Antje Schrupp im Netz

Die Bibel auf gerecht

Eine neue Bibelübersetzung kommt zur Buchmesse in die Läden

Bild Jede Übersetzung ist zugleich eine Interpretation. Bei wichtigen Texten wie der Bibel führt das immer wieder zu Diskussionen darüber, wie es denn »richtig« ist – doch das ist eine Frage der Perspektive, eine Frage, über die sich streiten lässt also. Über fünfzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben jahrelang an einer neuen Übersetzung der hebräischen und griechischen Urtexte gearbeitet. Zur Buchmesse kommt die »Bibel in gerechter Sprache« auf den Markt (Gütersloher Verlagshaus, 24,95 Euro).

Hintergrund des Mammutprojektes war die Tatsache, dass die bisherigen Übersetzungen in verschiedener Hinsicht unbefriedigend sind. Zwar enthalten die revidierte Luther-Übersetzung oder die Einheitsübersetzung keine echten Fehler mehr, sie übertragen die Bibel aber sehr eng am Urtext. Das heißt zum Beispiel, dass in den Texten immer eine männliche Form verwendet wird, auch wenn Frauen »mitgemeint« sind – genauso wie ja in den meisten Sprachen. Die neue Übersetzung verwendet nun in diesen Fällen eine »inklusive Sprache«, das heißt, sie spricht von »Jüngerinnen und Jüngern« oder von »pharisäischen Männern und Frauen« – außer wenn an der betreffenden Stelle tatsächlich nur Männer gemeint sind.

Ein anderes Anliegen ist es, dem christlich-jüdischen Gespräch gerecht zu werden. Es wurde also darauf geachtet, dass nicht unter der Hand antijudaistische Stereotypen transportiert werden, jedenfalls nicht, wenn sie nicht sowieso schon im biblischen Urtext stehen. Das war natürlich eine Gratwanderung: Denn manche der biblischen Autoren waren ja in der Tat antijüdisch oder patriarchal eingestellt. Die Frage, wie zu übersetzen ist, war also nicht nur ein sprachliches Problem, sondern auch ein historisches: Waren zum Beispiel Frauen bei der Gerichtsverhandlung gegen Jesus dabei oder nicht? Es steckt sehr viel wissenschaftliche Quellen- und Forschungsarbeit in diesem Projekt.

Die Bibel ist inspiriert von Gottes Wort, geschrieben aber wurde sie von Menschen, ebenso wie es Menschen sind, die die Urtexte überliefert haben und immer wieder neu übersetzen. Und Menschen sind fehlbar. Der Bibeltext, egal in welcher Übersetzung, kann daher keinen unmittelbaren Weg zu Gottes Willen weisen, sondern dieser Weg muss immer wieder neu gesucht werden. Das unterscheidet das christliche Schriftverständnis zum Beispiel vom islamischen.

Der große Vorteil der neuen »Bibel in gerechter Sprache« ist, dass sie die eigenen Perspektiven klar macht und ausspricht. Denn jede Übersetzung ist zwar von bestimmten zeitgeschichtlichen Vorstellungen und theologischen Meinungen geprägt, aber bisher wurde das selten offen gelegt. Jetzt können Leserinnen und Leser die neue Version parallel zu Luther oder anderen Übersetzungen lesen, die Texte vergleichen und dabei neue Entdeckungen machen: Glaube ich das oder glaube ich das nicht? Ist das alles Gottes Wort? Hat Gottes Wort auch Fehler? Was bedeutet das für mich? Die »Bibel in gerechter Sprache« fordert dazu heraus, sich diese Fragen wieder einmal zu stellen.


in: Kirche Intern, Oktober 2006

und: Krampfader, Nr. IV/2006