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Abschied vom Traummann
Immer mehr Männer wollen keine Kinder – und immer weniger Frauen finden einen Partner mit Familienwunsch. Ein Plädoyer für »Vaterschaft light«
Vater, Mutter, Kind: Die scheinbar selbstverständlichste Sache der Welt erweist sich zunehmend als schwierig. Warum versagen sich immer mehr Menschen den Wunsch, Kinder zu bekommen? Und warum sind viele Eltern weit davon entfernt, das Leben mit Kindern zu genießen? Die mehrteilige Serie »Werkstatt Familie« geht diesen Fragen nach. Den Auftakt bildet ein Plädoyer für eine »Vaterschaft light«. In den nächsten Folgen erörtert Ulrike Schnellbach den Wert und Preis der Familienarbeit, Bettina Röder untersucht die Lebensbedingungen von alleinerziehenden Vätern und Müttern, und Britta Baas befragt einen Männerforscher. Ein abschließender Beitrag diskutiert den Sinn und Zweck von Familienpolitik. Von Antje Schrupp
Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr« – noch nie war dieses Sprichwort so wahr wie heute. Das alte Rollenmodell des patriarchalen Familienoberhauptes ist wohl endgültig passé. Doch was an seine Stelle treten soll, ist noch ziemlich unklar. Ist ein Vater einfach die männliche Version einer Mutter? In Zeiten, in denen die Gleichstellung von Frauen und Männern politische Zielvorgabe ist, erscheint das vielen als die plausibelste Lösung. Doch der Blick auf das wirkliche Leben zeigt, dass die Situation weitaus komplizierter ist.
Väter sehen sich heute einer Fülle von teilweise widersprüchlichen Anforderungen gegenüber: Sie sollen den finanziellen Lebensstandard der Familien garantieren, doch in Zeiten von unsicheren und flexiblen Erwerbsarbeitsmärkten wird das zunehmend schwieriger. Gleichzeitig sollen sie sich möglichst in gleichem Umfang wie die Mütter an der Kindererziehung und der notwendigen Hausarbeit beteiligen – ein Soll, das sie noch bei Weitem nicht erfüllen, wie ihnen immer wieder vorgehalten wird. Schließlich sollen sie auch noch geschlechtsbewusste Rollenvorbilder für ihre Söhne sein und jene oft beklagten »Lücken« in der Erziehung füllen, die wegen der großen Überzahl weiblicher Bezugspersonen im Kleinkinderleben angeblich entstehen.
So viel Anspruch bei unklarer Aufgabenstellung macht die Männer offenbar kindermüde. Ein Ergebnis der demografischen Debatten der letzten Jahre ist, dass es in Deutschland inzwischen so etwas wie einen »Zeugungsstreik« der Männer gibt. Befragt man kinderlose Frauen, warum sie keine Kinder haben, nannte fast die Hälfte von ihnen als Grund, sie fänden keinen Mann, der ihren Kinderwunsch teilt, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift Eltern ergab.
Andere Studien bestätigen diese Erfahrung vieler Frauen. Vor allem bei den jungen Männern scheint sich die Neigung zur Familiengründung im freien Fall zu befinden. Nur 11 Prozent aller jungen Frauen in Deutschland sagen, dass sie keine Kinder möchten, aber 26 Prozent der jungen Männer, so das Ergebnis einer Erhebung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung im Jahr 2005. Ein Trend, der sich in Zukunft noch verstärken könnte, denn die »Kinderunlust« der Männer hat sich seit 1992 fast verdoppelt, während sie bei den Frauen weitgehend stabil geblieben ist.
Angesichts der Brisanz dieser Zahlen ist auffällig, wie wenig das Thema in den politischen Debatten präsent ist. Es scheint fast ein Tabu zu sein, die offensichtlichen Unterschiede der Geschlechter im Hinblick auf die Kinderfrage auch nur zu thematisieren. Das fängt schon damit an, dass heute kaum noch von Müttern und Vätern die Rede ist, stattdessen hat sich der geschlechtsneutrale Begriff »Eltern« eingebürgert. Doch sprachliche Kosmetik ändert nichts daran, dass in keinem anderen Bereich die Kluft zwischen den Geschlechtern noch immer so groß ist wie beim Verhältnis zum Nachwuchs.
Kinderbetreuung ist in Deutschland ganz überwiegend Frauensache. Auch das neue »Elterngeld« scheint daran nicht viel zu ändern – über neunzig Prozent der Anträge werden von Frauen gestellt. Zwar hat sich die Zahl der Väter, die Elterngeld beantragen, im Vergleich zum vorherigen Erziehungsgeld ungefähr verdoppelt, doch die Hälfte von ihnen gibt sich mit den zwei sogenannten »Vätermonaten« zufrieden – es handelt sich hier also um einen reinen Mitnahmeeffekt.
Vielleicht wäre es an der Zeit, im Hinblick auf die Kinderfrage auch einige politisch unkorrekte Fragen zu stellen: Könnten wir es nicht begrüßen, wenn Frauen auch ohne Männer Kinder haben und großziehen – und zwar sowohl, wenn sie ganz ohne (männlichen) Partner leben als auch wenn sie einen Partner haben, der den Großteil seiner Zeit im Büro zubringt? Und darf ein Mann nur Vater sein, wenn er zu einem echten »Job-Sharing« mit der Mutter bereit und fähig ist, oder wären nicht auch verschiedene Varianten von »Vaterschaft light« akzeptabel, wenn sie den Wünschen von Frauen und Männern entsprechen?
Dies muss ja andere Väter überhaupt nicht davon abhalten, sich zu engagieren. Denn natürlich gibt es sie: Jene »neuen Väter«, die sich hauptverantwortlich um ihre Kinder kümmern, die genauso, wie es früher nur Mütter taten, Hausmänner sind oder sich trotz ihrer Berufstätigkeit für all die anfallenden Arbeiten zuständig fühlen, die die Betreuung kleiner Kinder erfordern. Väter, die selbstverständlich ihre beruflichen Termine sausen lassen, wenn die Kleinen krank sind, die zu Elternabenden gehen und sich als Schulvertreter wählen lassen, die Geburtstagsfeste ausrichten, die Kleinen zum Fußballtraining begleiten, ihre Wäsche waschen und die Klavierlehrerin aussuchen – kurz: für die bei der Verteilung ihrer Arbeitskapazitäten die Versorgung der Kinder höchste Priorität hat.
Aber machen wir uns nichts vor: Diese Väter sind die Ausnahme, in Zahlen gesprochen höchstens fünf Prozent. Die ganz überwiegende Mehrheit scheint eher so etwas wie einen Mittelweg anzustreben: Sie wollen zwar nicht mehr wie in früheren Generationen die Entwicklung ihrer Kinder nur aus der Ferne verfolgen, sondern sie nehmen sich Zeit für den Nachwuchs. Natürlich können sie Windeln wechseln und Brei kochen. Sie kennen die Sorgen und Nöte ihrer Kinder, denn sie kommen abends rechtzeitig aus dem Büro, um sie noch zu sehen, sie vielleicht ins Bett zu bringen. Sie freuen sich auf gemeinsame Wochenendausflüge, und sie haben auch überhaupt kein Problem damit, die Kinder mal ein paar Tage lang alleine zu versorgen.
Aber wenn Vaterschaft nur im Vergleich zur Mutterschaft definiert wird, erscheinen solche »Teilzeit«-Väter notwendigerweise als defizitär. Wobei noch hinzukommt, dass der Grad dieses väterlichen Engagements sehr variieren kann. Für solche vielfältigen Lebensmodelle fehlen aber derzeit sowohl die Konzepte als auch die politischen Rahmenbedingungen.
Und auf der anderen Seite werden Mütter finanziell zunehmend benachteiligt – zum Beispiel durch die jüngsten Änderungen im Unterhaltsrecht, die ihre Versorgungsansprüche im Fall einer Scheidung weitgehend abgeschafft haben –, obwohl die allermeisten Frauen im Unterschied zu den Männern ihre Erwerbsarbeit nach wie vor zumindest reduzieren, wenn sie kleine Kinder haben. Aber das, so scheint der gegenwärtige Konsens zu sein, ist dann eben ihr persönliches Risiko.
Kein großer Gewinn sind bei all dem die organisierten Väter-Verbände, die ihre Aufgabe offenbar vor allem darin sehen, Interessenpolitik gegen Mütter zu betreiben. Weit davon entfernt, neue Entwürfe von nachpatriarchaler Vaterschaft in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen, geht es ihnen vor allem darum, die Rechte von Vätern zu stärken – notfalls auch gegen die Mütter. Höchst problematisch erscheint ihr Kampf um die Anerkennung der »biologischen« Vaterschaft: Sie haben erreicht, dass sich Väter neuerdings ganz aus der Verantwortung für ihre Kinder stehlen können, wenn sie – selbst nach vielen Jahren sozialer Vaterschaft – per Gentest nachweisen können, dass sie nicht die biologischen Erzeuger waren.
Dabei steht die Tendenz, die biologische Erzeugerschaft gegen die soziale Vaterschaft stark zu machen und rechtlich zu verankern, völlig im Widerspruch zur gesellschaftlichen Entwicklung. Denn bekanntlich sind Paarbeziehungen zwischen Männern und Frauen immer weniger stabil. Wie steht es eigentlich um die Rechte von späteren Lebensgefährten, die mit den Kindern ihrer Partnerinnen Vaterbeziehungen aufgebaut haben, aber keine biologischen »Ansprüche« stellen können? Wie können ihre Beziehungen zu den Kindern auch im Trennungsfall erhalten und gut gestaltet werden?
Und muss es nicht auch gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeiten für biologische Väter (und gegebenenfalls auch für Mütter) geben, sich ohne Stigma von ihren früheren Partnerschaften und den gemeinsamen Kindern zu trennen, wenn die Lebenswege auseinandergehen?
Das Paar von Mann und Frau kann heute nicht mehr wirklich die Basis der Gesellschaft sein. Vielmehr müssen im Zentrum von Familienpolitik die Beziehungen zwischen Kindern und denen, die für diese Kinder hauptverantwortlich sorgen, stehen. In der Regel sind dies heute die Mütter, es können aber selbstverständlich auch die Väter sein. Worauf es nun ankommt, ist, diese »Kernfamilien« einzubinden in ein zeitgemäßes Netz von sozialen und finanziellen Hilfen und Möglichkeiten, das gemeinsame Leben zu gestalten.
Hier über Ideale zu diskutieren oder das eine gegen das andere Lebensmodell auszuspielen ist wenig hilfreich. Wenn Eltern sich die Verantwortung für ihre Kinder teilen möchten, ist das genauso zu akzeptieren wie das Leben von Alleinerziehenden. Homosexuelle Paare können ebenso gut Eltern sein wie heterosexuelle Paare, und »gute« Väter sind nicht nur solche, die im herkömmlichen Verständnis »mütterliche« Tätigkeiten übernehmen, sondern auch solche, die reale Mütter nach Kräften unterstützen, und zwar in konkretem Einverständnis mit diesen realen Müttern. Was heißt, dass Vaterschaft heute eben sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Ebenso vielfältige Formen im Übrigen, wie es sie für die Mutterschaft längst schon gibt.
Eine Politik, die den Wünschen vieler Frauen nach mehr Kindern entgegenkommen will, darf nicht länger darüber streiten, welche Vision von Familie die Beste sei, sondern muss Frauen ganz unterschiedliche Wege zum Kind ermöglichen. Und eine Politik, die den offenbar zunehmenden Vorbehalten vieler vor allem junger Männer gegen die Vaterschaft Rechnung tragen will, muss akzeptieren und sogar begrüßen, dass es heute nicht den idealen »Vater« geben kann, sondern nur eine sehr breite Palette unterschiedlicher Weisen, Vater zu sein.
In: Publik Forum, 9. Mai 2008