und nicht alle Frauen haben den Wunsch oder die Möglichkeit, über das Mittelfeld hinaus Karriere zu machen. Ein anderes Beispiel ist die Diskussion über den Gender Pay Gap. Zwar stimmt es, dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, der viel größere Graben, der außerdem auch noch immer größer wird, ist der zwischen Arm und Reich generell.
Deshalb bin ich für eine feministische Ökonomiekritik in einem breiteren Sinne. Es kann nicht darum gehen, Frauen innerhalb eines ungerechten Systems bessere Chancen zu verschaffen, sondern es sollte um grundlegendere Fragen gehen. Am wichtigsten dabei ist das Projekt, Care- und Fürsorgearbeit als wesentlichen Teil der Wirtschaft zu verstehen und in volkswirtschaftliche Konzepte zu integrieren. Diese Arbeiten lassen sich nicht betriebswirtschaftlich organisieren wie etwa die Produktion von Autos. Hier brauchen wir neue Konzepte, und dabei sind gerade die Erfahrungen derjenigen einzubeziehen, die diese Arbeiten erledigen: Sei es unbezahlt in den Familien oder schlecht bezahlt in Krankenhäusern, Altenheimen oder Privathaushalten.